drei 09 - Ver.di
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STANDPUNKT : Tarifausstieg bei AWO und Öffentlichem Dienst \\ Seite 3 SCHWARZES BRETT : AKTIV : Gut Neuhof: Solidarität ARBEITEN UND LEBEN: Überstunden \\ Seiten 4/5 contra Outsourcing \\ Seite 6 Tübingen: Proteste contra Tarifflucht \\ Seite 7 Nr. 9 _Mai 2 0 0 4 dre i Illustration: Thomas Klefisch V E R . D I FAC H B E R E I C H 3 – G E S U N D H E I T, S O Z I A L E D I E N S T E , W O H L FA H R T U N D K I R C H E N Gesundheit ist keine Ware HAMBURGER CHRONOLOGIE Hamburger Volksentscheid gegen Verkauf der landeseigenen Krankenhäuser Eine klare Entscheidung fällten Ende Februar die BürgerInnen von Hamburg: Beim von ver.di und deren Verbündeten initiierten Volksentscheid stimmten 76 Prozent gegen die Privatisierung des Hamburger Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK). Damit durchkreuzten sie die Pläne des Hamburger Senats, dem privaten Klinikbetreiber Asklepios eine Mehrheitsbeteiligung an den städtischen Kliniken zu verscheuern. Nicht nur, dass die Hansestadt (mit 25 % Restbeteiligung) jeden Einfluss auf die weitere Entwicklung der Gesundheitsversorgung ihrer BürgerInnen verloren hätte. Der Verkauf ist nicht einmal aus rein finanziellen Gesichtspunkten lukrativ, denn: Der LBK, zu dem die Krankenhäuser Altona, Barmbek, Eilbek, Harburg, St. Georg, Wandsbek sowie das Klinikum Nord gehören, gilt als wirtschaftlich gesund und schreibt im operativen Geschäft schwarze Zahlen (2002: 31 Mio. Euro). Allein die Altlasten (2002: 104 Mio. Euro) bringen das negative Ergebnis. Es waren keine Rücklagen für die Altersvorsorge gebildet worden; so muss sie aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Diese Altlasten für die Stadt bleiben – ganz gleich, ob mit oder ohne Asklepios. Trotz des eindeutigen Votums der HamburgerInnen versucht der Senat nun, die demokratische Entscheidung zu unterlaufen. So oder so ähnlich zeigt sich die Situation derzeit bundesweit in vielen kommunalen Krankenhäusern: massive Privatisierungsbestrebungen, Auslagerung von ganzen Bereichen, Tarifflucht, immer schlechtere Bedingungen für Beschäftigte wie Patienten … Hamburg ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Politik aus der Verantwortung zurückzieht und so privaten Klinikkonzernen (Asklepios, Rhön, Helios usw.) den Boden für die Aufteilung des »Krankenhausmarktes« bereitet. Dabei übersehen die Entscheider in den Rathäusern gern den wesentlichen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Krankenhausbetreibern: Private wollen und müssen Gewinne erwirtschaften. Deshalb wird sich das Angebot nicht am Bedarf, sondern vorrangig an der Wirtschaftlichkeit orientieren. Selektion, Minimalgrundversorgung und Aufpreise für die, die es sich leisten können, werden die Folgen der »Reformen« sein. Das kann keiner wirklich wollen. Unsere Krankenhäuser gehören in öffentliche Trägerschaft, denn Gesundheitsvorsorge ist ein öffentliches Gut. Zur staatlichen Daseinsvorsorge gehören zwingend die Kontrolle und Sicherung der Standorte, die quantitative und qualitative Versorgung der Bevölkerung, die Sicherung von Arbeitsplätzen usw. Deshalb sind Wachsamkeit und Gegenwehr von Beschäftigten, PatientInnen, BürgerInnen weiter gefragt. Unbescheidene Mitnahme Hamburg ist überall Beim Kauf der Landeskrankenhäuser spekuliert die private Asklepios Kliniken GmbH auf Unterstützung aus der Hamburger Senatsschatulle. Im November 2002 machte sie ganz andere Schlagzeilen: mit einer Beschwerde vor der EU-Kommission gegen alle Beihilfen für öffentliche Krankenhäuser. Solche Verlustausgleiche für Betriebe, die die öffentliche Daseinsvorsorge sicherstellen, seien nicht mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar. Die energischen Manager drohten gleich an, im Ablehnungsfall dennoch einzelne Kreiskrankenhäuser vor das entsprechende Landgericht zitieren zu wollen. Asklepios hat offenbar das Ziel, sich für die eigenen florierenden Privatkliniken die Gleichbehandlung bei staatlichen Betriebskostenzuschüssen zu erstreiten. Kiel: ver.di-Vertrauensleute kämpfen gegen den Verkauf des städtischen Krankenhauses. Reinigung, Wäscherei, Bistro, Küche, Hol- und Bringdienst sollen in eine Service-GmbH überführt werden. Das Ziel der Kieler Amtschefin Volquartz: Tarife einfrieren und das Personal in Arbeiter und Angestellte sezieren, obwohl die Schulden des Hauses nahezu abgebaut sind. Mit Aktionen in der Kieler Innenstadt wird die ver.di-Betriebsgruppe die Öffentlichkeit informieren und in ihren Kampf gegen Privatisierung und Lohnraub einbeziehen (Seite 2). Eisenhüttenstadt: Für das Städtische Krankenhaus Eisenhüttenstadt GmbH läuft ein Interessenbekundungsverfahren – offensichtlich soll privatisiert werden. Rhön will das Haus mit Grundver- sorgung schlucken, es passt in seine Gebietsdominanz. Allerdings wird ver.di über die Zukunft der Einrichtung mitreden: Der Geschäftsführer der ver.di-Bezirksverwaltung Frankfurt/ Oder, Frank Ploß, wird in dem eigens dazu gebildeten Arbeitskreis des Gesellschafters tätig werden (www.verdi.de/berlinbrandenburg/lbz). Berlin: Auch wenn der Verkauf von Vivantes »nicht vorgesehen« ist, verfährt die Politik auch hier nach demselben Muster: der Senat dreht den Geldhahn zu – die Altlasten werden dem Klinikmanagement aufgebürdet, die Beschäftigten sollen die Klinik durch Lohnverzicht retten ... Die Tarifverhandlungen mit ver.di haben begonnen (www.verdi.de/berlin). Stadt X, Stadt Y, Stadt Z … LBK-Privatisierungsversuche und Gegenwehr 3.2.2004 Start der Kampagne für den Volksentscheid »Tun Sie etwas für Ihre Gesundheit: Stimmen Sie mit JA!« mit Faltblatt und Scheckkarte mit Gründen gegen den Verkauf des Landesbetriebes Krankenhäuser (LBK), Werbung auf Infoscreen-Bildschirmen in U-Bahnen und Bahnhöfen, Außenwerbung an 15 Bussen der Hamburger Hochbahn, Großverteilaktionen und Infoveranstaltungen. 18.2.2004 Repräsentative Forsa-Umfrage für »Hamburger Morgenpost« und »stern« ergibt: 76 Prozent der Hamburger BürgerInnen sind gegen die Senatspläne, die städtischen Kliniken an einen Privatinvestor zu veräußern. Unbescheidene Mitnahme 20.2.2004 Treffen von Chefärzten des LBK mit Asklepios und der CDU im Rathaus: CDU und Asklepios machen gemeinsame Sache. 24.2.2004 12 Uhr: Aktion mit acht großen Puppen in der Nähe des Rathauses (Schleusenbrücke) »Wir HamburgerInnen stimmen für unsere Krankenhäuser«. 27.2.2004 Zahlen von Wirtschaftsprüfern belegen, dass der LBK keine Verluste macht, wie Bürgermeister Ole von Beust behauptet. 29.2.2004 Volksentscheid »Gesundheit ist keine Ware«. 1.3.2004 JA zum Volksentscheid! 76,8 Prozent aller WählerInnen lehnen den Mehrheitsverkauf der städtischen Krankenhäuser ab. 8.3.2004 ver.di schlägt dem Senat eine Expertenrunde vor. Bürgermeister von Beust kündigt an, dass er eine Alternative zum Mehrheitsverkauf des KBK prüfen will. 14.3.2004 Initiatoren des Volksentscheids fordern in einem Brief an Bürgermeister von Beust und Finanzsenator Peiner, sich an die demokratische Entscheidung zu halten. 16.3.2004 Der zukünftige Gesundheitssenator Jörg Dräger tritt in den Fettnapf. Noch vor seiner Amtseinführung verkündet er: »Ich halte den Mehrheitsverkauf für richtig.« 21.3.2004 Trotz des gültigen Volksentscheids bringt Ole von Beust den Verkauf von fünf der sieben Krankenhäuser des LBK ins Gespräch. 24.3.2004 UKE-Direktor Prof. Jörg Debatin kündigt den Kauf von LBK-Kliniken an. 26.3.2004 Informationen sickern durch, der Senat plane eine Verschlechterung der Volksgesetzgebung – von Beust will die Anforderungen für Volksbegehren, die finanzielle Auswirkungen haben, erhöhen. 2 DIALOG Eure Meinungen bitte an: [email protected]. Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. 1 2 3 Positive Resonanz 1 Bitte schickt mir doch die Ausgaben 1 bis 7. Die würden mich brennend interessieren. Momentan bin ich Nachrückerin in die Mitarbeitervertretung – und wer weiß, wie schnell sich was ändert. Ich möchte dann auf alle Fälle gut informiert sein. ELFRIEDE STANGL, Sinzing 2 Wegen des guten Artikels über »Keine Angst vorm Zeugnis« ist die Nachfrage der Zeitung drei.08 bei uns in Südbaden sehr groß. Wäre es möglich, dass ihr uns noch 100 Exemplare zuschickt? 3 Ich würde gerne künftig von der drei jeweils 200 Exemplare für unseren Fachbereich haben – eignet sich hervorragend zur Werbung. HILDE SACHAROW, ver.di Elbe-Weser, Cuxhaven PERSONALRAT, Zentrum für Psychiatrie Emmendingen zu »Freizeit so richtig genießen« Bekannte Situation Mit großem Interesse verschlang ich den Titel der drei.08 »Freizeit so richtig genießen«. Ich arbeite ebenfalls in einem Altenheim und da spielen sich genau diese Situationen ab. Die Freizeit kann man gar nicht verplanen, weil man nicht weiß, ob die Wohnbereichsleiterin wieder anruft. Vor allem müssen die Mitarbeiter darunter leiden, die eine 20-Stunden-Woche haben. Ich gehörte auch dazu. Mir ist voriges Jahr Folgendes passiert: Im Dienstplan war vom 20. – 31. Oktober mein Urlaub eingetragen. Mit meinem Mann fuhr ich für eine Woche nach Naturns in Südtirol. Anschließend wollten wir noch ein paar Tage ins Alpbachtal. Leider war die Saison schon zu Ende und die Hotels und Gasthöfe machten Urlaub bis Mitte Dezember. Also fuhren wir etwas traurig nach Hause. Zu Hause angekommen, hörte ich den AB ab und traute meinen Ohren kaum: Meine Wohnbereichsleiterin hinterließ mir die Nachricht, dass ich arbeiten soll. Ich ging hin, weil ich erst am 1. Januar 2002 dort angefangen hatte und mich nicht traute abzusagen. Ich E D I TO R I A L Liebe Leserinnen und Leser! »Märkte brauchen, um funktionieren zu können, die Rahmenbedingungen von Angebot und Nachfrage. Diese fundamentale Grundlage jeder Marktwirtschaft ist im Gesundheitsbereich nicht gegeben«, schreibt Nobelpreisträger Kenneth Arrows. »Es ist ganz einfach: Niemand will krank sein. Bei Konsumartikeln kann man den Gürtel enger schnallen. Aber niemand kann sein Medikament einfach seltener nehmen, wenn er chronisch krank ist.