der deutsche kommunismus - Bayern gegen Linksextremismus
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der deutsche kommunismus - Bayern gegen Linksextremismus
DER DEUTSCHE KOMMUNISMUS Von Klaus Schroeder und Jochen Staadt Die Geschichte der extremen Linken im Allgemeinen und der Kommunisten in (West-)Deutschland ist eine wechselvolle mit Windungen, Brüchen und verwirrend vielen Abspaltungen. Von der SPD und USPD zum Spartakusbund und der KPD, von der DKP über Studentenorganisationen wie SDS und SHB bis hin zu diversen sogenannten K-Gruppen. Übersichtlicher war die Lage nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone, wo eine „sozialistische Demokratie“ errichtet wurde. Hier galt bis zur Wende 1989/90 im Zweifelsfall das Mantra: Die (kommunistische) Partei hat immer recht. Doch auch im wiedervereinigten Deutschland hat die kommunistische Ideologie nur wenig von ihrer Attraktivität und Verführungskraft eingebüßt. Kommunismus in Deutschland seit 1918 Das von Marx und Engels 1847 beschworene Gespenst des Kommunismus geht in Europa nicht mehr um. Der von Lenin 1919 ausgerufene Weltbürgerkrieg endete 1989/90 mit der Niederlage des europäischen Kommunismus. Die offenen und demokratischen Gesellschaften des Westens erwiesen sich gegenüber der kommunistischen Idee einer formierten Klassengesellschaft als die erfolgreicheren und zukunftsfähigeren Gemeinwesen. Der verfassungsgestützten Verpflichtung auf die allgemeinen Menschenrechte ist nun auch in jenen Ländern Mittel- und Osteuropas Geltung verschafft, die von 1945 bis 1989/1990 unter sowjetischer Kontrolle standen. Ausgerechnet im Jahr des 200. Geburtstags der Französischen Revolution erkämpften sich die Bürger Ostdeutschlands wie schon zuvor die Bürger Polens und Ungarns die elementaren, 1789 proklamierten Freiheitsrechte. Der 1917 angeschlagene hohe Ton einer kommunistischen Weltrevolution erstarb in Deutschland sang- und klanglos mit dem Untergang des SED-Regimes im Herbst des Jahres 1989. Der Spuk ist beendet. Vierzig Jahre lang aber hatten Kommunisten den ehemals mitteldeutschen Teil des 1871 in Versailles ausgerufenen Deutschen Reiches beherrscht. Fast alle kommunistischen Politiker, unter deren Verantwortung nach der militärischen Niederschlagung des NS-Regimes in der sowjetischen Besatzungszone die neue kommunistische Ordnung vorbereitet und in der 1949 gegründeten DDR unter zentralstaatlicher Kontrolle auch durchgesetzt worden ist, erfuhren ihre politische Sozialisation noch in der Spätphase des Kaiserreiches oder im Kampf gegen die Weimarer Republik. Schon die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands 1 (KPD) erfolgte in scharfer Frontstellung gegen den Mehrheitswillen der deutschen Arbeiterklasse. Gegen Republik und Sozialdemokratie Knapp zwei Wochen vor der KPD-Gründung tagte der Reichskongress aller Arbeiterund Soldatenräte Deutschlands im Preußischen Landtag zu Berlin. Das höchste Organ der revolutionären Bewegung beriet vom 16. bis zum 21. Dezember 1918 in der Hauptstadt über die Zukunft des Deutschen Reiches. Die Novemberrevolution von 1918, die mit dem Kieler Matrosenaufstand am 4. November begann, hatte innerhalb weniger Tage die Monarchie gestürzt und mit der Kapitulation Deutschlands den Ersten Weltkrieg beendet. Der revolutionäre Aufstand gegen das Kaiserreich verlief weitgehend friedlich. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die überall im Land die politische Selbstverwaltung in die Hand nahmen, sorgten mit Bedacht für Ruhe und Disziplin unter ihren bewaffneten Anhängern. Kaiser Wilhelm II. hatte abgedankt und war nach Holland geflohen. Seine letzte Reichsregierung übergab die Macht dem Rat der Volksbeauftragten unter der Führung des Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Der Reichsrätekongress, in den die Arbeiter- und Soldatenräte aus allen Teilen des Landes nach einem festgelegten Schlüssel ihre Delegierten entsandt hatten, stand vor der Frage, ob Deutschland den Weg einer parlamentarischen Demokratie beschreiten oder ob eine Räteherrschaft nach russischem Vorbild errichtet werden sollte. Die Idee einer sozialistischen Rätediktatur propagierte vor allem der Spartakusbund, eine von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geführte linke Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Der Spartakusbund strebte die rasche Umwandlung der demokratischen Revolution durch einen sozialistischen Umsturz an und hielt einen Bürgerkrieg für unausweichlich. Wer glaube, den Bürgerkrieg vermeiden zu können, schrieb Rosa Luxemburg am 20. November 1918 in der Roten Fahne, opfere die Revolution kleinbürgerlichen Illusionen, »Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf«. Doch die Bürger in Deutschland wollten alles andere als Bürgerkrieg, sie waren gerade aus dem bis dahin fürchterlichsten und opferreichsten Krieg seit Menschengedenken herausgetaumelt. Frieden war die Losung, unter der die Revolution am 4. November 1918 in der Reichskriegsflotte vor Kiel ausbrach und die in Windeseile innerhalb weniger Tage das ganze Land erfasste. Der Spartakusbund blieb in der demokratischen Revolutionsbewegung von 1918 isoliert. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden nicht einmal als Delegierte in den Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte gewählt. Wesentlich wichtiger als der kommunistische Spartakusbund war in dieser für die Zukunft des damaligen Deutschen Reiches entscheidenden Situation die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Sie hatte sich 1916 von der SPD abgespalten, nachdem die sozialdemokratische Reichstagsfraktion sich wiederholt zur Bewilligung von Kriegskrediten und damit für die Weiterführung des Ersten Weltkriegs bereit gefunden hatte. Der Spartakusbund gehörte der USPD als 2 eigenständige Gruppe an. Die Mitglieder der USPD sympathisierten mehrheitlich durchaus mit der russischen Revolution und der erfolgreichen Machtergreifung durch die Bolschewiki. Die Arbeiter- und Soldatenräte wandten sich auf ihrem Berliner Kongress schließlich mit 344 zu 89 Stimmen gegen die von USPD, Spartakusbund und anderen linken Splittergruppen geforderte Errichtung eines Rätesystems. Am Ende sprachen sich die Delegierten mit einer Mehrheit von 400 gegen 50 Stimmen für die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 aus. Das war die Geburtsstunde der Weimarer Republik. Rosa Luxemburg beschimpfte die Delegierten des Reichsrätekongresses als »Eberts Mamelucken«, als »williges Werkzeug der Gegenrevolution« und rief in völliger Verkennung der Lage die Räte im Reich dazu auf, die Entscheidung der »ungetreuen Vertrauensmänner für null und nichtig« zu erklären. Die Räte folgten solchen Aufrufen der linken Radikalen jedoch nicht. Der Spartakusbund ignorierte die breite Ablehnung seines Programms durch die Vertretungen der Arbeiter und Soldaten und hielt an der Illusion fest, dass die Herbeiführung einer sozialistischen Revolution in Deutschland auf der Tagesordnung stünde. In scharfer Abgrenzung zur USPD, die sich an der Provisorischen Übergangsregierung, dem Rat der Volksbeauftragten, beteiligt hatte, gründete sich am 1. Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund), die zur »Bewaffnung des Proletariats« als »Gebot der Stunde« aufrief und den sofortigen Sturz des Rates der Volksbeauftragten forderte. In der Hauptresolution ihres Gründungsparteitags erklärte die KPD, dass sie sich als »neue, selbstständige Partei mit klarem Programm, festem Ziel, einheitlicher Taktik, höchster revolutionärer Entschlossenheit und Tatkraft« für die »Durchführung der beginnenden sozialen Revolution« einsetzen wolle. Die KPD verstand sich als organisierte Abteilung der »Weltrevolution« und erklärte sich zur einzigen Partei in Deutschland, die sich einem »konsequenten Internationalismus« verpflichtet sehe. Sofort nach ihrer Gründung stürzte sich die KPD unter der Führung Luxemburgs und Liebknechts in eine aussichtslose Entscheidungsschlacht, die als »Spartakusaufstand« in die Geschichte der Weimarer Republik einging. Tatsächlich handelte es sich hierbei um den verzweifelten Versuch, in letzter Minute die Bildung einer demokratischen Republik durch einen Putsch gegen die sozialdemokratische Übergangsregierung zu verhindern. Als Anlass des Putschversuchs diente die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) durch den Rat der Volksbeauftragten. Bewaffnete Revolutionäre besetzten am 6. Januar 1919 mehrere Gebäude im Berliner Zeitungsviertel, darunter auch das Redaktionsgebäude der sozialdemokratischen Parteizeitung Vorwärts. Rosa Luxemburg unterstützte am 7. Januar in der Roten Fahne den Aufstand: »Die Gegenrevolution entwaffnen, die Massen bewaffnen, alle Machtpositionen besetzen. Rasch handeln! Die Revolution verpflichtet.« Das Ziel des Aufstands sei, wie sie schrieb, die »Aufrichtung der sozialistischen Diktatur«. Von der »Freiheit der Andersdenkenden«, für die sie sich 3 im Streit mit den Bolschewiki ausgesprochen hatte, war im praktischen Revolutionsgemenge nun nicht mehr die Rede. Im September 1918 noch hatte sie Lenin und Trotzki kritisiert, weil »sie Volksvertretungen aus allgemeinen Wahlen grundsätzlich ablehnen«. Zwei Monate später, im November 1918, wandte sie sich dann selbst gegen die demokratische Republik und unterstützte den aussichtslosen Versuch einer kommunistischen Machtergreifung. Die sozialdemokratische Übergangsregierung unter Friedrich Ebert ließ den kommunistischen Putsch durch Einheiten des noch nicht demobilisierten Heeres (Freikorpstruppen) militärisch niederschlagen. In den Kämpfen und im Zuge von Gefangenenerschießungen durch das Militär kamen 156 Personen ums Leben, aufseiten der Regierungstruppen gab es 13 Todesopfer. Nachdem der Aufstand gescheitert war, rechtfertigte Rosa Luxemburg das hoffnungslose Unterfangen am 14. Januar 1919. Die Revolution sei eben die einzige Form des Krieges, »wo der Endsieg nur durch eine Reihe von ‚Niederlagen’ vorbereitet werden« könne, schrieb sie in der Roten Fahne. Der »ganze Weg des Sozialismus ist - soweit revolutionäre Kämpfe in Betracht kommen - mit lauter Niederlagen besät. Und doch führt diese selbe Geschichte Schritt um Schritt unaufhaltsam zum endgültigen Sieg.« Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Angehörigen einer »Wilmersdorfer Bürgerwehr«gefangen genommen und der Garde-KavallerieSchützen-Division, einer in Berlin eingerückten Freikorpseinheit, übergeben. Noch in der gleichen Nacht wurden die beiden KPD-Führer von Angehörigen der Freikorpstruppe ermordet. Dieser politische Mord machte Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu den ersten Märtyrern der deutschen Kommunisten. Bis heute pilgern Verehrer der beiden KPDGründer alljährlich anlässlich des Todestags zur Grabstätte auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde. Heute werden die Gedenkfeierlichkeiten für Liebknecht und Luxemburg von der Partei Die Linke, Nachfolgerin der PDS und SED, organisiert. Der Totenkult um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war freilich schon in den Zwanzigerjahren zu einem festen Bestandteil der kommunistischen Geschichtslegende geworden. Seit 1927 gestaltete die KPD-Führung unter Ernst Thälmann das Gedenken an die beiden Parteigründer zu einer »Lenin-LiebknechtLuxemburg-Ehrung« um. Lenins Todestag (24. Januar 1924) und die Erinnerung an die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs wurden als organisiertes Ritual alljährlich durch Aufmärsche an der Grabstätte in Berlin-Friedrichsfelde begangen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten unterbrach diesen Parteibrauch. Nach 1945 wurde er in der SBZ wiederbelebt und erhielt seit Gründung der DDR den Rang einer Staatsfeier, in deren Verlauf die Parteiführung auf einem Podium den wohlgeordneten Vorbeimarsch ihrer Gefolgschaft am Märtyrergrab abnahm. Parteigeschichte und Ideologie Die KPD beteiligte sich im Januar 1919 nicht an der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung. Die USPD erreichte bei dieser Wahl 7,6 Prozent der Stimmen, 4 die SPD ging mit 37,9 Prozent als stärkste Kraft aus dieser ersten freien und gleichen Wahl in Deutschland hervor. Zur ersten Reichstagswahl am 6. Juni 1920 trat auch die KPD an und brachte es auf 2,1 Prozent der Stimmen. Die Entscheidung für eine Wahlbeteiligung konnte die KPD-Führung unter ihrem Vorsitzenden Paul Levi nur gegen erhebliche Widerstände in der eigenen Partei durchsetzen. Die starke innerparteiliche Fundamentalopposition spaltete sich von der Partei ab und gründete die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD). Die USPD errang im Juli 1920 bei der ersten Reichstagswahl 18,8 Prozent und die an einer Koalitionsregierung beteiligte SPD fiel auf 21,7 Prozent zurück. Nachdem sich die USPD im Oktober 1920 auf einem Parteitag mehrheitlich für einen Anschluss an die Kommunistische Internationale (Komintern) und für den Zusammenschluss mit der KPD entschieden hatte, erhielt die mitgliederschwache KPD durch den USPDÜbertritt kurzzeitig einen enormen Mitgliederzuwachs von knapp 80000 auf über 350 000. Etwa ebenso viele Mitglieder der USPD akzeptierten die von der Kommunistischen Internationale diktierten 21 bolschewistischen Beitrittsbedingungen nicht und blieben in der USPD, die sich bis auf eine kleine Minderheitsgruppe 1922 mit der SPD wiedervereinigte. Zu den bekanntesten Rückkehrern in die SPD gehörte Karl Kautsky, der als enger Vertrauter von Friedrich Engels nach dessen Tod als die große marxistische Autorität der II. Sozialistischen Internationale galt. Kautsky charakterisierte die Situation in der Sowjetunion als Diktatur einer Partei und forderte eine demokratische Entwicklung. Ohne Demokratie könne es keinen Sozialismus geben. Darüber hinaus betont er die Gemeinsamkeiten von Faschismus und Bolschewismus. »Der Faschismus ist aber nichts als das Gegenstück des Bolschewismus, Mussolini nur der Affe Lenins.