Turkmenistan
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Turkmenistan
Turkmenistan Es gibt Landschaften, die einem böse gesinnt sind und die man unverzüglich verlassen muss, sonst stößt einem etwas Undenkbares zu. Es gibt nicht viele davon, aber es gibt sie. Für jeden von uns existieren auf dieser Welt fünf oder sechs. Nicolas Bouvier, Die Erfahrung der Welt Komplizierte Prozedur 15.5.03 – Ein Mann sagte mir in Mashad, Turkmenistan sei ein sehr armes Land, die iranischen LKW-Fahrer würden dort von Familien für die Nacht eingeladen, und der turkmenische Mann würde seine Frau oder seine Tochter für fünf Dollar die Nacht „verkaufen“. Ich denke, das sind Truck-Driver-Legenden. Für die 500 Kilometer lange Transitstrecke habe ich fünf Tage Zeit. Ich will trotzdem so schnell wie möglich da durch. Auf der turkmenischen Grenzstation wird für mich bei der Einreise ein netter, junger Soldat abbefohlen, mir zur Seite zu stehen. Denn es ist eine endlose, komplizierte Prozedur: Zig Beamte hocken in winzigen, schmuddeligen Stuben und tun nichts anderes, als die Daten aus Pass und Kfz-Schein in große Kladden zu kritzeln. Ich kriege einen Haufen Zettel mit Stempeln und ein Triptik, auf dem meine Route eingezeichnet ist, die ich auf der Durchfahrt nicht verlassen darf. Das braucht fünf Stunden Zeit und kostet 125 Dollar Gebühren. Schtraf Nach etwa 120 Kilometer Geradeausfahrt kommt der erste Abzweig nach rechts, natürlich ohne Hinweisschilder. Ich vermute, ich muss rechts ab, aber will vorsichtshalber die Polizisten fragen, die geradeaus auf der anderen Seite der Kreuzung stehen. Sie sagen, ich musste tatsächlich rechts abbiegen, aber nun hätte ich die vorgeschriebene Route um 10 Meter verlassen, und dafür müsse ich 50 Dollar „Schtraf“ bezahlen. Die können mich mal! Das Wort „Schtraf“ ist eines der vielen russischen Wörter deutschen Ursprungs. Ich höre es an fast jedem Polizeiposten. Sie erfinden Probleme, für die sie Schtraf kassieren wollen, zum Beispiel für das Vorhandensein von Reservekanistern, oder weil das Auto dreckig ist.* _______ * Wie ich später erfahre, ist das tatsächlich so, zumindest in Ashgabat. Wer mit einem schmutzigen Auto durch die Stadt fährt, wird bestraft. Aber inzwischen hat Turkmenistan einen anderen Präsidenten, und er scheint meine Klagen in meinem Reiseblog gelesen zu haben, denn seitdem werden Touristen von den Polizisten freundlich behandelt. Yangi Kala 16.5.03 – Wir fahren mit einem einheimischen Guide zum Yangi Kala im Nordwesten des Landes, etwa 200 Kilometer östlich der Hafenstadt Turkmenbaschi gelegen. Allein hätten wir den „Canyon“ nicht gefunden, er ist in keiner Karte verzeichnet, und Hinweisschilder gibt es sowieso nicht in Turkmenistan. Ich bedaure mal wieder, nichts von Geologie zu verstehen, nehme aber an, der Yangi-Kala ist ein ausgetrockneter See. An den Uferhängen hat das Wasser eine bizarr geformte Landschaft hinterlassen. Man erkennt die Erdschichten an ihren unterschiedlichen Farben. Es wehte schon ein scharfer Wind, als wir auf dem nördlichen Plateau ankamen. In der Nacht steigerte er sich zum Sturm. Mein Bus schwankte fast so stark wie vorher durch die Straßenlöcher. Ich hatte dem Guide angeboten, bei mir im Auto auf dem Boden zu schlafen, aber er wollte lieber in seinem Zelt bleiben. Nachts im Traum sehe ich, wie er mitsamt dem Zelt über den Rand des Canyons geblasen wird. Obwohl wir das Zelt an die Stoßstange angebunden hatten, wäre es beinahe tatsächlich weggeflogen. Er habe es nur noch mit seinem Körpergewicht halten können, sagt er am Morgen. Keiner von uns konnte richtig schlafen. Wir hatten alle daran gedacht, noch in der Nacht runter ins Tal zu fahren, in den Windschatten des Abbruchs. Aber ich fürchtete, wenn ich den Bus mit der Breitseite in den Wind drehe, wird er umgeblasen. Erst bei Sonnenaufgang gibt der Himmel Ruhe. Aber der Ausflug hat sich gelohnt, die Landschaft ist phantastisch. Beim