« Gesundheit kann also gar keine Ware, keine Privatsache sein. Aber der Gesundheitsbereich ist auch eine Geldmaschine: Die Weltbank berechnete, dass allein in Deutschland damit jährlich 250 Milliarden Euro umgesetzt werden. Um an den dicken Kuchen im Bereich der Krankenhäuser heranzukommen, müssen die Löhne gedrückt und die Arbeit verdichtet werden. Die Krankenhäuser sollen miteinander um die Patienten, die nun Kunden sind, in Konkurrenz treten. Die Beschäftigten und die Patienten sollen zukünftig die Zeche zahlen. Und all das versteckt sich hinter dem Begriff »Reformen«, mit denen die Kommunen versuchen, ihrer Finanzmisere zu entkommen. Ließe man sie gewähren, könnte die grausame Fiktion des Hamburger Schauspielers Rolf Becker Alltag werden: »Seit der Privatisierung des Gesundheitswesens gibt es ganz offiziell die Drei-Klassen-Medizin: beste Behandlung für Zahlungskräftige, Mindestleistungen für Versicherte, für Unversicherte bleiben nur erbettelte Spenden oder die Notfallaufnahme. Jeder Vierte ist ohne Krankenversicherung …« In den USA und Großbritannien ist diese Fiktion von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 längst Realität. Aber noch ist es nicht zu spät, sich gegen die Privatisierungspläne zu wehren. Das haben die Hamburger BürgerInnen bewiesen. ver.di wird diese Position weiter konsequent vertreten. Denn: Gesundheit ist keine Ware! war ja laut sämtlicher Kollegen »gut erholt« – eine Woche Urlaub reiche doch. Bei so viel Unverschämtheit blieb mir die Spucke weg. Bis Ende Dezember hatte ich 92 Überstunden – und das bei einer 20- Stunden-Woche. Seit dem 1. März mache ich nur noch Nachtdienst, das heißt eine Woche Dienst eine Woche frei. Das andere hätte ich nicht mehr ausgehalten. IHRE REDAKTION S.E., REGENSBURG (der vollständige Name ist Illustration: Thomas Plaßmann/CCC, www.c5.net Leserbriefe drei 09_Mai 2004 der Redaktion bekannt) KIEL ver.di-Vertrauensleute kämpfen gegen den Verkauf des Städtischen Krankenhauses Das Städtische Krankenhaus Kiel und mit ihm seine gesamte Belegschaft stehen auf dem Prüfstand: Schwarze Zahlen müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre her. Dann wäre der drohende Verkauf abzuwenden, so der Beschluss der Ratsversammlung auf Antrag des grün-schwarzen Kieler Zweckbündnisses. Steffi Schill ist Krankengymnastin im Städtischen Krankenhaus und ver.di-Vertrauensfrau. »Es ist doch der Politik egal, ob unser Haus schwarze, grüne, rote oder blaue Zahlen schreibt«, ruft sie energisch in der Pathologie. Hier findet eine Teilbetriebsversammlung der Tarifkräfte aus dem Servicebereich statt. Der Ort ist gut gewählt: Reinigung, Wäscherei, Bistro, Küche, Hol- und Bringdienst sollen in eine gesonderte Service-GmbH überführt werden. Damit sollen die Tarife eingefroren und das Personal in ArbeiterInnen und Angestellte seziert werden. Mit der »Extrabehandlung« der ArbeiterInnen in der Service-GmbH würde der Einstieg in die Aushöhlung des Angestelltentarifes vorbereitet werden. Zugleich liegt in den Schubladen eine zweite, um 30 Prozent abgesenkte Lohnebene für die neu Eingestellten. Die Service-GmbH könne sich am Markt bewähren, meint der Kieler Sozialdezernent Adolf-Martin Möller. Steffi Schill widerspricht: »Das ist der Einstieg zur Privati- sierung des gesamten Krankenhauses.« Der Kampf der ver.diBetriebsgruppe richtet sich gegen die Salamitaktik von Geschäftsführung und kommunaler Politik. Steffi und ihre Gruppe wissen: Zunächst sind die KollegInnen aus dem Service mit Lohnabsenkungen dran, dann das übrige Personal. Der angedachte Ausstieg aus dem Verband der kommunalen Arbeitgeber durch die Stadt könnte ein Signal sein. Im Jahr 2006 könnte es im gesamten Städtischen Krankenhaus zu Hausverträgen für die Beschäftigten kommen. Krankenhausdirektor Roland Ventzke hat die Schulden des Hauses von 14 Millionen Euro nahezu abgebaut. Arbeitsverdichtung, längere Schichtdienste mit immer weniger Personal – das steckt hinter den Zahlen. »Früher war die Versorgung der Patienten in der Pflege und der Krankengymnastik gut. Jetzt bin ich für sechs Stationen zuständig«, sagt Steffi Schill. Der Markt muss es richten, meinen die Kieler Stadtoberen. Steffi Schill und ihre MitstreiterInnen werden sich nicht unterkriegen lassen. Ihr Mut und ihre Wut wachsen. Mit Aktionen in der Kieler Innenstadt wird die ver.di-Betriebsgruppe die Öffentlichkeit informieren und in ihren Kampf gegen Privatisierung und Lohnraub einbeziehen. Die erfolgreichen Bürgerbegehren gegen den Verkauf der Elmshorner Stadtwerke und des Westküstenkrankenhauses haben es deutlich gemacht: Privatisierung von öffentlichem Eigentum ist kein Königsweg, um aus der Krise der Kommunen zu gelangen. IMPRESSUM »An Alle! drei – die Zeitung des Fachbereiches 3 in ver.di – erscheint für die Mitglieder im Bereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen als Beilage zur ver.di-Mitgliederzeitung PUBLIK. Herausgeber: ver.di, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V., Bundesvorstand, Ellen Paschke, Fachbereich 3 Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Redaktion: Gundula Lasch (verantw.), Ute Preuninger, Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin, Tel.: (0 30) 69 56 -18 04, Fax: (0 30) 69 56 -34 20 E-Mail: [email protected]. Redaktionsschluss für Ausgabe 10: 19.4.2004 Design und Vorstufe: werkzwei, Bielefeld / Lage Druck: apm AG Eppelheim, Niederlassung Frankfurt am Main, Theodor-Heuss-Allee 90-98, 60486 Frankfurt am Main, www.alpha-print-medien.de. Terminankündigungen bitte an die drei-Redaktion weiterleiten! Informationen für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen M E D I Z I N PÄ DAG O G I K Hochschulzugang und Anerkennung von Studienabschlüssen aus DDR-Zeiten Es ist bisher kaum bekannt: AbsolventInnen medizinischer Fachschulen der ehemaligen DDR haben mit ihrem beruflichen Abschluss die fachgebundene Hochschulreife bzw. Fachhochschulreife und damit die Berechtigung zum Studium bestimmter Fachrichtungen an Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland erlangt. Auch die Ausbildungsgänge für das Lehramt Diplommedizinpädagogik und Medizinpädagogik sind anerkannt worden und werden den in den Ländern geltenden Laufbahnen oder den jeweiligen rechtlichen Regelungen entsprechend zugeordnet. Grundlage dafür ist ein Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 10. Mai 1990 über die »Zulassung von Hochschulzulassungsberechtigten aus der DDR an Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland«, der dann seine Entsprechung im Einigungsvertrag fand. Hochschulzulassungsberechtigt sind neben etlichen weiteren gesundheitlichen Berufen auch die Krankenpflegeberufe. Der Antrag auf Gleichwertigkeit der Ausbildungen an medizinischen Fachschulen mit der Fachhochschulreife bzw. fachgebundenen Hochschulreife ist beim jeweiligen Kultusministerium des Bundeslandes zu stellen, in welchem der Zugang zu einer Hochschule angestrebt wird. Grundlage für die Anerkennung der in der DDR erworbenen Lehrbefähigung an medizinischen Fachschulen als Diplommedizinpädagoge/Medizinpädagoge ist der KMKBeschluss vom 7. Mai 1993. Danach werden Lehrkräfte den in den Ländern geltenden Laufbahnen oder den jeweiligen rechtlichen Regelungen entsprechend zugeordnet. Die Zuordnung gilt generell für Lehrkräfte, die ihre Ausbildung in der ehemaligen DDR abgeschlossen haben und in den neuen Ländern bzw. in Berlin tätig sind. ULRIKE PERETZKI-LEID Ungekürzter Bericht unter: www.verdi.de/fb3/beruf liche_bildung drei 09_Mai 2004 3 STANDPUNKT KÜNDIGUNG DER TARIFVERTRÄGE BEI DER AWO KO M M E N TA R von Ellen Paschke, Falsches Signal oder Notwendigkeit? leiterin FB 3 Foto: Kay Herschelmann Bundesfachbereichs- Kündigung statt Reform Foto: Tobias Michel Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Vorreiter im Abbau von Arbeitnehmerrechten!? Kaum vorstellbar – aber wahr: Die AWO hat, bis auf Lohn und Gehalt, sämtliche Tarifverträge für West und Ost zum 31. März 2004 gekündigt. Begründet wurde dieses Vorgehen mit zum Teil fehlender Refinanzierung durch die Kostenträger und fehlender Wettbewerbsfähigkeit gegenüber so genannten »Billiganbietern«. Würde man dieser Logik folgen, ginge es nicht um den vom Gesetzgeber eigentlich gewollten Wettbewerb um mehr Qualität, sondern nur noch um die billigsten Preise. Dass private Pflegeheimbetreiber diesen Preiswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten und der Bewohner austragen, ist nicht neu. Dass aber ausgerechnet die AWO dieses Preisdumping mitmacht, ist auch im Hinblick auf ihre Historie ein unglaublicher Vorgang. Anstatt sich Bündnispartner zu suchen, die sie in ihrem Anliegen um mehr Qualität unterstützen, setzt sie allein auf die Absenkung und Verschlechterung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen. Die AWO übersieht dabei offensichtlich, dass für die schwere und verantwortungsvolle Arbeit im sozialen Dienstleistungsbereich unter diesen Bedingungen immer weniger Menschen bereit sein werden. So führt die vorgegebene ökonomische Notwendigkeit von Kürzungen bei den Beschäftigten zu schlechterer Qualität, weniger