« Scharf kritisierte Kautsky die Doppelmoral des Bolschewismus: »Jede Niedertracht verwandelt sich in eine herrliche Großtat, wenn ein Kommunist sie verübt. Jede Bestialität ist erlaubt, wenn man sie im Namen des Proletariats vollbringt. So vollzogen auch die spanischen Konquistadoren ihre Bluttaten in Südamerika im Namen Gottes.« Der KPD gelang es nach 1922 nicht mehr, die Zahl ihrer Mitglieder zu steigern - im Gegenteil, sie sank bis 1930 auf rund 120 000 Mitglieder. Auch nach dem Zusammenschluss mit der USPD-Mehrheit erreichte sie in keiner Wahl einen Zuspruch, der das Ergebnis der USPD aus dem Jahr 1920 übertroffen hätte. Die Wählerstimmen für die KPD bewegten sich bei den Reichstagswahlen zwischen 1924 und 1933 auf einem schwankenden Niveau zwischen 12,6 Prozent (1924) und 16,8 Prozent (1932). In den letzten drei Jahren vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus stieg zwar die Zahl der KPD-Mitglieder auf rund 250 000 stark an, die Verweildauer neuer Mitglieder lag aber im Durchschnitt bei unter einem Jahr. Auch die Führungsgruppe der Partei wies zwischen 1919 und 1933 eine starke personelle Fluktuation auf. Von den rund 60 Mitgliedern der verschiedenen »Polbüros« (Parteiführung) schieden fast 40 Prozent durch Austritte oder Ausschlüsse aus der KPD aus. Nach 1933 fielen sechs Kommunisten aus diesem 5 Führungskern dem Naziterror und sieben dem kommunistischen Terror im sowjetischen Exil zum Opfer. Zwei Jahre nach dem gescheiterten »Spartakusaufstand« beteiligte sich die KPD sie nannte sich nach der Vereinigung mit dem linken Flügel der USPD Vereinigte KPD (VKPD) - im März 1921 erneut an einem bewaffneten Aufstandsversuch gegen die Weimarer Republik an. Die von Funktionären der VKPD und Anarchokommunisten um den populären Arbeiterführer Max Hoelz im mitteldeutschen Industriegebiet (Mansfeld, Leuna) angeführten Kampfhandlungen gegen Polizeieinheiten des sozialdemokratisch regierten Landes Preußen endeten in einer blutigen Niederlage, fast 200 Personen wurden im Verlauf der Kämpfe getötet. Die Aufrufe der VKPD zu einem landesweiten Generalstreik fanden mit Ausnahme einiger linker Hochburgen im Ruhrgebiet und im Hamburger Raum wenig Resonanz. Wiederum zwei Jahre später plante die KPD-Führung auf Anweisung des Exekutivkomitees der Komintern einen erneuten Aufstand, der intern bereits als »die deutsche Oktoberrevolution« firmierte. Sowjetische Militärberater, die sich illegal in Deutschland aufhielten, bereiteten in geheimen Ausbildungslagern »Proletarische Hundertschaften« auf den Aufstand vor. Als Beauftragter der Komintern koordinierte Karl Radek die Vorbereitung des Unternehmens, das jedoch kurzfristig wieder abgesagt werden musste, da den verantwortlichen sowjetischen Militärstrategen dessen praktische Undurchführbarkeit klar geworden war. Ende Oktober 1923 wagte die KPD in Hamburg und an einigen Orten Schleswig-Holsteins unter Führung des späteren KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann dennoch den bewaffneten Aufstand, der jedoch nach wenigen Tagen von der Polizei niedergeschlagen wurde. Über einhundert Menschen kamen dabei ums Leben. Auch die NSDAP wollte die demokratische Novemberrevolution rückgängig machen und bereitete zur gleichen Zeit wie die KPD den revolutionären Umsturz des Weimarer Systems vor. Doch auch der nationalsozialistische Putschversuch am 9. November 1923 (Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle) scheiterte. Die Berliner Regierung verbot nach diesen Ereignissen sowohl die KPD als auch die NSDAP. Leider hatte dieses Verbot nur wenige Monate Bestand. Die rechten und linken Gegner der Republik verfolgten als feindliche Brüder mit aller Konsequenz bis 1933 ihr Ziel der Beseitigung des bürgerlich-demokratischen Systems zugunsten einer Diktatur. Die KPD verharrte bis zu ihrer Zerschlagung durch den nationalsozialistischen Terror in dumpfer Ablehnung der demokratischen Weimarer Verfassung, die sie als Betrugswerk im Interesse des reaktionären Finanz- und Industriekapitals zum eigenen Machterhalt diffamierte. Der politische Kurs der KPD war von ihrer Gründung bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten von einer fundamentalen Ablehnung des demokratischen Mehrparteiensystems und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gekennzeichnet sowie durch ein völliges Unverständnis für die Bedeutung von kultureller und politischer Meinungsvielfalt in einem demokratischen Gemeinwesen. Die KPD bekämpfte mit allen Mitteln das »Weimarer System« und die dieses tragenden 6 Parteien. Als ihren Hauptfeind machte sie dabei zeitweise die SPD aus, der sie vorwarf, Teile der Arbeiterklasse durch Reformversprechen an die bürgerliche Gesellschaftsordnung zu binden und durch die Verbreitung von Illusionen über einen möglichen friedlichen und demokratischen Übergang zum Sozialismus von der Notwendigkeit des unversöhnlichen Klassenkampfs abzulenken. Angelehnt an Lenins Bannfluch gegen die SPD, die er wegen ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten als Partei des »Sozialimperialismus« tituliert hatte, bekämpfte die KPD die Sozialdemokratie als »sozialfaschistische Partei«. Mit dem Diktum des Sozialfaschismus war die Einschätzung der SPD als Zwilling der NSDAP verbunden. Erfolgreicher noch als den Nazis gelänge es der SPD durch ihre soziale Reformdemagogie, den Interessen des Großkapitals Geltung zu verschaffen. Unter dem Eindruck eines starken Rechtsrucks in Deutschland versuchte sich die KPD nach der Weltwirtschaftskrise durch ein »Programm zur nationalen und sozialen Befreiung« dem vorherrschenden Zeitgeist anzupassen. Diese Anbiederung an nationalistische und völkische Stimmungen in der deutschen Bevölkerung blieb jedoch ohne Erfolg. Im Gegenteil stärkte das Einschwenken der Kommunisten auf einen nationalistischen Kurs sogar noch den ohnehin vorhandenen Trend in diese Richtung. Außenpolitisch unterwarf sich die KPD bis zum bitteren Ende den Anordnungen der Komintern. Sie folgte allen Windungen und Wendungen der sowjetischen Außenpolitik bedingungslos und begrüßte 1939 im Exil sogar den Hitler-Stalin-Pakt als Freundschaftsvertrag zur Sicherung des Friedens in Europa. Zur Illustration der Moskauer Exilverhältnisse ein Beispiel: Am 18. Dezember 1936 empfing Georgi Dimitrow die deutsche Schriftstellerin Maria Osten und den Dichter Lion Feuchtwanger, der später ein schwärmerisches Buch über die sowjetische Gesellschaft unter Josef Stalin schrieb. Maria Osten stellte kritische Fragen zu den Moskauer Prozessen. Es sei doch unverständlich, »warum alle Angeklagten alles gestehen und dabei wissen, dass sie dies das Leben kosten wird«, und es sei unverständlich, warum derart harte Strafen ausgesprochen würden, »wo doch das sowjetische Regime so mächtig ist, dass ihm von denen, die im Gefängnis sitzen, keine Gefahr droht«. Maria Osten aus Muckum (Westfalen), Journalistin und Schriftstellerin, seit 1926 KPD−Mitglied und Lebensgefährtin von Michail Kolzow, wurde am 8. August 1942 vom NKWD wegen angeblicher Spionage erschossen. Ihren Geliebten, der lange Jahre ein führendes Mitglied der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller war, hatte die sowjetische Geheimpolizei schon zwei Jahre zuvor ermordet. Deutsche Kommunisten - exemplarische Biografien Komplementär zu den Windungen und Wendungen der sowjetischen Innen- und Außenpolitik, denen sich die KPD als Bestandteil der Komintern anzupassen hatte, vollzogen sich auch die lebensgeschichtlichen Brüche ihrer führenden Mitglieder und Funktionäre. Gegen Ende der Weimarer Republik arbeiteten fast 5000 Kommunisten als Angestellte im Apparat der KPD und ihrer Umfeldorganisationen. Nach 1945 gehörten viele dieser abhängig beschäftigten Funktionäre zum personellen 7 Grundstock der KPD/SED in der Sowjetischen Besatzungszone. Einige exemplarische Biografien deutschen Kommunisten mögen im Folgenden die schroffen Brüche als auch die Kontinuitäten in den Lebenswegen deutscher Kommunisten verdeutlichen. Nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg übernahm Leo Jogiches, 1867 in Wilna in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie geboren, die Parteiführung. Er war auf dem linken Flügel der polnischen und deutschen Sozialdemokratie aktiv und im politischen und privaten Leben eng mit Rosa Luxemburg verbunden. Nach bürgerkriegsartigen Unruhen, die im März 1919 in der Folge eines Generalstreiks und der Verhängung des Ausnahmezustands mit über 1200 Todesopfern ihren Höhepunkt fanden, wurde er festgenommen und in der Haftanstalt Berlin Moabit von einem Freikorpssoldaten ermordet. In seiner Nachfolge übernahm der sechsunddreißigjährige Rechtsanwalt Paul Levi, Strafverteidiger und Gefährte Rosa Luxemburgs, die KPD-Führung. Levi widersetzte sich der auf dem II. Weltkongress der Komintern entworfenen »Offensivstrategie« und kritisierte sie als Putschismus. Er trat im Februar 1921 vom KPD-Vorsitz zurück und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Mit der Herausgabe des bis dahin unveröffentlichten Rosa-Luxemburg-Textes über die Revolution in Russland, in dem sie die Bolschewiki wegen der Zwangsauflösung der Duma (Parlament) kritisiert und die Freiheit der Andersdenkenden gefordert hatte, verschärfte sich der Konflikt zwischen Levi und seiner früheren Partei. Paul Levi kehrte 1922 in die SPD zurück, die er während des Ersten Weltkriegs als Anhänger des Spartakusbunds verlassen hatte, und wurde für seine Partei in den Reichstag gewählt. Er starb im Februar 1930 nach einem Sturz aus dem Fenster seiner Wohnung. Als sich die Abgeordneten des Deutschen Reichstags zu einer Gedenkminute für Levi von ihren Sitzen erhoben, verließen die NSDAP- und die KPD-Fraktion demonstrativ den Plenarsaal. Auf Levi folgten KPD-Führungen unter Heinrich Brandler, August Thalheimer und Jacob Walcher (1921 bis 1923), Arkadi Maslow, Ruth Fischer, Werner Scholem und Alfred Rosenberg (1923 bis 1925) und von 1925 bis 1933 unter Ernst Thälmann. Ruth Fischer (1895 bis 1961) brachte es 1924 zur »Ersten Frau« des deutschen Kommunismus. Sie war noch nicht einmal dreißig Jahre alt, als sie mit ihrem Freund Arkadi Maslow die Führung der KPD übernahm. Die in Wien aufgewachsene Professorentochter (Mitgliedsnummer 1 der KP Österreichs) wurde, bald nachdem sie in Berlin zur KPD gestoßen war, im Jahr 1921 Vorsitzende der mächtigen Berliner KPD-Organisation. Sie nahm als Delegierte am IV. Weltkongress der Komintern teil und gehörte von 1924 bis 1926 deren Präsidium an. Als Repräsentantin des linken Parteiflügels führte sie nach der Verhaftung ihres Lebensgefährten Arkadi Maslow faktisch als erste Frau eine der großen Parteien in Deutschland. Unter dem Namen Elfriede Golke wurde sie 1924 auch in den Deutschen Reichstag gewählt. Im Jahr zuvor hatte der KPD-Hauptkassierer und Parteischatzmeister Artur Golke die KPDFührerin sozusagen treuhänderisch zur Gemahlin genommen, um ihre Abschiebung 8 als unerwünschte Ausländerin zu verhindern. Ruth Fischer wurde 1926 aus der KPD ausgeschlossen und floh 1933 vor den Nationalsozialisten nach Frankreich. 1940 emigrierte sie in die USA. Dort schrieb die ehemalige KPD-Chefin, die in ihrer aktiven Zeit mit Lenin, Radek, Trotzki, Sinowjew und Bucharin konferiert und Stalin im persönlichen Streitgespräch die Stirn geboten hatte, ihre Abrechnung mit der KPD und dem Sowjetkommunismus. In dem 1948 erschienenen Buch Stalin und der deutsche Kommunismus - der Übergang zur Konterrevolution erklärte Ruth Fischer: »Ich habe den deutschen Nationalsozialismus immer als Spezialfall einer allgemeinen Tendenz zur totalitären Gesellschaft gesehen, zu einer Gesellschaft, deren totale Organisation konspirativ von einer terroristischen Minderheit durchgeführt wird und deren Expansionsstreben nach totaler zentralistischer Weltorganisation desto stärker hervortritt, je vollständiger ihr dies im nationalen Rahmen gelingt. Intim und intern habe ich die Umwandlung der bolschewistischen Partei in eine solche terroristische Herrschaftsorganisation miterlebt, habe eine ganze Generation russischer Revolutionäre im Kampf gegen diese Entwicklung zerbrechen sehen.