„Heimatlos“ von Max Herrmann

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„Heimatlos“ von Max Herrmann
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Frankfurter Anthologie
Gedicht, Interpretation, Lesung: „Heimatlos“ von Max Herrmann-Neiße
BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN
Gedicht, Interpretation, Lesung
„Heimatlos“ von Max Herrmann-Neiße
Die Nationalsozialisten verbrannten seine Werke und zwangen ihn zur Flucht.
Max Herrmann-Neißes Gedicht „Heimatlos“ sucht für die Vertreibung Worte
und bewahrt zugleich die Achtung vor den Menschen.
05.07.2013, von HANS-JOACHIM SIMM
© F.A.Z.
n der Gewissheit, dass dieses Land ihn in absehbarer Zeit nicht
länger dulden werde, ging er wenige Tage nach dem
Reichstagsbrand vom 27./28. Februar 1933 ins Exil. Auch seine Bücher
wurden ein paar Monate später verbrannt. Gleichwohl blieb er
Deutschland zeitlebens verbunden („Die Heimat hat mir Treue nicht
gehalten ... der ich ihr trotzdem treu geblieben bin“), der Mystiker
Jakob Böhme und Dichter wie Andreas Gryphius, Angelus Silesius,
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Johann Christian Günther und Joseph von Eichendorff haben sein
Werk maßgeblich beeinflusst.
Im Jahr 1886 in der oberschlesischen Stadt Neiße geboren, empfand er
sich bereits früh als Außenseiter, nicht zuletzt aufgrund seiner
körperlichen Verfasstheit; George Grosz und Ludwig Meidner haben
ihn später porträtiert. 1917 verließ er die Provinz. In Berlin, wo Franz
Pfemfert und Alfred Kerr ihm den Weg in die literarische Welt
ebneten, wurde er rasch erfolgreich, veröffentlichte mehrere
Gedichtbände, bei S. Fischer, schrieb daneben Romane, Erzählungen,
Theaterstücke, Rezensionen und Texte fürs Kabarett; Heinrich Heine
zählte zu seinen Vorbildern.
© F.A.Z., AP
Thomas Huber liest „Heimatlos“ von Max Hermann-Neiße
Else Lasker-Schüler sah sich ihm seelisch nahe, Oskar Loerke, Carl
Sternheim, Alfred Döblin achteten ihn und lobten sein Werk, sein
bester Freund war der Vagabund und Poet Ringelnatz. 1924 erhielt
Herrmann-Neiße den Eichendorff-Preis, 1927 folgte der GerhartHauptmann-Preis. Ende der zwanziger Jahre aber geriet er fast in
Vergessenheit. Sie sollte bis in die siebziger Jahre anhalten. Auch in
dieser Hinsicht, noch in der Rezeption, war er ein Heimatloser. Erst
Anfang der achtziger Jahre wurde sein Werk neu entdeckt. Doch bald
wurde es abermals still um ihn.
Auf den ersten Blick handelt es sich um ein konventionelles Gedicht
(Gedichttext im Kasten unten) über ein zeitloses Thema Herrmann-Neiße blieb immer der literarischen Tradition verhaftet, er
unternahm keine Formexperimente, auch nicht in seinen
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expressionistischen Stadtgedichten -: fünfhebige Jamben, der
Blankvers des klassischen deutschen Dramas, gewöhnliche
Kreuzreime, vier Strophen, wenn auch nicht durch Leerzeilen
markiert. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich eine besondere
Struktur: Die Anfangs- und die Schlusszeilen tragen bis auf den letzten
Vers identische Reimwörter.
Der erste und der letzte Satz des Gedichts ergeben eine eigene Strophe,
Anfang und Ende schließen sich zusammen, das Bild des Anfangs und
die Deutung am Schluss: eine Art Rondo, wie er es - Peter Härtling hat
darauf hingewiesen - gelegentlich verwendete. Die Zeilensprünge
verleihen dem Gedicht einen monologischen Charakter - überhaupt
gleicht seine Dichtung nach 1933 einem „Monolog auf fremder Bühne“
(„Wer stellte diese seltsamen Kulissen/hier um den Weg, den jetzt
mein Leben nimmt“).