motivierten Mitarbeitern und letztendlich zu mehr Skandalen, die heute noch als bedauerliche Ausnahmen bezeichnet werden. Schon heute verdursten und verhungern täglich Menschen in deutschen Pflegeheimen (siehe u.a. die »Grundsatzstellungnahme zur Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen in Deutschland« des MDS – im Internet: www.fb3.de unter Pflegeeinrichtungen die PDF »Hungern und Verdursten«). Der AWO-Bundesverband hat mit seinem Schreiben vom 8. März 2004 einen Musterarbeitsvertrag an alle Untergliederungen verteilt, der für alle ab dem 1. April 2004 neu eingestellten MitarbeiterInnen gelten soll. Darin enthalten sind u.a. •Die Arbeitszeit wird ohne Lohnausgleich auf 40 Stunden pro Woche verlängert. •Die Zuschläge für Schicht-und Wechselschicht fallen weg. •Die Zuwendung (Weihnachtsgeld) wird auf 40 Prozent reduziert und bei Krankheit weiter gekürzt. Mit diesen massiven Verschlechterungen der Arbeits- und Einkommensbedingungen für neu Eingestellte spaltet die AWO ihre Belegschaft und trägt die Verantwortung für ein zunehmend ver- giftetes Betriebsklima. ver.di setzt sich dagegen für einheitliche, tarifliche Regelungen für alle Beschäftigten der AWO auf der Grundlage des BMT-AW II ein. Auszug aus dem Grundsatzprogramm der Arbeiterwohlfahrt: »Wir bestimmen – vor unserem geschichtlichen Hintergrund als Teil der Arbeiterbewegung – unser Handeln durch die Werte des freiheitlich-demokratischen Sozialismus: Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Wir sind ein Mitgliederverband, der für eine sozial gerechte Gesellschaft kämpft und politisch Einfluss nimmt.« NORDRHEIN-WESTFALEN Demo vor Düsseldorfer Zentrale Fotos: Jürgen Seidel 200 AWO-Betriebsräte kündigen heftigen Widerstand gegen Lohndumping an Auch bei der AWO in Nordrhein-Westfalen (NRW) drohen heftige Tarifauseinandersetzungen: Nach der Kündigung der bundesweit gültigen Tarifverträge trafen sich über 200 Betriebsräte des Unternehmens in der Düsseldorfer ver.di-Zentrale zu einer Tagung über tarifpolitische Fragen. NRW-Fachbereichsleiterin Sylvia Bühler: »Es ist nicht nachzuvollziehen, warum eine Altenpflegerin bei der AWO-vita GmbH in Düsseldorf weni- ger verdient als eine ihrer Kolleginnen bei der AWO in Dortmund.« Die AWO täte gut daran, die Verhandlungen über den von beiden Seiten angestrebten Reformtarifvertrag fortzuführen. Voraussetzung sei aber die Einhaltung der getroffenen Vereinbarung, diesen Tarifvertrag kostenneutral zu gestalten. Bevor neue Verhandlungen stattfinden, müsse der gekündigte Tarifvertrag wieder in Kraft gesetzt werden. Eine spontane Demonstration der 200 Betriebs- räte vor der Düsseldorfer AWO-Zentrale machte das Aktionspotenzial deutlich. Die Mehrheit der AWO-Beschäftigten ist bereit, massiven Widerstand zu leisten. Wesentliche Teile der Belegschaft hat die AWO Düsseldorf bereits durch Unternehmenszerschlagung der Tarifbindung entzogen. »Gemeinsam gegen Tarifflucht und Sozialabbau« – so stand es dick auf dem Transparent, hinter dem hunderte von AWO-Beschäftigten am 3. April durch Köln demonstrierten. Mit dabei ein schwarzer Sarg: »Wir beerdigen das Leitbild der AWO – aber nicht unsere Ansprüche«. Zwei Tage zuvor informierten sich in etlichen NRW-Betrieben die Betroffenen in aktiven Mittagspausen über die fast sittenwidrigen Arbeitsverträge, die bei der AWO seit dem 1. April den Neueinsteigern vorgelegt werden. Aktuelle Infos: VER.DI-INFOPOST www.verdi.de/gesundheit-und-soziales-nrw/ wohlfahrtsverbaende AWO: Weihnachten im März RHEINLAND/HESSEN-NASSAU Erfolgreiche Gegenwehr Paten stärken Beschäftigten den Rücken Auch in Rheinland-Pfalz (RLP) sucht die AWO ihr Heil in der Ausgliederung und Tarifflucht: Die Geschäftsführung des AWO-Bezirksverbandes Rheinland/Hessen-Nassau e.V. gliederte ihre 13 Altenpflegeeinrichtungen mit etwa 1.400 Beschäftigten vollständig in drei gewerbliche GmbHs aus. Begründet wurde dies damit, dass die Personalkosten in Zukunft vermeintlich nicht mehr über die Pflegesätze zu refinanzieren seien. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit kann ver.di nicht erkennen, im Gegenteil: Nach unseren Berechnungen liegt bei der AWO Rheinland/HessenNassau keine kritische finanzielle Situa- Die Verhandlungen zur Reform des Tarifwerkes der AWO sollten eine Anpassung der Arbeitsbedingungen an den veränderten gesellschaftlichen Rahmen bringen – das war ein gemeinsam getragenes Ziel der Verhandlungspartner. Mit der Kündigung der Tarifverträge und der Aushändigung neuer – schlechterer – Arbeitsverträge an neue Beschäftigte machte die AWO nun deutlich, dass sie gewillt ist, einseitig die Arbeitsverhältnisse zu regeln. Damit hält ein neuer Umgangston Einzug in die Tariflandschaft: Die Arbeitgeber versuchen der Arbeitnehmerseite die Tarifvertragsinhalte zu diktieren. Dies erleben wir auch bei anderen Trägern von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Bei einigen privaten Gesellschaften folgte auf die Kündigung der Tarifverträge und die massiven Verschlechterungen für neu Eingestellte in der zweiten Stufe die Drohung mit Outsourcing oder Verlust von Arbeitsplätzen. Auch langjährig Beschäftigte wurden so vielfach unter Druck gesetzt, bis sie Verschlechterungen »freiwillig« zustimmten. Diese Kalkulation mit der Angst um den Arbeitsplatz hat überall dort Erfolg, wo Betriebsräte nicht rechtzeitig reagieren und wir als ver.di zu wenig Mitglieder haben, um entsprechend handeln zu können. Die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder versucht nun in gleicher Weise, ver.di mit der Kündigung der Arbeitszeitbestimmungen unter Druck zu setzen. Änderungen, die Beamten verordnet wurden, wollen die Arbeitgeber auch für Angestellte und ArbeiterInnen erzwingen, auch wenn sie sich in der Prozessvereinbarung zu vorbehaltslosen Verhandlungen und Kostenneutralität verpflichtet haben. Diesem Druck werden wir uns jedoch nicht beugen. Es wäre wirtschaftlich kontraproduktiv und für die Zukunft des Gesundheits- und Sozialbereichs falsch und schädlich. Wir brauchen attraktive Arbeitsplätze und eine gute Versorgung in den Einrichtungen. Daher werden wir uns weiterhin für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine Reformierung und Entrümpelung der Tarifverträge einsetzen. tion vor. Selbst wenn eine solche Notlage vorgelegen hätte, wäre das kein Grund gewesen, aus dem Tarif auszusteigen. Verschiedene andere Träger suchen gemeinsam mit ver.di nach tragfähigen Lösungen und verhandeln einen Notlagentarifvertrag. Beschäftigte, die ihren Unmut äußerten, sahen sich erheblichen Repressalien ausgesetzt. Einem Betriebsratsmitglied wurde fristlos gekündigt. Die Geschäftsführung lehnte einen Überleitungstarifvertrag vehement ab. AWO-Geschäftsführer Winfried Bauer wollte stattdessen die Regelung in einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Nach massiver Intervention von ver.di gab Bauer zunächst die Zusage, den tariflosen Zustand über einen Haustarifvertrag zu beenden. Doch entgegen dieser Zusage wurde eine Entgeltrahmenvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat ausgehandelt. Unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen startete ver.di im Bezirk Koblenz die Kampagne: »Für Qualität der Pflege und humane Arbeitsbedingungen auch bei der AWO Rheinland/Hessen-Nassau e.V.«. Die Aktivitäten werden von einem engagierten Kampagnenrat begleitet. Um AWO-Beschäftigte im Kampagnenrat vor weiteren Repressalien zu schüt- zen, konstituierte sich ein Kreis aus Personen des öffentlichen Lebens, die die Situation der AWO-Beschäftigten als Paten in der Öffentlichkeit darstellten. Nach monatelangen Auseinandersetzungen zwischen ver.di und AWO, die in den Medien landesweit ihren Niederschlag gefunden hatten, übernahm das Sozialministerium eine Vermittlerrolle. Ergebnis: Die AWO-Geschäftsführung musste die fristlose Kündigung des Betriebsratsmitglieds zurücknehmen und wurde an den Verhandlungstisch zurückgeholt. Im April begannen die Tarifverhandlungen. Für die anstehende Diskussion über die Pflegequalität wird auf Initiative des Sozialministeriums ein runder Tisch gebildet, an dem u.a. Kampagnenrat, AWO und Qualitätssicherungsbehörden Platz nehmen. LOTHAR SLEZAK Die AWO-Tarifrunden orientieren sich am BAT. Wie im Öffentlichen Dienst, so galt auch für die AWO-Beschäftigten bisher: Das Weihnachtsgeld wird prozentual immer weniger, weil die Lohnsteigerung nicht berücksichtigt wird, das Weihnachtsgeld ist sozusagen eingefroren. In der letzten Tarifrunde 2003 wurde »versäumt«, das Einfrieren des Weihnachtsgeldes zu tarifieren. Obwohl die AWO dies in ihrem Rundbrief zugibt, behauptet sie zugleich, ver.di würde falsch spielen. Ein hilfloser Versuch, Tatsachen zu verschleiern und nachträglich auszubügeln. Mit einem Schreiben vom 3. März 2004 an ver.di legt die AWO einen von ihr unterschriebenen Änderungstarifvertrag zum Einfrieren der Zuwendung (Weihnachtsgeld) vor. Nachträglich soll damit ihr Vorgehen legitimiert werden. Dies ist mit ver.di nicht zu machen. ver.di hat ihre Mitglieder informiert, dass sie nun das volle Weihnachtsgeld geltend machen können. 