Das Buch ist ein Kulturgut keine Wurst

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Das Buch ist ein Kulturgut keine Wurst
die
Tages-Anzeiger
23.04.2007
Auflage/ Seite
Ausgaben
225991 / 13
300 / J.
Seite 1 / 2
9125
5731525
EVD / PD / UVEK
ZUM WELTTAG DES BUCHES
DIE BUCH PRE I SB INDUNG
Das Buch ist ein Kulturgut keine Wurst
Träume Als Verbreiter von Sprache ist es für die
Bücher müssen gefördert werden
Die Buchpreisbindung ist ein
Identität von besonderer Bedeutung Kurz das
Element davon Der Bundesrat sollte
in dieser Frage dem Parlament den
Vortritt la ssen
Von Vreni MüUer Hemmi
schen Schweiz vom Schweizerischen
Buchhändler und Verlegerverband
SBVV praktizierte Buchpreisbindung aufgeho
«weil sie den Wettbewerb verzerrt»
Da der
Bundesrat gemäss Kartellgesetz Preisabsprachen
aus öffentlichem Interesse zulassen kann hat der
SBW ein Gesuch eingereicht Damit ist die Kon
troverse endlich dort wo sie hingehört auf der
politischen Ebene Korrekterweise hat die zu
ständige Bundesrätin Doris Leuthard rasch ver
fügt dass die Buchpreisbindung bis zum definiti
ven Entscheid des Bundesrats in Kraft bleibt
Korrekt ist dies auch mit Blick auf das Parla
ment Dieses hat das öffentliche Interesse an ei
ner Buchpreisbindung schon vor zwei Jahren
grundsätzlich bejaht Und in der letzten Dezem
bersession sprach sich der Nationalrat mit klarer
Mehrheit für ein Gesetz aus das die Buchpreis
bindung gemäss dem Auftrag der parlamentari
schen Initiative Maitre erlaubt Die Wirtschafts
kommission hat seither erste Vorentscheide zur
Ausgestaltung des Gesetzes getroffen Bis im
Sommer soll ein Entwurf vorliegen Das Parla
ment ist dem Bundesrat also mehr als eine Na
senlänge voraus
Damit ist offensichtlich Der Bundesrat ist in
seiner Abklärung des öffentlichen Interesses an
der Buchpreisbindung nicht ganz frei und in ei
ner politisch delikaten Situation Soll er rasch ei
nen eigenen Entscheid treffen Oder soll er die
Beschlüsse des Parlaments und die Arbeit an ei
nem Gesetz respektieren Ich meine jetzt vorzu
preschen wäre eine Provokation
Preisbindung ist Kulturförderinstrument
Dass das Parlament die Buchpreisbindung
nicht auf eine kartellrechtliche Angelegenheit
reduziert haben will geht auf den verstorbenen
ehemaligen CVP Fraktionschef und National
ratspräsidenten Jean Philippe Maitre zurück
«Ein Buch ist viel mehr als ein simples kommer
zielles Produkt oder ein Konsumobjekt Es ver
mittelt Wissen und Ideen es befasst sich mit der
realen Welt oder mit einer Fantasiewelt es
drückt Emotionen aus und ist Nährboden für
© Tages-Anzeiger, Zürich
» Mit
sen Sätzen leitete Maitre seine Begründung für
ein Gesetz zur Buchpreisbindung ein und machte
klar Die Buchpreisbindung ist als Instrument
zur Förderung der Kultur zu verstehen und ein
zusetzen
m Februar hat das Bundesgericht auf
Grund des Kartellgesetzes die in der deut
ben
Buch ist ein zentraler Faktor der Kultur
Es ist alles andere als zufällig dass der Anstoss
für eine nationale Regelung auf einen Politiker
aus der Romandie zurückgeht Dort gibt es keine
Buchpreisbindung auch im Gegensatz zu Frank
reich Mit dem Resultat dass Bücher im Ver
gleich zum Nachbarstaat und zur deutschen
Schweiz deutlich teurer sind und in den letzten
Jahren ein Drittel der unabhängigen Buchhand
