Das globale Dorf - Hochschule Heilbronn

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Das globale Dorf - Hochschule Heilbronn
Liebe Leserinnen und Leser,
das Warten hat ein Ende!
Der ARTikel geht mit dieser Ausgabe
bereits in die sechste Runde.
Gerne möchten wir uns an dieser Stelle
bei den Leserinnen und Lesern bedanken,
die an der Umfrage in der letzten Ausgabe mitgemacht haben.
Feedback und Anmerkungen sind immer
gern gesehen, besonders wenn wir damit
den ARTikel noch ein kleines bisschen
besser machen können.
In der vorliegenden Ausgabe widmen wir
uns unter anderem der Pop- und der Soziokultur.
Aber genug der langen Worte,
wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
Ihr
-Team
Das globale Dorf
Ein Beitrag von Prof. Dr. Raphaela Henze
Das globale Dorf
Internationale Kulturkonferenz an der
Reinhold-Würth-Hochschule in Künzelsau
Was macht eigentlich...
ab Seite 3
... der Creative Europe Desk KULTUR?
... ein Poetry-Slam-Master?
Was ist eigentlich...
... Soziokultur?
... der club alpha 60 e.V.?
... Worms: Jazz & Joy?
ab Seite 10
Was bedeutet...
ab Seite 17
... Kulturentwicklungsplanung“?
Worum geht es eigentlich in...
... „Der Circle“?
Was passiert –
…wenn TTIP kommt?
Wussten Sie etwas über...
...das Vereinsheim?
Wer ist eigentlich...
...David Maier?
...Oliver Rath?
Seite 19
ab Seite 20
Seite 23
ab Seite 23
Über 80 Kulturmanager aus 16 Nationen an der Reinhold-Würth-Hochschule in Künzelsau
Vom 15.-17. Januar 2015 trafen sich über 80 Kulturmanager aus 16 Nationen von Indien
bis Spanien, von Südafrika bis Dänemark in Schwäbisch Hall und Künzelsau. Die Vorbereitungen für die 9. Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement hatten bereits
gut ein Jahr zuvor begonnen. Schon im Januar 2014 hatte ich in Kufstein, Tirol bei der
damals 8. Jahrestagung das Thema mit Internationalisierung grob vorgestellt und den
- den meisten Konferenzteilnehmern noch weitgehend unbekannten - Tagungsort
im Hohenlohischen vorgestellt. Bald konnte das Thema mit „Cultural Management
without Borders“ genauer gefasst und ein ‚Call for Papers‘ über die sozialen Netzwerke
in alle Welt gestreut werden. Aus aller Welt kamen dann auch 35 Einsendungen sehr
guter Beiträge aus denen dann gemeinsam mit dem Vorstand des Fachverbands die
geladenen Redner für die Workshops ausgesucht wurden. Einige Gäste, wie etwa
Frédéric Martel, Michael Schindhelm, Rebecca Matthews und Caroline Robertson-von
Trotha, habe ich darüber hinaus aus eigenem Interesse an ihrer Arbeit auf die Liste der
Einzuladenden und keynote speaker gehoben.
War die Reise für viele Teilnehmer durchaus lang und beschwerlich, so hat sie am Ende
der 2 ½ tägigen Konferenz niemand bereut. Mit Sicherheit sind nun sowohl Künzelsau
als auch Schwäbisch Hall auf der kulturellen Landkarte der Teilnehmer aus Kapstadt,
Kopenhagen, Belfast, Bagdad, Girona oder Casablanca verankert. Ausgezeichnete
Kultur, wie sie in der Kunsthalle Würth sowie in der Johanniterkirche zum Konferenzauftakt zu besichtigen war und ausgezeichnete Kulturmanagementforschung und
-ausbildung sind definitiv nicht an die Metropolen oder große Städte gebunden, sondern finden tatsächlich – wie bereits vermutet – auch im sog. Off statt (so ja auch der
Titel der 2. Künzelsauer Kulturmanagement Konferenz „Kultur im OFF“ im Januar 2014).
Künzelsau ist im wahren Sinne des Wortes ein globales Dorf von dem aus nach dieser
Konferenz viele wichtige Impulse hinsichtlich der Weiterentwicklung des internationalen Kulturmanagements in die Welt gehen werden.
Die Kulturmanger aus Wissenschaft und Praxis diskutierten insbesondere auch im
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Lichte der Vorfälle von Paris über die Standortbestimmung von Kulturschaffenden
und darüber, dass gerade im internationalen Kontext für die Errungenschaften
eingetreten werden muss, für die insbesondere Europa steht – darunter ohne jede
Einschränkung die Menschenrechte und die freie Meinungsäußerung. Globalisierung meint nämlich wahrlich nicht gleich Uniformisierung, wie etwa Frédéric Martel
betonte. Caroline Robertson-von Trothas Vortrag hat sehr viel Klarheit in die Definition
der teilweise synonym verwendeten Begriffe Globalisierung und Internationalisierung
gebracht. Auch sprach sie von der sog. ‚Dazwischen-Gesellschaft‘. Es liegt in unserer
Hand wohin das Pendel ausschlagen wird und gerade in Zeiten von Pegida ist es an
der Zeit, sich für eine Seite zu entscheiden, denn das Dazwischen kann und wird kein
dauerhafter Zustand sein. Neben der Wahrnehmung der eigenen (kulturellen) Identität ging es insbesondere aber auch darum, welche Fähigkeiten gerade das internationale Kulturmanagement den darin Tätigen zukünftig abverlangen wird. Besonders die
Gäste aus Südafrika, Marokko und Indien sahen die wichtigste Eigenschaft in Flexibilität und in der Fähigkeit aus wenig viel zu machen. Eine Situation, die europäischen
Kulturmanagern in öffentlich geförderten Einrichtungen, noch weitgehend fremd ist,
aber in Anbetracht der schwindenden Finanzierung durchaus ein mögliches Zukunftsszenario darstellen könnte.
Der kritische Umgang mit Medien, die weltweite Vernetzung, die teilweise doch sehr
unterschiedliche Definition von Kunst, die Rolle Europas beim weltweiten Export von
Kulturgütern und -dienstleistungen, die Aufgabe von Mittlerinstitutionen wie etwa
dem Goethe-Institut oder dem British Council und das Ringen um neue Publika standen im Mittepunkt zahlreicher angeregter Gespräche und intensiver Workshops.
Alle Teilnehmer lobten die einladende und herzliche Atmosphäre am Campus und die
Betreuung durch die Studierenden des sechsten Semesters des Studiengangs BWL mit
Kultur- und Freizeitmanagement, die für den reibungslosen, professionellen Ablauf
und die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgten.
Noch nie waren so viele Menschen unterschiedlicher Nationalität zu einer wissenschaftlichen Konferenz am Campus in Künzelsau versammelt. Alle, die an dieser von
der Würth-Stiftung zur Förderung der Reinhold-Würth-Hochschule großzügig geförderten Veranstaltung teilgenommen haben, haben viel gelernt und konnten sich vernetzten. Die Mühen der intensiven und aufwendigen Vorbereitung haben sich mithin
gelohnt. Ich freue mich, dass ich die vielen Menschen, mit denen ich in den vergangenen Jahren immer wieder in Kontakt stand oder deren Forschung mich inspiriert hat,
zu uns an den Campus holen konnte. Das Thema „Internationales Kulturmanagement“,
hat nochmal eine ganz neue Dimension und auch Dringlichkeit bekommen. Das ist ein
großer Erfolg. Ich freue mich auf weitere Projekte, Veröffentlichungen und Kooperationen mit anderen Studiengängen im Ausland.
Im Januar 2016 wird das Journal of Cultural Management des Fachverbands Kulturmanagement erschienen, in dem sich viele der Vorträge der Konferenz zum Nachlesen
finden werden.
Ein ausführlicher Konferenzbericht findet sich auch auf kulturmanagement.net unter
http://kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__2890/cs__11/index.html
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Was macht eigentlich...
... der Creative Europe Desk KULTUR?
Ein Beitrag von Mareike Thillmann
Welche Aufgaben hat der Creative Europe Desk KULTUR?
Der Creative Europe Desk KULTUR, bisher bekannt als Cultural Contact Point Germany
(kurz CCP), informiert und berät Kultureinrichtungen in Deutschland bei Fragen zur
Kulturförderung der Europäischen Union. Unser Beratungsschwerpunkt liegt dabei auf
dem 2014 neu gestarteten Kulturförderprogramm KREATIVES EUROPA. Die Kommunikation über die Fördermöglichkeiten erfolgt bei vielen Programmen der EU nicht zentral aus Brüssel, sondern durch die Einrichtung dezentraler Anlaufstellen in den Mitgliedstaaten, die die Programme den Bürgern näher bringen sollen. Bei diesen Anlaufstellen
können sich die Interessenten direkt in ihrer Landessprache informieren. Dies ist auch
der Fall bei der Kulturförderung. Wir sind als Creative Europe Desk KULTUR die nationale
Kontaktstelle für diesen Themenbereich. In unserer Beratungstätigkeit verstehen wir
uns als Bindeglied zwischen Programminteressierten und der EU-Kommission, die für
die Umsetzung der Kulturförderprogramme zuständig ist. Aber die Kommunikation
ist nicht nur einseitig: Der Creative Europe Desk KULTUR kann der Europäischen Kommission auch Reaktionen der Kulturbranche rückmelden, z.B. auf die neu formulierten
Programmschwerpunkte im Programm KREATIVES EUROPA.
Seit wann gibt es den Creative Europe Desk KULTUR?
1998 wurde der Cultural Contact Point (CCP) als eine der ersten Kontaktstellen in Europa
gegründet und ist seitdem in Deutschland die offizielle Anlaufstelle für die Kulturförderung der EU. Mit dem Start des Programms KREATIVES EUROPA 2014 wurde der CCP
in Anlehnung an den neuen Programmnamen in Creative Europe Desk KULTUR umbenannt. Die Trägerorganisation ist weiterhin die Kulturpolitische Gesellschaft in Bonn, die
neben dem Creative Europe Desk KULTUR auch die „Kontaktstelle Deutschland Europa
für Bürgerinnen und Bürger“ zu ihren Projekten zählt. Creative Europe Desks gibt es in
allen Ländern, die am Programm KREATIVES EUROPA der EU teilnehmen. Ihre Träger
sind teilweise Ministerien, teilweise Nichtregierungsorganisationen. Die Kollegen der
nationalen Beratungsstellen arbeiten trotz der weiten geographischen Verteilung eng
zusammen und bilden ein starkes Netzwerk, das auch von der Europäischen Kommission mitunter um Expertise gebeten wird oder eigenständig Stellungnahmen formuliert.
Wie ist das neue EU-Programm KREATIVES EUROPA aufgebaut?