Frühstück umkreist ein Geier mehrmals unser Lager. Fackel der Intelligenz 17.5.03 – In Ashgabat ist rauchen verboten, aber nicht in Restaurants, sondern draußen auf der Straße! Vor den Flughafengebäuden sollen immer noch Aschenbecher stehen, aber wenn ein Unwissender dort eine Zigarette ansteckt, verlange die Polizei 200 Dollar Strafe. Warum die Turkmenen solche Gesetze machen, erfahre ich aus dem Ruchnama, dem „Heiligen Buch der Turkmenen”, verfasst von dem durchgeknallten Präsidenten Saparmyrat Turkmenbashi. Unser Guide hat mir ein Exemplar in deutscher Übersetzung verkauft: Zur Erleuchtung der dunklen Wege wurde in das Herz und in den Geist des Turkmenen von Allah die Fackel der Intelligenz gestellt. Turkmen bedeutet: „aus der Erleuchtung stammend”. So verbreitete sich der Name Turkmen weltweit. Das vornehme Hotel Ashgabat hat keine Zimmer für uns, alles ausgebucht. Also campen wir einfach draußen vorm Eingang, holen Tisch und Stühle raus und machen Tee. So können wir wieder nicht duschen, das letzte Mal vor fünf Tagen im Iran. Über uns auf den Balkonen rufen uns die Hotelgäste was zu, ich schreie zu ihnen hinauf: ”Alo, kak dila?” (Wie geht's?) Gegenüber an einer Hauswand hängt eins der vielen, riesigen Portraits vom Herrn der Turkmenen, und über Allem steht der gelbe Vollmond. Morgens will ein Angestellter des Hotels zwei Dollar von uns, weil er uns angeblich in der Nacht bewacht hat, aber der Chef darf davon nichts wissen. Da es im Hotel erst ab neun Uhr Frühstück gibt, und wir früh losfahren wollen, fragen wir ihn nach einem Café in der Nähe. Er will uns hinführen, steigt in Florians Landrover und führt uns weit raus aus der Stadt in ein staubiges Industriegebiet. Wir landen in einer Art Fabrik-Kantine. Es gibt nichts anderes als Kakao in schmuddeligen Tassen, dazu eine fettige Fleischsuppe. Selbst abends mit einem Bier hätte ich die nicht runtergekriegt. Unseren Guide müssen wir wieder zurück zum Hotel bringen. Inzwischen hätten wir auch dort Frühstück bekommen und wären längst unterwegs. Karakalpakstan 18.5.03 – Machen uns auf in die Karakum-Wüste, 600 Kilometer von Ashgabat bis zur usbekischen Grenze, ohne Tankstelle, ohne größere Ortschaft. Es geht immer geradeaus nach Norden, zunächst 120 Kilometer guter Asphalt, dann erste Löcher, links und rechts Sanddünen, dunkelbraune Kamele mit einem Höcker, chinesische Gesichter mit Pelzkappen und Goldzähnen. Wir sind in Karakalpakstan = Land der Schwarzhutmenschen. Zur Begrüßung umschließt man mit beiden Händen die Rechte des Anderen; vielleicht eine Geste besonderer Wertschätzung? Florian nimmt einen Schwarzhutmenschen mit, der tatsächlich bei 45 Grad im Schatten eine braune Pelzmütze trägt. Wahrscheinlich aus Kamelhaut. Nachher sagt Florian, der Mann habe geweint unterwegs, und er habe ihm ein Taschentuch geben müssen. Das habe der dann auf Florians Geldbörse im Handschuhfach gelegt. Er hatte anscheinend vor, beim nächsten Griff nach dem Taschentuch, die Geldbörse mitgehen zu lassen. Nicht handelseinig In Bahardok, einem Wüstennest im Schwarzhutland: Der Herr rechts, ein Obsthändler, möchte mein Auto kaufen und mir 15 Kamele dafür geben. Ich will seine Tochter dazu, daher werden wir uns nicht handelseinig. Fehler gemacht Vier wilde Typen besuchen unseren Rastplatz in der Karakum, zwei steigen aus einem GAZLKW, die beiden anderen sitzen auf einem russischen Motorrad. Der eine trägt zum schwarzen Hut eine lange Pelzweste. Sie sehen phantastisch aus, wie aus einem Western. Ich sage Florian, er soll seine Kamera holen. Aber bevor ich sie zum Tee einladen kann, sitzt der eine schon auf meinem Platz am Klapptisch. Sie sind aufdringlich, wollen Dollar, hätten im Gefängnis gesessen. Einer will in meinen Bus durch die offene Schiebetüre, aber ich verstelle ihm den Weg mit ausgebreiteten Armen. Wäre leicht für ihn, mich umzuhauen. Immerhin habe ich inzwischen das Pfefferspray einsatzbereit in der Hosentasche. Florian