Mehr zum Thema
· Sonderseite Frankfurter Anthologie
In die Bilder der kleinen
Welt dringt das
reflektierende Ich ein, das
dem einen Gedanken
immer noch einen weiteren anfügt, vertiefend, Widersprüche
aufdeckend. Kontraste durchziehen den Text: Die „ohne Heimat irren
so verloren“ durch das „Labyrinth“ der „Fremde“, aus dem sie den Weg
nicht zurückfinden, ganz im Gegensatz zu den „Eingebornen“, die
„vertraut“ miteinander „plaudern“, unter sich bleiben, den anderen
nicht einlassen, in einer biedermeierlichen Idylle, der die
romantischen Motive nur noch Versatzstücke sind.
Der tröstlich „abendliche Sommerwind“ gibt den Blick nur kurz frei auf
die geschlossene Gesellschaft der in ihrer Behaglichkeit fest
Verwurzelten, alles scheint hier wohlgeordnet, immer schon gewesen
und unveränderlich. „Grausam“ wird der liebliche Sommerwind, wenn
er die „Stube“ sofort wieder verschließt vor den Blicken der
Ausgeschlossenen, die sich nach der „lang entbehrte(n) Ruh“ und dem
„sichren Frieden“ sehnen. Nicht einmal herrenlose Katzen und Bettler
sind so „ausgestoßen und verlassen“ wie „jeder“, der einst „ein
Heimatglück besaß“ und es ohne Schuld „verloren“ hat. Aber die
„Eingebornen“ „träumen“ am Ende nur, sie wissen nicht, dass ihr
Glück fragil ist, wenn sie das Unglück der anderen ignorieren und ihre
„Schatten“ aussperren, ohne die sie gar nicht wirklich existieren. Das
heile Rondo ist zerbrochen.
Ein Gedicht als Antwort auf die Ausbürgerung
Er gehörte nicht dazu, zu niemandem, in Deutschland nicht und nicht
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in England, wohin er, über Zürich, Holland und Paris gegangen war.
Nur ein einziger Platz versprach ihm Solidarität und Menschlichkeit,
bei denen, die das Naziregime verabscheuten, und ließ ihn doch die
Fremdheit noch stärker spüren. „Ich könnte ja auch ein anerkannter
deutscher Lyriker jetzt werden ... aber ich brächte es nicht über mich,
auch nur stillschweigend mich fördern zu lassen von einem System,
das für mich das wahrhaft teuflische ist.“
Als ihn 1938 die Mitteilung der Ausbürgerung aus Deutschland
erreichte, schrieb er das Gedicht „Ewige Heimat“. „Anstatt die
Deutschen zu vergessen, wie sie es verdient hätten“, so Heinrich Mann,
„lebte er weiterhin mit ihnen ..., fühlt Reue an ihrer Statt und
Sehnsucht nach ihnen bis in das Unmögliche.“ Am 8. April 1941 starb
Max Herrmann-Neiße. Unmittelbar nach seinem Tod gab seine Frau
Leni zwei Bände mit „Letzten Gedichten“ heraus, darin auch dieses,
entstanden am 23. Juni 1936, das mit einem Wort das Thema seines
Lebens benennt: zur Heimatlosigkeit verurteilt zu sein und dennoch
die Achtung vor den Menschen zu bewahren, nicht nur im Gedicht.
Heimatlos
Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen
und läßt uns in die lang entbehrte Ruh
des sichren Friedens einer Stube sehen
und schließt sie vor uns grausam wieder zu.
Die herrenlosen Katzen in den Gassen,
die Bettler, nächtigend im nassen Gras,
sind nicht so ausgestoßen und verlassen
wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren
und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen träumen vor den Toren
und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind.
Max Herrmann-Neiße: „Gesammelte Werke“. Herausgegeben von
Klaus Völker. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1986 (vergriffen).
Zur Homepage
Thomas Huber, 1963 in München geboren, gehört zum Ensemble des Schauspiel Frankfurt und ist aus
vielen Film- und Fernsehrollen („Der Schattenmann“, „Frau Böhm sagt Nein“, „Elementarteilchen“)
bekannt. Daneben arbeitet er als Übersetzer.
Quelle: F.A.Z.
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