KREATIVES EUROPA besteht aus drei Säulen: den beiden Teilprogrammen KULTUR und
MEDIA, sowie einem spartenübergreifenden Teil. Dazu zählt ein Garantiefonds, der ab
2016 allen Kultursektoren zu günstigen Darlehen verhelfen soll.
Das Gesamtbudget für sieben Jahre beläuft sich auf 1,46 Milliarden Euro. Auf das Teilprogramm KULTUR entfallen davon mindestens 31 Prozent, auf MEDIA 56 Prozent und
der spartenübergreifende Teil soll maximal 13 Prozent erhalten, darin rund neun Prozent für den Garantiefonds.
Im MEDIA-Bereich wird u.a. die Entwicklung und Verbreitung von Filmen mit hohem
Auswertungspotenzial in Europa gefördert, Fortbildungsmaßnahmen für europäische
Medienschaffende, Filmfestivals und seit Neuem auch Video Games.
Im Teilprogramm KULTUR geht es in erster Linie um die Förderung grenzüberschreitender Kooperationsprojekte zwischen Einrichtungen aus dem Kulturbereich.
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Wie sollten diese Projekte konkret aussehen?
Förderfähige Kooperationsprojekte müssen zum Einen in einen vorgegebenen strukturellen Rahmen passen: Mindestens drei Kultureinrichtungen aus unterschiedlichen
europäischen Ländern müssen ein gemeinsames Projekt einreichen, in welchem sie
über einen längeren Zeitraum zusammen an einem gemeinsamen Thema von europäischem Interesse arbeiten.
Aktuell sind im Kulturbereich Projekte gefragt, die sich mit Audience Development, der
Professionalisierung des Kultursektors und Digitalisierung beschäftigen. Wie schon in
den Vorgängerprogrammen ist allerdings die Mobilität von Künstlern und Kulturschaffenden zentraler Bestandteil eines jeden Projekts. Und ganz besonders wichtig: Warum
macht das eingereichte Projekt nur auf europäischer Ebene Sinn? Ansonsten gibt es
Probleme mit dem im Kulturbereich geltenden Prinzip der Subsidiarität: Die EU darf
Kultur nur dann fördern, wenn sie damit nicht die Kulturhoheit der Mitgliedsstaaten
beschneidet. Weitere Details zu den Förderrichtlinien und viele Projektbeispiele finden
sich auf der Website des Creative Europe Desk KULTUR.
Was hat sich durch das 2014 gestartete Programm KREATIVES EUROPA
verändert?
Mit dem Start des Programms KREATIVES EUROPA, das die zuvor getrennten EU-Programme KULTUR und MEDIA (Programm zur Förderung des audiovisuellen Sektors)
unter einem Dach vereint, wurde auch die Beratungsarbeit in Europa umstrukturiert. Im
Zuge dieser Zusammenfassung rücken nun auch die Beratungsbüros für die Kultur- und
Filmbranche in Deutschland näher zusammen. In Deutschland arbeiten der CCP und
die Kolleginnen der vier regionalen MEDIA-Büros, ehemals MEDIA-Antennen bzw. MEDIA Desk, nun offiziell als Creative Europe Desk Deutschland zusammen. Im Zuge dieser
Umstrukturierung wurde der Cultural Contact Point zum Creative Europe Desk KULTUR.
Wie sieht die Aufgabenverteilung innerhalb des Creative Europe Desk
Deutschland aus?
Die EU-Kommission hat es den Mitgliedstaaten überlassen zu entscheiden, wie sie
die Beratung zu den Teilprogrammen MEDIA und KULTUR innerhalb des Rahmenprogramms KREATIVES EUROPA strukturieren wollen. In Deutschland hat man sich darauf
geeinigt, die Struktur auf operativer Ebene beizubehalten. Das heißt, dass der Creative
Europe Desk KULTUR (ehemals CCP) als nationale Kontaktstelle für die Kulturförderung
der EU und die vier regionalen Kontaktstellen für das Teilprogramm MEDIA weiterhin
eigenständig bleiben, statt zu einer einzigen Kontaktstelle zusammengelegt zu werden.
Die Kolleginnen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München, die seit vielen Jahren
Filmschaffende in Deutschland zur Filmförderung der EU – also zum bisherigen MEDIA
Programm – beraten haben, tun dies auch weiterhin. Interessenten auf der Suche nach
Informationen zum Teilprogramm MEDIA sind bei ihnen an der richtigen Adresse und
erhalten dort auch Tipps für Förderalternativen, falls der EU-Topf nicht das richtige ist.
Und der Creative Europe Desk KULTUR informiert nach wie vor zu Fördermöglichkeiten
im Teilprogramm KULTUR und gibt Hinweise zu Alternativen.
Wie sieht der Alltag in der Kontaktstelle aus?
In Bonn sind für ganz Deutschland vier Mitarbeiterinnen für die Beantwortung sämtlicher Fragen zur Kulturförderung der EU zuständig. Unser Service ist kostenlos und
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erfolgt hauptsächlich telefonisch oder per E-Mail. Unsere Beratung reicht von der Beantwortung allgemeiner Fragen, etwa „Wo finde ich die offiziellen Ausschreibungsunterlagen?“, bis hin zur Begleitung von Projekten von der Entstehung bis zum Ausfüllen
der Antragsdokumente. Zwar müssen die Antragsteller die Formulare selbst ausfüllen,
aber wir bieten einen Antrags-Check an und lesen die Anträge dann mit Blick durch die
„EU-Brille“.
Neben der Beratungsarbeit sind wir viel unterwegs und geben in ganz Deutschland Seminare, in denen wir das Förderprogramm ausführlich vorstellen und die Teilnehmer in
Workshops Projektkonzepte auf der Grundlage der Förderkriterien entwickeln lassen,
um ein Gespür für die Förderkriterien zu bekommen.
Ach ja: Unsere Website halten wir auch tagesaktuell. Sie bildet unser zentrales Informationsinstrument, auf dem wir sämtliche Informationen zu KREATIVES EUROPA,
Projektbeispiele und viele weitere nützliche Links bereit stellen. Wer auf der Suche
nach Reisekostenzuschüssen ist - eine der meist gestellten Fragen bei uns – wird im
Programm KREATIVES EUROPA leider nicht direkt fündig. Reisekosten zählen zwar zu
den förderfähigen Kosten, aber immer nur im Rahmen eines geförderten Projekts. Es
gibt hierfür aber eine Vielzahl von Stiftungen und Fonds, bspw. „S.T.E.P. beyond“ von
der European Cultural Foundation, der sich auf Mobilitätsförderung zwischen der EU
und ihren Nachbarstaaten spezialisiert hat.
Neben unserer Beratungsfunktion haben wir von der EU-Kommission auch den Auftrag, geförderte Projekte bekanntzumachen. Zu diesem Zweck veröffentlichen wir auf
unserer Homepage Projektskizzen. Außerdem geben wir Printbroschüren zu allen geförderten Projekten mit deutscher Beteiligung heraus.
Weitere Informationen zu Creative Europe Desk KULTUR unter www.creative-europedesk.de.
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Was macht eigentlich...
... ein Poetry-Slam-Master?
Ein Beitrag von Michael Jakob*
Aus dem Tagebuch eines Slammasters
*Poetry Slam Veranstalter, meist auch gleichzeitig Moderator
Mi., 14. Januar
In zehn Tagen ist der Poetry Slam in Seukendorf, höchste Zeit für die letzten Vorbereitungen. Ich erstelle eine Facebook-Veranstaltung und lade alle teilnehmenden Künstler
und Freunde aus der Umgebung ein. Mit dem Hinweis, dass man gerne seine eigenen
Freunde aus der Gegend zuladen dürfe. Die Flyer, sowie einige Plakate habe ich bereits
Ende des alten Jahres an den örtlichen Veranstalter zur Verteilung vor Ort geschickt.
Bei manchen Veranstaltungen muss ich auch selbst verteilen, das ist aber meist sehr
lästig, wenn man durch Geschäfte tingelt, bis man das Material losgeworden ist. Die
Slammer sind teilweise seit Monaten gebucht. Entweder habe ich sie aktiv eingeladen
oder sie haben sich angemeldet. Oft melden sich auch Leute aus dem Ort aufgrund der
Aufrufe auf den Flyern oder in der Presse zum Mitmachen an. Wenn ich aktiv einlade,
achte ich darauf, dass ich sowohl lustige, als auch ein paar ernstere oder lyrische Schreiberlinge anfrage. Die Mischung macht’s beim Poetry Slam. Ich stelle fest, dass wir erst
fünf Teilnehmer auf der Liste haben. Da sollte ich noch einmal in die Akquise gehen. Ich
schreibe eine kleine Rundmail an lokale Slammer, da ich das Line-up für ausgewogen
halte, einfach blind, unabhängig vom Stil der Künstler, ich denke die Abwechslung ist
schon gegeben.
Fr., 16. Januar
Michael Jakob ist Deutschlands umtriebigster Slammaster
(c) Valentin Olpp
Mittlerweile haben fast alle geantwortet. Die meisten können nicht. In der Nähe ist ein
anderer Poetry Slam, wo einige schon auftreten und da der Termin an einem Wochenende liegt, sind viele auch mit anderen Dingen verpflichtet. Manch lokaler Poet ist auch
auf Tour in weiter entfernten Regionen. Aber drei haben noch zugesagt, mit acht Künstlern, davon sieben im Wettbewerb und einer als Rahmenprogramm, lässt sich ein super
Abend gestalten. Ich aktualisiere das Line-up in der Facebook-Veranstaltung (erst 13
Zusagen) und schicke dem lokalen Veranstalter einen neuen Pressetext zur Weitergabe
an die Tagespresse.
Sa., 17. Januar
Ich setze die Teilnehmerinfo auf mit allen wichtigen Infos. Lokation, Check-in, was es an
Verpflegung gibt, wo die Auswärtigen übernachten können, wie der Ablauf ist und wie
es mit der Abrechung für Fahrtkosten und einem kleinen Trinkgeld läuft. Große Gagen
sind selten, ich achte darauf nur Slams zu organisieren, wo zumindest ein kleines Trinkgeld für die Künstler rausspringt, man muss sich ja oft noch ein Mittagessen kaufen,
wenn man auf Tour ist.
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So., 18. Januar
Eine Absage! Einer, der seit längerem gebuchten Slammer hat den Termin verbummelt,
wohl wegen des Jahreswechsels und zu spätem Zulegen eines neuen Kalenders. Jetzt
hat er den Tag doppelt vergeben und der andere Termin ist ein bezahlter Gig in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes. Da kann man nichts machen. Ich sage, es sei nicht so
schlimm, ich fände schon noch jemanden. Ich schreibe die drei Leute aus dem Gruppenchat an, die gar nicht geantwortet hatten, ob es vielleicht ginge, weil eben jemand
abgesagt habe. Im Einzelverlauf kommen die Antworten schneller und nach 2 Stunden
habe ich alle Antworten. Maria kann. Sie hat sowohl lustige als auch ernste Texte, kann
sich also wunderbar dem Abend anpassen.