« Zwei Brüder Ruth Fischers nahmen in der kleinen Welt des deutschen Kommunismus vor 1933 und nach 1945 einen bedeutenden Rang ein. Ihr jüngerer Bruder Gerhart Eisler (1897 bis 1968), dessen bürgerliche Laufbahn als Offizier der k.u.k. Armee Österreichs schon 1918 endete, brachte es im zweiten Leben zum Bürgerkriegsberater der Komintern und war u. a. deren Beauftragter in China (1929) und den USA (1933 bis 1935). Nach 1945 kehrte er in die SBZ zurück und übernahm den Vorsitz des Staatlichen Rundfunkkomitees. Ruth Fischers jüngster Bruder Hanns Eisler (1898 bis 1962) schuf neben der DDR-Hymne zahlreiche kommunistische Kampflieder wie das »Einheitsfront«− oder das »Solidaritätslied« sowie über 40 Bühnenmusiken für den zwar kommunistisch gesonnenen, aber zeitlebens parteilosen Dichter Bertolt Brecht. Brecht war wie viele andere linke Intellektuelle seiner Zeit von der Idee der Weltrevolution und der Ideologie des Kommunismus fasziniert. Im Umfeld der KPD engagierten sich zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Schauspieler von einiger Prominenz. Mit Bündnisorganisationen wie dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und durch Auftragsarbeiten im Rahmen des von Willi Münzenberg geschaffenen KPD-Medienkonzerns versuchte die KPD diese Kreise an sich zu binden. Auf dieses Reservoir der damals »jungen Wilden« konnte der staatlich organisierte Kulturbetrieb der DDR in den frühen Fünfzigerjahren stützen, als es galt, die Kunstdoktrin des Sozialistischen Realismus gegen die Einflüsse der westlichen Moderne durchzusetzen. Zum größten Helden des deutschen Kommunismus stilisierten die staatlichen Auftragkünstler der DDR später den von den Nazis ermordeten KPD-Führer Ernst Thälmann, der die KPD von 1925 bis 1933 geführt hatte. Ernst Thälmann, Jahrgang 1886, war ein bedingungsloser Gefolgsmann Stalins, der die Partei endgültig gleichschaltete und keinerlei Abweichungen von der Parteidoktrin mehr zuließ. Sein Ziel war es, in Deutschland eine Diktatur nach sowjetischem Muster zu errichten. 9 Unter Führung des »Thälmannschen Zentralkomitees« bekämpfte die KPD mit allen Mitteln die Weimarer Republik, wenn es sich ergab, sogar gemeinsam mit den Nationalsozialisten. So versuchten NSDAP und KPD am 8. August 1931 gemeinsam, durch einen Volksentscheid die sozialdemokratische Landesregierung Preußens zu stürzen. Am Abend des gescheiterten Volksbegehrens erschossen KPD-Leute auf dem Bülowplatz - heute Rosa-Luxemburg-Platz - aus einem Hinterhalt zwei sozialdemokratische Polizeibeamte. Die Mörder, Erich Mielke und Erich Ziemer, die Thälmanns Partei-Selbstschutz angehörten, flohen nach Moskau. Ernst Thälmann selbst forderte damals »die schonungslose Abrechnung mit den faschistischen Verbrechern an der Spitze der SPD«. Immer wieder beschimpfte er den Parteivorstand der SPD und die sozialdemokratischen Reichstags- und Landtagsfraktionen als »Sozialfaschisten« und rief zum Kampf gegen die SPD auf. Noch kurz vor Toresschluss im Jahr 1933 hielt Thälmann die Sozialdemokratie für gefährlicher als die NSDAP. Thälmanns Vollstrecker Erich Mielke brachte es später in der DDR zum Minister für Staatssicherheit. Er war in dieser Funktion für die Verfolgung, Ermordung und Erniedrigung zahlloser Menschen verantwortlich. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten versuchte Thälmann aus der Illegalität heraus die durch eine erste Terrorwelle der Nazis stark geschwächte KPD zu reorganisieren. Im März 1933 fiel er durch Verrat der Gestapo in die Hände. Obgleich die Sowjetunion im September 1939 mit dem nationalsozialistischen Regime einen Freundschaftsvertrag schloss, unternahm Stalin keinen ernsthaften Versuch, den ihm bedingungslos ergebenen KPD-Führer aus der NS-Haft freizubekommen. Die SS ermordete Thälmann 1944 im Konzentrationslager Buchenwald. Zu DDR-Zeiten betrieb die SED einen uferlosen Thälmannkult. Davon zeugen noch heute die Thälmannstraßen und -plätze in ganz Ostdeutschland. Fabriken wurden nach ihm ebenso benannt wie Kasernen und Parteiaufgebote, die Kinderorganisation der SED trug den Namen »Thälmann-Pioniere«. Der Plan zur Errichtung eines monumentalen Thälmanndenkmals in der DDR-Hauptstadt kam indes erst 1986 zur Ausführung. Geschaffen wurde es von dem sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel. Es steht bis heute in Berlin wie auch der riesige, von Kerbel geschaffene Karl-Marx-Kopf in Chemnitz. Ein wichtiger Funktionär in Thälmanns Umgebung war in den letzten Jahren der Weimarer Republik Herbert Wehner, Jahrgang 1906, der im Alter von fünfundzwanzig Jahren aus Dresden in die KPD-Zentrale nach Berlin beordert wurde. Wehner kämpfte in seiner Jugend zunächst als Anarchist gegen die Weimarer Republik, bevor er 1927 der KPD beitrat. Im Alter von 24 Jahren brachte es der begnadete Agitator bereits zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden seiner Partei im sächsischen Landtag. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten organisierte Wehner maßgeblich im Berliner Raum die illegale Arbeit gegen die NSDiktatur. Danach führte er die KPD-Organisation des Saargebiets in den Kampf 10 gegen die Wiedereingliederung des 1918 abgetrennten Saarlands in das Deutsche Reich. Einer seiner damaligen jungen Mitarbeiter war der spätere SED-Chef Erich Honecker. Nach der Niederlage im »Saarkampf« - 90,73 Prozent der Wähler entschieden sich für die Rückkehr ins Deutsche Reich - floh Wehner in die Sowjetunion, wo er bald gemeinsam mit Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zum engsten Führungskreis im Politbüro der KPD gehörte. Im Auftrag der Komintern verließ er 1941 die Sowjetunion, um von Schweden aus die Untergrundarbeit im Reich zu organisieren. Nach dem Krieg kehrte er in die englische Besatzungszone zurück und trat 1946 der SPD bei. In einer ausführlichen Selbstrechtfertigung schilderte er dem damaligen SPDVorsitzenden Kurt Schumacher seine Abkehr vom Kommunismus und rückte sich selbst in die Rolle eines Leidtragenden des stalinistischen Terrors. Diese Darstellung wurde durch Unterlagen der sowjetischen Geheimpolizei, die vor einigen Jahren zugänglich wurden, nachdrücklich in Zweifel gezogen. Demnach soll Wehner der stalinistischen Geheimpolizei Informationen geliefert haben, die in einem Massenmordbefehl Verwendung fanden, den der Generalkommissar des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes Jeschowam 14. Februar 1937 erließ. Dieser Geheimbefehl »über die terroristische Diversions- und Spionagetätigkeit deutscher Trotzkisten auf dem Territorium der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« ordnete die sofortige Verhaftung von angeblich »konterrevolutionären Gruppen« unter den deutschen Exilkommunisten an. Ein Jahr später saßen nahezu siebzig Prozent aller in die Sowjetunion geflüchteten KPD-Mitglieder im Gefängnis. Unter Schlägen und Folter bekannten sich viele von ihnen zu »Verbrechen gegen die Sowjetunion und die kommunistische Bewegung«. Hunderte wurden in kurzen Prozessen abgeurteilt und erschossen oder verschwanden für Jahre in den gefürchteten Lagern der Geheimpolizei. Unter anderen waren dies der KPDMitbegründer Leo Flieg, 1939 nach schwerster Folter erschossen, die Mitarbeiterin der KPD-Kaderabteilung Grete Wilde, verstorben 1943 im Straflager, sowie der Mitarbeiter des KPD-Zentralkomitees Georg Brückmann, dessen Spur sich im sowjetischen Gulag-System verlor, ohne dass je sein Todesdatum ermittelt werden konnte. Herbert Wehner spielte bis zu seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag im Jahr 1983 in der SPD als Fraktionsvorsitzender und Mitglied des SPD-Präsidiums eine entscheidende Rolle. Zum achtzigsten Geburtstag erhielt er vom Generalsekretär der SED Erich Honecker ein Glückwunschschreiben, das Honecker mit der Anrede »Lieber Genosse Wehner« versah. Herbert Wehner starb im Januar 1990, zwei Monate nach dem Mauerfall. In der Zeit der ersten Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD (1966 bis 1969) unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger war Herbert Wehner Minister für Gesamtdeutsche Fragen. Sein direkter Gegenspieler in Ostberlin, Albert Norden, war als Mitglied des SED-Politbüros für die gesamte Westarbeit der SED zuständig. Die 11 beiden Politiker kannten sich aus gemeinsamen Kampfjahren in der Weimarer Republik. Geboren am 4. Dez. 1904 in Myslowitz im Kreis Kattowitz als Sohn eine liberalen Rabbiners, gestorben am 30. Mai 1982 in Ostberlin, war Albert Norden zeitweilig neben Walter Ulbricht einer der einflussreichsten Männer in der SED. Auf dem Höhepunkt seiner Parteikarriere, Mitte der Sechzigerjahre, war er nicht nur als denkender und leitender Kopf für die gesamte Auslandsarbeit der SED im Westen zuständig, bei ihm liefen auch gleichzeitig alle Fäden der Anleitung und Kontrolle von Presse, Funk und Fernsehen der DDR zusammen. Albert Norden war 1918 der Freien Sozialistischen Jugend beigetreten, die 1919 in Kommunistische Jugend umbenannt wurde. Er selbst gab in seiner SED-Kaderakte zu Protokoll: »Im Einverständnis mit den leitenden Genossen der Kommunistischen Jugend arbeitete ich 1920/21 im ‚Jüdischen Wanderbund’ an der Entwicklung eines linken Flügels. Ich gab die gedruckt erschienenen ‚Rundbriefe der radikalsozialistischen jüdischen Jugend’ heraus, die vom Religiösen her die Wendung zur Kommunistischen Partei und zum Bündnis Deutschlands mit der Sowjetunion und zur Hilfe für sie begründen suchten.« Norden machte im KPD-Apparat als Journalist lokaler Parteizeitungen Karriere und wurde 1931 von Heinz Neumann, dem später im sowjetischen Exil von Stalins Geheimpolizei ermordeten Chefredakteur des KPD-Zentralorgans Rote Fahne als stellvertretender Chefredakteur nach Berlin geholt. In einer nach dem Kriege verfassten »Selbstkritik« schrieb Norden über seine nachträglich prekäre Nähe zu Neumann: »Ohne zu seinem internen Fraktionskreis zu gehören, ließ ich mich jedoch in starker Weise von ihm beeinflussen und teilte vorübergehend seine falschen und parteifeindlichen Auffassungen.« In den Ermittlungsakten des Oberreichsanwalts findet sich ein aufschlussreicher Text, der belegt, welche Auffassungen Norden im Jahr 1931 mit Heinz Neumann geteilt hat. Im Oktober, dem militärpolitischen Mitteilungsblatt der KPD, das in der Schweiz gedruckt und unter der Hand in Deutschland vertrieben wurde, erschien am 4. Oktober 1931 unter der Überschrift »Individueller und Massenterror im Kampf gegen die bewaffnete Staatsmaschine« ein Artikel, der aus der Feder Albert Nordens stammte und zum bewaffneten Straßenkampf gegen die sozialdemokratisch geführte preußische Landespolizei aufrief. Am 15. Juli 1943 traf sich in einer Berliner Dachwohnung unweit des Kurfürstendamms das vierköpfige Zentralkomitee der Europäischen Union, um über die politische Ordnung des geeinten Nachkriegseuropas zu beraten. »Wir stehen am Vorabend des Zusammenbruchs des europäischen Faschismus«, lautet die erste These der programmatischen Erklärung des »ZK der EU an alle Antifaschisten«. Zwar sei es dem Nationalsozialismus gelungen, heißt es weiter, unzählige politische Organisationen zu zerschlagen und die besten und mutigsten Kämpfer in Konzentrationslager zu sperren, »doch eines ist ihm nicht gelungen: Er konnte die alten und ewigen freiheitlichen Ideen, die in Europa in den großen Revolutionen 12 geboren wurden, nicht vernichten!