4 SCHWARZES BRETT drei 09_Mai 2004 Urteil Bereitschaftsdienst im Anschluss an den Regeldienst sind Überstunden Im Rechtsstreit ver.di gegen das DRK-Krankenhaus Westerwald urteilt das Arbeitsgericht Koblenz: »Bereitschaftsdienst liegt dann nicht vor, wenn der Kläger im unmittelbaren Anschluss an seine regelmäßige Arbeitszeit weiterarbeiten muss. Er leistet dann keinen Bereitschaftsdienst, sondern Überstunden. Wird angeordnet, dass der Angestellte über die betriebliche Arbeitszeit hinaus weiterzuarbeiten hat, so ist das nicht die Anordnung von Bereitschaftsdienst, denn dem Angestellten wird nicht die Weisung erteilt, sich an einer vom Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um erforderlichenfalls die Arbeit aufzunehmen. Vielmehr werden in einem solchen Fall Überstunden angeordnet, denn der Angestellte wird verpflichtet, Arbeitsstunden zu leisten, die über die dienstplanmäßig bzw. betrieblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen.« (Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz, 9 Ca 96/03. Zur Anordnung von Überstunden wird auch auf folgende Urteile verwiesen: 6 AZR 47/89 und 6 AZR 455/91.) Gutachten Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes in Krankenhäusern möglich Im Rahmen des 3. Arbeitszeitgipfels im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) Anfang März wurde die Studie des Deutschen Krankenhausinstitutes zu Auswirkungen alternativer Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern vorgestellt. Diese ergab, dass die Umsetzung und Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und der europäischen Rechtsprechung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ohne größere Probleme auch in den Krankenhäusern möglich ist. Die Regelungen des zum 1. Januar 2004 geänderten Arbeitszeitgesetzes zu den gesetzlich zulässigen Höchstgrenzen der Arbeitszeit seien zur Entwicklung und Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle völlig ausreichend, so die Gutachter. »Jetzt sind die Krankenhäuser in der Pflicht, ihre Arbeitsabläufe endlich zu ändern«, so FB3-Vorsitzende Ellen Paschke. Die zuständigen Aufsichtsbehörden sind aufgefordert, die Prüfungen zur Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes effektiv durchzuführen. Denn die Patienten in den Krankenhäusern haben einen Anspruch auf ausgeruhtes und motiviertes Personal. Die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) weigerte sich, die gemeinsame Erklärung zum 3. Arbeitszeitgipfel zu unterschreiben. Aus Sicht von ver.di ist dies nicht nachvollziehbar, da alle Beteiligten ein hohes Interesse an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen haben sollten. -RED Überstunden für Teilzeitbeschäftigte und Schwerbehinderte? Stund ÜBERStunden ... Die Zahl der in Deutschland geleisteten Überstunden wird in diesem Jahr erstmals nach einem dreijährigen Rückgang wieder ansteigen: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit ermittelte eine Gesamtzahl von 1,6 Milliarden bezahlten Überstunden für das laufende Jahr. Das ist ein Plus von zwei Prozent im Vergleich zu den 1,57 Milliarden bezahlten Überstunden in 2003. Die IAB-Experten nannten als Grund für den Anstieg die erwartete leichte Konjunkturerholung in diesem Jahr. Über die Anzahl der unbezahlten Überstunden (Überstundenberge, die vor sich hergeschoben werden) gibt es keine verlässlichen Zahlen – im stationären Altenpflegebereich (rund 475.000 Beschäftigte in 9.200 Pflegeheimen) wird von neun Millionen Überstunden gesprochen. Viele dieser Überstunden, die Ursache für Krankheiten, Unfälle, soziale Probleme etc. sind, könnten bei kluger Arbeitsorganisation und Berücksichtigung der rechtlichen Regelungen vermieden werden. Mehrarbeit oder Überstunden? Mehrarbeit Das Arbeitsrecht kennt den Begriff Mehrarbeit in verschiedenen Zusammenhängen: Er wird benutzt in Arbeitsschutzgesetzen, dem Arbeitszeitgesetz, dem Berufsbildungsgesetz, dem Schwerbehindertengesetz und Mutterschutzgesetz. Obwohl es zahlreiche Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Mehrarbeit gibt, ist dieser Begriff nicht eindeutig bestimmt. Dem Sinne nach lässt sich die Mehrarbeit so kennzeichnen: Es handelt sich um Arbeitsstunden, die über die vertraglich vereinbarte regelmäßige oder im Dienstplan festgelegte Arbeitszeit hinausgehen. Überstunden Wann es sich um zuschlagspflichtige Überstunden handelt, ist in den Tarifverträgen geregelt. Hierbei geht es um die Frage der Vergütung für die besondere Belastungen der Mehrarbeit. Mitbestimmung bei Überstunden Der Arbeitgeber darf Überstunden nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats, des Personalrats oder der Mitarbeitervertretung verlangen. Dies Recht ist nicht eingeschränkt; es gilt zu jedem Zeitpunkt. Die betriebliche Interessenvertretung hat zu prüfen, ob es sich tatsächlich um dringende Fälle handelt und ob alle Beschäftigten gleichmäßig betroffen sind. Wenn Überstunden permanent zur Überbrückung einer zu knappen Personaldecke geleistet werden sollen, kann und muß die Interessensvertretung ihre Zustimmung verweigern. In einem Fall hat der Betriebsrat die Zustimmung zu Überstunden verweigert. Der Arbeitgeber wollte sich daraufhin die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzten lassen. Der Richter befand jedoch, dass kein Recht bestand, Überstunden zu verlangen. Betriebsrat und Arbeitgeber einigten sich auf einen Vergleich, worin sich die Arbeitgeberseite verpflichtete zwei neue Stellen zu schaffen, da die Überstunden keine Notfälle waren, sondern wegen Personalunterdeckung entstanden sind. Teilzeitbeschäftigte können nicht zu Überstunden verpflichtet werden. So hat das Landesarbeitsgericht Frankfurt entschieden. Wenn sie jedoch damit einverstanden sind, dann ist es natürlich möglich. Der Aufschlag je Überstunde wird aber erst fällig, wenn die Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, das sind 38,5 Stunden pro Woche, vorliegt. ver.di fand das genauso ungerecht wie sicherlich alle, die dies lesen. Darum hat ver.di geklagt, aber leider in der höchsten Instanz verloren. Wirklich schade. Ausgenommen von der Pflicht, Überstunden zu erbringen, sind Schwerbehinderte (§ 124 SGB IX). Der Schwerbehinderte hat das Recht, auf sein Verlangen hin von der Mehrarbeit freigestellt zu werden. Informationen für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen Zusätzliche Arbeit: Muss jeder Anweisung gefolgt werden? 1 12 11 Überstunden/Mehrarbeit: nur in dringenden Fällen Das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers beinhaltet nicht das Recht, die Arbeitszeit gegen den Willen des Arbeitnehmers zu erhöhen. Zusätzliche Arbeit kann nur in dringenden Fällen verlangt werden. Aber was sind dringende Fälle? Dringende Fälle liegen vor, wenn eine Arbeit keinen Aufschub duldet. Nicht zwingend ist, wenn eine Arbeit aufgeschoben werden kann oder nur wirtschaftliche Gründe angeführt werden können. In der Praxis dürften die meisten Überstunden einer Überprüfung nicht standhaltenden. Immer dann, wenn mit einer Notbesetzung der Betrieb aufrechterhalten werden könnte, liegt kein Grund für Überstunden vor. Dass Notbetrieb kein guter Zustand ist, ist natürlich klar. Überstunden sind nicht dazu da, die viel zu knappe Personaldecke auszugleichen. 10 9 Mehrarbeit und Arbeitszeitkonten Arbeitszeitkonten ermöglichen flexiblere Arbeitszeiten. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit kann über- oder unterschritten werden. Daher ist es wichtig Beginn und Ende des Ausgleichszeitraumes festzulegen. Nach Ende des Ausgleichszeitraumes werden die Arbeitsstunden, die über dem Durchschnitt liegen, zu Mehrarbeitsstunden. 8 Mehrarbeit statt Pause Wer in seiner Pause zur Arbeit aufgefordert wird, das Betriebsgelände nicht verlassen kann oder wenn die Pausenzeiten nicht im voraus festgelegt wurden, dann wird die Pause zur Arbeitszeit. Wird dadurch die wöchentliche Sollzeit überschritten – was fast immer der Fall ist – ist die Pause zur Mehrarbeit geworden. 24 2 23 Wie kann ich mich wehren? Für den Einzelnen ist es oft schwer, sich gegen ungerechtfertige Mehrarbeit zu wehren. Effektiv kann nur mit einem Betriebsrat, einer Mitarbeitervertretung oder einem Personalrat die zusätzliche Arbeit überprüft und verhindert werden. drei 09_Mai 2004 en Faktorisierte Arbeitszeit – und es geht doch! Überstunden in Tarifverträgen Im Folgenden wird der BAT zugrunde gelegt – es sei nochmals darauf verwiesen, dass er nicht für alle Beschäftigten gilt. § 17 Abs. 1 des BAT (fast wortgleich und daher auch genau so zu verstehen: AVR Anlage 6, DRK Tarifvertrag § 18, Manteltarifvertrag der AWO § 13 usw.) besagt: »Überstunden sind die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (...) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Überstunden sind auf dringende Fälle zu beschränken und sind möglichst gleichmäßig auf die Angestellten zu verteilen.« Die Überstunde kann also nur bestimmt werden, wenn zuvor ein Dienstplan erstellt wurde, aus dem eine Sollarbeitszeit für die Woche erkennbar ist. Werden für die Woche 36 Stunden geplant, so wäre die 37. Arbeitsstunde eine Überstunde; werden dagegen 42 Stunden geplant, so wäre erst die 43. Arbeitsstunde eine Überstunde. Die Überstunde ist also nicht auf den Tag, auch nicht auf den Monat oder den Ausgleichszeitraum bezogen. Die Woche ist der Zeitraum von Montag 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr. Einzelne Überstunden können innerhalb der Woche ausgeglichen werden. Wenn dienstags eine Stunde länger gearbeitet wird, weil sich der Nachtdienst verspätet, und dafür donnerstags eine Stunde früher die Arbeit beendet wird, so hätte sich die Sollstundenzahl für die Woche nicht erhöht und es läge daher keine Überstunde vor. Überstunden dürfen nicht im Dienstplan eingeplant werden. Unzulässig ist auch, eine Schicht nur mit einer Person zu planen (wenn jeder weiß, dass es zwei sein müssen), um dann mit Überstunden eine zweite Person einzuteilen. Dies wäre ein Fall von geplanten Überstunden. Überstunden dürfen nur in dringenden Fällen angeordnet werden (siehe Artikel »Zusätzliche Arbeit ...