Mo., 19. Januar
Heute ist der Newsletter an der Reihe. Fünf bis sechs Tage vorher ist immer eine gute
Zeitspanne für eine Erinnerung an die interessierten Menschen vor Ort, die sich bei
vorangegangenen Terminen eingetragen haben. Ich kopiere den Text der FacebookVeranstaltung (16 Zusagen, immer noch nicht das Wahre) und schreibe noch eine persönliche Formulierung zur Begrüßung sowie zur Verabschiedung dazu. Den Link zur
Eventseite im blauen Netzwerk baue ich auch mit ein, auch hier der Hinweis, dass wir
uns über Unterstützung bei der Promotion freuen.
Mi., 21. Januar
Die Facebook-Veranstaltung hat mittlerweile 25 Zusagen, ich glaube mich zu erinnern,
dass es beim letzten Mal etwas mehr waren und dann etwa 3 Mal so viele Leute da
waren. Wenn man das hochrechnet wären wir bei 75 Zuschauern, wobei man es nie
hundertprozentig sagen kann. Aber bei regelmäßigen Reihen kristallisiert sich schon
ein gewisser Quotient heraus, der relativ zuverlässig über den Ansturm am Abend
Vorhersagen liefern kann. Hier kann man noch ein bisschen pushen. Ich tippe: „Alle
die heute oder morgen die Veranstaltungsseite teilen, bekommen eine Tüte Gummibärchen am Veranstaltungstag“. Bestechung, ich weiß, aber jeder Gast mehr ist fünf
Gummibärchentüten wert und trotz aller Liebe zur Kultur, man muss auch ein bisschen
Geschäftsmann sein.
Fr., 23. Januar
Um 9:30Uhr hat mich Christian angerufen. Erst entschuldigt er sich, weil er so früh anrufe, nicht dass er mich geweckt habe (hat er nicht. Länger als neun bleibe ich selten
liegen, auch wenn die Veranstaltung am Ende wegen eines anschließenden Kneipenbesuchs länger dauerte) und dann kommt eine große Entschuldigung hinterher, dass
er absagen müsse, wegen Halsentzündung. Ich wünsche ihm gute Besserung und sage,
dass wir das bald nachholen würden. Auch hier kann man nicht sauer sein, aber sich
ärgern. Christian war als Featured-Artist eingeplant, also außerhalb der Wertung mit
drei Texten. Und einen Tag vorher ist super knapp. Ich krame die Teilnehmerliste heraus, streiche Christian und überlege, wen man stattdessen als Special-Guest aufrücken
lassen könnte. Da ist niemand dabei, den man jetzt bevorzugen möchte. Von den aktuellen Teilnehmern hat niemand einen Titel. Nicht, dass es darum ginge beim Slam,
aber um als Featured gesetzt zu werden, sollte man sich eben doch etwas absetzen.
Ich überschlage kurz das zur Verfügung stehende Budget, mehr als Christian sollte der
nachgebucht Künstler auf keinen Fall kosten, der wäre auf Tour gewesen und hätte
am Tag danach in die Schweiz gemusst. Ideal für jemanden, der aus Weimar kommt,
kendorf quasi auf der Strecke und der Fahrtkostenanteil wäre nur bei 35 Euro gelegen.
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Dazu eben noch die Gage für das gestalten des Rahmenprogramms. Also maximal aus
München. Schreibe die Münchner Sammer an, sage auch dazu, dass es sich um einen
Featured-Auftritt handelt, als mit ein bisschen Gage verbunden ist. Sonst käme bestimmt eh niemand mit so wenig Vorlauf für einen Auftritt mit Übernachtung, da sind ja
dann doch zwei Tage angebrochen.
Sa., 24 Januar
Heute ist der Slam! Die Facebook-Zusagen liegen bei 33. Ich glaube das ist ähnlich wie
letztes Mal, also hoffe ich einfach auf ca. 100 Besucher. Das läge im Rahmen der Erwartungen. Nur drei Leute haben die Veranstaltung geteilt, also lege ich gleich drei
Packungen Gummibärchen auf den Stapel mit den anderen Kleinutensilien, den ich
gestern Abend noch vorbereitet hatte. Da sind die Jurytafeln dabei, die Loszettel, die
Moderationskarte, die Newsletterliste, Kulis, Flyer, meine eigenen Bücher zum Verkaufen, die Flasche Wein für den Sieger, der Schlüssel für die Künstlerunterkunft und die
Wegbeschreibung dazu. Um 17 Uhr beginne ich das Auto zu beladen. Der Poetry Slam
heute ist in einer Sporthalle, da gibt es keinerlei Veranstaltungstechnik. Sonst versuche
ich alle Veranstaltungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, aber wenn
man Boxen, Mischpult, Lichtstative und Schweinwerfer mitschleppen muss, geht das
nicht. Wobei Seukendorf sowieso nicht gut angebunden ist, sodass auch so eine Autoanfahrt sinnvoll wäre. Nach sechs Gängen vom Keller zum Auto und zwei von der
Wohnung mit dem Kleinkram und meinen Bühnenklomotten ist Abfahrt angesagt. Eine
halbe Stunde dauert die Anfahrt, um 18 Uhr bin ich mit dem Veranstalter verabredet.
Vor Ort ist Aufbau angesagt, dann Sound- und Lichtcheck, um 19 Uhr passt alles. Die
erste Künstlerin kommt gerade. So muss ich nicht alleine über das Catering herfallen.
Um 19:20 Uhr kommen die ersten Gäste, das ist ein gutes Zeichen, ein Auto mit drei
Künstlern, die eine Fahrtgemeinschaft gebildet haben, kommt auch an. Ein bisschen
nervös werde ich langsam. Ich bestelle mir ein Radler, da ich noch Autofahren muss,
gibt es heute kein Bierchen vorher. 19:40 Uhr: Eine SMS kommt. Thomas hat aufgrund
einer Zugverspätung den Bus verpasst, er nimmt den nächsten und ist erst um 20:11
in Seukendorf. Von der Haltestelle sind es noch zehn Minuten Fußweg. Ich sage ihm,
er soll ruhig bleiben, ich werfe seinen Loszettel erst in den Pott, wenn er im Raum ist.
20:07Uhr: Der Veranstalter spricht eine kurz Begrüßung. Fast alle der gestellten 120
Stühle sind belegt, danach übergibt er das Wort an mich. Ich erkläre die Slam-Regeln,
dann den Ablauf des Abends, stelle die Künstler vor und leite über zum Rahmenprogramm. Keiner der Münchner hatte Zeit, ich habe deshalb heute morgen beschlossen
selbst als Featured Artist aufzutreten. Spart Geld, das wir an alle Teilnehmer ausschütten können. Ich mache einen eher flotten Text und nach dem Applaus wird der erste
Teilnehmer für den Wettbewerb gelost. Dramatische Worte für die Ankündigung, der
Slam hat soeben begonnen. In knapp zwei Stunden wird ein Sieger oder eine Siegerin
gefunden sein, dann heißt es noch nette Gespräche, noch ein Radler und der Abbau
der Technik. Am Ende sind alle zufrieden, vor allem Maria. Sie war ja vor ein paar Tagen
erst eingesprungen und freut sich über die Flasche Wein und ihren gerade einmal
fünften Slam-Sieg. Die beiden Überregionalen waren mit im Finale, richtig abgestraft
wurde niemand und auch der Veranstalter ist glücklich. 95 zahlende Gäste, fast so
viele wie letztes Mal, wir machen auf jeden Fall eine dritte Ausgabe.
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Auch ich bin zufrieden. Ein Folgeauftrag ist zu Stande gekommen und durch meinen
notfallmäßigen Auftritt als Featured Artist, konnte auch ich zeigen, dass ich Texte
schreiben kann, die ankommen. Neun Bücher sind verkauft, so viele wären es nicht
geworden, wenn ich „nur“ moderiert hätte. Alles gut, ich kann mir einem Lächeln
einschlafen, wie meist nach einer Veranstaaltung...
--Anmerkungen:
Die Zeitspannen sind natürlich von Slam(veranstalter) zu Slam(veranstalter) unterschiedlich, die Zahlen sind fiktiv. Oft arbeitet ein ganzes Team oder ein Verein an
einem Poetry Slam, manchmal kommen auch noch Aufgaben hinzu, wie Betreuung
einer Homepage, und Nachbereitung in Form von Fotoserie oder gar Youtube-Videos
des Abends. Bei mir ist es tatsächlich so, dass ich alleine arbeite und ein Slam ca. 15
Stunden Arbeit macht. Die zwei Stunden davon auf der Bühne machen definitiv den
meisten Spaß, wobei ich auch im Organisieren ganz gut aufgehe. Und zum Glück sagt
nicht immer zwei Tage vorher der Featured Artist ab :-)
Michael Jakob organisiert und moderiert in über 15 Städten Süddeutschlands regelmäßig Poetry Slams. Etwa sieben bis acht Veranstaltungen sind es pro Monat.
Nebenbei hat er zwei Lehrauträge für Poetry Slam (TH Nürnberg, FH Coburg), gibt
Schulworkshops, arbeitet als Moderator für Events aller Art, veröffentlicht Texte in
Anthologien oder eigenen Büchern und steht regelmäßig mit seiner Lesebühne DLDA
oder solo auf der Bühne.
Weitere Informationen unter
www.michaeljakob.de und www.facebook.com/jakobmichl
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Was ist eigentlich...
… Soziokultur?
Ein Beitrag von Ilona Trimborn-Bruns
Die Marke Soziokultur
Soziokulturelle Arbeit wird als kultureller Ansatz von allen geschätzt. Bund, Land und
Kommunen, alle sind begeisterte Anhänger einer Kulturpraxis, die sich unterschiedlichsten Auffassungen von Kultur öffnet, durch kulturelle Beteiligung bürgerschaftliches Engagement fördert und die kreativ-kulturellen Kompetenzen vieler – unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft – in ihre Kulturarbeit integriert.
Ihr Kulturverständnis ist gekennzeichnet durch die Maxime von Joseph Beuys, dass
jeder Mensch das Potential besitzt, ein Künstler zu sein. In diesem Sinn arbeitet Soziokultur stark an der Aufhebung der Trennung von professioneller und Amateurkunst.
Ja, es ist richtig. Soziokultur ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Ihre
Arbeitsweise ist Mainstream geworden und wird gerne von etablierten Kultureinrichtungen übernommen. Aber, was verbirgt sich hinter diesem eher spröden Begriff?
Ilona Trimborn-Bruns ist Geschäftsführerin der LAKS Baden-Württemberg e.V.