schneidet mit seinem langen, schweizer Messer gemächlich eine Tomate auf und sagt, wir erwarten zwei weitere Autos mit Freunden. Er hat vor der Reise etwas Russisch gelernt, das macht sich jetzt bezahlt. Die Typen machen sich davon in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Florian meint, sie wollen wahrscheinlich unsere Freunde abfangen. Also packen wir schnellstens alles zusammen und fahren weiter, bevor sie den Schwindel bemerken. Wir haben den Fehler gemacht, in Sichtweite der Straße Rast zu machen. Da hier nur alle halbe Stunde ein Fahrzeug durchkommt, können wir nicht mit Hilfe rechnen. Sprichwort vom Wald Es wird Zeit, einen Schlafplatz zu finden, in zwei Stunden wird es dunkel sein. Aber links und rechts nur feiner Sand, da kann ich mit meinem Wohnmobil nicht reinfahren. Es kommt eine asphaltierte Nebenstraße, die zu einer Siedlung führen muss, auch wenn da kein Hinweisschild steht, denn sonst wäre sie nicht asphaltiert. Ich schlage vor, dort zu fragen, ob wir über Nacht bleiben können. Es bleibt uns eigentlich auch nichts anderes mehr übrig, obwohl auch mir nach der letzten Begegnung ein bisschen mulmig ist. Nach etwa 10 Kilometern liegt die Siedlung vor uns, sie heißt Mammetyar: etwa ein Dutzend Holzhütten und einige Jurten mitten im Sand. Florian schaut nicht glücklich aus. Ich denke, warum soll das Sprichwort vom Wald, in den man was hineinruft, nicht auch in Turkmenistan stimmen und gehe munter lächelnd auf den ersten jungen Mann zu. Ich frage ihn, ob wir hier bleiben dürfen. Das geht so: Ich zeige auf mich, dann auf Florian, und dann lege ich beide Hände an die rechte Wange, das Zeichen für „schlafen”. Ob er verstanden hat, weiß ich nicht. Er zeigt stumm auf eine Jurte. Ich nehme an, wir sollen dort noch mal fragen. Ein älterer, hinkender Mann kommt uns entgegen und deutet an, wir sollen ihm mit den Autos folgen. Er dirigiert uns direkt vor den Eingang einer Jurte, so dass zwischen den Autos ein Korridor frei bleibt, der zum Eingang der Jurte führt. Ich dachte, wir sind die ersten Touris, die sich hierher verirrt haben. Aber man ist von unserer Anwesenheit überhaupt nicht überrascht, die Einladung verläuft mit einer Routine, als machten sie das täglich. Wenn ich recht verstehe, ist der Hinkende der Dorfchef, und der andere, der sich dazu gesellt, sein Onkel oder Bruder. Wir bauen Tisch und Stühle zwischen den Autos auf und holen Getränke und etwas Essbares heraus. Unser Gastgeber serviert Wodka, Wein, Zigaretten, Kamelmilch und eine Literflasche Diesel, die rumgereicht wird wie eine kostbare Antiquität. Wir dürfen am Flaschenhals schnuppern. Dann wickelt der Hinkende einen übel stinkenden, schwarzen Matsch in ein Stück Baumwolle und schiebt sich das Ganze unter die Zunge. Scheint eine Art Kautabak zu sein. Florian betritt selig zum ersten Mal eine Jurte. Dann probiert er von dem Kautabak. Davon wird ihm schwindelig, er legt sich zum schlafen auf ein Metallgestell, war wahrscheinlich eine Überdosis. Ich räume unsere Sachen zusammen. Der Lahme schläft zwischen unseren Autos im Sand. Oben erscheint der Vollmond, die Luft ist voller Tiergeräusche, und ich warte vergeblich auf das, was ich über das kontinentale Klima Zentralasiens gelesen habe: eine kühle Nacht. Morgens sehe ich, Florian hat tatsächlich die ganze Nacht draußen auf dem Metallgestell geschlafen. Aber er ist wohlauf, und es ist nichts geklaut worden. Während alle anderen noch schlafen, verlassen wir Mammetyar. Die Straßenlöcher in Richtung Usbekistan werden tiefer und häufiger. Immer, wenn ich denke, das Schlimmste ist überstanden, kommt es noch schlimmer. Fahren einen Schnitt von 10 km/h. Wir sehen Schildkröten, Echsen, kleine graue Vögel, schwarze Käfer und Erdmännchen. Ich bekomme Dünnschiss, zwischen meinen Zähnen kleben Sandkörner. 