«). Überstunden müssen gleichmäßig verteilt werden. Es spielt also keine Rolle, ob man im Minus oder im Plus ist; jede Person ist gleich zu behandeln. Der BAT sieht in § 17 Absatz 5 vor: »Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen; die Arbeitsbefreiung ist möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats, spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ableistung der Überstunden zu erteilen.« Wenn Überstunden geleistet werden, so kann der Dienstplan für den nächsten Monat schon stehen – daher ist insgesamt ein Zeitraum bis zum Ende des dritten darauf folgenden Monats anzusetzen. Wenn bis dann die Überstunden nicht abgefeiert wurden, sind sie auszuzahlen. Der Arbeitgeber muss sich also bemühen, die Überstunden in Frei auszugleichen. Nur dann, wenn dies in der angegebenen Zeit nicht gelingt, erfolgt eine Auszahlung. Wenn von vornherein abzusehen ist, dass die Überstunden nicht ausgeglichen werden können, kann der Arbeitgeber sofort auszahlen. Der Arbeitnehmer hat also kein Wahlrecht Zeit oder Geld. Soll der Ausgleich später als nach den drei darauf folgenden Monaten erfolgen, muss der Angestellte hiermit einverstanden sein – entschied das Bundesarbeitsgericht. Aus dem folgt, dass es keine riesigen Überstundenberge geben muss. Wer etliche Überstunden angehäuft hat, soll seinen Arbeitgeber auffordern, ihm mitzuteilen, wann sie in Frei abgegolten oder anderenfalls ausgezahlt werden. Überstundenberge sind ein zinsloser Kredit an den Arbeitgeber. Pech hat, wer im geplanten Überstundenfrei krank wird, weil dann das Frei verwirkt ist. Anordnung von Überstunden (außer Pflegepersonal u. a.) § 17 Abs. 4 des BAT bestimmt: »Gelegentliche Überstunden können für insgesamt sechs Arbeitstage innerhalb eines Kalendermonats auch vom unmittelbaren Vorgesetzten angeordnet werden. Andere Überstunden sind vorher schriftlich anzuordnen.« Unter gelegentlichen Überstunden ist eine Anschlussarbeit, weil der nachfolgende Dienst sich verspätet, zu verstehen. Nur diese Überstunden können mündlich angeordnet werden. Alle anderen Überstunden müssen vorher schriftlich angeordnet sein. Dies ist notwendig, damit die Beschäftigten einen Nachweis der Zusatzarbeit haben. In der Praxis wird eher selten schriftlich angeordnet. Ab heute sollten Sie dies verlangen, am besten über ihre Interessensvertretung. Die schriftliche Anordnung bereitet am wenigsten Probleme. Es muss klar sein, dass die Person die anordnet, auch das Recht dazu hat. Nicht jeder Vorgesetzte hat dieses Recht – also einfach nachfragen. Die mündliche Anordnung sollte vom Beschäftigten notiert werden. Wer hat wann, um wie viel Uhr mir welche Überstunden angeordnet? War vielleicht jemand dabei, so notiere ich mir auch diese Person. Die stillschweigende Anordnung liegt vor, wenn sich aus dem Betriebsablauf zwingend Überstunden ergeben. Eindeutig ist dies der Fall, wenn die Nachtschicht sich verspätet und die Spätschicht deshalb länger bleibt oder ein akuter Fall auftritt. Hierfür muss kein Vorgesetzter vorher gefragt werden. Wichtig ist jedoch, die genauen Umstände zu notieren. Sinnvoll ist es, unverzüglich dem Arbeitgeber diese Überstunden mitzuteilen, so dass im Zweifel alles noch frisch im Gedächtnis ist und die Tatsachen noch leicht nachvollziehbar sind. Es reicht nicht aus, diese Zeiten nur in den Dienstplan einzutragen und darauf zu vertrauen, dass sie anerkannt werden. Sollte jedoch diesbezüglich ein Vertrauensverhältnis im Betrieb bestehen, so kann sich der Beschäftigte hierauf verlassen. In diesem Fall reicht es aus, dass der Arbeitgeber die von Arbeitnehmer geleisteten Überstunden kennt. Empfehlung: Bei Unklarheiten eine Dienstbesprechung ansetzen und Regeln vereinbaren. 14 13 15 2 15 Eine ver.di-Modellrechnung Zu teuer, es gibt keine Ärzte und die Betroffenen verlieren zuviel Geld – das sind die ernst zu nehmenden Argumente gegen die Umsetzung des EuGH-Urteils zum Bereitschaftsdienst. Nach der ersten Schockphase, so kann man den Eindruck gewinnen, versuchen Politiker und Arbeitgeber, die rechtlichen Vorgaben so zu gestalten, dass trotz des Urteils alles beim Alten bleibt. Der EuGH hat zwar den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gewertet – jedoch nicht, wie lange diese täglich und wöchentlich ausweitbar sein kann. So wird versucht, Beschäftigte doch 24 Stunden, oder, wie kürzlich vernommen, 48 Stunden am Stück arbeiten zu lassen. Der Gesundheitsschutz, um den es eigentlich bei dem Urteil ging, soll mal wieder auf der Strecke bleiben. Genau da setzt das Modell zur faktorisierten Arbeitszeit an: indem der Arbeitstag auf »normale« und »unnormale« Zeiten aufgeteilt wird. Zwischenzeit 17 – 2 0 U h r 16 17 18 19 22 20 21 87 5 SCHWARZES BRETT 12 3 4 5 6 Anordnung von Überstunden (in der Pflege u.a.) In einer Sonderregelung des BAT (SR 2a) wird bestimmt, dass § 17 Abs. 4 nicht für Angestellte in Kranken, Heil-, Pflege- und Entbindungsheimen sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen, gilt. Das bedeutet, dass die Schriftform in genannten Berufen nicht erforderlich ist. Der Betriebsrat kann mit dem Arbeitgeber jedoch vereinbaren, dass Überstunden schriftlich anzuordnen sind. Das Bundesarbeitsgericht hat schon vor langer Zeit entschieden, dass durch die Erleichterung der Anordnung von Überstunden das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht ausgeschlossen wird. Auch im Gesundheitswesen hat der Betriebsrat bei jeder einzelnen Überstunde das Recht der Mitbestimmung. Ankündigung von Überstunden Ausblick Die Ankündigung ist im § 17 Abs. 4 des BAT geregelt: »Soweit ihre Notwendigkeit voraussehbar ist, sind sie spätestens am Vortage anzusagen.« Die Ansage ist am Tag vor den Überstunden zu treffen. Nur wenn sie nicht vorhersehbar sind, geht es noch kürzer. Jedoch gilt, dass der Arbeitgeber kein Recht hat, Beschäftigte in Ihrer Privatwohnung anzurufen und zur Überstunde aufzufordern. Der Arbeitgeber kann während der Arbeit die Verlängerung der Arbeitszeit verlangen, wenn z.B. die Ablösung zu spät kommt – nicht jedoch eine Doppelschicht, weil dann die zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wäre. In Rahmen der Reform des BAT gibt es gerade zum Thema Überstunden viele Wünsche der Arbeitgeber, aber auch gute Ideen von verdi. Nachgedacht wird über eine Faktorisierung, also z. B. vier Überstunden ergeben fünf Stunden frei. Arbeitgeber dagegen wollen erst ab der zehnten Überstunde einen Aufschlag zahlen usw. Derzeit gelten die genannten Festlegungen. Sollte sich etwas ändern, werden wir in der drei aktuell berichten. Normalarbeitszeit 7 –17 U h r Nachtarbeit 2 0 –6 U h r 24 Stunden Zwischenzeit 6 –7 U h r In unserem Modell werden die normale Arbeitszeit mit einem Wert von 1,0, die Zwischenzeiten mit 1,3 und die Nachtarbeit mit 1,5 gewertet. Eine Arbeitsschicht darf nicht länger als zehn Stunden betragen, die wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 38,5 Stunden. Ein zu erstellender Dienstplan muss berücksichtigen, dass nach dem Nacht- und Wochenenddienst eine Freiphase geplant wird. Die Faktorisierung hat den Vorteil, dass die Beschäftigten zwischen einem Ausgleich in Freizeit oder einer Bezahlung wählen können. Um Planungssicherheit zu bekommen, sollte die Wahl für ein Jahr festgelegt werden. Beispiel mit diesen Vorgaben: Eine unfallchirurgische Abteilung mit 14 Vollzeitkräften (VK), Bereitschaftsstufe C; Schichtmodell mit je zwei Früh- und Normal- sowie drei Spätdiensten und einem Nachtdienst. • Innerhalb von vier Wochen laufen 481 durch die Faktorisierung entstandene Arbeitsstunden (über 38,5 Stunden wöchentlich) auf. • Es ergibt sich ein Mehrbedarf von 3,12 VK. • Dagegen stehen die zurzeit anfallenden Kosten für den Bereitschaftsdienst in Höhe von 2,65 VK – bleibt also ein Personalmehrbedarf von lediglich 0,47 VK. Eine sinnvolle Faktorisierung ist jedoch nur möglich, wenn organisatorische Veränderungen getroffen werden: Derzeit bündeln sich Operationen in der Zeit von 10-16 Uhr. In der Modellrechnung wird von einem 12-stündigen OP-Betrieb mit zeitversetzten Schichten ausgegangen. • Der OP-Betrieb muss also auch von der Besetzung her entzerrt werden. Aus der Modellrechnung ergibt sich eine zusätzliche Vergütung von durchschnittlich 110 Euro, die durch die Wahlmöglichkeit des finanziellen Ausgleichs von faktorisierten Stunden entsteht. Im Modell wurden nur die Zwischenzeiten (1,3) und ein Wochenfeiertag mit dieser Wahloption versehen. Denn: Wer Nachtschicht hatte, gehört ins Bett. Wer am Wochenende gearbeitet hat, braucht seine freien Tage im Rahmen der Fünf-Tage-Woche. • Das Faktorisierungsmodell bietet die Möglichkeit, den Fortfall von Bereitschaftsdienstvergütungen (zumindest teilweise) durch die Wahl eines finanziellen Ausgleichs abzufedern. JENS AHÄUSER/MICHAEL BREHMER 6 AKTIV N AC H R I C H T E N drei 09_Mai 2004 GUT NEUHOF Unterschriftenaktion: Tarifverträge für die Altenpflegeausbildung Wir können auch anders! Seit August 2003 gibt es eine bundeseinheitliche Ausbildung in der Altenpflege. Danach muss gesetzlich eine Ausbildungsvergütung gezahlt werden. Im § 17 des Altenpflegegesetzes wird von einer angemessenen Ausbildungsvergütung gesprochen. Was allerdings »angemessen« bedeutet, müssen Gewerkschaften und ihre Mitglieder gegenüber den Arbeitgebern durch Tarifverträge klarstellen. Und diese Tarifverträge müssen gemeinsam durchgesetzt werden. Für ver.di ist klar: Die Ausbildungsvergütung und die Ausbildungsbedingungen