Wie alles begann
Die ersten Kultur- und Kommunikationszentren entstanden in den 1970 er Jahren
zumeist in größeren Städten vor dem Hintergrund einer Entwicklung, die als „die Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Alexander Mitscherlich) in die gesellschaftliche Debatte
einging. Es ging den GründerInnen auch darum, neben der aktiven Kulturgestaltung,
der räumlichen Trennung von Arbeiten, Wohnen und Freizeit etwas entgegen zu setzen. Sie wollten einen Ort schaffen, an dem kritische Öffentlichkeit ihren Platz hatte.
Oftmals wurden Gebäude hierfür genutzt, die aufgrund der wirtschaftlichen Veränderungsprozesse ihre ursprüngliche Funktion verloren hatten. Diese frühere Nutzung ist
noch oft im Namen der Zentren erkennbar geblieben, wie E-WERK, Sudhaus, Manufaktur.
Im ländlichen Raum fand eine ähnliche Bewegung statt, in der besonders die auf dem
Land verkrusteten Kulturvorstellungen mit frischem Wind versehen werden sollten.
Was daraus wurde
Die Soziokulturellen Zentren und Initiativen in Baden-Württemberg verfolgen alle
das Prinzip der Soziokultur als Zentrumskonzept, d.h. wichtiges Kriterium ist, dass
die soziokulturelle Arbeit in einem Zentrum, einem festen Ort stattfindet, der regelmäßig geöffnet und mit kulturellen Aktivitäten gefüllt wird. Die Breite der Angebote
und Sparten, die große Zahl der Belegungen, die Bedeutung der Arbeit für kulturelle
Bildungs- und Netzwerkarbeit werden in zahlreichen Zentrumsberichten und der Statistik der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. „Soziokulturelle Zentren
in Zahlen“ bestätigt.
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Diese Soziokulturellen Zentren und Kulturinitiativen sind im Besonderen
Ort für
- Kulturelle Teilhabe,
präsentieren sich als
- Kultur- und Kunstlabor,
betreiben
- Künstlerförderung,
- Kunstvermittlung,
verpflichten sich den Aufgaben,
- neue Tendenzen im „Kulturbetrieb“ aufzuspüren,
- Kulturinteressierten eine Plattform zu geben,
- Kunst und Kultur immer live auf die Bühne zu bringen und
- im urbanen und ländlichen Raum aktiv zu sein.
So unterschiedlich die Formate auch sind, immer wieder werben die Zentren für ihre
Arbeit, um neue Zielgruppen und neue Interessenten für ein aktives Kulturverständnis
zu gewinnen. Alter, Geschlecht und Herkunft spielen dabei keine Rolle, sich kreativkulturell zu beteiligen.
Hier wird kommuniziert, reflektiert und partizipiert. Die Netzwerke der Soziokulturellen Zentren dienen der Förderung kultureller Vielfalt, der verbesserten Kommunikation zwischen kulturaffinen und kulturfernen Akteuren und ermöglichen neue Wege
innovativer Kunstgestaltung.
Die Verortung der Mitglieder ist landesweit, sowohl im urbanen als auch im ländlichen
Raum.
… stark in der Stadt
In den Städten sehen die MacherInnen in den Einrichtungen ihre kulturelle Aufgabe
oftmals darin, Nischenkunst, Avantgarde oder ungewöhnliche künstlerische Formate auf ihre Bühnen zu holen, um das durch Massenmedien Mainstream geleitete
Kunstverständnis aufzubrechen und eigenwillige und innovative Kunstformate dem
kunstinteressierten Publikum anzubieten.
… stark im ländlichen Raum
Etwa zwei Drittel der Mitgliedsvereine kommt aus Gemeinden mit weniger als 100.000
Einwohnern. Hier sind soziokulturelle Akteure ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft und vielerorts das einzige Kulturangebot. Neben den reinen Kunstveranstaltungen sind ehrenamtliches Engagement sowie Teilhabe an Kunst und Kultur oftmals die
treibenden Kräfte.
Wer sich dahinter verbirgt
Struktur
62 Einrichtungen sind im Netzwerk der Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und Soziokulturellen Zentren (LAKS) in Baden-Württemberg e.V. Mitglied. Alle sind
in freier Trägerschaft und als gemeinnützig anerkannt.
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Lediglich zwei Einrichtungen sind keine eingetragenen Vereinen, sondern gGmbH
und Stiftung. Ca. 50% der Einrichtungen werden rein ehrenamtlich geleitet, 30% haben 1-3 Festangestellten und lediglich 20% haben zwischen 4 und 20 Angestellten in
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen.
Finanzierung
Laut dem Statistischen Bericht „Soziokulturelle Zentren in Zahlen 2013“ der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. betrugen die Gesamteinnahmen der Soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg 27,5 Mio. Euro. 39% wurden durch die
Kommunen zur Verfügung gestellt, das Land beteiligte sich mit 11% und 6% stellte
der Bund durch die Bezuschussung von Baumaßnahmen, knapp 1% wurden durch
Stiftungen und Sonstige aufgebracht. Die Eigeneinnahmen der Zentren und Initiativen lag im Durchschnitt bei 43%. Einige Zentren erwirtschafteten sogar einen Eigenanteil von bis zu 87% der Gesamteinnahmen.
Angebotsspektrum
Das Angebotsspektrum der SoziokulturellenZenten umfasst einmalige Veranstaltungen, kontinuierliche Angebote und die Möglichkeit, sich in ungezwungener Atmosphäre zu treffen. Das angebotene Spektrum ist breit gefächert und reicht von Musik,
Film, Theater, Tanz über Lesungen und Ausstellungen bis hin zu neuer Zirkus, Festivals,
Varieté und Märkten. Die Zentren arbeiten sowohl mit etablierten Künstlerinnen als
auch mit Newcomern und Experimentierfreudigen zusammen, Profis stehen neben
Amateuren. Die Devise „Raum geben“ wird hierbei sowohl räumlich als auch ideell
verstanden.
Was macht die LAKS BW e.V.?
Die LAKS berät, unterstützt und vernetzt ihre Mitglieder in organisatorischen, finanziellen und verwaltungstechnischen Fragen, bearbeitet jährlich die Landesförderanträge und erstellt die Empfehlung für die Vergabe der Landesmittel im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK). Die LAKS führt Gespräche mit
Kulturpolitik und -verwaltung auf Landesebene und berät entsprechende Gremien zu
soziokulturellen Fragestellungen. Ferner nimmt sie an den Themen der öffentlichen
und politischen Diskussion, wie Kulturelle Bildung an Schulen, Interkulturelle Öffnung
der Kulturarbeit und Inklusion teil, beteiligt sich an landesweiten Arbeitsgruppen hierzu und trägt die Diskussionen und Ergebnisse in die Zentrumsarbeit.
In den letzten Jahren wurden künstlerische und gesellschaftspolitische Formate entwickelt, die die Netzwerkarbeit unterstützen und nach außen publik machen.
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Spotlight Soziokultur
Diese jährliche stattfinde Veranstaltungsreihe spannt einen kulturellen Bogen über
viele Mitgliedseinrichtungen. Passend zum Jahresmotto der LAKS, in 2015 „Wir finden
Worte“, zeigt sich ein Schaufenster soziokultureller Vielfalt.
Discussing Workshop
Das ebenfalls jährlich stattfindende Format des Discussing Workshops behandelt Themen, die den Akteuren in den soziokulturellen Zentren gesellschaftspolitisch wichtig
sind. Im Jahr 2014 wurde der alltägliche Rassismus im Kulturbetrieb thematisiert. Inputs
von Fachleuten, Diskussionsrunden und Workshops bearbeiten das gestellte Thema.
Publizistisch begleitet wird die Tagung von einer/m unabhängigen Journalistin/Jounalisten.
Verleihung Amalie und Theo Pinkus Kulturpreis
Im zweijährigen Rhythmus verleiht die LAKS ihren Amalie und Theo Pinkus Kulturpreis,
der in diesem Jahr unter dem Themenschwerpunkt „Engagement zur Schaffung von
FreiRäumen für Flüchtlinge“ steht. Er ist dotiert mit einem Preisgeld in Höhe von 1.500
Euro sowie einer individuell angefertigten Stele des Bildhauers Peter Jacobi.
Für weitere Informationen:
Ilona Trimborn-Bruns
Geschäftsführerin
LAKS Baden-Württemberg e.V.
Alter Schlachthof 11
76131 Karlsruhe
Tel.: 0721/470 419 10
Fax.: 0721/470 419 11
Email: [email protected]
www.laks-bw.de
Alle im Artikel genannten statistischen Zahlen beziehen sich auf:
Soziokulturelle Zentren in Zahlen, Statistischer Bericht 2013,
Hrsg. Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V., Berlin 2013
www.soziokultur.de
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Was ist eigentlich...
… der club alpha 60 e.V.?
Ein Beitrag von JC Birkel, staatl. gepr. Betriebswirt - Fachrichtung
Marketing,studiert Betriebswirtschaft und Kultur-, Freizeit-,
Sportmanagement an der ReinholdWürth-Hochschule in Künzelsau.
Der Soziokulturverein „club alpha 60 e.V.“ wurde 1966 von sieben, in Heidelberg eingeschriebenen, Haller Studenten gegründet und ist heute der bundesweit älteste seiner
Art. In der Gründung des Vereins kam das Anliegen junger Menschen in Schwäbisch
Hall zum Ausdruck, einen repressionsarmen Freiraum zu schaffen, um die Persönlichkeitsentwicklung, unabhängig von der damals immer noch in den Institutionen
behafteten „(Vor-)Kriegsgeneration“ zu bestreiten. Der Vereinsname nimmt Bezug auf
den französischen Science-Fiction-Film „Alphaville“ von Jean-Luc Godard. Hierin wird
ein Zukunftsszenario gezeichnet, wonach Computer und Maschinen, allen voran der
Superrechner „Alpha 60“, das menschliche Leben dominieren und jegliche Gefühle als
irrational und nicht berechenbar verbieten.
Als erstes Vereinslokal konnte das damals schon lange leerstehende und in einem
schlechten baulichen Zustand befindliche Caféhaus in den Ackeranlagen, das heutige
Anlagencafé, gepachtet werden.
Während man sich anfangs noch zu gemeinsamen „Beat-Abenden“ verabredete und
damit einen modernen und selbstverwalteten Gegenentwurf zu den traditionellen
Tanzlokalen der Stadt bot, wuchs mit der Zahl der Mitglieder schnell das Angebot des
Vereins und schon bald gründeten sich Arbeitskreise (AK), die sich schwerpunktmäßig
mit verschiedenen Aspekten der demokratischen Zusammenlebens und der politischen Gegenwart befasst haben. So gründete sich zunächst der AK Bar, der sich um den
Barbetrieb des Vereinslokals gekümmert hat. Zeitnah entstanden auch beispielsweise
der AK Politik und der AK alpha press, welcher bis vor wenigen Jahren das gleichnamige
Monatsmagazin des Vereins herausgab.