« Die kommende Revolution werde »das sozialistische Europa einigen in der Europäischen Union«. Dem ZK der Europäischen Union, das diesen programmatischen Aufruf billigte, gehörten vier Männern a: der Internist und Privatdozent Georg Groscurth, der Assistent am Pharmakologischen Institut der Berliner Universität Robert Havemann, der Dentist Paul Rentsch und der Architekt Herbert Richter. Das programmatische Gründungsdokument hatte Robert Havemann verfasst. Aus seiner Feder stammten auch die in kurzen Abständen herausgegebenen Grundsatzerklärungen, die neben wiederholten Bekenntnissen zu den »politischen und menschlichen Grundrechten des Individuums« auch eine deutliche Kritik am Stalinismus enthielten. So schrieb Havemann in einem Flugblatt, der künftige europäische Sozialismus werde weder die »Ausrottung der Bourgeoisie« noch die Aufhebung des privaten Eigentums anstreben und schon gar nicht die »Errichtung einer blutigen Diktatur dogmatischer Marxisten«. Von der deutschen Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit den Nationalsozialismus unterstützte oder sich mit dem Regime arrangiert hatte, erwartete Havemann nicht viel. Er schätzte seine Landsleute als ängstlich und passiv ein. Die deutschen Großstädte seien »beherrscht von panischem Schrecken und verzweifelter Furcht vor den katastrophalen Wirkungen der Luftangriffe«. Die Europäische Union hatte deswegen unter den in Berlin und Umgebung eingesetzten ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen ein weitverzweigtes Kontaktund Informationsnetz aufgebaut. Wenn es an der Zeit war und die Alliierten auf Berlin vorrückten, sollte mit den Untergrundorganisationen der Zwangsarbeiter und Gefangenen der bewaffnete Kampf in der Hauptstadt ausgelöst werden. Nur zwei Monate nach Gründung der Europäischen Union gelang es der Gestapo, die Widerstandsgruppe zu infiltrieren und zahlreiche ihrer Mitglieder und ausländischen Verbindungsleute zu verhaften. In dreizehn Verfahren verhängte der Volksgerichtshof gegen EU-Mitglieder und ihre ausländischen Kontaktpersonen vierzehn Todesurteile. Robert Havemann entging der Hinrichtung, da er im Zuchthaus Brandenburg mit kriegswichtigen Forschungsarbeiten betraut war. In der DDR war Havemann später als überzeugter Kommunist zunächst ein angesehenes Mitglied der SED. Zeitweise arbeitete er sogar als Informant mit dem Staatssicherheitsdienst zusammen. Nachdem er in den frühen Sechzigerjahren als Regimekritiker hervortrat, versuchte die SED ihn aus der Geschichte des Widerstandskampfs gegen die NS-Diktatur zu tilgen und seinen internationalen Ruf als Widerstandskämpfer zu zerstören. Havemann wurde 1965 aus der SED ausgeschlossen und wegen seiner unbeugsamen Haltung 1976 unter Hausarrest gestellt, der erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1982 aufgehoben wurde. Die Biografien deutscher Kommunisten weisen einen Spannungsbogen auf, der sich von der absoluten Parteitreue bis zum späteren militanten Antikommunismus erstreckt. Der Umstand, dass den »Parteisäuberungen« in der sowjetischen Emigration mehr führende KPD-Funktionäre zum Opfer fielen als dem nationalsozialistischen Terror, führte erstaunlicherweise bei den überlebenden Kommunisten nach 1945 nur in geringerem Umfang zu einer weltanschaulichen 13 Umorientierung. Die Wirkungsmacht der totalitären Ideologie des Kommunismus hatte diese verschworene Gemeinschaft von Weltanschauungskriegern derart zugerichtet, dass sie im Zweifelsfall sogar unter der Folter ihrer eigenen Gesinnungsgenossen nicht den Glauben an die Ideologie, sondern eher den Glauben an sich selbst als gute Kommunisten verloren. Die Partei nämlich hatte immer recht. Die Westkommunisten 1945 bis 1989 Unmittelbar nach der Konferenz von Jalta im Februar 1945 bat Georgi Dimitrow als Europabeauftragter der KPdSU die Führung der Moskauer Exil-KPD zu sich, um sie darüber zu informieren, »dass Berlin geteilt wird, dass Deutschland geteilt wird«. Neben Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht nahmen auch Anton Ackermann und seine Lebensgefährtin Elli Schmidt an diesem Treffen teil. Die KPD-Führung wusste seit dem Gespräch mit Dimitrow, »dass der Kapitalismus wenigstens in einem Teil Deutschlands seine Existenz behaupten wird«, erinnerte sich Elli Schmidt 1966. Die Tatsache der künftigen Teilung erläuterte Josef Stalin am 4. Juni 1945 den aus Berlin nach Moskau angereisten KPD-Führern Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka im Zusammenhang mit der sowjetischen Nachkriegspolitik in Deutschland. Dazu verkündete er folgende »Perspektive«: »Es wird zwei Deutschlands geben - trotz aller Einheit der Verbündeten.« Die Verantwortung für die Teilung Deutschlands solle den Westmächten angelastet werden. Die westdeutsche KPD Die KPD beorderte schon im Herbst 1945 Funktionäre aus den Westzonen in die SBZ, um wichtige Positionen in den mit sowjetischer Hilfe kontrollierten Verwaltungen besetzen zu können. Die Politik der KPD in den Westzonen wurde von 1945 an durch die Führungsgruppe in Ostberlin bestimmt. Die SED nutzte seit ihrer Gründung im Jahr 1946 die KPD im Westen als ihren verlängerten Arm in den Westzonen. Die SED-Führung entschied über das von der KPD im Westen zu vertretende Programm, steuerte die Besetzung der Schlüsselpositionen in der Partei, sorgte für die Ausbildung und Finanzierung der KPD-Funktionäre wie auch für den Unterhalt des mit insgesamt 17 Zeitungen sehr aufwendigen Propagandaapparats der Partei. Die KPD erhielt 1949 bei der ersten Bundestagswahl 5,7 Prozent (1361 706 Wähler) der Stimmen. In den zweiten Bundestag zog sie 1953 nicht mehr ein, da sie nur noch 2,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Die KPD-Vertreter lehnten im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag das Grundgesetz der Bundesrepublik ab. Die Partei scheiterte freilich nicht erst durch ihr Verbot im Jahre 1956, sondern durch ihre Politik, deren Ziel in der Übertragung des DDR-Modells auf die Bundesrepublik Deutschland bestand. Im November 1951 beantragte die Bundesrepublik das Verbot der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der KPD wegen ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Am 17. August 1956 entsprach das Bundesverfassungsgericht dem Verbotsantrag. Aufgrund dieses 14 Urteils kam es auch zu einem Verbot zahlreicher Umfeld- und Tarnorganisationen der KPD sowie zu fast 10000 Verurteilungen durch westdeutsche Gerichte wegen illegaler kommunistischer Betätigung. In Westberlin blieb die SED wegen des Viermächtestatus der Stadt legal. Seit 1961 hieß die Partei »SED Westberlin« und von 1969 bis zu ihrer Auflösung 1991 Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW). Zwischen 1956 und 1968 agierte die KPD in der Bundesrepublik aus der Illegalität heraus unter Anleitung ihres in die DDR ausgewichenen Führungskorps. Mit großem Aufwand versuchte die illegale KPD, durch Propagandaschriften und einen eigenen Radiosender (Deutscher Freiheitssender 904 und Deutscher Soldatensender) aus der DDR in der politischen Sphäre Westdeutschlands wirksam zu bleiben. Die KPD verfügte 1964 in Westdeutschland noch über etwa 7000 aktive Mitglieder. Die Zahl der in den westdeutschen Grenzpostämtern beschlagnahmten kommunistischen Agitationsschriften aus der DDR lag im gleichen Jahr bei 8,2 Millionen. Durch die verdeckte Arbeit in der Bewegung gegen nukleare Aufrüstung (Kampagne gegen den Atomtod) und mithilfe der von ihr beherrschten Deutschen Friedens Union (DFU) blieb die illegale KPD in Westdeutschland verankert. In Kreisen der Linksintelligenz verstärkten Mitglieder der illegalen KPD wie Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl mit ihrer Zeitschrift konkret den Unmut gegen die Politik des »Adenauer-Regimes«. Bezahlt und mit Enthüllungsmaterial versorgt wurde das Unternehmen bis Mitte der Sechzigerjahre von der SED. Dann kam es zum Bruch zwischen den aufmüpfigen Westlinken und ihren Kadergehorsam gewohnten SED-Betreuern aus Ostberlin. Auf deren Hilfe und Diskretion konnte sich Ulrike Meinhof allerdings wenige Jahre später als »kämpfende Kommunistin« der Roten Armee Fraktion (RAF) verlassen, ungeachtet aller taktischen Differenzen über den richtigen Weg zum kommunistischen Ziel. Die Neue Linke Ausgelöst durch die blutige Niederschlagung des ungarischen Freiheitsaufstands von 1956 durch sowjetische Truppen bildet sich zunächst in Großbritannien und Frankreich, wenig später aber auch in Westdeutschland eine »Neue Linke«, die eine von Moskau unabhängige marxistisch-sozialistische Perspektive in Westeuropa anstrebt. In der Bundesrepublik avanciert in den Sechzigerjahren vor allem der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) zum Kern einer Neuen Linken. Der SDS - ursprünglich als Studentenorganisation der SPD gegründet - wurde 1961 wegen seines Festhaltens an einer marxistischen Systemkritik von seiner Mutterpartei mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss und dem Entzug der finanziellen Mittel abgestraft. In der freischwebenden Studentenorganisation, deren Mitgliedschaft sich nach der Trennung von der SPD bei etwa 800 Aktivisten einpendelte, tummelten sich bald Vertreter aller möglichen sozialistischen und kommunistischen Weltanschauungen. Im Kontext des jugendkulturellen Aufbruchs und des Wertewandels radikalisierte sich der SDS seit Mitte der Sechzigerjahre von einer sozialistisch-systemkritischen zu einer revolutionären Avantgardeorganisation, 15 die sich faktisch den Umsturz der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland auf die Fahnen schrieb. Die einflussreiche Münchner SDS-Gruppe verbreitete im Frühjahr 1965 im gesamten Verband ein programmatisches Thesenpapier, das dazu aufrief, »in Theorie und Praxis die Möglichkeiten und Fähigkeiten der handelnden Subjekte voranzutreiben, sozialistische Demokratie als Organisationsprinzip der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats vorwegzunehmen«, es »nach innen und außen propagieren [und] ohne Kompromisse zu verwirklichen suchen«. Der SDS habe als Teil der linken Bewegung die im Grundsatzprogramm des DGB enthaltenen Strukturreformvorschläge zu unterstützen, »soweit deren Verwirklichung die bürgerliche Gesellschaft als Ganzes infrage stellt«. Im September 1966 begrüßte die Bundesdelegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt mehrheitlich die chinesische Kulturrevolution. In ihrer Resolution bezeichneten die SDS-Delegierten Ausschreitungen der chinesischen Roten Garden als »Randerscheinungen«, die aber verhinderten, dass die Revolution in der VR China erlahme wie in der UdSSR und in Jugoslawien. Zum Sprecher der Radikalen im SDS und bald auch zum Star in den westdeutschen Medien wurde der Berliner Soziologiestudent Rudi Dutschke, der kurz vor dem Mauerbau aus der DDR nach Westberlin geflüchtet war, weil er die Politik des SED-Regimes ablehnte. Der SDS entwickelte sich 1967/68 zur wichtigsten Gruppierung in der westdeutschen Studentenrevolte und in der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Nach der Erschießung eines gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs demonstrierenden Studenten in Westberlin durch einen Kriminalbeamten, der - wie sich erst 2009 herausstellte - ein Agent des Staatssicherheitsdienstes der DDR war, und nach dem Attentat eines rechtsradikalen Jugendlichen auf Rudi Dutschke griff die Studentenrevolte auf weite Teile der westdeutschen Jugend über. Im Streit um die Führung und die »richtige Linie« zerfiel der SDS kurz nach dem Höhepunkt der 68er−Ereignisse. Die Revolte mündete in unendliche Diskussionen über Reformoder Revolutionsprojekte, weit über 100 000 junge Männer und Frauen organisierten sich im Verlauf der Siebzigerjahre in zahlreichen sich gegenseitig befehdenden maoistischen, trotzkistischen und anarchistischen Revolutionsvereinen und Parteien. Mindestens ebenso viele fanden auf dem linken Flügel der SPD eine neue politische Heimat, aber auch in der 1968 neu gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die DKP und ihr Umfeld Zur Gründung der DKP kam es auf Vermittlung der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) nach diskreten Vorabsprachen zwischen Vertrauten der Bundesregierung und der SED im Jahr 1968. Die von der SED finanzierte und gesteuerte DKP verzichtete programmatisch auf die Perspektive einer revolutionären Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik. Das war der Preis ihrer Duldung durch die Bundesregierung und die westdeutschen Verfassungsschutzorgane. Gleichwohl blieb sie bis 1989 der Idee einer Umwandlung des westdeutschen politischen Systems nach dem Vorbild der DDR verhaftet und auf die Finanzierung ihres 16 Funktionärs- und Propagandaapparats durch die SED angewiesen. Die meisten Spitzenfunktionäre der KPD kehrten 1968 aus der DDR in die Bundesrepublik zurück und übernahmen Führungsaufgaben in der DKP. So auch Herbert Mies, DKPVorsitzender von 1973 bis 1990. Im Wandel des Zeitgeists nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zuge der vertraglichen Annäherung beider deutschen Staaten gelangten die DKP und ihre Umfeldorganisationen bis Anfang der Achtzigerjahre zu einigem Einfluss im westdeutschen Universitäts- und linken Gewerkschaftsmilieu sowie in der Bewegung gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen Anfang der Achtzigerjahre. Im November 1970 begab sich sogar ein sozialdemokratischer Bundesverband unter die Fittiche von DKP und SED. Die Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Hochschulbundes (SHB) verabschiedete in Koblenz eine Reihe von programmatischen Entschließungen, die das für die Westarbeit zuständige SEDPolitbüromitglied Albert Norden für so bedeutend hielt, dass er davon das Politbüro in Kenntnis setzte. Norden versah seine Mitteilung an die SED-Führung mit der Bemerkung: »Erwähnen möchte ich, dass wir diese Beschlüsse des SHB in unserer Presse nicht sehr hochgespielt haben und vorläufig auch nicht hochspielen werden, um der rechten SPD-Führung dadurch keine Handhabe gegen die progressiven Kräfte des SHB zu geben.