insgesamt müssen tarifvertraglich auf dem Niveau der Krankenpflegeausbildung geregelt werden. Deswegen legte ver.di auch den öffentlichen Arbeitgebern die Tarifvertragsentwürfe vor, die die Ausbildungsbedingungen und die Vergütung regeln. Obwohl sie die Kosten für die Ausbildung refinanzieren können, weigern sich derzeit die öffentlichen Arbeitgeber hartnäckig, einen Tarifvertrag für die Auszubildenden in der Altenpflege abzuschließen. Das hat fatale Auswirkungen: • Auszubildende haben keinen Anspruch auf eine tarifliche Ausbildungsvergütung. • Die Attraktivität des Berufes verschlechtert sich weiterhin. • Der Fachkräftemangel steigt. • Der Pflegenotstand nimmt zu. • Die Pflegebedürftigen leiden darunter. Erfolge durch Zusammenhalt und Organisation Im letzten nordöstlichen Zipfel von Nordrhein-Westfalen, schon in der Norddeutschen Tiefebene, dort, wo das Land flach und weit wird und die Dörfer weit auseinander liegen, liegt der kleine Ort Heimsen. Am Rande dieses Ortes, malerisch an einem Weserbogen gelegen, wohnen in einem wunderschönen, gut erhaltenen alten Gutshof mit Namen Gut Neuhof 160 psychisch kranke Menschen. Sie werden von 110 KollegInnen versorgt und betreut. In den letzten 15 Jahren wechselte drei Mal der private Betreibername der Einrichtung: erst Christliches Sozialwerk, dann Medica Pflegeeinrichtung GmbH, jetzt Armeos Pflege GmbH. Die, die aus der Einrichtung ihren Profit schlugen, blieben im Wesentlichen die Gleichen. Auch ihre Methoden, die Gewinne zu erhöhen und den Arbeitnehmern in die Tasche zu greifen, unterscheiden sich nur in Nuancen. Aber die Belegschaft hat frühzeitig das Kämpfen gelernt: Mitte der 90er Jahre erzwang sie einen Mantel- und Entgelttarifvertrag. Die Entgelte lagen bei ungefähr 85 Prozent des BAT-Niveaus. Nachdem man durch eigene politische Aktivitäten den Kostenträger Landschaftsverband Westfalen-Lippe dazu bewegen konnte, die Pflegesätze zu erhöhen, wurden die Entgelte nach einer kämpferischen Tarifrunde im Jahre 2001 dem BAT-Niveau angeglichen. Natürlich ließ die Arbeitgeberseite in ihrem Begehren, ihre Gewinne durch Absenken der Lohnkosten zu erhöhen, nicht nach. 2002 kam der erste Angriff: 17 Beschäftigte in den Küchen-, Hauswirtschafts- und Hausmeisterbereichen sollten zu anderen privaten Betreibern unter Verlust ihres Tarifvertrages ausgegründet werden. Die Belegschaft, der Betriebsrat und die ver.di-Betriebsgruppe wehrten sich – der Arbeitgeber musste den Rückzug antreten. 2003 der nächste Angriff: Jetzt sollten nur noch acht Küchenbeschäftigte outgesourct werden. Wieder wehrte man sich mit allen rechtlichen und gewerkschaftlichen Mitteln. Ein Höhepunkt der gewerkschaftlichen Aktionen war sicherlich eine Fahrradprotestdemonstration über 50 km durch die Dörfer der Umgebung im heißen Sommermonat Juli 2003. In der Öffentlichkeit wurde viel Aufmerksamkeit durch die einmalige Aktion erregt – und die KollegInnen hatten viel Spaß. Im Ergebnis konnte die Ausgründung zwar nicht verhindert werden, aber die Überleitungsbedingungen wurden so gestaltet, dass für die betroffenen Beschäftigten die maximale Absicherung erreicht wurde und dem Unternehmen kein wirtschaftlicher Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat in einem Schreiben an ihre Mitglieder die Anwendung der Tarifverträge aus der Krankenpflege auch für die Altenpflegeausbildung empfohlen.Deshalb: Helfen wir den Arbeitgebern, sich an ihre eigenen Empfehlungen zu halten! Tarifverträge in der Altenpflegeausbildung – jetzt!! Damit sich die Arbeitgeber endlich bewegen, hat ver.di eine Unterschriftenaktion gestartet. Bereits in den ersten Wochen sind in Berlin über 2.000 Unterschriften eingegangen. Das Flugblatt mit Unterschriftenliste ist abrufbar unter »Altenpflegegesetz«, www.verdi.de/fb3/berufliche_bildung Erfolg gelang. Dazu gehörten auch extrem hohe Abfindungen für die KollegInnen, die im Interessenausgleichsverfahren vereinbart wurden. Zum 1. Oktober 2003 kündigte der Arbeitgeber den Mantel- und Entgelttarifvertrag. Seitdem kämpft die ver.diBetriebsgruppe um die Wiederinkraftsetzung. Einen Warnstreik hat es bereits im November gegeben. Danach sah sich die Geschäftsführung gezwungen, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen. In zwei Tarifverhandlungen wurde ergebnislos verhandelt. Der nächste Warnstreik steht vor der Tür. Sollte es danach nicht zu konstruktiven Verhandlungen kommen, wird die Urabstimmung vorbereitet. Und man ist sich einig darüber, dass man mit einem unbefristeten Erzwingungsstreik den Arbeitgeber zur Wiederinkraftsetzung des Tarifvertrages zwingen will. Fragt man den Betriebsratsvorsitzenden Dieter Derksen, einen aktiven ver.di-Kollegen, warum es in seinem Betrieb im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben seit Jahren solch eine kämpferische und aktive Belegschaft gibt, weiß er eine Antwort: »Die Grundlage dafür, dass wir anders sind, ist unser Organisationsgrad!« Dies kann man nur bestätigen. Von 110 Beschäftigten sind 95 in ver.di organisiert. Sie treffen sich regelmäßig alle vier Wochen zu einer Betriebsgruppensitzung, die immer außerordentlich gut besucht ist. Dort bespricht man alle aktuellen Dinge aus dem Betrieb. Aber auch der persönliche und gemütliche Teil kommt nicht zu kurz. Unter der Belegschaft ist damit ein hohes Solidaritätsgefühl entstanden. Niemand wird alleine gelassen und jeder kann über alles mitreden und mitentscheiden. Und der Arbeitgeber Armeos Pflege GmbH wird eines lernen müssen: In anderen Teilen des Konzerns mag man die Belegschaft einlullen und spalten können. Im Gut Neuhof funktioniert dies nicht. Wenn man die Tarifverträge angreift, wird sich die Belegschaft wehren und die richtige Antwort geben: Wir können auch anders! VOLKER HOPPMANN ANKE SCHMITT MEIN FREI GEHÖRT MIR Mir gehört mein Frei KreativWerkstatt Was läuft gut , wo tauchen Probleme auf und wie gehe ich damit um? Aktive KollegInnen tauschten sich über ihre Erfahrungen mit der Aktion »Mein Frei gehört mir!« aus. »Wir haben auf unserer Betriebsversammlung ein Beispiel aus der »Pocketfibel« als Rollenspiel aufgeführt. Das hat eine heiße Diskussion ausgelöst. »Holen aus dem Frei« trifft genau den Nerv. Wir Betriebsräte sind gefragt wie nie zuvor.« Es ist wichtig, das Thema »Holen aus dem Frei« im Betrieb anzusprechen. Auch wenn nicht alle Beschäftigten gleichermaßen davon betroffen sind – diejenigen, die es regelmäßig trifft, empfinden es als sehr belastend. Eine MitarbeiterInnenbefragung kann Aufschlüsse zur Belastungssituation in den verschiedenen Bereichen geben. In der Werkstatt wurde hierzu ein betrieblicher Fragebogen entworfen. Als weiteres Produkt ist der so genannte Wechslerbrief entstanden. Bei kurzfristigen Änderungen auf dem Dienstplan fragt der Betriebsrat (Perso- nalrat oder Mitarbeitervertretung) die Betroffenen. Geschah der Tausch auf eigenen Wunsch oder auf Anordnung? Mit diesem Brief wurden bereits gute Erfahrungen gemacht: KollegInnen erfahren, dass sich der Betriebsrat bei Bedarf für sie einsetzen wird. Das Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit wurde in einem Schutzbrief aufgegriffen. Darin wird (knapp und auch für Vorgesetzte verständlich) aufgeführt, warum es für ein Einspringen an freien Tagen keinen Rechtsgrund gibt. Und auf der Rückseite sind für die Ungläubigen gleich noch eine Reihe von einschlägigen Urteilen zusammengestellt. »Doch auch wenn ich weiß, dass ich eigentlich Recht habe, bleibt da noch das mulmige Gefühl«. »Wenn ich mich weigere einzuspringen, sind dann nicht die KollegInnen sauer auf mich? Haben dann nicht die PatientInnen oder HeimbewohnerInnen darunter zu leiden?« Ängste und Befürchtungen zu ignorieren oder wegzudrücken sind keine Lösung. Gute Erfahrungen haben KollegInnen gemacht, die sich im Team ausgesprochen haben. Wenn ich nicht allein diejenige bin, die genug hat vom Einspringen, wenn die anderen auch nicht mehr wollen, ist der nächste Schritt einfach getan: Wir versprechen uns gegenseitig, dass wir uns nicht aus dem Frei holen. Zur Unterstützung holen wir uns den Betriebsrat, Personalrat oder die Mitarbeitervertretung ins Boot. »Hab keine Angst vorm Neinsagen«, das neue Flugblatt ist wie alle anderen Materialien im Internet abrufbar unter www.mein-frei.verdi.de. Die Redaktion drei freut sich über weitere Ideen aus den Betrieben. Insbesondere interessiert uns, wie die Aktion noch besser auf die besonderen Bedingungen in der Behindertenhilfe und in psychiatrischen Einrichtungen zugeschnitten werden könnte. Informationen für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen Melodie: »Marmor, Stein und Eisen bricht«. Darf auch am Telefon gesummt oder gepfiffen werden – Zusatzschicht? Ich pfeif’ dir was! 1 Donnerstag und die Schicht ist vorbei Ring ring – ring ring Ich geh mal ran, denk’ mir nichts dabei Dumm dumm – dumm dumm 3 Ruf mich nicht an, wenn ich Freizeit hab’ Nein nein – nein nein Kann nichts dafür, wenn’s Personal zu knapp Dumm dumm – dumm dumm Refrain Überstunden und Wochenendschicht Wenn der Anruf kommt, dann weine nicht Alles klar, es bleibt dabei Mir gehört mein Frei Refrain Überstunden und Wochenendschicht Wenn der Anruf kommt, dann weine nicht Alles klar, es bleibt dabei Mir gehört mein Frei 2 Das Wochenende ist nicht besetzt Dumm dumm – dumm dumm Spricht die Vorgesetzte ganz gehetzt Dumm dumm – dumm dumm 4 Für die Mehrarbeit gibt’s keinen Dank Dumm dumm – dumm dumm Im Gegenteil, sie macht mich krank Dumm dumm – dumm dumm Refrain Überstunden und Wochenendschicht Wenn der Anruf kommt, dann weine