Sehr schnell wuchs der Verein und wurde bald zu einer festen Institution im Haller
Kultur- und Freizeitprogramm, aber auch, insbesondere durch die Einflüsse der Studentenbewegung, zu einer Plattform des zunehmenden politischen Meinungsaustausches
und der politischen Betätigung. So trat der bekannte Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, im Februar 1968 bei einer vom Verein veranstalteten „Woche der
Demokratie“ im Schwäbisch Haller Neubausaal auf.
In musikalischer Hinsicht konnte der Verein immer wieder herausragende, aber noch
weitgehend unbekannte Künstler in die Stadt holen, die ihre ersten „musikalischen
Gehversuche“ in Schwäbisch Hall unternahmen. So gastierte beispielsweise im Dezember 1969, wenige Wochen vor Veröffentlichung ihrer ersten Schallplatte, eine junge
Musikgruppe aus England im „club“. Diese Gruppe wird mit ihrer ganz eigenen Interpretation des Blues ein neues Genre schaffen und Musikgeschichte schreiben, sie werden
weltweit Stadien füllen und in die „Rock´n´Roll Hall of Fame“ aufgenommen. Ihr Name:
Black Sabbath.
Zahlreiche weitere Künstler aus dem In- und Ausland haben das vom club alpha 60
e.V. maßgeblich mitgestaltete Kulturprogramm der Stadt in den vergangenen gut 48
Jahren erheblich bereichert.
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In den frühen siebziger Jahren gründete sich der AK Film, welcher sich, ergänzend
zum kommerziellen Lichtspielprogramm der privaten Kinobetreiber der Stadt, als so
genanntes Programmkino „Kino im Schafstall“ schnell einen Namen gemacht hat.
Im Jahre 1974 konnte der Verein ein historisches Gebäude aus dem 15. Jahrhundert in
der Haller Innenstadt käuflich erwerben und im Laufe der folgenden Jahre grundlegend
und den Anforderungen an die Vereinsbelange, wie auch denen des Denkmalschutzes
gerecht werdend renovieren. Hier befinden sich bis heute kleinere Versammlungsräume, das Vereinsarchiv und die Geschäftsstelle.
Das Vereinslokal fand, nachdem im Zuge der Landesgartenschau in Schwäbisch Hall die
Innenstadtgrünanlage „Ackeranlagen“ aufgewertet wurde, im Jahre 1985 eine bis heute provisorische Heimat im „Löwenkeller“ an der Stuttgarter Straße. Die vor gut einem
Jahr entfachte Diskussion um einen neuen Standort des Vereinslokals wird möglicherweise ein baldiges Ende dieser Interimslösung herbeiführen.
Das in der Satzung manifestierte Vereinsziel, sich für die „Demokratisierung der Gesellschaft“ einzusetzen, wird nicht zuletzt im Umgang miteinander gelebt. Nach innen
ist der Soziokulturverein streng basisdemokratisch aufgestellt. Jeder Interessierte hat
die Möglichkeit, an den stets öffentlichen Sitzungen der verschiedenen Arbeitskreise,
wie auch des Vorstandes teilzunehmen, mitzudiskutieren, mitzuplanen, an den unterschiedlichsten Aktionen, Projekten und Veranstaltungen mitzuwirken und sich selbst
einzubringen. Als anerkannter Träger der freien Jugendhilfe bietet der Verein insbesondere jungen Menschen seit jeher die Möglichkeit der Selbstentfaltung.
Löwenkeller, Bar
Durch das große und ausschließlich ehrenamtliche Engagement der zahlreichen Aktiven, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten an dem Programm und bei den Veranstaltungen arbeiten, ist es bis heute möglich, ein niederschwelliges aber anspruchsvolles Kulturangebot bereitzustellen, das es vielen Menschen unterschiedlichster Sozialisation
möglich macht, an Kultur teilzuhaben. Die jährlich über 100 Kinovorstellungen, über 30
Wort- und Musikveranstaltungen und zahlreiche Sonderprojekte wie das Amateurfussballturnier „Alpha-Cup“ oder die Aktionen zum Weltkindertag zeigen, wie „MitmachKultur“ funktioniert.
Löwenkeller, Bühne
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Was ist eigentlich...
… Worms: Jazz & Joy?
Ein Beitrag von David Maier
Weit ausgeholt: Im vergangenen Jahr ist der bekannte belgische Opernintendant
Gérard Mortier verstorben. In Erinnerung bleibt vor allem seine fantastische wie ebenso streitbare Arbeit in Salzburg, für viele Kulturmanager aber zugleich die erheiternde
und zugleich nachdenklich machende Aussage, in Frankreich gäbe es mehr Festivals als
Käsesorten. Diese durchaus pointierte Analyse einer kulturelle Entwicklung kann man
auch ohne Weiteres auf die deutsche Kulturlandschaft übertragen: Das kulturelle Angebot wird zunehmend geprägt von einem „Event-Denken“, der große „Kultur-Blockbuster“ bestimmt die öffentliche Wahrnehmung, so genannte Leuchtturmprojekte – das
gilt gleichermaßen und genreübergreifend für alle kulturellen Ausdrucksformen.
Woran liegt das? Immer noch darf und kann Kultur alles, aber sie muss eben auch. Sie
muss sich zeigen, präsentieren, wehren. Kultur muss streiten – und zwar um Aufmerksamkeit. Dann muss Kultur am Besten auch noch eine Stadt attraktiver machen, Touristen anlocken und die Wirtschaft ankurbeln. Sie muss Aufmerksamkeit schaffen – für
sich und anderes.
Tim Bendzko & Band, 2014
Zur Frage: Das 3-tägige Multi-Genre Festival Worms: Jazz and Joy ist – wie so viele andere kommunale Festivals auch – in den frühen 1990er Jahren entstanden und genau
solch ein Leuchtturmprojekt einer Mittelstadt mit 80.000 Einwohnern. Das vielfältige
Musikprogramm und das einzigartige Ambiente locken jedes Jahr über 20.000 Besucher an. Schließlich ist Worms: Jazz and Joy das wohl größte und wichtigste kommunale
Musikfestival in Rheinland-Pfalz.
Als künstlerischer Leiter des Festivals habe ich in den vergangenen drei Jahren überwiegend an der musikalischen Profilierung des Festivals gearbeitet. Gerade weil das
Festival jedoch nur an einem Wochenende im Jahr stattfindet, steht das Kulturmanagement vor interessanten Herausforderungen und muss sich aus seinem reichhaltigen
Instrumentenkasten bedienen. Tagtäglich beschäftige ich mich also auch mit den
Fragen: Wer ist mein Publikum? Und: Wer ist nicht mein Publikum? Wie kann ich die
Marke Worms: Jazz and Joy stärken und sowohl in der Wormser Bevölkerung als auch
überregional profilieren?
Schlossplatz, Worms
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Zurück zu den „Käsesorten“: Es ist offensichtlich, dass sich das Kundenparadigma
selbst im öffentlich geförderten Kulturbereich längt durchgesetzt hat. Das ist in Worms
nicht anders – es geht um Aufmerksamkeit und Effekte. Die nüchterne Feststellung von
Gérard Mortier wird aber erst dann zur Kritik, wenn darunter die künstlerische Qualität
leidet. Bisher ist es mir gelungen, dies zu verhindern.
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Was bedeutet...
... Kulturentwicklungsplanung?
Ein Beitrag von Bernward Tuchmann
Ist Kulturentwicklung „planbar“?
Vorab: der Begriff „Kulturentwicklungsplanung“ ist irreführend. Ein Kulturentwicklungsplan bzw. eine kulturelle Planung plant nicht die Entwicklung von Kunst und Kultur,
weder kulturelle Inhalte, Programme oder Angebote noch verfolgt sie dramaturgische
oder kuratorische Ziele. Geplant wird der Rahmen, in dem sich das künstlerische und
kulturelle Leben innerhalb einer Gebietskörperschaft entwickeln kann. Neben dem in
der Praxis gängigen Begriff „Kulturentwicklungsplan“ kursieren viele andere Namen
für kulturelle Planungen, u.a. Kulturkonzept, Kulturanalyse, Kulturbericht, Kulturförderplan, Kulturprofil oder auch Kulturrahmenplan.
Historische Entwicklung
Bernward Tuchmann, TUCHMANN Kulturberatung (Münster / Berlin)
In Deutschland verlief die Anwendung kultureller Planungen grob in drei zeitlichen
Phasen: in den 1970er und 80er Jahren hatten Kulturentwicklungspläne die Funktionen,
den Weg zur „Neuen Kulturpolitik“ zu ebnen und darüber hinaus Teil der Stadtentwicklungsplanung zu sein (frühe Beispiele: Osnabrück, Göttingen, Nürnberg). Ende der 80er
bis Mitte der 90er Jahre stand im Anschluss an die Wiedervereinigung Deutschlands
die inhaltliche Annäherung an andere Bereiche, insbesondere die Wirtschaft im Mittelpunkt, knapper werdende finanzielle Ressourcen wurden zum Bestandteil der Pläne,
während gleichzeitig der kulturpolitische Aspekt an Bedeutung verlor.
Ende der 1990er Jahre wurden kulturelle Planungen vielschichtiger, übergeordneter
und kommunikative-koordinierende Elemente gewannen an Bedeutung. Eine aktuelle,
vierte Phase deutet eine „Renaissance“ der Kulturentwicklungsplanung an, welche sich
geographisch nicht auf Kommunen beschränkt, sondern auch in Regionen und Bundesländern (Westfalen-Lippe, Thüringen, Schleswig-Holstein) diskutiert und gehandelt
wird. Beispiele aus Österreich für kulturelle Planungen sind die Städte Linz und Salzburg
sowie das Burgenland.
Inhalte und Planungsphasen
Kulturentwicklungsplanung beinhaltet eine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme und Zustandsbeschreibung des kulturellen Angebotes, die Einschätzung
zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen, formuliert übergeordnete kulturpolitische Ziele und Leitlinien sowie – daraus abgeleitet – eine Prioritätensetzung; sie enthält
dezidierte Informationen und Maßnahmen zur jeweiligen Zielerreichung und Umsetzung, quantifiziert finanzielle und personelle Ressourcen sowie die geplante zeitliche
Realisierung.