« Die progressivsten Kräfte des SHB, die zum Teil bereits auf marxistischen Positionen stünden, hätten derzeit den größten Einfluss in dem 2000 Mitglieder zählenden Verband. Der SHB war zehn Jahre zuvor als antikommunistischer Widerpart gegen den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gegründet worden. Am 23. Mai 1960 hatte der Parteivorstand der SPD »die ihm vorgelegte Grundsatzerklärung des SHB zur Kenntnis« genommen, den SHB als sozialdemokratische Organisation anerkannt und »die eindeutige Haltung des SHB zum Godesberger Programm sowie die scharfe Abgrenzung zum Totalitarismus und seiner gegenwärtig gefährlichsten Form, dem Kommunismus«, begrüßt. Im November 1970 verabschiedete die Delegiertenkonferenz dieses sozialdemokratischen Studentenbundes eine Entschließung zur Ostpolitik, in der der SPD-Führung vorgeworfen wurde, sie sei nicht mehr nur objektiv, sondern auch subjektiv »an der Sicherung des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems interessiert«. In der Entschließung wurde von der »Bundesrepublik als dem vorgeschobenen Posten des Weltimperialismus« gesprochen und die Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung kritisiert, da sie den Alleinvertretungsanspruch immer noch nicht aufgegeben habe. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Übergang des SHB vom sozialdemokratischen in das realsozialistische Lager vollzog, überraschte selbst die Erwartungen der für die Westarbeit verantwortlichen SED-Funktionäre. Im Juli 1970 traf eine Delegation des »SHB-Bundeszentralrates« - wie sich der Vorstand des Verbands inzwischen nannte - in Ostberlin mit Vertretern des FDJ-Zentralrates zusammen, die sich angesichts der 17 raschen Annäherung des SHB an die kommunistische Weltanschauung überrascht zeigten: »Die ursprünglich von uns erwartete größere Differenzierung in den politischen Ansichten bestätigte sich nicht«, hieß es in einer zusammenfassenden Bewertung des FDJ-Vorsitzenden Günther Jahn. In der Bewertung der Innenpolitik der Bundesregierung habe es weitgehend Übereinstimmung gegeben. Zahlreiche SHB-Mitglieder absolvierten seit 1971 in der DDR Schulungskurse zur »Ausbildung in marxistischer Theorie«. Die SPD trennte sich 1972 vom SHB und untersagte ihm jede weitere Tätigkeit unter sozialdemokratischem Namen. Der Verband benannte sich daraufhin in Sozialistischer Hochschulbund Deutschlands um. 1989 löste der SHB sich selbst auf. In den Siebzigerjahren beherrschten Bündnisse des SHB mit dem Marxistischen Studentenbund (MSB) Spartakus der DKP viele westdeutsche Studentenvertretungen und zeitweise auch den Verband Deutscher Studentenschaften (VDS). Der MSB Spartakus hatte in seiner besten Zeit über 6000 Mitglieder; auch er löste sich nach dem Ende des SED-Regimes 1990 selbst auf. Im Umfeld der DKP finanzierte die SED mit erheblichem Aufwand »fortschrittliche Verlage«, 1972 befanden sich 21 Verlage in der Hand von DKP-Genossen. Einer der einflussreichsten war der Verlag Marxistische Blätter, der zwischen 1969 und 1972 insgesamt 126 Titel herausbrachte, davon 91 DDR-Mitdrucke, Lizenzen oder Manuskripte aus der DDR (einschließlich Sowjetunion) sowie die Zeitschrift Marxistische Blätter. Durchaus von Bedeutung war auch der Pahl-Rugenstein Verlag. Er brachte in der gleichen Zeit 41 Titel, davon sieben mithilfe von Verlagen bzw. Institutionen der DDR heraus und monatlich die Blätter für deutsche und internationale Politik sowie die Zeitschrift Kritischer Katholizismus. Die aus der DDR 1972 über DKP-Vertriebswege in die Bundesrepublik exportierten Bücher machten 12 Prozent des Buchexports der DDR aus. K-Gruppen, Spontis, Trotzkisten und viele andere mehr Wie erwähnt gehörten in den Siebzigerjahren etwa 100000 junge Westdeutsche zur linksradikalen Fundamentalopposition. Sie bekämpften das politische System der Bundesrepublik und wollten es durch ein wie auch immer geartetes sozialistisches Gesellschaftsmodell ersetzen. Neben den eher anarchistisch orientierten »Spontis«, die durch den späteren Außenminister Joschka Fischer von den Grünen in den letzten Jahren noch einmal deutlich ins öffentliche Blickfeld gerieten, bildeten die sogenannten K-Gruppen einen erratischen Block, von dem heute kaum noch bekannt ist, wo er herkam und wohin er verschwunden ist. Nur verschämt, wenn überhaupt, weisen Politiker der Grünen bisweilen auf ihre frühere Mitgliedschaft in einer K-Gruppe hin. Dabei fand ein beträchtlicher Teil des K-Gruppenpotenzials Anfang der Achtzigerjahre bei der Grünen Partei eine neue politische Heimat und trug durch ihre langjährige Organisationserfahrung zum Gründungsschwung des neuen Projekts bei. Eine repräsentative Untersuchung über die politische Vorgeschichte grüner Amts- und Mandatsträger bezifferte 1987 ihren Herkunftsanteil aus K-Gruppen auf 21 Prozent. 18 Alle K-Gruppen, deren Funktionäre später mit den Bunten und Alternativen Listen in die Grüne Partei gelangten, entstanden als Zerfallsprodukte der 68er−Bewegung in den frühen Siebzigerjahren. Sie waren straff organisierte Kaderorganisationen, die sich mehr oder weniger an der maoistischen Ideologie orientierten und die Hoffnung hegten, in absehbarer Zeit als kommunistische Avantgarde die Führung der deutschen Arbeiterklasse übernehmen zu können. Das gemeinsame Ziel der untereinander zerstrittenen K-Sekten war die Ersetzung der bürgerlichdemokratischen Republik durch eine Diktatur des Proletariats. Die einflussreichsten auch überregional aktiven K-Gruppen waren: die KPD/ML, der Kommunistische Bund (KB), die KPD/AO (seit 1974 KPD), der Kommunistische Arbeiterbund Deutschlands (KABD), der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD und die Marxistische Gruppe. Um die meisten dieser kommunistischen Sekten gruppierten sich Unterorganisationen, die »Bündnispartner« unter den Jugendlichen, Studenten und Künstlern werben sollten. Die an Mitgliedern stärkste und einflussreichste K-Gruppe war der 1973 gegründete Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW), der Mitte 1976 nach seiner internen Statistik 2611 Mitglieder hatte, die bundesweit in etwa 400 Zellen organisiert waren. Zu zwei Dritteln bestand die Organisation aus Männern, das Durchschnittsalter der Kader betrug 24 Jahre, zwölf Prozent der Mitgliedschaft waren Arbeiter. Zum KBW gehörten außerdem die Kommunistischen Hochschulgruppen (KHG) mit knapp 2000 Mitgliedern sowie Oberschülerorganisationen, eine Gesellschaft zur Unterstützung der Volkskämpfe (GUV) und diverse Solidaritätskomitees mit insgesamt weiteren 2000 KBW-Sympathisanten. Die verkaufte Auflage des KBW-Wochenblatts Kommunistische Volkszeitung betrug 30000 Exemplare, wobei das Blatt wegen vieler Wohngemeinschafts- und Kneipenabonnements rund 100 000 Leser erreichte. Bei den Bundestagswahlen von 1976 erhielt der KBW 21414 Stimmen, 1980 hingegen nur noch 12008. Die Führung des KBW lag faktisch in den Händen einer kleinen Gruppe bezahlter Funktionäre. Sie nannten sich »Ständiger Ausschuss« und wurden von einem Zentralen Komitees (ZK) gewählt, dem 39 Mitglieder und zehn Kandidaten angehörten. An der Spitze des ZK stand der Erste Sekretär. Von 1973 bis 1983 war das Hans-Gerhart »Joscha« Schmierer, der 1968 dem Bundesvorstand des antiautoritären Sozialistischen Deutschen Studentenbundes angehört hatte. Für Außenminister Joschka Fischer arbeitete Schmierer zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung im Planungsstab des Auswärtigen Amtes. Den revolutionären Umsturz strebten ebenfalls die in den frühen Siebzigerjahren aktiven trotzkistischen und rätekommunistischen Parteiorganisationen sowie eine Unzahl von Autonomen- und Sponti-Basisgruppen an. Die wichtigsten von ihnen waren die zur IV. Internationale gehörende Gruppe Internationaler Marxisten (GIM), die Gruppe Spartacus, die Proletarisch Revolutionäre Parteiinitiative (PLPI), die Ruhrkampagne sowie der Revolutionäre Kampf. Nahezu alle revolutionären Miniparteien litten gegen Ende der Siebzigerjahre an einem starken 19 Mitgliederschwund. Die meisten zerfielen oder lösten sich selbst auf, und der Großteil ihrer ehemaligen Mitglieder kehrte in ein bürgerliches Leben zurück. Als Zerfallsprodukte der Jugend- und Studentenrevolte von 1968 entstanden verschiedene Untergrundorganisationen, die den bewaffneten Kampf gegen das westdeutsche Gesellschaftssystem aufnahmen. Ihre Ideenwelt war von kommunistischen und anarchistischen Theorien sowie von der revolutionären Propaganda lateinamerikanischer Stadtguerillaorganisationen und der Black Panther Party geprägt. In diesem Zusammenhang entstanden drei auch international operierende westdeutsche Terrororganisationen: die RAF, die Bewegung 2. Juni und die Revolutionären Zellen (RZ). Diese bewaffneten Kampfgruppen waren Spätgeburten der Weltbürgerkriege des 20. Jahrhunderts. Die interessierten Dritten, die den schießenden westdeutschen Kommunisten jahrelang das logistische Hinterland sicherten, saßen an der Spitze einer regierenden kommunistischen Partei. Das war die ostdeutsche Seite der Medaille. Ohne Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit hätte die erste Generation der RAF ihre Rückkehr aus den palästinensischen Ausbildungslagern nach Westdeutschland gar nicht bewerkstelligen können. Die Stasi gewährte den westdeutschen Terroristen bis in die Achtzigerjahre hinein nicht nur verdeckte Ein- und Ausreisen, sie ermöglichte ihnen nach Anschlägen via DDR die Flucht in Dritte-Welt-Länder, fälschte Pässe und gab ihnen, wenn nötig, auch Reisegeld mit auf den Weg. RAF-Kämpfer absolvierten sogar auf Übungsplätzen der Nationalen Volksarmee eine von Stasi-Ausbildern angeleitete Schieß- und Sprengausbildung. Der international gesuchte Terrorist Carlos (Ilich Ramírez Sµnchez) und Mitglieder seiner Gruppe hielten sich mehrfach in der DDR auf und arbeiteten mit dem MfS zusammen. Im Vorfeld des Bombenanschlags auf das Maison de France in Westberlin (1 Toter, 21 Verletzte) erhielt das Mitglied der Carlos-Gruppe Johannes Weinrich auf Vermittlung der syrischen Botschaft den vom MfS beschlagnahmten Sprengstoff zurück, mit dem das Attentat am 25. August 1983 verübt wurde. Weinrich wurde 2001 von einem Berliner Gericht wegen des Bombenanschlags zu lebenslanger Haft und der Leiter der »Terrorabwehr« des MfS, Helmut Voigt, als Beihelfer zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Die RAF und der DDR-Staatssicherheitsdienst waren in vielerlei Hinsicht Brüder im Geiste. Stasi-Minister Erich Mielke sorgte als klammheimlicher RAF-Sympathisant fast zwanzig Jahre lang für eine verdeckte deutsch-deutsche Waffenbrüderschaft, ohne die aus der RAF nie das geworden wäre, was sie in den Siebziger- und Achtzigerjahren war. Erich Mielkes wohlwollendes Interesse an der RAF und anderen Untergrundorganisationen speiste sich aus eigener Lebenserfahrung. Nicht nur, dass er als Jungkommunist auf dem Berliner Bülowplatz zwei sozialdemokratische Polizeibeamte erschoss, er und seine Umgebung teilten neben der Weltsicht auch den Hass der Linksterroristen auf die bürgerliche Demokratie und vor allem die Idee der historisch notwendigen Gewaltausübung gegen alle, die der schönen neuen Welt des Kommunismus im Wege standen. Mehr als 70 Menschen starben in dem von der 20 RAF, der Bewegung 2. Juni und den RZ gegen das »westdeutsche Schweinesystem« entfesselten Krieg, davon 33 aufseiten der Terroristen. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sympathisierte 1972 jeder vierte Westdeutsche unter dreißig mit der RAF. Die im Gefängnis einsitzenden Führungskräfte der ersten Generation um Ulrike Meinhof und Andreas Baader wurden von bekannten Linksanwälten verteidigt, die mit ihren damaligen öffentlichen Propagandareden der zweiten und dritten Terroristengeneration Argumente für den unversöhnlichen Kampf gegen Staat und Justiz an die Hand gaben. Mancher, der damals das Feuer schürte, gehörte am Ende des 20. Jahrhunderts zur Prominenz der Berliner Republik, Journalisten, Abgeordnete und Minister inklusive. Die Geschichte des westdeutschen Terrorismus endete bald nach dem Untergang des SED-Regimes. Der zeitliche Kontext war kein Zufall. Der Kommunismus an der Macht in der SBZ/DDR von 1945 bis 1989/1990 Kommunistische Nachkriegsplanungen Führende KPD-Funktionäre wurden unmittelbar nach der Teheraner Konferenz damit beauftragt, Konzeptionen für die politische Gestaltung Nachkriegsdeutschlands zu entwerfen. Diese Kommunisten, die das Moskauer Exil und den stalinistischen Gulag überlebt hatten, waren in vielfacher Weise gebrochen und hatten sehr oft ein von tiefem Misstrauen und Zynismus geprägtes Menschen- und Gesellschaftsbild verinnerlicht. Auf Weisung von Georgi Dimitrow, dem ehemaligen Generalsekretär der Komintern, entwickelte die Moskauer KPD ein Konzept zur Bildung eines »Blocks der kämpferischen Demokratie«. Unter Führung der Kommunistischen Partei sollte ein Bündnis mit Sozialdemokraten, aber auch mit bürgerlichen Kräften die Macht im besiegten Nachkriegsdeutschland übernehmen. Bei der Verwirklichung der Idee einer Einheitspartei von Kommunisten und Sozialdemokraten müsse bei der Zusammenarbeit mit der SPD, die man wenige Jahre zuvor noch als sozialfaschistisch bezeichnet hatte, darauf geachtet werden, dass der »Sozialdemokratismus« in der anzustrebenden Einheitspartei keine Rolle spiele. Die wichtigsten führenden Positionen sollten die sogenannten Moskau-Kader übernehmen. Ende April 1945 flog die Rote Armee ausgewählte deutsche Kommunisten nach Deutschland, damit sie die Machtübernahme im Nachkriegsdeutschland konkret vorbereiten konnten. Eine herausragende Rolle nahm dabei Walter Ulbricht ein, der die Maxime für die Machtübernahme vorgab: »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.