Nachfolgendem Text ist eine Reaktion auf eine WDR 2

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Nachfolgendem Text ist eine Reaktion auf eine WDR 2
Nachfolgendem Text ist eine Reaktion auf eine WDR 2 Radioproduktion namens „Stichtag“,
die kurze Reportagen über vergangene Ereignisse und Personen beinhaltet. In diesem Fall
die Jungpioniere in der DDR.
Nachfolgenden Beitrag habe ich an den WDR gesendet.
Jenny Newiak
Offener Hörerinnenbrief zum „Stichtag 20.3.14“ Thema: „Jungpioniere“
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich höre schon seit vielen Jahren WDR 2. Weniger wegen des sich doch ständig wiederholenden Angebots an Musik oder den ausufernden Fußballberichterstattungen, sondern
hauptsächlich, weil Ihr Sender oft interessante Infosendungen und Reportagen mit differenzierter Berichterstattung zu aktuellen oder älteren Themen bringt.
Bisher habe ich auch immer die Sendung „Stichtag“ gern gehört.
Sie haben diese Woche in zwei Stichtagsendungen über Personen beziehungsweise Organisationen in der ehemaligen DDR gesendet. Am 20. März über die Gründung der Jungpioniere 1949 in der DDR.
Ich würde nach dem Hören dieses Berichtes Ihren Reportern gern einfach nur eklatantes
Nichtwissen über die DDR und ihre Organisationen unterstellen. Leider kann ich das aber
anhand der einseitigen Faktenauswahl und der überheblichen, hämischen und im kaltenKrieg-Denken verhafteten Art Ihrer Präsentation dieser Fakten Sie nicht mit purer Unwissenheit entschuldigen.
Es ist offensichtlich auch 24 Jahre nach der Wende noch immer nicht möglich, dass in westlichen Sendern mit Neugier, offenem Interesse, Differenziertheit oder gar Wertschätzung
über Aspekte des Lebens in der DDR berichtet wird. Da gab es nur böse Täter und arme
Opfer, schwarz-weiss.
Egal was es ist, einfach alles muss grundsätzlich in Grund und Boden verdammt werden,
einfach nur deshalb, weil es aus der DDR stammt.
Warum wurden keine Zeitzeugen für diesen Bericht befragt? Haben Sie Angst, dass ehemalige Jungpioniere positiv darüber reden könnten?
Ich war freiwillig Jungpionierin und ich war gern in dieser Organisation, habe auch freiwillig
und oft mein Halstuch getragen.
Die Unternehmungen der Jungpioniere beschränkten sich durchaus nicht auf Fahnenapelle,
NVA zujubeln und Nachhilfe, wie von Ihnen behauptet.
Natürlich abhängig vom Engagement der Mitglieder und des/der Pionierleiters/ -leiterin gab
es genauso Wandertage, Fahrten, Lagerfeuer, Talentwettbewerbe, als eben auch Beteiligung an politischen Veranstaltungen, wie dem 1. Mai.
Warum Sie zum Beispiel die Altstoffsammlungen der Pioniere abwerten, wird wohl Ihr Geheimnis bleiben müssen. Es war zum einen eine gute Möglichkeit sein Taschengeld beziehungsweise die Klassenkasse aufzubessern oder wir haben das erarbeitete Geld auch oft
und freiwillig an Hilfsprojekte gespendet. Dass es zum anderen ökologisch sinnvoll war, sollte gerade heutzutage, mit gestiegenem Umweltbewusstsein selbst dem größten Ignoranten
einleuchten.
Natürlich hätten Sie bei der Auswahl der präsentierten Gebote der Jungpioniere ausgewogen
sein können und so unpolitische Gebote wie: „Wir Jungpioniere lieben unsere Eltern.“, „Wir
Jungpioniere sind gute Freunde u helfen einander“, „Wir Jungpioniere singen, tanzen u basteln gerne“ genauso zitieren können, wie die politischen. Aber darauf wurde offensichtlich
ganz bewusst verzichtet.