280 Kilometer ohne Siedlung. Aber es gibt weitere Polizei-Posten, und wir absolvieren sie inzwischen mit lässiger Routine: Pass, Führerschein und Kfz-Zulassung habe ich griffbereit. Sie kritzeln die Daten in große Kladden. Wir erreichen Darvaza, bzw. was davon übrig ist. Der Turkmenbashi ließ den ganzen Ort komplett abreißen und zubetonieren. Nur das Gestell des Wassertanks ist stehen geblieben. Die Einwohner hat er immerhin vorher nach Ashgabat umgesiedelt. Man weiß nicht genau, warum er das gemacht hat. Nach offizieller Darstellung soll das Dorf Terroristen beherbergt haben. Man vermutet aber, die Gasleitung musste erneuert werden, und das war dem Herrn der Turkmenen zu teuer, da das Dorf weit draußen in der Wüste lag. Die zweite Nacht weit abseits der Straße hinter Dünen gecampt. Gerade habe ich mich mit blankem Hintern in den Sand gehöckelt, als direkt vor mir ein Erdmännchen aus seiner Höhle krabbelt. Es steht aufrecht vor mir, und wir beide schauen uns überrascht regungslos in die Augen. Dann sage ich: „Tut mir leid, wenn ich störe, aber nun habe ich dieses Geschäft einmal begonnen …” Da huscht es zurück in seinen Bau. Ein sehr rücksichtsvolles Erdmännchen. Konye-Urgench 19.5.03 – In Konye-Urgench, ca. 300 Kilometer südlich vom Aralsee, letzter und größter Ort zwischen Ashgabat und Usbekistan. Wir sehen ulkige Trecker auf drei Rädern, ein paar islamische Altertümer aus dem 13 Jh., salzige Baumwollfelder. Es gibt auch eine Tankstelle. Ich weiß, für einen Dollar bekomme ich ungefähr 50 Liter Diesel, und so viel passt auch ungefähr in den Tank. Ein Zählwerk gibt es nicht. Ich frage den Tankwart, und er malt tatsächlich eine 50 in die Dreckschicht auf das Autoblech. Bevor er den Rüssel in das Tankloch steckt, wedel ich mit dem Dollarschein vor seiner Nase rum, soll heißen: Mehr zahle ich nicht! Er nickt. Als die 50 Liter drin sind, will er zwei Dollar. Ich lache, das dachte ich mir und gebe ihm zwei Dollar. Es gibt sogar ein Hotel in Konye-Urgench, es heißt: Watan-Beyik-Turkmenbasy. Allerdings steht dieser Satz über vielen Gebäuden. Wenn ich recht verstanden habe, heißt das übersetzt: „Lang lebe unser geliebter Herr der Turkmenen“. Wir sind die einzigen Gäste. Das Bad können wir nicht benutzen, alles kaputt. Draußen im Hof steht das Gemeinschaftsklo. Es besteht aus einem Loch im Boden, umgeben von drei wackeligen Betonwänden ohne Türe und ohne Dach. Innen kleben zigtausend Fliegen, die regungslos darauf warten, sich auf mich stürzen zu können. Anstelle einer Dusche gibt es einen Holzkübel, dessen Wasser aus einem Loch unweit des Klos stammt. Florian macht alles mit, ich benutze weder Klo noch Kübel und schlafe lieber im Bus. Also wieder keine Dusche. Die Zöllner an der usbekischen Grenze werden sich morgen freuen über meinen Geruch. Wir sitzen dann noch eine Weile im Mondschein vorm Hoteleingang und trinken russisches Bier. Das konnten wir nicht im Hotel kaufen, dafür mussten wir zu Fuß in den Ort. Von einer nackten Glühbirne beleuchtet, stand da ein Kühlschrank auf dem Bürgersteig der sonst völlig finsteren Straße. Es gab keine Straßenbeleuchtung, auch kein Licht aus den Häusern. Vielleicht Stromausfall, vielleicht ist das hier auch immer so, wer weiß? Immerhin funktionierte der Kühlschrank, und wir freuen uns über ein kühles Bier. Nach der zweiten Flasche sage ich zu Florian: „Mein Leben ist die Zeitreise eines Menschen aus dem übernächsten Jahrhundert.” Das soll einer verstehen! Nach vier Wochen ohne Alkohol im Iran vertrage ich wohl nicht mehr viel. Absurdistan Für die Überquerung des Amudarja bei Farab über eine elende, rostige Pontonbrücke, muss ich 57 Dollar zahlen, weil sie mein Auto als Bus für mehr als 12 Personen einstufen – die gehen da aber nicht mal stehend rein. Meine Daten werden von fünf Beamten in fünf verschiedene Kladden geschrieben. Wenn ein Land den Namen Absurdistan verdient, dann ist es Turkmenistan. Man sollte eine Brücke drüber bauen, damit man es gar nicht erst betreten muss. Die schönen Kamele kann man ja dann von oben fotografieren.