« 21 Sowjetische Besatzungsherrschaft Die oberste Macht lag jedoch in den Händen der sowjetischen Besatzungsbehörde, der »Sowjetischen Militäradministration in Deutschland« (SMAD). Innerhalb kürzester Zeit baute sie ein Befehls- und Kontrollnetz auf, das alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens in der SBZ umfasste. Von 1945 bis 1950 unterhielten sowjetische Behörden in ehemaligen Konzentrationslagern, Kriegsgefangenenlagern oder Strafanstalten zehn Speziallager (u. a. Buchenwald, Berlin-Hohenschönhausen, Bautzen und Sachsenhausen), in die etwa 150000 bis 180 000 Personen eingewiesen wurden. Über 40000 Menschen kamen zu Tode, viele von ihnen verhungerten. Die Zahl der von sowjetischen Militärtribunalen unter der Beschuldigung von NSVerbrechen Verurteilten liegt bei etwa 40000 bis 50000. In vielen Fällen basierte die Anklage ausschließlich auf einem »Geständnis« der Inhaftierten, das häufig mit physischer oder psychischer Folter erpresst wurde. Die Urteilssprüche und hohen Strafen waren zumeist mit der Konfiszierung von Hab und Gut verbunden. Bis Ende 1947 wurden mehr als 20000 Menschen in die Sowjetunion verschleppt und dort in Zwangslager verbracht oder hingerichtet. Auch in der SBZ vollstreckten sowjetische Besatzungstruppen zahlreiche Todesurteile. Neben ehemaligen Nazis wurden auch Sozialdemokraten und bürgerlich gesinnte Personen, die sich dem kommunistischen Regime widersetzten oder denunziert worden waren, in die Speziallager gebracht und zum Teil verurteilt. Manche Personen saßen zum zweiten Mal in dem gleichen KZ - erst unter den Nationalsozialisten und jetzt unter den Kommunisten. SMAD und die als »Russenpartei« verschriene KPD stießen bei der ostdeutschen Bevölkerung nicht auf Sympathie, da es beim Einmarsch der Roten Armee zu massenhaften Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden an der Zivilbevölkerung gekommen war. Sozialistische Umgestaltung Nach der Schließung der Banken und der Beschlagnahme ihrer Aktiva im Juli 1945 wurde die wirtschaftliche Umgestaltung mit der Verstaatlichung des Bankenwesens und der Großindustrie fortgesetzt. Der Anteil der verstaatlichten Betriebe an der Produktionsleistung in der SBZ betrug 1948 etwa 60 Prozent. Die Konfiszierungen erfolgten unter der Parole »Enteignung der Kriegsverbrecher«. Ebenso schnell und systematisch geschah die Umgestaltung der Landwirtschaft. Begleitet von aufwendigen Propagandakampagnen läuteten SMAD und KPD im September 1945 die Bodenreform ein. Mithilfe einer entschädigungslosen Enteignung unter der Losung »Junkerland in Bauernhand« erhielten über 500 000 anspruchsberechtigte private Personen ein kleines Stück Land. Insgesamt erfolgten mehr als 10 000 Enteignungen, darunter ca. 4000 mit weniger als den ursprünglich vorgesehenen 1200 ha. 22 Mit der Umgestaltung von Wirtschaft und Landwirtschaft ging die Vertreibung der alten Eliten einher; an ihre Stelle traten nun Begünstigte des neuen Systems, von denen sich die KPD/SED eine treue Gefolgschaft oder zumindest Loyalität versprach. Die soziale Neustrukturierung der Gesellschaft erfolgte unter dem Deckmantel der Entnazifizierung. Allerdings erwuchsen hieraus auch besondere Probleme, waren doch viele Neubauern und vor allem die meisten ökonomischen Führungskader nicht hinreichend oder überhaupt nicht für ihre Aufgabe qualifiziert. Da Stalin das gesamte Deutschland in den eigenen Macht- bzw. Einflussbereich einbeziehen wollte, ließ die Besatzungsbehörde entgegen dem sowjetischen Vorbild mehrere Parteien zu. Gleichzeitig entstanden zentralistische Verwaltungsstrukturen, mit denen die sozialistische Umgestaltung abgesichert wurde. Dabei ließ die SMAD keine Eigenständigkeiten der Parteien und Institutionen zu. Als »Aushängeschild« diente dabei die KPD/SPD, die als direkter Befehlsempfänger und Begünstigter gegenüber den anderen Parteien einen Sonderstatus einnahm. Die anfangs zugelassenen vier Parteien - neben KPD und SPD die CDU und als liberale Partei die LDPD - mussten in einem Block zusammenarbeiten. Diese Blockpolitik war faktisch nur »Camouflage« und diente der Steuerung des Parteiensystems im kommunistischen Interesse. Illusionen der beiden bürgerlichen Parteien, in dem »Block« aufgrund des Konsensprinzips eigene Positionen durchsetzen oder kommunistische Forderungen wenigstens abschwächen zu können, zerplatzten recht bald. KPD und SPD traten per Vorabsprache den bürgerlichen Parteien geschlossen gegenüber. Hinzu kam die Überwachung aller Parteiaktivitäten durch sowjetische Geheimdienste. Die Gründung der SED und ihr Herrschaftsanspruch Hatten sich anfangs die Kommunisten einer von führenden ostdeutschen Sozialdemokraten angestrebten Vereinigung widersetzt, um den Aufbau ihres eigenen Apparates und ihre gesellschaftliche Verankerung nicht zu gefährden, mussten sie nach den für sie negativen Ergebnissen der Wahlen in Ungarn und Österreich auf Druck der Sowjetunion eine Verschmelzung mit der Sozialdemokratie anstreben. Die Vereinigung wurde schließlich im April 1946 auch gegen Widerstände in der ostdeutschen Sozialdemokratie und gegen den entschiedenen Widerspruch der West-SPD vollzogen. Aus Sicht der Vereinigungsgegner vollzog sich die SEDGründung als Zwangsvereinigung. Gleichwohl erlagen viele Sozialdemokraten der Illusion, in der neuen Einheitspartei den Kurs zumindest mitbestimmen zu können. Tatsächlich aber dominierten die Führungskader der KPD die neue Partei von Beginn an. Ehemalige Sozialdemokraten mussten sich an kommunistische Gepflogenheiten anpassen oder standen in Gefahr, aus der Partei hinausgesäubert oder sogar verhaftet zu werden. Die Sozialistische Einheitspartei war, auch wenn sie dies erst zwei Jahre später offiziell verkündete, eine genuin kommunistische Partei, welche die Gründung eines eigenen Staates von Beginn an fest im Blick hatte. Eine mögliche Wiedervereinigung 23 mit dem Westen strebte sie durch eine revolutionäre Umwälzung in den anderen deutschen Zonen an. In der Vorbereitung der Übernahme des Staates durch die SED warnte der ehemalige Sozialdemokrat und spätere erste Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, schon 1948 davor, nur den alten bürgerlichen Staat zu restaurieren. In dem »neuen Staat« reiche es nicht, die Schaltstellen mit SED-Genossen zu besetzen. Jeder zukünftige Staatsbedienstete müsse wissen, »dass seine Aufgabe darin besteht, bei der Partei zu stehen, in der Partei zu stehen und für die Partei zu stehen«. Ehemalige Sozialdemokraten hatten also schnell gelernt, worum es den deutschen Kommunisten ging: um die Zerstörung des bürgerlichen Staates und den Aufbau einer »sozialistischen Demokratie«, die politisch durch die »Diktatur des Proletariats« und ökonomisch durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel gekennzeichnet war. Die Gründung des SED-Staates Nachdem sich im Laufe des Jahres 1947 die Auseinandersetzungen zwischen den »Verbündeten wider Willen« der ehemaligen »Anti-Hitler-Koalition« verschärft hatten und die Westalliierten die Gründung eines »Weststaates« forcierten, konnte auch die SED die Gründung ihres Staates konkret vorbereiten. Am 7. Oktober 1949 wurde auf Weisung Stalins die DDR gegründet. Auf eine Legitimation durch Wahlen hatte die SED vorsichtshalber verzichtet. Ein Jahr später durfte die DDR-Bevölkerung per »Einheitsliste«, auf der neben SED, CDU und LDPD zwei weitere Parteien - die NDPD und die Bauernpartei - sowie einige Massenorganisationen vertreten waren, die Abgeordneten der »Volkskammer« wählen. Da die Verteilung der Sitze vorher festgelegt wurde, war die Wahl eine Farce. Dennoch fälschte die SED alle Abstimmungen und erreichte so immer fast 100 Prozent der Stimmen. Unmittelbar nach der Staatsgründung setzte die Kommunistische Partei in Absprache mit der »Sowjetischen Kontrollkommission« (SKK) - der Nachfolgerin der SMAD strukturelle Veränderungen in Staat und Gesellschaft nach dem Vorbild des sowjetischen Systems durch. Neben der Ausrichtung der Mitgliedschaft auf die Parteispitze durch Säuberungen und Disziplinierungen festigte die Staatspartei ihre Macht durch die bedingungslose Unterordnung von Blockparteien und Massenorganisationen unter ihren Primat. Widerstrebende oder auch nur zögerliche Politiker aus CDU und LDPD wurden gemaßregelt, abgesetzt, inhaftiert oder zur Flucht in den Westen getrieben. Den Massenorganisationen wies die SED neben der legitimatorischen Rolle verstärkt Funktionen bei der Durchsetzung von Staatsaufgaben zu; sie mutierten damit faktisch zu einem verlängerten Arm von Partei und Staat. Die politische Gleichschaltung war Anfang der Fünfzigerjahre endgültig abgeschlossen. Nach der Staatsgründung wurde Realität, was die Parteiführung schon im Frühsommer 1948 bei der offiziellen Verwandlung der SED in eine marxistischleninistische Kader- und Massenpartei formuliert hatte: »Die führende Rolle der Partei bedingt […] dass alle Parteileitungen die Fähigkeit erwerben, den Staat, die 24 Länder, Kreise und Gemeinden, die Betriebe, die Industrie, die Landwirtschaft, die Schule, das kulturelle Leben usw., das alles zu verwalten und zu führen.« Nach dieser Auffassung stand Parteiloyalität über Staatsloyalität. Die DDR kann daher mit Fug und Recht als SED-Staat gekennzeichnet werden. Entnazifizierung und Integration ehemaliger Nazis Die Entnazifizierung erfolgte in der SBZ/DDR umfassender als in den Westzonen und der Bundesrepublik. Nach Schätzungen wurden insgesamt etwa eine halbe Million Nationalsozialisten, darunter vier Fünftel aller Richter und mehr als die Hälfte der Lehrer, ihrer bisherigen beruflichen Positionen enthoben bzw. nicht wiedereingestellt. Die SED nutzte allerdings die Entnazifizierung auch zur Entlassung missliebigen Personals aus Wirtschaft und Staat; an dessen Stelle sie eigene Kader platzierte. Daneben verhalf sie vornehmlich solchen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft der nationalsozialistischen Ideologie abgeschworen hatten, zu einer zum Teil steilen Karriere. Ehemalige Nationalsozialisten, die sich nun der Sache der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde widmeten, konnten in der SED, in den Ministerien und auch in den meisten Berufen rasch wieder Karriere machen. Auf Weisung der sowjetischen Seite gründete die SED 1948 eine von ihr gelenkte Partei - die NDPD -, in der ehemalige kleine Parteigenossen der NSDAP organisiert werden sollten. Viele ehemalige Mitglieder der NSDAP und ihrer Massenorganisationen traten jedoch lieber in die SED ein, weil ihnen hier bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet wurden. Sie verhielten sich besonders diszipliniert und waren von den wiederholten Säuberungen innerhalb der Partei deutlich weniger betroffen als ehemalige Sozialdemokraten. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis hatte die SED den »Faschismus«, wie sie den Nationalsozialismus nannte, durch Bodenreform, Enteignungen und kommunistische Erziehung mit der Wurzel ausgerottet. Dennoch hatte die Partei vor allem in den Achtzigerjahren sogar ein von ihr geleugnetes Problem mit jugendlichen Neonazis, die sie als »Rowdies« verharmloste. Antizionismus und Antisemitismus im SED-Staat Für die SED war der Nationalsozialismus vor allem durch seinen Antikommunismus geprägt. Die rassenideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus und die Vernichtung der Juden kamen in der Darstellung des NS-Regimes nur am Rande vor. Zwar wurden nach ihrer Lesart Juden ebenso wie Kommunisten verfolgt, aber da nur Letztere gegen den Faschismus gekämpft hatten, wurden sie dementsprechend materiell belohnt. Vor diesem Hintergrund lehnte die SED eine »Wiedergutmachung« an den Staat Israel ab und hatte keine Hemmungen, zum Teil unter Rückgriff auf antisemitische Stereotype des Nationalsozialismus »antizionistische« Hetzparolen zu verbreiten. 