Warum sie mit Häme über Gebote wie „Wir Jungpioniere lieben den Frieden“ und „Wir Jungpioniere halten Freundschaft mit den Kinder der Sowjetunion und aller Länder“ herziehen
erschließt sich mir nicht.
Angesichts von immer wieder auch in NRW überfallenen ausländischen Mitbürger/innen und
angesichts der gerade in dieser Wochen aktuellen Kriegsgefahr mit Russland wegen der
Krimkrise – gibt es da wichtigere und aktuellere Gebote, als die nach Frieden und Völkerverständigung?
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Ich würde mir sehr wünschen, dass gerade diese Gebote auch den Kindern in dieser Zeit
nahegebracht werden würden.
Die Auswahl der von Ihnen präsentierten Pionierlieder über NVA und Fahne ist genauso bewusst einseitig und tendenziös, lassen sich die vielen Liedtexte der anderen Pionierlieder
doch sogar im Internet finden.
Sollten Ihnen da die vielen populären Friedenslieder und Lieder über die Natur entgangen
sein?
Warum zitieren Sie nicht Lieder wie „Kleine weiße Friedenstaube? (...) „Du sollst fliegen
Friedenstaube, allen sagen wir, dass nie wieder Krieg wir wollen, Frieden wollen wir. (...)“
Oder „Kinder von heute“: „Kinder von heute, die die Welt entdecken, soll nie ein Krieg aus
den Träumen schrecken. Sie haben Trümmerhäuser nur auf Bildern gesehen, sowas darf
den neuen Häusern nie mehr geschehen, keinem Haus auf der Erde. (...)“
Das einzig bedauerliche an diesen Liedern ist, dass sie heute noch genauso aktuell sind,
schlimmer noch viel aktueller sind als damals.
Und natürlich passen Ihnen die unpolitischen Lieder noch weniger in den Kram, daher werden sie schlicht ignoriert: „Wer möchte nicht am Leben bleiben, die Sonne und den Mond
beseh‘n? Mit Winden sich umher zu treiben und an Wassern still zu steh‘n.“ aus „Wer möchte nicht am Leben bleiben.“
Oder das Lied der jungen Naturforscher „Die Heimat hat sich schön gemacht und Tau glänzt
ihr im Haar. Die Wellen spiegeln ihre Pracht, wie frohe Augen klar. Die Wiese blüht, die Tanne rauscht, sie tun geheimnisvoll. Frisch das Geheimnis abgelauscht, das uns beglücken
soll.“
Nee, sowas kann es doch in der DDR gar nicht gegeben haben!!!
Da wurden allen Säuglingen von vornherein die Mundwinkel nach unten operiert. Singen,
Tanzen, Lachen, Feiern, Lieben war in der DDR natürlich grundsätzlich verboten und stand
unter strenger Strafe.
Das ist das Bild, das sie wissentlich Ihren Hörern über das Leben in der DDR und von den
Jungpionieren zeichnen.
Selbst über die Pionierrepublik am Werbelinsee schaffen Sie es nicht ein einziges positives
Wort zu berichten. War schon mal irgendjemand von Ihnen dort?
Ich habe diesen Ort mit Schule, Musikräumen, Spiel-, Sport- und Lagerfeuerplätzen, Badestellen sowohl vor der Wende gesehen, als auch dort eine Klassenfahrt mehrere Jahre nach
der Wende verbracht. Ich kann nur sagen, dass man sich sehr bemüht hat diesen Ort kinderund jugendlichengerecht zu gestalten, viele Angebote für diese zu schaffen. Aber selbst das
können Sie offensichtlich nicht gelten lassen!
Um eins klarzustellen: Ich bin keine Ostalgikerin.
Die DDR ist begründet an ihren vielen Mängeln in Demokratie, Ökonomie, Ökologie, an ihrem Dogmatismus und ihrer Kleingeistigkeit gescheitert. Ich wünsche sie mir ganz gewiss
nicht zurück.