nicht Alles klar, es bleibt dabei Mir gehört mein Frei Refrain Überstunden und Wochenendschicht Wenn der Anruf kommt, dann weine nicht Alles klar, es bleibt dabei Mir gehört mein Frei drei 09_Mai 2004 7 ARBEITEN UND LEBEN UNIKLINIKUM TÜBINGEN: PROTESTE ZEIGEN WIRKUNG MELDUNGEN Hände weg vom BAT! Krankenhaus Ückermünde: Gratulationen und Blumengrüße zum Internationalen Frauentag Über 700 Beschäftigte des Universitätsklinikums Tübingen versammelten sich vor der Aufsichtsratssitzung am 16. März, um ihren Ärger gegen den vom Vorstand geplanten Tarifausstieg zum Ausdruck zu bringen. Aus allen Teilen des Klinikums waren MitarbeiterInnen dem Aufruf der ver.di-Vertrauensleute am Klinikum gefolgt. Unterstützt wurden die Proteste durch Grußworte des Betriebsrats der Walter AG, durch den Bezirksvorsitzenden von ver.di, eine Betriebsrätin der Behinderteneinrichtung Rappertshofen und vom Betriebsratsvorsitzenden einer der Kliniken aus dem Zollern-Alb-Kreis. Die Frauenvertreterin des Klinikums, Angela Hauser, überreichte dem Aufsichtsrat eine Kiste Zitronen als Symbol dafür, was ein Tarifausstieg insbesondere für die Frauen am Klinikum, die 70 Prozent der Beschäftigten ausmachen, bedeuten würde. Im Vorfeld hatte der Klinikumsvorstand mit einer E-Mail an alle Beschäftigten versucht, die Beschäftigten zu verunsichern. Der Personalrat streue gezielt Desinformationen und betreibe unverantwortliche Stimmungsmache. Es gehe nicht um Gehaltskürzungen; vielmehr solle sich Leistung mit einem neuen Tarifvertrag wieder lohnen und jede/r solle es durch neue Vergütungsmodelle selbst in der Hand haben, das Gleiche wie bisher oder sogar mehr zu verdienen. Außerdem enthielt das Schreiben die Drohung, man dürfe den Arbeitsplatz nicht verlassen, um an der Protestveranstaltung teilzunehmen. Personalratsvorsitzender Johann Graf: »Wir wollen nicht, dass Vorstand und Aufsichtsrat in Ruhe den Ausstieg aus den Tarifverträgen vorbereiten und vollziehen. Unruhe ist nötig; sonst werden wir am Ende mit schlechteren Arbeitsbedingungen und einer schlechteren Bezahlung dastehen.« Was von einem Tarifausstieg zu erwarten ist, das lehrten die Erfahrungen der letzten Monate: Seit der Gründung der ServiceGmbH vor über einem Jahr werden Beschäftigte nach einem schlechteren aus.« Dies müsse für alle gelten – von Tarifvertrag mit rund zwei Euro pro der Putzfrau bis zur/m Ärztin/Arzt, für Stunde weniger bezahlt als nach den Beschäftigte im technischen Dienst, Tarifverträgen des öffentlichen Diensfür DiätassistentInnen und KöchInnen, tes. Mit der Kündigung der Tarifverträge für Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie für die MTAs und den Verwaltungsbereich. erhalten neue Beschäftigte und BeVom Vorstand des Klinikums wurde schäftigte bei Vertragsveränderungen erklärt, dass man für die nächste Aufein gekürztes Weihnachtsgeld – und sichtsratssitzung am 29. Juni 2004 eidas Urlaubsgeld ist ganz gestrichen. nen konkreten Beschluss für einen AusErste Entwürfe für Haustarifverträge stieg mit einem detaillierten Konzept bei den Uniklinika in Leipzig, Dresden, vorbereiten wolle. Käme am 29. Juni Kiel und Lübeck beinhalten folgende Grausamkeiten: Alle Grundvergütungen 2004 der Austritt, wäre das Universitätsklinikum an einen neuen Lohn- und werden um 10 bis 15 Prozent abgeGehaltstarifvertrag (der bisherige läuft senkt. Leistungszulagen werden zwar am 31. Januar 2005 aus) nicht mehr in Aussicht gestellt, aber erst nach entgebunden. Das gemeinsame Ziel von sprechenden positiven Beurteilungen Personalrat und ver.di ist es, die tarifbezahlt; bei negativer Beurteilung ist lichen Rechte im vollen Umfang zu ereine Zurückgruppierung um eine Stufe halten. Dazu gibt es nicht viel zu vermöglich. Über Leistungszulagen kann handeln. der Arbeitgeber allein entscheiden. In den ersten sechs Monaten der Beschäftigung werden nur 90 Prozent der Eine Ausweitung des Protestes bereits gekürzten Grundvergütung beist geplant zahlt. Die Arbeitszeit soll ohne Lohnaus- »Für die weiteren Auseinandersetzungleich auf 40 Wochenarbeitsstunden gen brauchen wir eine starke Gewerkerhöht und der Urlaub gekürzt werden. schaft mit möglichst vielen Mitgliedern So ähnlich würde auch in Tübingen der hier am Klinikum«, so Graf. Der nächste Entwurf eines Haustarifvertrages ausSchritt müsse deshalb sein, noch mehr sehen und zu einer weiteren Streichung Beschäftigte zu informieren und für die von rund 200 Stellen führen. Zu diesen nächste Aufsichtsratssitzung zu mobiPlänen kann sich die Belegschaft nicht lisieren. Nach dem Ablauf der Friedensruhig verhalten! Personalratsvorsitzenpflicht sind im nächsten Jahr auch der Graf forderte alle Beschäftigten auf, Arbeitskämpfe möglich: »Wenn wir uns geschlossen für die Interessen aller Mit- nicht wehren, wenn wir uns nicht gearbeiterInnen einzutreten: »Wir wollen werkschaftlich organisieren, werden wir die Rücknahme der Service-GmbH und in doppelter Hinsicht die Leidtragenden die Wiedereingliederung aller Beschäfsein: Es werden sich unsere materiellen tigten unter dem Dach des Klinikums. Bedingungen als ArbeitnehmerInnen Jeder Form von Privatisierung und Out- und die Gesundheitsversorgung am UKT sourcing werden wir uns entgegenstel- verschlechtern. Beides gilt es zu verhinlen. Eine gute Patientenversorgung ist dern.« Deshalb haben sich die Tübinger nur mit motivierten Beschäftigten mög- vorgenommen: noch mehr Protest lich und setzt gute Arbeitsbedingungen bei der nächsten Aufsichtsratssitzung und eine angemessene Vergütung voram 29. Juni 2004! RED »Das Lächeln ist der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen.« An diesen Ausspruch von Henry Sokal wurden Steffi Matzke, Karin Rickelt und Andrea Moder vom ver.di-Bezirksfrauenrat Neubrandenburg/Greifswald erinnert, als sie Krankenschwestern, OP-Personal, Physiotherapeuten, MTAs, Ärztinnen, Sekretärinnen, Mitarbeiterinnen in der Küche und Reinigung, Erzieherinnen und anderen Mitarbeiterinnen im Krankenhaus Ückermünde am 8. März 2004 am Arbeitsplatz mit einer gelben Rose zum Frauentag gratulierten. Schnell war ein Lächeln auf die Gesichter gezaubert: »Schön, dass an uns einer an diesem Tag denkt.« Einige Kolleginnen nutzten die Gelegenheit, um Probleme an die Mitglieder des Betriebsrates, Steffi Matzke und Karin Rickelt, zu richten. Eine Blume zum Frauentag haben auch die Mitarbeiterinnen des Kreiskrankenhauses Wolgast durch die Personalratsvorsitzende und Mitglied des Gewerkschaftsrates Susanne Schneider erhalten. STEFFI MATZKE / KARIN RICKELT AUSBILDUNG Ungeliebt und doch so wichtig Die Beurteilung der praktischen Ausbildung Am Ende jedes Praxiseinsatzes kommt die Frage: »Was schreiben wir nur in die Beurteilung?« Denn oft sind Beurteilungsinstrumente entweder gar nicht vorhanden oder, weil veraltet und der Ausbildungssituation nicht angemessen, untauglich. Der tatsächliche Ausbildungsstand und die Ausbildungssituation spiegeln sie nicht wider. Hinzu kommt, dass sich viele in der Ausbildung Tätige schlicht überfordert mit der Aufgabe Beurteilung sehen. Nicht selten wird die besondere Bedeutung der Beurtei- 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 lungen auch für den weiteren Ausbildungs- und Berufsweg deutlich unterschätzt. Beschränkt man sich als Ausbildungsstätte auf eine einzige praktische Zwischenprüfung und will dies zur alleinigen praxiseinsatzbezogenen Grundlage für eine Zulassung zur Prüfung machen, kommt man zudem noch in rechtliche Probleme. Hierfür sind nämlich die gesamten theoretischen wie praktischen Leistungsnachweise zu berücksichtigen und daraus ist das arithmetische Mittel zu bilden (VG Gießen Az.: 8 G 1545/ 98[2]). Im Universitätsklinikum Gießen wird gegenwärtig ein neues Förder- und Be- urteilungssystem getestet. Eingebunden ist es in ein Gesamtkonzept »Begleitung in der praktischen Ausbildung«, das auch Elemente für die Begleitung und Hilfestellung während der Probezeit und ein Konzept zur Praxisanleitung und -begleitung umfasst. Die Erfolgskontrolle erfolgt auf ausdrücklichen Wunsch der Auszubildenden in Notenform wie im Oberstufensystem: von 0 bis 15 Punkten. Die Azubis wiederum können die Stationen beurteilen und geben damit ihr Feedback an die Ausbilder. Vor-, Zwischen- und Abschlussgespräche er- gänzen den Ausbildungs- und Beurteilungsprozess. Fach- und Methodenkompetenz, personale Kompetenz und soziale Kompetenz sind die Überschriften der Beurteilungskriterien. Ein wesentliches Element im Beurteilungsbogen sind die Förderaspekte: Hier soll neben Hervorhebung der Stärken auch eine konstruktive Schwächenkritik erfolgen, um im weiteren Ausbildungsverlauf die gezielte Förderung zu ermöglichen. An diesem Teil des Förderund Beurteilungsbogens gibt es jedoch noch die meisten Probleme. Daher bietet die innerbetriebliche Fortbildung Kurse zur professionellen Beurteilung von Auszubildenden an. Gerichtet an Praxisanleiter und andere in der Ausbildung Tätige werden offene Fragen und Schwierigkeiten mit dem neuen System besprochen, aber auch persönliche Erfahrungen mit Kritik und Feedback reflektiert. Hinzu kommen Theorie und Praxis einer interaktiven Gestaltung des Beurteilungsgesprächs mit Hinweisen auf die Gefahren von Wahrnehmungsund Beurteilungsfehlern. MICHAEL BREHMER 8 5 AUSBLICK drei 08_Februar 2004 RUNDUM MITNEHMEN Deutschland: Bunte Lügen In den Werbezetteln, die Ärzte täglich in ihren Briefkästen finden, wird die Sicherheit und Wirksamkeit der pharmakologischen Produkte offenbar grob verzerrt dargestellt. Eine wissenschaftliche Untersuchung im Raum Niederrhein belegt: Insgesamt werden