Kurz zusammengefasst gilt es im Prozessverlauf zunächst i. R. der Bestandsaufnahme,
grundlegende Fragen zu beantworten (u.a. Welches kulturelle Angebot hat eine Kommune im Bereich der öffentlichen wie freien Kulturarbeit? Was macht die Stadt kulturell
aus?), Stärken und Schwächen des vorhandenen Angebotes werden analysiert, reflektiert und in einer Auswertung kritisch gewür-digt (Was läuft gut? Wo bestehen Defizite?). Im Anschluss werden notwendige strategisch-kultur-politische Ziele definiert,
Maßnahmen sowie Handlungsalternativen benannt und daraus ein Maßnahmenkatalog entworfen.
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Kulturentwicklungsplanung ist ein Kommunikationsprozess
Generell ist zu empfehlen, auf langwierige, teils mehrjährige Planungsszenarien zu verzichten, da es schwierig ist, über lange Zeit die Konzentration und den notwendigen
„Spannungsbogen“ aufrecht zu erhalten; gleichzeitig darf dies nicht dazu führen, die
Analyse der Handlungsvoraussetzungen und die Zieldefinition zu vernachlässigen.
Planung bedeutet Kommunikation, d.h. ein Planungsprozess ist gleichzeitig auch ein
Kommunikationsprozess, welcher nur dann erfolgreich verlaufen kann, wenn die Bedeutung des Themas von allen Prozessbeteiligten (Politik, Verwaltung, Institutionen,
Kulturschaffende, Vereine, Öffentlichkeit, Medien) in einem transparenten Verfahren
begriffen und verinnerlicht wird.
Kulturentwicklungsplanung ist eine anspruchsvolle Aufgabe und setzt die Bereitschaft
zur aktiven und kontinuierlichen Mitwirkung voraus. Die Moderation des Planungsprozesses kann an externe Fachleute übertragen werden, welche wesentlich dazu beitragen, die Kommunikation abzusichern und dafür Sorge tragen, auf der „Langstrecke
Kulturentwicklungsplanung“ gemeinsam mit allen Akteuren das Ziel zu erreichen.
Chancen und Risiken
Im Erkennen und Benennen der kulturellen Identität liegt eine große Chance der Planung, Entwicklungen und Veränderungen können ebenso wie Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation identifiziert werden. Ein unkoordiniertes Handeln kann
verhindert werden, ein Plan hat zudem übergeordnete Bedeutung und dient daher
über einen längeren Zeitraum hinweg als Leitlinie in der politischen Argumentation.
Gute und fundierte Planung sichert konzeptionell und nachhaltig, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen. Im Idealfall gelingt die Entfaltung eines gemeinsamen
Verständnisses von kommunaler Kulturarbeit und Kulturpolitik.
Ergebnisoffene Planungsprozesse legen gleichzeitig auch Risiken offen: möglicherweise gibt es keine breite Akzeptanz bei den Beteiligten bzw. in der Öffentlichkeit, falsche
Erwartungen werden geweckt, Ängste als Konsequenzen aus der Analyse werden
wahrnehmbar und rein technischorganisatorisch können sich der „Planungstyp“ als
falsch (zu detailliert bzw. zu allgemein) und die Pro-zessdauer als zu lang erweisen.
Besonders enttäuschend ist das Szenario, dass im Anschluss an die Erarbeitung eines
Plans nicht dessen Umsetzung erfolgt.
Fazit
Ein Plan allein bewegt nichts. Eine Kulturentwicklungsplanung ist Grundlage, kein abschließendes Werk, sie ist kein Selbstzweck, sondern hilfreiches Instrument für einen
Prozess. Wie das Produkt dann heißt, ob „Kulturentwicklungsplan“, „Kulturkonzept“
oder auch „Wunschzettel“, ist im Ergebnis zweitrangig. Die Planung bildet die Basis für
Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der Kultur und sichert den Kulturschaffenden für
ihre Arbeit auf Grund von Transparenz die notwendige Rückendeckung.
www.tuchmann-kulturberatung.de
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Worum geht es eigentlich in ...
... „Der Circle“?
Eine Buchbesprechung von Prof. Dr. Raphaela Henze
Es war das Buch des Sommers 2014. Die FAZ widmete einem einzigen Buch die
gesamte Samstagsfeuilletonbeilage. Der kürzlich verstorbene Journalist und
Autor Frank Schirmacher hatte es noch kurz vor seinem Tod gelesen und als
visionär gepriesen. Das Buch musste also gelesen werden. Und so begann der
Kampf durch fast 500 Seiten zwischen ‚1984‘ und ‚Die Welle‘. Vorneweg: Das
Buch ist großartig, spannend und doch quälend. Der Leser begleitet Mae bei ihrem Einstieg in ein großes Internetunternehmen im sonnigen Kalifornien (Ähnlichkeiten zu realexistierenden Unternehmen sind nicht rein zufällig, sondern
sicher so gewollt). Sie hat einen echten Traumjob ergattert, viele beneiden sie
um diesen Glücksgriff - das Gehalt ist ungewöhnlich hoch, der Arbeitsplatz paradiesisch. Aber was aus Paradiesen so werden kann, ist aus Film und Literatur ja
hinlänglich bekannt. Das dieses „Circle“ genannte Internetunternehmen sukzessive dabei ist durch Akkumulation sämtlicher Daten die gesamte Privatsphäre
nicht nur seiner Mitarbeiter, sondern der gesamten Nutzer seiner Services (und
das ist schon so gut wie die ganze Welt) zu zerstören, wird dem geneigten Leser
recht schnell deutlich – nur leider, und das ist so quälend, begreift die gute Mae
nicht, wie zuerst sie selbst, dann die Menschen, die ihr nahestehen und dann
unzählige andere Teil einer totalitären Struktur werden.
Eggers geht sehr weit – aber nicht weit genug, um nicht doch noch realistisch
zu sein. Das ist die große Kunst dieses Buches. Dass wir in Deutschland über die
Überwachung des öffentlichen Raums streiten, ist wichtig. Das wir uns immer
wieder vor Augen halten, dass wir nicht alles im Internet veröffentlichen sollen
und wollen, ist ebenso wichtig wie anzuerkennen, dass es Menschen gibt, die
sich aus berechtigten Gründen den Netzwerken, die sich sozial nennen, es aber
nicht wirklich sind, verweigern. In „Der Circle“ geht es um ein existentielles Gut,
das viele insbesondere jüngere Menschen möglicherweise gar nicht mehr als
ein solches empfinden, es geht um das Recht auf Privatsphäre.
Die Meisten kennen das Volkslied „Die Gedanken sind frei …“ In Dave Eggers
lesenswertem und erschreckend realistischem Roman ist es nur noch eine Frage
der Zeit bis auch das nicht mehr der Fall ist. Lesen! Lesen! Lesen!
Ausgabe Nr. 6 | 02. Februar 2015
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Was passiert...
... wenn TTIP kommt?
Ein Beitrag zur aktuellen Lage von Andreas Kämpf
TTIP, CETA, TISA – es sind erst einmal nur Buchstabenkombinationen. Das klingt harmlos und im Fall von TTIP, zumindest für den deutschen Hörer, fast ein bisschen putzig.
Aber hinter diesen aneinandergereihten Buchstaben, steckt eine Menge gesellschaftlicher Zündstoff. Für die einen bedeuten sie den Anbruch einer glorreichen Zeit der Liberalisierung des Welthandels, für die anderen das Ende der Demokratie. Aus einigen
Hysterisierungen ist inzwischen die Luft wieder heraus. Jubelrufe über 400.000 neue
Jobs durch TTIP, die vor allem vom vorigen Handelskommissar De Gucht in die Welt
gesetzt wurden, mussten schon längst wieder einkassiert werden. Auf der anderen
Seite erfolgte eine Rehabilitierung der Chlorhühnchen, die zum Schreckensbild für die
Amerikanisierung unserer Lebensmittelproduktion geworden waren. Es stellte sich
heraus, dass sie nicht wesentlich ungesünder sind als unsere mit Antibiotika vollgepumpten Euro-Hühnchen.
Was sich hinter den Buchstaben verbirgt
Andreas Kämpf, Vizepräsident des Deutschen Kulturrates
Aber auch ohne Zweckoptimismus und ohne Zweckhysterie schlägt TTIP Wellen in der
öffentlichen Auseinandersetzung. Auch besonnene Geister sehen hier mögliche Gefahren für unsere Kultur und, was noch schwerer wiegt, für die Grundprinzipien einer
demokratischen Gesellschaft. Also, worum geht es? Bei TTIP, der „Transatlantic Trade
and Investment Partnership“, handelt es sich um ein geplantes Freihandelsabkommen
zwischen der Europäischen Union u
nd den USA. Es geht um den möglichst ungehinderten Austausch von Waren über
den Atlantik. Entgegen der naheliegenden Vermutung steht hierbei nicht der Abbau
von Zöllen im Vordergrund, da diese ohnehin schon kaum noch eine Rolle spielen,
sondern es geht um den Abbau sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse. Das
können unterschiedliche Normen, gesetzliche Regulierungen und vieles andere mehr
sein. Es geht also um Deregulierung. Um die Verhandlungsgrundlage deutlich zu machen, muss man an die deutsche Auto- und Maschinenbauindustrie auf der einen und
an Amazon, Google und Apple auf der anderen Seite des Atlantiks denken. Da gibt es
natürlich jede Menge Begehrlichkeiten.
Die Verhandlungen zu TTIP werden zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika geführt. Sie begannen im Juni 2013 und befinden sich
nach dem, was man hört, derzeit etwa in der Halbzeit. Von amerikanischer Seite möchte man sie auf jeden Fall noch vor dem Ende der Präsidentschaft von Barack Obama im
Jahr 2016 abschließen. Das würde bedeuten noch in diesem Jahr 2015. Bei CETA, dem
„Comprehensive Economic and Trade Agreement“, das zwischen der EU und Canada abgeschlossen werden soll, ist man da schon deutlich weiter. Das Abkommen ist
ausverhandelt und enthält sehr viele von jenen Punkten, die nach Ansicht der Kritiker
bei TTIP hoch problematisch sind. Irgendwie ist es bei CETA gelungen mit den Verhandlungen sehr lange unterhalb des Radars der kritischen Öffentlichkeit zu bleiben.
Und so kann man hier nun auch studieren, was mit großer Wahrscheinlichkeit bei TTIP
geschehen wird: Unter höchster Geheimhaltung wird ein Vertragstext verhandelt, der
dann als Gesamtpaket den politischen Gremien und der Öffentlichkeit vorgelegt wird.
Kritik an einzelnen Punkten wird abgeblockt mit der Warnung, dass das Aufknüpfen
des Paketes von der Gegenseite nicht akzeptiert würde und so das gesamte Verhandlungsergebnis in Frage gestellt sei.