lungen schliessen musste So kommen welsche
Verlage und ihre Autorinnen und Autoren noch
stärker unter Druck Denn wenn die wichtigsten
Kontaktpunkte zu Leserinnen und Lesern ver
schwinden werden Bücher nicht nur nicht mehr
verkauft Sie werden auch nicht mehr gedruckt
und geschrieben Ein Teufelskreis
Der Anschauungsunterricht im eigenen Land
widerlegt damit die Argumente hiesiger Wettbe
werbsdogmatiker die die vorteilhafte Wirkung
der Preisbindung auf den Buchpreis und das
Buchvertriebsnetz partout nicht sehen wollen
Umgekehrt bestätigt das Beispiel Romandie un
sere Nachbarstaaten Frankreich Österreich und
Deutschland Sie begründen ihre Buchpreisbin
dungsgesetze auch kulturpolitisch Die eigene
vielfältige Buchproduktion und ein intaktes
Buchhandlungsnetz sollen gestärkt werden
Nicht unerheblich für das «öffentliche Interesse»
ist dabei dass die Buchpreisbindung das denkbar
billigste Förderinstrument ist Sie kostet den
Staat nichts
Gründe genug also für eine Schweiz die der
kulturellen Vielfalt und der Pflege ihrer Sprach
räume verpflichtet ist rasch zu handeln Eine
vernünftige und kreative Arbeitsteilung im Bun
deshaus sieht darum so aus Die Wirtschaftskom
mission des Nationalrats arbeitet zügig am Ge
setz Der Bundesrat wartet ab und präjudiziert
nichts Er nutzt aber seinerseits die Zeit um eine
umfassende Politik zur Förderung des Buches
aufzugleisen die auch aus bildungspolitischer
Sicht Not tut
So hat der Illetrismusbericht der Schweizeri
schen Koordinationsstelle für Bildungsforschung
bereits 2002 alarmiert Gut 30 der einheimi
schen erwachsenen Bevölkerung verfügen nur
über bescheidene Lesekompetenzen 20
der Ju
gendlichen verlassen die Schule mit schwacher
Tages-Anzeiger
23.04.2007
Auflage/ Seite
Ausgaben
225991 / 13
300 / J.
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EVD / PD / UVEK
Lesefähigkeit Passend dazu hat letztes Jahr die
vate Institutionen und Fachverbände einbezieht
«Buch und Litera
Die Buchlobby Schweiz hat darum Pro Helvetia
turiandschaft der Schweiz» konstatiert dass zwi
und das Bundesamt für Kultur zum Handeln auf
schen 40
gefordert Ende April findet ein Treffen mit Ver
Studie der Universität Zürich
und 50
der Bevölkerung wenig oder
nie Bücher lesen
antwortlichen von Kantonen und Städten statt
Koordinierte Buchpolitik konkretisieren
ein wichtiger erster Schritt
Wer schlecht lesen kann liest nicht nur keine
Bücher sondern hat auch zunehmend Mühe in
Gesellschaft und Arbeitswelt Auf Grund der ge
teilten Bildungs wie Kulturverantwortung soll
ten Bund Kantone Städte und Gemeinden alles
Interesse an einem koordinierten Massnahmen
plan Buch haben Zu definieren ist eine Buch
Lese und Literaturförderpolitik welche Eltern
Schulen Bibliotheken Verlage Buchhandlungen
Autorinnen und Autoren wie auch Medien pri
© Tages-Anzeiger, Zürich
Der heutige von der Buchlobby unter dem
Motto «Die Schweiz liest» organisierte Welt
buchtag bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit
das öffentliche Interesse an einer wirkungsvollen
Buchpolitik zu demonstrieren und dazu gehört
auch die Buchpreisbindung
Vreni Müller Hemmi 56 ist SP Nationalrätin
Mitglied der Kommission für Wissenschaft
Bildung Kultur und im Patronatskomitee der
Buchlobby Schweiz

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