in 92 Prozent der Werbeheftchen der pharmazeutischen Industrie die Informationen nicht durch valide wissenschaftliche Untersuchungen nachvoll- ziehbar belegt. Von 520 Aussagen in 175 Prospekten waren nur 218 (42 Prozent) durch zugängliche Quellenangaben belegt; jedoch stimmten 177 (34 Prozent) nicht mit der Quelle überein oder verfälschten sie sogar grob. Lediglich 41 (8 Prozent) Aussagen stimmten mit nachprüfbaren wissenschaftlichen Quellen überein. (Quelle: Arznei-Telegramm Nr. 2 vom 13.2.2004) Italien: Streik im Gesundheitswesen Am 9. Februar streikten die Beschäftigten in Italiens Gesundheitswesen: Der Aktion der Ärzte und Krankenschwestern schlossen sich auch Hebammen, Laborpersonal, Pharmazeuten und Psychologen an. An diesem Tag mussten in den öffentlichen Krankenhäusern des Landes ca. 90.000 Operationen verschoben werden; es konnte nur ein Notdienst für dringende Fälle garantiert werden. »Ein Protest ohne Beispiel in der Geschichte des Gesundheitswesens«, kommentierte das italienische Fernsehen. Die rund 150.000 Beschäftigten im Gesundheitssektor wollen Diese Broschüren erhalten Mitglieder kostenlos bei ihren ver.di-Bezirken. u.a. erreichen, dass ihre vor zwei Jahren ausgelaufenen Verträge endlich erneuert werden. Der Ausstand richtete sich auch gegen Einsparungen der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. »Dies ist zugleich der letzte verzweifelte Versuch, das öffentliche Gesundheitswesen vor dem Tod zu retten«, sagte Serafino Zucchelli, Vorsitzender der größten Ärztegewerkschaft in Italien. Nach Schätzungen der Gewerkschaften haben die Hospitäler allein in diesem und im vergangenen Jahr Einnahmeausfälle in Höhe von 13 Milliarden Euro. Dienstplangestaltung im Pflegedienst Ambulante Pflege – Ein Arbeitsfeld mit Zukunft Eine Arbeitshilfe zur Dienstplangestaltung in Krankenhäusern und Heimen, 5. Auflage Bei der Dienstplangestaltung tragen alle Beteiligten eine hohe Verantwortung, denn Dienstpläne sind verbindlich. Sie müssen die gesetzlichen und tariflichen Vorschriften zur Arbeitszeit als Schutz und Mindeststandards berücksichtigen. Die vorliegende Arbeitshilfe berücksichtigt die europäische Rechtsprechung, die Änderungen im Arbeitszeitgesetz sowie geänderte tarifliche Regelungen im Geltungsbereich der Tarifverträge BAT, BMT-AW II und DRK-TV. Neun Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung hat sich in der ambulanten Pflege viel bewegt – die erhofften Verbesserungen sind jedoch ausgeblieben. Während die Pflege in der Fachwelt eine enorme Aufwertung erfahren hat, stehen im Mittelpunkt politischer Überlegungen ausschließlich die Kosten. ver.di fordert verlässliche politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Für eine Pflege, die sich der Menschenwürde und hohen Qualitätsstandards verpflichtet fühlt, brauchen wir humane Arbeitsbedingungen und eine bedarfsgerechte Personalbemessung. Oregon (USA): Gesetz gegen Überstunden Krankenhäuser können Krankenschwestern bald nicht mehr zu Überstunden zwingen. Ein Gesetzentwurf, nach dem Krankenhäuser abgestraft werden können, die dem Pflegepersonal nicht gerechtfertigte Mehrarbeit aufbürden, fand im zuständigen Ausschuss des US-Bundesstaates Oregon die einmütige Unterstützung. Die Geldstrafen reichen von 500 $ beim zweiten Verstoß und gehen bis zu 5000 $ bei hartnäckigen Klinikchefs. Nach dieser Verordnung brauchen sich Krankenschwes- tern nur noch ausnahmsweise zu Überstunden verpflichten zu lassen, wenn eine wirklich unvorhergesehene Notsituation wie ein Terrorakt, eine Epidemie oder eine Naturkatastrophe die Patienten gefährdet. Eine weitere Ausnahme, welche die Anordnung von Überstunden zum Abschluss einer begonnenen Behandlung für einen Einzelpatienten erlaubt, wird im neuen Gesetz nun deutlich begrenzt: durch eine Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden und eine Mindestruhezeit von acht Stunden. Australien: Streik für Gehälter und Gleichstellung In Mandurah, südlich von Perth, streikten Krankenschwestern und Hilfspersonal des Peel Health Krankenhauses für acht Prozent höhere Gehälter in den nächsten zwei Jahren und Gleichstellung ihrer Qualifikationen mit denen des öffentlichen Gesundheitssektors. Die Streikenden sind Mitglieder der Liquor Hospitality and Miscellaneous Workers Union. Das Manage- ANKLICKEN ment des privaten, doch mit öffentlichen Geldern subventionierten Krankenhauses hatte nur sechs Prozent angeboten. AltenpflegerInnen des William Carey Court Village Aged Facility in Busselton legten aus Protest gegen Personalmangel und Arbeitsüberlastung die Arbeit nieder, nachdem eine zusätzliche Station mit 17 Betten eröffnet wurde. U www.fb3.verdi.de Infos zu Veränderungen in den Wohlfahrtsverbänden im Newsletter Altenpflege, unter Publikationen im Fachbereich +++ www.gesundheitsziele.de und www.dgb.de/themen/gesundheitspolitik/netzwerk Aktivitäten bündeln, Infos zu Netzwerk Gesundheitspolitik +++ www.widerspruch-pflege.verdi.de Musterwiderspruch gegen höhere Beiträge zur Pflegeversicherung +++ www.verdi-arbeitszeugnisberatung.de Neuer ver.di-Service zu Arbeitszeugnissen M I T M AC H E N Seminare/Veranstaltungen WANN WAS WO/KONTAKT 14. bis 16. Mai 2004 Perspektivenkongress Es geht auch anders – Perspektiven für eine andere Politik. (Träger u.a. ver.di, attac, SoVD) Berlin, Technische Universität Ernst-Reuter-Platz, 10499 Berlin [email protected] www.perspektivenkongress.de 17. bis 19. Mai 2004 Tarifliche Absicherung in Tendenzbetrieben Ziel: Handlungsschritte für Tarifverträge entwickeln. Seminar für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen. Bielefeld, ver.di-Bildungsstätte Senner Hellweg 461, 33689 Bielefeld [email protected] Telefon: 0 52 05 . 91 00 -0 6. bis 9. Juni 2004 NetzTage 2004 Zum Thema Wissen und Qualifizierung. Geeignet als Schulungsmaßnahme für Betriebsund Personalräte. Hamburg, Hotel Hafen Hamburg Seewartenstraße 9, 20459 Hamburg www.liaison.de/netztage/2004/ Netztage_buchung.html 23. bis 25. Juni 2004 Dienstplangestaltung in Wohlfahrtseinrichtungen Tarifliche und gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit. Seminar für Betriebsräte. Saalfeld, ver.di-Bildungsstätte Auf den Rödern 94, 07318 Saalfeld [email protected] Telefon: 0 36 71.55 10-0 REINLESEN Wolfgang Siegel: Tut mein Therapeut mir gut? Michel Foucault: Dits et Ecrits Begleitbuch für die Psychotherapie Dieses Buch soll die überfällige kritische Diskussion über die therapeutische Beziehung beschleunigen, in der auch das Verhalten des ganz »normalen«, seriös ausgebildeten Therapeuten untersucht wird. Den in der Psychotherapie vertretenen, nicht mehr zeitgemäßen autoritären Sichtweisen wird der Boden entzogen. Durch die Förderung einer gleichberechtigten Beziehung von Patient und Therapeut auf der Grundlage eines konstruktiven, positiven Konzepts der therapeutischen Beziehung wird die Position des Patienten gestärkt – ein Aspekt für die Qualitätssicherung und -verbesserung von Psychotherapie. Kreuz-Verlag, Stuttgart, 2003, 238 Seiten, 19,90 € Eine anregende Sammlung von kurzen Aufsätzen und Vorträgen des französischen Philosophen, u.a. zur Geburt der Sozialmedizin, Bio-Geschichte und Bio-Politik, zur Krise der Medizin oder Krise der Antimedizin, zur Einbindung des Krankenhauses in die moderne Technologie, zum unbegrenzten Irrenhaus. Foucault belegt aus zahlreichen ungewöhnlichen Blickwinkeln, »dass es notwendig ist, die Verbindung zwischen Medizin, Ökonomie, Macht und Gesellschaft ans Licht zu bringen, um zu bestimmen, in welchem Maße sich das Modell verbessern und anwenden lässt.« Schriften, Band 3, Suhrkamp Verlag, 1028 Seiten, 56 €, ISBN 3-518-58372-7 Ellen Bögemann-Großheim: Die berufliche Ausbildung von Krankenpflegekräften Neuauflage DKI-Leitfaden: Personalbedarfsermittlung im Krankenhaus Kontinuitäten, Verunsicherungen, Reformansätze und Zukunftsrisiken einer Ausbildung besonderer Art Wie soll die Ausbildung in der Pflege weiterentwickelt werden? Zum neuen Ausbildungsgesetz für die Krankenpflegeberufe gibt diese Monografie einen umfassenden Überblick über Geschichte, Gegenwart und Zukunftschancen der Ausbildungsentwicklung in den Pflegeberufen. Interessierte finden in diesem Buch eine materialreiche und kritische Bestandsaufnahme sozialgeschichtlicher, berufspolitischer, bildungspolitischer und didaktischer Diskurse zur Qualifizierung im Pflegebereich. Mabuse Verlag, Frankfurt/Main, 2002, ISBN 3-933050-70-7 Der neue DKI-Leitfaden ist eine Zusammenstellung von Kennzahlen und Zeitwerten zur Personalbedarfsermittlung im Krankenhaus. Neu ist, dass auch die in der Kalkulation der DRGs berücksichtigten Personalanteile aufgezeigt werden. Dabei sind sowohl die Bandbreiten der Minutenwerte für die besonders vertretenen Berufsgruppen als auch jahresbezogene Fallwerte für die jeweils häufigsten und umsatzstärksten DRGs dargestellt. Gleichzeitig wurde in vielen Werten berücksichtigt, dass die Leistungsintensität in einzelnen Bereichen ständig zunimmt und damit Auswirkungen auf die Leistungszahlen hat. Für 25 € zu beziehen bei: DKI GmbH, Friedrich-Engels-Allee 256, 42285 Wuppertal, Fax: 02 02.4 96 98 81, E-Mail: [email protected] » ABGEFÜHRT »Senator Dräger hat sich als Amtssitz den Fettnapf ausgesucht.« Informationen für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen « Kurioses, Zitate, letzte Meldungen Hamburgs ver.di-Landeschef Wolfgang Rose zur »persönlichen Meinung« des designierten Hamburger Gesundheitssenators Jörg Dräger zum Verkauf der Städtischen Kliniken trotz des Volksentscheids gegen die Privatisierung.