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Zur Entscheidung steht das Gesamtpaket, nicht der einzelne Paragraph. Die gegenüber TTIP-Kritikern sehr oft von Politikern, aber auch von manchen Journalisten
geäußerte Mahnung, man solle sich doch nicht künstlich aufregen, schließlich wisse
man ja noch nichts Genaues und man solle doch erst mal das Verhandlungsergebnis
abwarten, erweist sich nach den Erfahrungen mit CETA als zynisch. Wenn es veröffentlicht wird, heißt es: Vogel friss oder stirb!
Der Deutsche Kulturrat gehörte am Anfang des Jahres 2013 zu den ersten, die wegen
TTIP Alarm schlugen. Inzwischen haben sich zahlreiche Umweltverbände, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac angeschlossen. Gemeinsam wurde von diesen 78 Organisationen aus 13 EU-Ländern eine Europäische
Bürgerinitiative lanciert, die mittlerweile von über einer Million Menschen europaweit
unterstützt wird.
Was hat das nun alles mit der Kultur zu tun?
Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der deutschen Kultur mit über 200
nationalen Mitgliedsverbänden, meint, dass die Konsequenzen für das deutsche und
europäische Kulturleben drastisch sein könnten. Wobei der Konjunktiv seine Bedeutung hat, denn auf Grund der nahezu völligen Geheimhaltung der Verhandlungen
kann nur von Sorgen, Vermutungen und Befürchtungen die Rede sein. Aber was bei
einem Warten auf gesicherte Ergebnisse geschehen wird, erleben wir bei CETA. Die
Bedrohungslage stellt sich natürlich je nach künstlerischer Sparte unterschiedlich dar.
Sehr vorsichtig gesagt, werden die deutschen Stadttheater und Opernhäuser kaum
unmittelbar betroffen sein, da hier auf der US-Seite kaum größere wirtschaftliche
Interessen erkennbar sind. Anders stellt sich das schon im Bereich Verlag und Buchhandel dar. Hier hat Amazon massive Interessen und die deutsche Buchpreisbindung
könnte leicht als unfaires Handelshemmnis klassifiziert werden. Die Folgen für das
deutsche Buchhandlungs- und Verlagswesen wären mit Sicherheit drastisch. Was das
bedeuten könnte, lässt sich in den USA beobachten: Außer in Universitätsstädten gibt
kaum es noch Buchhandlungen. Und ebenfalls wichtig zu wissen: In Ländern, in denen
die Buchpreisbindung weggefallen ist, wurden die Bücher entgegen den Erwartungen
nicht billiger sondern teurer. Ebenfalls von großem Interesse für die amerikanische
Seite ist natürlich die Filmwirtschaft. Nationale Filmproduktionen wie der deutsche,
aber auch der französische Film können gegenüber der US-Konkurrenz nur dank
umfangreicher nationaler und europäischer Filmförderprogramme wirtschaftlich
bestehen. Diese werden aber von der amerikanischen Filmindustrie seit jeher als Wettbewerbsverzerrung angesehen. Schließlich hat Hollywood das ja auch nicht. Ohne
Filmförderung wäre der deutsche und europäische Film in kurzer Zeit tot und mit ihm
die deutschen Filmkunstkinos, deren Programm zum großen Teil aus europäischen
Filmen besteht.
Pauschal kann man sagen, dass eher der Bereich Medien und alles, was sich unter
Begriffen wie E-Commerce und Digitalisierung abspielt für die Verhandlungen interessant sein dürfte. Ebenfalls pauschal kann man sagen, dass die Bedrohung für europäische Kulturinstitutionen dort am größten sein wird, wo rein marktwirtschaftlich
arbeitende US-Unternehmen in Konkurrenz zu öffentlich geförderten Einrichtungen
in Europa treffen. Dies könnte zum Beispiel im Bildungsbereich der Fall sein, wo USUnternehmen auf Gleichbehandlung mit öffentlich geförderten Einrichtungen klagen
könnten.
Hochsensibel aus deutscher Sicht ist natürlich auch die Frage des Urheberrechts,
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nicht nur aber vor allem im digitalen Bereich. Aber hierzu hat ja Günter Öttinger, der
neue EU-Kommissar für Digitales, soeben angekündigt, in nächster Zeit einen grundlegenden Vorschlag vorzulegen. Man darf also gespannt sein.
Ein Punkt von besonderer Brisanz sind die geplanten Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, kurz ISDS. Hier geht es um den Aufbau einer privaten Gerichtsbarkeit,
parallel zu den staatlichen Gerichten. Vor diesen Schiedsgerichtshöfen können große
Firmen Staaten verklagen, wenn diese zum Beispiel durch schärfere Umweltgesetze
wirtschaftliche Nachteile für die Konzerne erzeugen. Hat ein Schiedsgerichthof einen
Staat zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, ist Revision nicht mehr möglich. Dass
das nicht bloße Spekulation ist, zeigt gerade der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz verklagt. Allerdings noch vor staatlichen Gerichten.
An dieser Stelle ein kurzes Wort zu TISA, dem „Trade in Services Agreement“, zu
Deutsch „Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“. Dieses Abkommen wird
seit 2012 unter bisher perfekter Geheimhaltung verhandelt. Erst vor kurzem gelang es
Wikileaks einen Vertragsentwurf zu veröffentlichen. Vom Bildungsbereich ist hier z.B.
ausdrücklich die Rede. Es geht um Deregulierung
weltweit. Die Verhandlungen werden von 50 Staaten geführt. Für die europäischen
Staaten führt die EU die Verhandlungen. Unglaublich aber wahr: Der Vertragstext von
TISA soll erst frühestens fünf Jahre nach dem Inkrafttreten veröffentlicht werden!
Das permanente Plebiszit der Weltmärkte gegen das Plebiszit an der
Wahlurne
Hier wird spätestens klar, worum es bei all diesen Freihandelsabkommen geht: Den
Interessen großer, zumeist weltweit agierender Wirtschaftsunternehmen sollen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Da diese Hindernisse aber in der Regel von
demokratisch gewählten nationalen Regierungen geschaffen wurden, muss damit
gerechnet werden, dass es zu Widerstand aus der Bevölkerung kommt. Die Geheimhaltung der Verhandlungen dient dem Zweck die nationalen Zivilgesellschaften und
ihre Organisationen möglichst lange im Unklaren zu lassen. Bei TISA will man das Ganze auf die Spitze treiben, indem der Vertrag, selbst nachdem er in Kraft getreten ist,
weiter geheim bleibt. Hans Tietmeyer, der ehemalige Bundesbankpräsident, sprach
einmal vom „permanenten Plebiszit der Weltmärkte“, das doch deutlich wichtiger sei
als das „Plebiszit an den Wahlurnen“. Da hinter Verträge wie TTIP und TISA nicht zurückgegangen werden kann, ist es in Zukunft egal, wer Wahlen gewinnt, denn an den
einmal festgelegten Regelungen wird keine nationale Regierung noch etwas ändern
können. TTIP wurde auch schon als Staatsstreich in Zeitlupe bezeichnet.
Der Deutsche Kulturrat veranstaltet
am 21. Mai 2015, dem Tag der
Kulturellen Vielfalt, einen „Aktionstag
gegen TTIP, CETA und Co.“
Informationen hierüber finden sich
unter www.kulturrat.de. Das
aktualisierte TTIP-Dossier des
Deutschen Kulturrates kann unter
http://www.kulturrat.de/dossiers/ttipdossier.pdf (Vierte Auflage) kostenlos
geladen werden.
Ausgabe Nr. 6 | 02. Februar 2015
Wer bei TTIP übrigens darauf baut, dass ja der Bundestag das alles noch bestätigen
muss, der sollte sich auf Überraschungen gefasst machen. Noch ist unklar, ob es sich bei
TTIP um ein sogenanntes gemischtes Abkommen oder um ein reines Handelsabkommen handelt. Träfe letzteres zu, dann entscheidet nur die EU, Bundestag und Bundesrat
dürfen zuschauen.
Zum Glück hat sich in der deutschen und europäischen Zivilgesellschaft in den vergangenen Monaten ein breiter Widerstand formiert. Man kann der Europäischen Bürgerinitiative beitreten oder sich auch bei den unterschiedlichsten bürgerschaftlichen
Organisationen engagieren.
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Wussten Sie etwas über...
… das Vereinsheim?
Ein Beitrag von David Maier
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Das Vereinsheim, ein Projekt, das ich mit vier befreundeten Künstlern vor nun mehr als zwei Jahren ins Leben gerufen habe.
Es entstand mit der Idee eine neue Art von Konzerterlebnis zu schaffen. In der Konzertreihe Das Vereinsheim verschmelzen verschiedene Kunstformen – visuelle Kunst und
Musik – zu einem ganz besonderen Etwas.
Schon jetzt ist Das Vereinsheim mit seinem einzigartigen Veranstaltungskonzept ein
wesentlicher Bestandteil der popkulturellen Landschaft der Städte Mannheim und
Karlsruhe. Es fördert Nachwuchstalente aus der Region und präsentiert darüber hinaus Gäste, die selten in dieser Region zu hören sind. Es ist unsere ganz besondere Art
und Weise Popkultur zu fördern und für diesen Ansatz sowie unserem Beitrag zum
kulturellen Leben in der Stadt Mannheim wurde Das Vereinsheim jüngst mit dem GBGKulturförderpreis ausgezeichnet.
Hier geht es also um nachhaltige Kulturarbeit. Es geht um Stetigkeit. Nicht zuletzt aber
auch – und das ist der markante Unterschied zu vorigem Beispiel – um ein Kulturangebot, das aus einem kunstimmanten Impetus heraus, in völliger Unabhängigkeit von der
Nachfrage, geschaffen worden ist.
David Maier, Jahrgang 1982, Kulturmensch aus Worms, Lehrbeauftragter an
mehreren Hochschulen, auch an der
Reinhold-Würth-Hochschule in
Künzelsau
(c)wearedesign
Wer ist eigentlich...
… David Maier?
Als Musiker, Autor und Kulturmanager arbeitetet David Maier seit vielen Jahren gleichermaßen für und mit Musikern und Unternehmen aus der Musikbranche, stets zwischen
und über den Grenzen aus Rock, Pop, Jazz und World. Seit 2012 ist er künstlerischer Leiter des Worms: Jazz and Joy, darüber hinaus entwickelt und konzipiert er verschiedene
künstlerische Projekte, überwiegend für das Goethe Institut.
Dabei wird David Maier stets von einem Gedanken geleitet: „Ich möchte Kultur ermöglichen, möchte genreübergreifende Ideen verwirklichen und dabei im besten Fall auch
die Grenzen zwischen Sub- und Hochkultur verwischen.“ Kultur und Management sind
für ihn keine Gegensätze – es sind Bedingungen. Wer Kultur ermöglich will, der darf sich
auch der Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht verschließen.
Aktuelle Veröffentlichung von David Maier: POP/ RLP, Tectum Verlag.
Ausgabe Nr. 6 | 02. Februar 2015
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Wer ist eigentlich...