Auch an der Pionierorganisation kann man begründete Kritiken anbringen, eben zum Beispiel zu viel Personenkult oder auch NVA Verehrung.
Wenn ich aus heutiger Sicht auf die damaligen Militäraufmärsche am Tag der DDR denke,
kann ich darüber nur noch mit dem Kopf schütteln. Ich habe für keine Armee dieser Welt und
auch für keinen Militarismus irgendetwas übrig.
Dennoch sollten wir auch diesbezüglich eines feststellen: Die DDR hat sich streng an den
Spruch „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ gehalten.
Niemals in ihrer Geschichte ist die NVA in ein anderes Land einmarschiert oder hat andere
Länder in Schutt und Asche gebombt.
Das kann man leider nicht über die Bundeswehr sagen, die „Deutschland am Hindukusch“
verteidigt, aus geostrategischen Erwägungen und um Zugänge zu Ölquellen und Absatzmärkten zu sichern. So hat es ja wohl ein Verteidigungsminister mal ausgedrückt.
Wenn Sie also über den Militarismus in der DDR (durchaus berechtigt) giften, warum bleibt
dann der heutige Militarismus ungescholten?
Warum darf die Bundeswehr ungestört Werbeausstellungen wie „Unser Heer“ präsentieren?
Warum darf sie sich unter anderem mit dem Pol&Is Spiel an Schulen ausbreiten und für sich
werben? Warum gibt es wieder öffentliche Gelöbnisse oder Zapfenstreiche? Warum werden
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Staatsgäste aller Art beziehungsweise Bundespräsidenten immer noch mit militärischem
Pomp begrüßt und verabschiedet?
Ist diese Zurschaustellung von Uniformen und Waffen und zackigem Gehorsam nicht heute
genauso lächerlich, wie die NVA Aufmärsche in der DDR?
Warum gelten die pazifistischen Protestler, die gegen die NVA demonstrierten als politische
Gefangene und Opfer, während die heutigen Bundeswehrprotestler als Drückeberger gelten
und zum Teil auch von den Medien als Kriminelle verurteilt werden?
Offensichtlich sollen doch die Deutschen wieder an Militär und Krieg gewöhnt werden, um
Zustimmung für den nächsten Auslandseinsatz zu sichern.
Über all diese Dinge habe ich bei Ihnen noch keine kritischen Sendungen gehört – wobei ich
fairerweise natürlich zugeben muss, dass ich nicht rund um die Uhr Radio höre.
Aber nee, wir leben jetzt ja in einem demokratischen Land. Da sind genauso die gleichen
Dinge, die Sie an der DDR – begründet – verdammen plötzlich völlig ok.
Es gibt zwar per se weder demokratische Armeen, noch demokratische Geheimdienste, aber
wir tun mal so als ob.
Also wegen mir dürfen Sie gern die NVA und Stasi verdammen – wenn Sie genau das gleiche mit der Bundeswehr, BND, MAD u Verfassungsschutz tun.
Ansonsten wünsche und erwarte ich von Ihnen eine sachliche, differenzierte Berichterstattung über aktuelle Themen genauso wie über die DDR.
Und da wir schon mal darüber reden. Ich finde es traurig, sehr bezeichnend und eine sehr
schwache Leistung, dass 24 Jahre nach der Wende selbst Klassiker der DDR Rock und Pop
Musik in westdeutschen Radiostationen nach wie vor überhaupt nicht vorkommen. (Außer
vielleicht am 3. Oktober, da machen wir dann immer einen auf Einheit.)
Wenn es Ihnen an den entsprechenden CDs mangeln sollte, bin ich gern bereit Ihnen welche
zukommen zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Jenny Newiak
Ps Ich habe diesen Hörerinnenbrief auch an andere Medien weitergeleitet, damit diese Kritik
nicht einfach in der Versenkung verschwindet.
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