… Oliver Rath?
ARTikel: DJ, Fotograph, Fotoblogger, Künstler – Welche Bezeichnung gibst du dir
selbst am liebsten?
Oliver Rath: Überlebenskünstler (lacht). Nein, wortwörtlich. Ich hab‘ immer versucht
irgendwie davon zu überleben. Ich habe ja nix gegen jobben, aber ich würde halt nicht
mehr so viele Bilder machen können, wenn ich einen Job hätte. (...)
ARTikel: Du hast dich im Ausdruck deiner Kreativität verändert, bist vom Plattenteller
an den Fotoapparat. War der Umzug von Freiburg nach Berlin für dich die Möglichkeit
stärker als Fotograph wahrgenommen zu werden oder war es eher die Vielfalt an Motiven in der Hauptstadt?
Oliver Rath: Ich hatte zu viele Schulterklopfer in Freiburg. Das hat mir aber nicht gefallen, deswegen habe ich es ja nicht gemacht. Am Anfang hatte ich auch viel Hass.
Aber das ist eigentlich gut, Kunst muss polarisieren. Und es muss ja nicht immer alles
schön sein. (...) Berlin hat mir aber sehr geholfen, weil es das Haifischbecken ist. Also,
wenn man irgendwo lernen kann, dann dort, weil dort nichts cool ist. Alles ist uncool.
Du erntest da nicht schnell Lob, das musst du dir hart erarbeiten.
Oliver Rath, Künstler, DJ, Fotograf Berlin
und Freiburg
ARTikel: Du veröffentlichst ja deine Bilder zum Großteil schwarz-weiß und vor allem
Körper. Was für ein Blick steckt dahinter? Was gefällt dir daran so gut?
Oliver Rath: Ich sag‘ mal so...ich liebe auch bunt, aber ich mach‘s immer dann schwarz-
weiß, wenn‘s bunt nicht so gut aussieht. Für mich ist bunt die Königsdisziplin. Wenn‘s
in bunt aber nicht so wirkt, dann nehme ich schwarz-weiß, weil das immer geht. Und
manche Bilder haben mehr Tiefe in schwarz-weiß, wenn‘s zum Beispiel traurig ist oder
große Aussagekraft haben soll. (...)
ARTikel: Mit deinen Fotographien gibst du den Betrachtern die Möglichkeit, Bilder,
die vorher in deinem Kopf waren zu sehen. So befriedigst du einerseits gewisse voyeuristische Neigungen der Betrachter zeigst aber auch ganz viel von dir selbst. Wieviel
Exhibitionist steckt in Oliver Rath?
Oliver Rath: Oh, ganz viel. Ich meine, hier in Freiburg hab‘ ich noch FSK18-Filme gedreht und die unter den Kumpels verteilt, ich habe als DJ auch mal unten ohne aufgelegt oder bin nackig durch Züge gerannt. Das war schon ´ne wilde Zeit damals. Ich bin
ja ein alter Hiphopper. Und ich glaub auf den Hiphop-Jams hab‘ ich gelernt punkig zu
sein oder ich selbst zu sein. (...)
ARTikel: Setzt du dich bei deinen Shootings zeitlich selbst unter Druck?
Oliver Rath: Ja, extrem. Ich produzier‘ wie ein Schwein. Ich hab‘ jetzt bei der OlympiaKampagne Regie gemacht für die Berlinale-Kinospots und hab‘ vier Videos an einem
Tag abgedreht – inklusive Shootings. Ich bin da echt wie so ein Diktator am Rumschreien gewesen. Aber auch sonst. Ich mach‘ mir selber Druck. Es hat keinen Sinn, sich zu lange an einem Bild aufzuhalten, was vielleicht eh nichts wird. Deswegen bin ich absolut
dafür, wenn man im Gefühl hat, da war eins dabei, wechseln, neues Set aufbauen. (...)
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ARTikel: Zahlreiche Prominente lassen sich inzwischen von dir portraitieren. Wie ist
die Arbeit mit denen im Gegensatz zur Arbeit mit den professionellen Models?
Oliver Rath: (...) Mit den Künstlern selbst ist das überhaupt gar kein Problem, eher
mit dem Management oder dem Label. Da geht manchmal vor lauter Konzepten das
Wichtigste kaputt. (...) Manchmal komm‘ ich mit Prominenten auch nicht klar. Aber ich
bleib‘ immer der Gastgeber. (...)
ARTikel: Du bist 2010 nach Berlin gezogen und hast schon 2012 deine eigene Galerie
eröffnet. Was für ein Konzept steht hinter der Galerie?
Oliver Rath: Ich hatte schon einige Ausstellungen und dann kam irgendwann ein
Galerist zu mir und hat gemeint: „Irgendwann stell‘ ich dich in meiner Galerie auch
mal aus.“ Das fand´ ich doch ziemlich arrogant und da hab‘ ich mir gedacht, ich mach‘
selber ‚ne Galerie. Ich habe auch echt viel gelernt, welche Rahmen man nimmt, was
gibt‘s für Papier... Es war ein hohes Risiko, aber irgendwie haben wir‘s hinbekommen.
Und ich hab‘ auch endlich für jeden etwas, nicht nur für die Schönen und Reichen. Also
jemand, der kein Geld hat, kann einen von mir handgedruckten Jutesack mitnehmen,
die schenken wir raus. Oder auch T-Shirts für ´nen Low-Budget-Preis oder kleine Prints
und natürlich auch hochkarätig. Und ich will, dass sich jeder bei uns wohl fühlt und zum
Beispiel ein Glas Wein bekommt. Du kommst bei uns rein und bist willkommen, auch
wenn du nur auf der Couch hockst oder wenn du nur guckst. (...) Wir featuren aber auch
andere Künstler bei denen es dann auch persönlich stimmt. Wir versuchen da auch zu
helfen, um anderen Künstlern eben die Erfahrungen mit den Galerietypen zu ersparen.
Einer hilft dem anderen, das ist wichtig.
ARTikel: Da wären wir auch schon beim Nächsten: „Guter Rath ist teuer.“ Wie gestaltest du die Preisfindung bei deinen Werken?
Oliver Rath: Das macht alles meine Frau. Ich hab‘ alles mit Geld abgegeben. Weil ich
bei der Arbeit nach vorne raus will und das ist überhaupt nicht meine Welt. (...). Ich hab‘
nie wegen Geld Fotographie angefangen und das war noch nie meine Intention (...).
ARTikel: In Berlin wurde jüngst mit der im Amerika-Haus neu eröffneten c/o der Fotografie wieder eine viel beachtete Heimstatt gegeben. Warst Du schon in der neuen c/o,
wie gefällt sie Dir?
Oliver Rath: Die c/o mag ich total, das ist eine Hammergalerie, da gibt´s nichts. Ich finde aber schade, dass sie nicht mehr in der Auguststraße ist. Da sind rundherum so viele
Galerien, Johny Dar hat jetzt erst eröffnet, auch ich habe meine eigene in der Rosenthaler Straße und für mich ist da ein Stück Kultur in dieser Hot-Spot-Straße verlorengegangen. Auch für den Tourismus finde ich schade, dass das jetzt so auseinander gezogen
wurde. Ich glaube nicht, dass die Touristen jetzt rumfahren, um sich alles anzuschauen,
sondern die lassen halt dann entweder die Auguststraße oder die c/o weg. Da muss
man als Verantwortlicher zum Beispiel in der Politik auch so einen Hot-Spot kreieren
oder am Leben halten und das ist ja mit der c/o damals mächtig schief gegangen. (...)
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ARTikel: Die Book-Release-Party zu Deinem im Herbst vorgestellten Fotobuch „Berlin
Bohéme“ in der Berliner Humboldt-Box war sicherlich auch für Dich persönlich ein großes Ereignis, wie sehr warst Du in die Konzeption des Abends eingebunden?
Oliver Rath: Da hatte ich total freie Hand, das war cool, ich konnte alles machen. Ich
habe dann auch die Leute von der Obdachlosenzeitung „Straßenfeger“, für die ich
mich seit langem engagiere, eingeladen, dort ihre Hefte zu verkaufen. Ich habe also
die Prominenten konfrontiert mit „Pennern auf dem roten Teppich“. Das sehen die ja
sonst in ihren Limousinen nicht, bei denen gibt es ja nur noch die heile Welt! Und ich
hab´s denen vorher auch nicht gesagt, nur der Micaela Schäfer, die war ja nackt, damit
die 1,50 Euro mitbringt und die Zeitung kaufen kann. (...) Superglücklich bin ich auch
darüber, dass der Olli Schulz ´ne tolle Laudatio gehalten hat, das war echt klasse und
hat mich riesig gefreut.
ARTikel: Welche größeren Projekte nimmst Du im Frühjahr/Sommer in Angriff?
Oliver Rath: Diesen Sommer kommt ´ne Doku raus. Mich hat der Filmemacher Janne
Strittmatter komplette vier Monate bei allem begleitet, aber wirklich bei allem, was ich
gemacht habe. Ich glaube, das ist die privateste Dokumentation, die man überhaupt
sehen kann und ich habe danach erstmal alles was mit Interview und Kamera zu tun
hatte abgesagt, weil sogar ich da wieder so ´ne Distanz gebraucht habe. Aber er hat
echt die ganze Rath-Entstehung, den Druck, den ich hatte, den rauen Umgangston am
Set, stoned in der Kommune, er war dabei und hat alles miterlebt und festgehalten. Er
hat auch über die Jahre ganz viele Leute interviewt und ich freue mich da echt tierisch
drauf, damit wollen wir im Sommer in die Open-Air-Kinos. (...)
ARTikel: Zum Abschluss, was würdest Du unseren Kultur- und FreizeitmanagementStudenten mit auf den Weg geben?
Oliver Rath: Also ich bin jetzt nicht genau im Bilde über die genauen Studieninhalte,
aber ich würde mir wünschen, dass die Leute sich nach vorne orientieren. Ganz oft ist
die Lehre an den Hochschulen, auch übrigens an den Kreativhochschulen, total verkopft und veraltet. So wie in der Fotographie, Analog war gestern und ist Nostalgie.
Ich liebe ja alte Bilder, aber gucken, inspirieren lassen, abschließen und nach vorne. Wo
leben wir hier und jetzt, worum geht das hier, wie läuft das hier? Seid offen für Neues,
holt euch ein Update auf der Straße und macht einfach mal, seid produktiv, lasst das Gehirn fließen. Und holt euch keine Lorbeeren von den Professoren oder von den besten
Freunden, sondern von den Leuten da draußen.
ARTikel: Lieber Oli, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg und Spaß
bei der Umsetzung Deiner Ideen.
http://www.rath-photografie.de/
http://www.rath-gallery.com/
https://de-de.facebook.com/rathphotografie
http://oliver-rath.com/
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