25 Erste deutliche antijüdische Aktivitäten der SED begannen bereits Anfang der Fünfzigerjahre vor dem Hintergrund massiver Judenverfolgungen in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten. Nach dem Ausbruch des Sechs-Tage-Kriegs im Nahen Osten 1967 verschärfte die SED ihre Hetze gegen Israel und die Juden. Israel sei der Brückenkopf des»Weltimperialismus«, finanziert von internationalen Bankenkonsortien. Selbst vor einer plumpen Analogie zwischen Israel und dem NSRegime schreckte die SED nicht zurück. So berichtete ihre Nachrichtenagentur ADN zum Beispiel 1978: »Israel hat von Nazi-Deutschland gelernt« und begehe einen »Völkermord« an den Palästinensern, »die Juden - als Opfer - wurden zu Henkern«. Die Rolle der Stasi Da sich die SED nicht auf eine Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung stützen konnte, musste sie auf Weisung und unter Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht zur Sicherung ihrer Macht schon frühzeitig eigene Sicherheitsapparate in der SBZ aufbauen. Neben einem parteiinternen Spitzelapparat standen spezielle (politische) Kommissariate innerhalb der Kriminalpolizei - die sogenannten K5 - als erste Institutionen für den Aufbau repressiver Strukturen zur Verfügung, die 1950 institutionell zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS) führten. Dieses Ministerium hatte 1950 erst 2700 hauptamtliche Mitarbeiter. Ihre Zahl wuchs von etwa 30000 Mitte der Sechzigerjahre und gut 70 000 Ende der Siebzigerjahre auf über 90000 im letzten Jahr der DDR. Hinzu kamen 1989 noch einmal ca. 174 000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM), die ihre Mitmenschen bespitzelten. Damit gab es in der DDR auf 62 Einwohner einen Mitarbeiter der Stasi, eine Relation, die weltweit ihresgleichen sucht. Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi sollten den SED-Staat vor dem Einfluss »feindlich-negativer Personen« und ihrer »feindlich-negativen Handlungen« schützen. Zum »Feind« wurde jeder erklärt, der Kritik am Sozialismus oder der kommunistischen Partei und ihrer Funktionäre äußerte. Ging die Stasi gemeinsam mit anderen Sicherheitskräften bis weit in die Sechzigerjahre hinein mit zum Teil brachialen Mitteln gegen politisch Andersdenkende vor, änderte sich die Strategie im Zuge der Entspannungspolitik und der Beobachtung durch Westmedien. Nun sollte der tatsächliche oder potenzielle Klassenfeind möglichst flächendeckend überwacht und kontrolliert werden. Das MfS beobachtete nicht nur »feindlich-negative Kräfte«, indem es im Zusammenwirken mit anderen Institutionen deren Leben und Verhalten vom Beruf bis zur Intimsphäre mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln im wahrsten Sinne des Wortes ausschnüffelte, sondern entwickelte auch Maßnahmepläne, welche die »Zersetzung« - die »Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte« auf konspirativer Basis - bestimmter Personen zum Ziel hatten. Der Betroffene sollte am Arbeitsplatz und in seinen persönlichen Beziehungen isoliert und diskreditiert, persönlich verunsichert und sogar kriminalisiert werden. Das MfS stützte sich dabei auf Erkenntnisse der »operativen Psychologie«. 26 Die hieraus entwickelten Methoden sollten die Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen zerstören, indem u. a. »Personen des Vertrauens (Familie, Freunde)« als IM zum Einsatz gebracht wurden. Mit der Aufstellung sogenannter »Kampfgruppen der Arbeiterklasse« in allen großen Betrieben und Verwaltungen seit dem Frühjahr 1953 schuf sich die SED-Führung zusätzliche bewaffnete Formationen, die im Falle eines Bürgerkriegs gegen Aufständische und im Kriegsfall zur »Heimatverteidigung« eingesetzt werden sollten. Die in der Tradition der proletarischen Hundertschaften und des RoteFrontkämpferbundes der KPD stehenden paramilitärischen Einheiten erlebten bei der Abriegelung der DDR ab dem 13. August 1961 ihren ersten (und einzigen) großen Einsatz. Per Direktive ordnete das MfS im Jahr 1967 die flächendeckende Inhaftierung politisch Andersdenkender im Falle innerer Unruhen oder bei einem äußeren Spannungsfall an. Hierzu sollten Isolierungslager errichtet werden, um potenzielle Staatsfeinde einsperren zu können. Die Stasi ging Ende der Achtzigerjahre von ca. 86000 Personen aus, die dem SED-Staat feindlich gegenüberstanden. Von ihnen sollten im Spannungsfall ca. 3000 inhaftiert und etwa 11000 in Isolierungslagern untergebracht werden. Unter Einsatz der Justiz, die von der SED als »Waffe im Klassenkampf« benutzt wurde, konnten politisch unliebsame Personen ohnehin jederzeit verurteilt werden. Die Zahl der wegen »politischer Delikte« in der DDR verurteilten Personen dürfte bei etwa 250000 Personen liegen. Das MfS war kein Staat im Staate, sondern »Schild und Schwert« der Partei, das mit seiner Tätigkeit die Macht der Partei sichern sollte. Bis zum Ende der DDR blieb die Tätigkeit dieses Organs allerdings mit nur vagen Formulierungen umschrieben, sodass die Bevölkerung die Machtfülle des MfS nur ahnen konnte. Die Kirchenpolitik der SED Obschon in der Verfassung die »volle Glaubens- und Gewissensfreiheit« und die »ungestörte Religionsausübung« verankert waren, versuchte die SED, den Einfluss der institutionell selbstständigen Kirchen und der Religion zurückzudrängen. In den Fünfzigerjahren ging die Partei vor allem gegen die »Jungen Gemeinden« vor, die aus ihrer Sicht »illegale Agenten- und Spionageorganisation(en)« waren. Viele junge Christen wurden wegen ihres Glaubens verfolgt, eingesperrt oder zur Flucht gezwungen. Obschon sich die Partei Ende der Siebzigerjahre mit den evangelischen Kirchen verständigte (»Kirche im Sozialismus«), hatte sie die Einschränkung und Kanalisierung kirchlicher Aktivitäten sowie die Entchristianisierung der Gesellschaft zum Ziel, denn ein religiöses Leben widersprach dem weltanschaulichen Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus. Die Zahl der Kirchenmitglieder ging 27 von etwa 15 Millionen auf rund vier Millionen Menschen zurück. An die Stelle der Konfirmation trat die von der SED zwar nicht erfundene, aber mit kommunistischen Inhalten und Zielen inszenierte »Jugendweihe«. Vom bürgerlichen zum sozialistischen Bildungsprivileg Da die KPD/SED davon ausging, dass der »neue Mensch« insbesondere durch die Prägung junger Menschen zu erreichen sei, legte sie von Beginn an großen Wert auf Strukturen und Inhalte von kollektiver Erziehung und Bildung. Vorrangiges Ziel der kommunistischen Bildungsreform war die Brechung des »bürgerlichen Bildungsprivilegs«. An die Stelle des alten, institutionell differenzierten Schulsystems trat eine einheitliche achtjährige gemeinsame Schule für alle Kinder, gefolgt von einer vierstufigen Ober- bzw. dreistufigen Berufsschule. Lehrer, die Mitglieder der NSDAP waren oder eine bürgerliche Herkunft aufwiesen, wurden zumeist entlassen. In Schnellkursen ausgebildete Neulehrer sollten vor allem eine »antifaschistische Erziehung« gewährleisten. Ähnlich fundamental bauten SMAD und SED die Hochschulen um, indem sie nicht nur NS-belastete, sondern auch viele bürgerlich-konservative Professoren, die sich dem kommunistischen Diktat nicht beugten, entließen. Nach dem Verständnis der SED hatten die Hochschulen die Ausbildung einer neuen sozialen und politischen Elite zu gewährleisten. Die Universitäten öffneten sich für jüngere Berufstätige ohne Abitur, und der Arbeiteranteil an den Studierenden wurde zumindest bis in die Siebzigerjahre hinein durch Zulassungsquoten erhöht. Neben der fachlichen Wissensvermittlung wurde mit dem Pflichtfach Marxismus-Leninismus für Studenten aller Fachrichtungen Einfluss auf deren ideologische Schulung genommen. Nach der Neubesetzung der vakant gewordenen Positionen im Bildungssystem und in den akademischen Berufen wurde der Anteil von Abiturienten und Studenten drastisch reduziert. In den Achtzigerjahren studierten etwa 13 Prozent eines Jahrgangs - unter ihnen nur noch ein geringer Anteil Arbeiterkinder. Die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in entsprechende Positionen aufgestiegene sozialistische Intelligenz sorgte nun für die akademischen Ehren ihrer Nachkommen. Das bürgerliche Bildungsprivileg wurde zum Bildungsprivileg von Kindern sozialistischer Eltern. Marxistisch-leninistische Moral und Ethik Wie andere kommunistische Parteien auch, rechtfertigte die SED ihren Herrschaftsanspruch mit der »wissenschaftlichen Weltanschauung« des MarxismusLeninismus. Hieraus leitete sie für sich ein universelles Wahrheits- und Erklärungsmonopol ab. Der im Marxismus-Leninismus verankerte historische Determinismus deutete den Fortgang der Geschichte als eine gesetzmäßige Entwicklung zum Sozialismus/Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus kann als »politische Religion mit geschlossener Kirche und unumstößlichem Dogma« 28 (Bracher) verstanden werden, die ihren Anhängern stete Gewissheit gab, auf der richtigen Seite zu stehen, sie aber andererseits unweigerlich in Widersprüche und Konflikte mit der eigenen gesellschaftlichen Realität führte. Den MarxismusLeninismus ergänzte der als Mythos kultivierte Antifaschismus, der nach marxistischleninistischer Lesart den diktatorischen Kern der sozialistischen Gesellschaft verhüllen sollte und als Feinderklärung gegenüber den Westmächten und der Bundesrepublik diente. So wurde die Mauer als »antifaschistischer Schutzwall« bezeichnet. Die Parteiführung beanspruchte ein ideologisches Interpretations- und Wertemonopol. Ziel war die soziale und politische Homogenisierung der Gesellschaft und die Durchsetzung eines neuen gesellschaftlichen Wertesystems mittels einer »Diktatur über die Bedürfnisse« (Agnes Heller). Gemäß ihrer marxistisch-leninistischen Ideologie entwickelte die SED Prinzipien einer sozialistischen Moral und Ethik, die an die Stelle christlicher Werte treten sollten. Walter Ulbricht formulierte 1958 »Zehn Gebote der neuen sozialistischen Sittlichkeit«. Im Vordergrund standen die internationale Solidarität und die bedingungslose Unterstützung des Sozialismus. In Artikel 2 heißt es: »Du sollst dein Vaterland lieben und stets bereit sein, deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen.« Die Achtung der Familie nahm dagegen einen nachgeordneten Rang ein. Auf diese Gebote folgte im letzten SED-Programm von 1976 das Konzept der »sozialistischen Lebensweise«. Die hier formulierten sozialistischen Werte und Normen sollten der »allseitigen Entwicklung der Fähigkeiten und Talente der Persönlichkeit zum Wohle des Einzelnen und der ganzen sozialistischen Gesellschaft« dienen. Zur parteikonformen Einordnung des Individuums in die Gesellschaft wurden besonders Schulen und Betriebe genutzt, welche die Bürger zu kollektivem Denken und Verhalten erziehen sollten. Da das ideologisierte Werte- und Normensystem im Lebensalltag faktisch nicht zu erfüllen war, erwuchs der Parteiführung ein weites und willkürlich zu handhabendes Feld zur Disziplinierung der Bevölkerung sowie der eigenen Parteimitglieder. Sie definierte jede Abweichung zwischen ideologischer Vorgabe und tatsächlicher Lebenspraxis als ein Problem der »Bewusstseinsbildung«. Nicht Ideologie und Politik hatten sich an der Realität zu orientieren, die Menschen sollten vielmehr umgekehrt dazu gebracht werden, der verordneten Ideologie zu entsprechen. In welchem Maße der Marxismus-Leninismus tatsächlich handlungsanleitend wirkte oder aber zur Leerformel degenerierte, lässt sich kaum nachvollziehen, da beide Realitäten - die ideologisch konstruierte und die reale - in den Augen der Akteure verschwammen und eine hierdurch bedingte »Schizophrenie« bei vielen Menschen Teil der Lebenswirklichkeit wurde. 29 Das Verhältnis von Individuum und totalitärem Machtanspruch lässt sich nicht einfach entziffern. Selbst wenn das Individuum sich in totalitären Systemen so weit wie möglich der offiziellen Politik und dem äußeren Druck zu entziehen sucht, bleibt es doch gefangen. Seine Einordnung in das Gefüge totalitärer Herrschaft führt nicht nur zu gehorsamem Verhalten und passiver Unterordnung, sondern auch zu einer kaum auflösbaren Verstrickung von Herrschenden und Untertanen. Die soziale Basis des SED-Staates Die totalitäre Herrschaft als institutionalisierte und verfestigte Macht gründete nicht nur auf Gewalt oder Gewaltandrohung, sondern überdies auf der Zustimmung privilegierter Gruppen von Funktionären sowie auf der Passivität einer Mehrheit der Bevölkerung. Durch die Vertreibung der alten bürgerlichen Eliten aus Politik, Wirtschaft und Kultur ermöglichte die Kommunistische Partei vielen loyalen Anhängern einen mit vielfältigen Privilegien verbundenen sozialen Aufstieg. Die SEDFührung konnte unter dem Schutz der sowjetischen Besatzungsmacht ihre Herrschaft über vier Jahrzehnte nicht zuletzt deshalb aufrechterhalten und den Schein von Stabilität erzeugen, weil sie sich auf eine ihr loyal ergebene Schicht von Funktionären in Partei, Staat und Gesellschaft stützen konnte. Als systemtragende Kraft im engeren Sinne kann der Funktionärskörper von ca. 1,2 Millionen Personen bezeichnet werden. Die SED startete unmittelbar nach ihrer Gründung mit etwa 1,3 Millionen Mitgliedern, wobei etwa 680 000 zuvor in der SPD und etwa 620 000 in der KPD organisiert waren. Nach dem Bau der Mauer stieg die Zahl der SED-Mitglieder stetig an und erreichte mit gut 2,3 Millionen 1987/88 ihren Höhepunkt. Als die Mauer fiel, verzeichnete die SED noch über zwei Millionen Mitglieder, danach setzte ein deutlicher Massenaustritt ein. Allein in den drei Monaten von November 1989 bis zum Januar 1990 verließen knapp eine Million Personen die Partei. Bis zum 3. Oktober 1990 folgten ihnen eine weitere knappe Million, sodass die inzwischen in PDS umbenannte ehemalige Staatspartei anfangs knapp 300 000 Mitglieder hatte. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Mehrzahl der SED-Mitglieder nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunismus, sprich: aus Karrieregründen, der Partei beigetreten war. Volkserhebung gegen den Kommunismus Die Masse der Bevölkerung tat sich schwer, die Politik der kommunistischen Machthaber zu akzeptieren. Als die Parteiführung 1952/53 unter der Parole »Aufbau des Sozialismus« die noch vorhandenen wirtschaftlichen und sozialen Überreste einer nicht-sozialistischen Gesellschaft beseitigen wollte und selbstständigen Bauern und kleinen Handel- und Gewerbetreibenden extrem hohe Abgaben aufbürdete, um sie zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit zu zwingen, und zudem die Arbeitsproduktivität durch höhere Arbeitsnormen gesteigert werden sollte, machte sich Volkes Unmut lautstark Luft. Zwar nahm die SED-Führung die meisten Beschlüsse auf Weisung der Sowjetunion wieder zurück, hielt jedoch an der 30 Normerhöhung fest, weil sie offenbar bei den Arbeitern Einsicht hierfür erwartete. Damit war das Fass übergelaufen: Große Teile der Bevölkerung erhoben sich im Juni 1953 gegen die SED-Diktatur. Nur die Ausrufung des Ausnahmezustands und der Einsatz sowjetischer Panzer und Truppen rettete die kommunistische Partei vor dem Sturz ihres Regimes. Die Demonstranten -das viel beschworene »Volk« -führten der SED vor Augen, dass sie weder nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung besaß noch in der Lage war, einen breiten Volksaufstand mit eigenen Mitteln niederzuhalten. Der 17. Juni 1953 offenbarte, dass der Sozialismus keine lebenswerte Perspektive für eine breite Mehrheit darstellte. Die Demonstranten forderten die Rücknahme der Normerhöhung, weitere soziale Verbesserungen, aber auch den Rücktritt von Walter Ulbricht, freie Wahlen und die Vereinigung Deutschlands. Die Erhebung hatte Spontancharakter, nur in wenigen Städten gab es einen organisatorischen Hintergrund. Nach der schnellen Niederschlagung des Aufstands durch die Rote Armee wurden etwa 15000 Personen festgenommen, von denen viele zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Zuvor waren schon mehrere am Volksaufstand Beteiligte standrechtlich erschossen worden. Die geradezu traumatisierte SED-Führung reagierte auf die Volkserhebung, die sie als Werk des Westens, als »faschistischen Putsch« wertete, mit dem flächendeckenden Aufbau weiterer Repressionsapparate und einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft. Ausbleibende Entstalinisierung Die »Abrechnung« Chruschtschows mit Stalin 1956 und die nachfolgende »Entstalinisierung« in der Sowjetunion und verschiedenen Satellitenstaaten fanden in der DDR keinen Widerhall. Im Gegenteil: Walter Ulbricht nutzte die Volkserhebungen in Polen und Ungarn und ihre brutale Niederschlagung erneut geschickt zur Ausschaltung innerparteilicher Konkurrenten. Zur Verhinderung möglicher Unruhen im Kultur- und Wissenschaftsbereich verhängte die von der SED gesteuerte Justiz nicht nur gegen prominente Angeklagte hohe Strafen, sondern verfolgte auch weniger bekannte Andersdenkende und Abweichler mit großer Entschlossenheit. Der überzeugte Marxist-Leninist Wolfgang Harich, der einen besonderen Weg zum Sozialismus forderte, aber am Machtmonopol der Kommunistischen Partei nicht rütteln wollte, wurde zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er nahm sie dankend an und durfte bei der Inszenierung und Zelebrierung des Rituals kommunistischer Parteisäuberung in seiner Selbstkritik ausführen: »[…] Ich möchte einen Dank abstatten, und zwar an die Staatssicherheit der DDR […] und ich habe da die Feststellung gemacht, sie sind sehr korrekt und anständig […] Ich war nämlich nicht mehr aufzuhalten […] Ich war ein politisch durchgebranntes Pferd, das mit Zurufen nicht mehr aufzuhalten war […] Wenn man mich nicht festgenommen hätte, dann wäre ich heute nicht reif für die zehn Jahre, die der Herr Generalstaatsanwalt beantragt hat, sondern für den Galgen, und deshalb sage ich der Staatssicherheit dafür, für deren Wachsamkeit, meinen Dank.« 31 Walter Ulbricht beobachtete auch das Verhalten der MfS-Spitze immer mit äußerstem Argwohn, denn hier witterte er potenzielle Konkurrenten. So wies er nach dem Volksaufstand eine wesentliche Schuld dem Minister für Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, zu, was zu dessen Amtsenthebung und zum Ausschluss aus Politbüro und ZK und später aus der Partei führte. Auch sein Nachfolger, Ernst Wollweber, wurde einige Jahre später entmachtet und aus dem ZK ausgeschlossen. Ihm folgte Erich Mielke, der sein Amt mit unerbittlicher Härte bis zum Ende der Honecker-Ära ausübte. Das Ende der Fluchtbewegung durch den Mauerbau In völliger Verkennung der wirtschaftlichen Realität verkündete Ulbricht 1958, die DDR werde binnen weniger Jahre das Wohlstandsniveau der Bundesrepublik erreichen und diese sogar überholen. Mit diesem propagandistischen Paukenschlag folgte Ulbricht der Devise Chruschtschows, der im Zeichen des Systemwettbewerbs die USA wirtschaftlich zu überholen trachtete. Aber er erntete mit dieser kühnen Forderung selbst posthum nur Hohn und Spott, da sich der wirtschaftliche Abstand zur Bundesrepublik bis zum Ende der DDR unter Schwankungen kontinuierlich vergrößerte. Die Fluchtwelle erreichte Anfang der Sechzigerjahre einen neuen Höhepunkt. Im Jahre 1960 flüchteten etwa 200 000 Personen in die Bundesrepublik und im ersten Halbjahr 1961 weitere knapp 140 000. Die seit 1960 dramatisch ansteigende Zahl der Verfahren wegen »Hetze und Staatsverleumdung« signalisierte die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der SED-Politik. Auf Drängen der SED-Spitze, die das Ende ihres Staates oder zumindest einen wirtschaftlichen Kollaps mit unabsehbaren Folgen vorhersah, gab die sowjetische Führung grünes Licht für die Abriegelung der DDR und den Bau der Berliner Mauer ab dem 13. August 1961. Hierdurch war das Fortbestehen der DDR vorerst gesichert; eine Garantie für den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung war damit freilich nicht verbunden. Mit der Existenz der Mauer blieb die Bevölkerung der Staatspartei allerdings weitgehend ausgeliefert. Ob sie wollte oder nicht, sie musste sich - zumal sich die Erinnerung an die brutale Niederschlagung des Volksaufstands tief im Gedächtnis verankert hatte - mit dem kommunistischen System arrangieren. Nach neuesten Schätzungen verließen zwischen der Gründung der DDR und dem Fall der Mauer knapp fünf Millionen Menschen die DDR Richtung in Westen, umgekehrt kam gut eine halbe Million in die DDR, unter ihnen viele Rückkehrer. Die seit 1961 installierten Grenzanlagen wurden von etwa 40 000 Menschen überwunden, unter ihnen gut 5000 in Berlin. Wie wichtig der kommunistische deutsche Teilstaat für das sowjetische Imperium war, verdeutlichte der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Mikojan kurz vor dem Mauerbau der SED-Spitze: »Die DDR ist ein solcher Staat, sie ist der westliche Vorposten des sozialistischen Lagers […] Wenn der Sozialismus in der DDR nicht siegt, wenn der 32 Kommunismus sich nicht hier als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben wir nicht gesiegt.« Das Grenzregime Schon lange vor dem Mauerbau wurden Menschen erschossen, die aus der SBZ/DDR in den Westen fliehen wollten. Am 1. Dezember 1946 befahl die SMAD die Aufstellung einer Grenzpolizei. Nach dem Mauerbau stieg ihre Personalstärke auf über 50000 Personen. Ihnen zur Seite standen knapp 7500 freiwillige Helfer, die vor allem die Aufgabe hatten, potenzielle Republikflüchtlinge zu denunzieren. Der Schusswaffengebrauch nach der Abriegelung der DDR wurde in einer Lagebesprechung eines von Erich Honecker geleiteten Stabes im September 1961 präzisiert. Honecker, damals ZK-Sekretär für Sicherheit, führte aus: »Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schusswaffe anzuwenden. Es sind solche Maßnahmen zu treffen, dass Verbrecher in der 100−Meter−Sperrzone gestellt werden können. Beobachtungs- und Schussfeld ist in der Sperrzone zu schaffen.« Hiermit war der Schießbefehl förmlich gegeben, der in den nachfolgenden Jahren durch verschiedene Befehle und Gesetze präzisiert wurde. Erhalten blieb die Aufforderung, Grenzdurchbrüche auch mit Waffengebrauch zu verhindern. Die Grenzsoldaten wurden in der Regel vor Antritt ihres Dienstes mündlich »vergattert«, auf Flüchtlinge zu schießen. Bei besonderen Ereignissen, zum Beispiel während der Zeit des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik, wurde der Schießbefehl aufgehoben. Am 12. November 1989 gab Verteidigungsminister Heinz Keßler die offizielle Aufhebung des »Gebrauchs oder Einsatzes von Schusswaffen« an der Grenze bekannt. Der kurze Frühling der Hoffnungen Im Schatten der Mauer glaubten die SED-Führung, aber auch große Teile der ihr sympathisierend-kritisch verbundenen Intelligenz, eine Reform des Sozialismus mit mehr Wohlstand und weniger Gängelung durchführen zu können. Eine Wirtschaftsreform mit einer gewissen Dezentralisierung von Planungs- und Lenkungskompetenzen, die mehr Produktivitätspotenzial freisetzen würde, sollte die Voraussetzungen hierfür schaffen. Doch kaum in Gang gebracht, wurde das »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft« (NÖSPL) schon wieder eingeschränkt und einige Jahre später endgültig beerdigt. Eine Betonriege von SED-Funktionären um den späteren Generalsekretär Erich Honecker befürchtete eine Aufwertung der wirtschaftlichen und technischen Intelligenz zu ihren Lasten. Auch in anderen Bereichen wurden zaghafte Reformversuche und Lockerungen schnell wieder eingeschränkt. 1965 endete der kurze realsozialistische Frühling in Wirtschaft und Kultur, bevor er sich überhaupt hatte entfalten können; eine neue Eiszeit brach an. Knapp drei Jahre später fühlten sich die Hardliner in der SED durch die Ereignisse in der Tschechoslowakei bestätigt. Hier hatte die KP-Führung den eingeschlagenen Weg der Reformen über die Wirtschaft hinaus auf die Gesellschaft ausgedehnt und 33 die Konturen eines »demokratischen Sozialismus« entstehen lassen. Die SEDFührung befürchtete, der Klassenfeind könne den Realsozialismus gleichsam auf leisen Sohlen unterminieren. Die gewaltsame Niederschlagung des »Prager Frühlings« war aus ihrer Sicht nur konsequent. Sympathiekundgebungen in der DDR für die tschechoslowakischen Reformkommunisten hielten SED und MfS unter Kontrolle, wiewohl sichtbar wurde, dass es auch in der DDR gerade bei jungen Menschen Sympathien für diese Option gab. Obschon die DDR - entgegen ihrer eigenen Behauptung - militärisch an der Intervention nicht beteiligt war, hatte die Parteiführung bei Beratungen der Warschauer-Pakt-Staaten auf eine schnelle militärische Lösung gedrängt. Mit der gleichen Entschiedenheit plädierte sie 1980/81 für einen Einmarsch in Polen, wo mit der Entstehung und Ausbreitung der Solidarnosz die Freiheitsbewegung im sowjetischen Block das spätere Ende des Imperiums einläutete. Hier verzichtete die Sowjetunion auf eine militärische Lösung, weil die polnische KP-Führung selbst den Ausnahmezustand ausrief. Von Walter Ulbricht zu Erich Honecker Walter Ulbricht, der seit 1945 die politischen Fäden in der SBZ/DDR mehr oder weniger intensiv gezogen hatte, fiel 1971 einer Intrige seines politischen Ziehsohns Erich Honecker zum Opfer. Ihm wurde vorgeworfen, einen eigenmächtigen und von der Sowjetunion abweichenden Kurs anzustreben, obwohl der alternde Diktator trotz mancher Eigenmächtigkeiten letztlich immer dem Kurs der sowjetischen Führungsmacht gefolgt war. Gleichwohl gelang es Honecker, die Mehrheit der SEDFührung gegen Ulbricht auf seine Seite zu ziehen und die Zustimmung Breschnews für den Sturz Ulbrichts zu erlangen. Der neue Erste Sekretär Honecker führte sich mit dem raschen, endgültigen Abbruch der Wirtschaftsreform, einer stärkeren Einbindung seines Landes in das sowjetische Imperium sowie mit einer sozialpolitischen Offensive (Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik) und einer begrenzten und kontrollierten kulturpolitischen Lockerung in das oberste Amt der DDR ein. Im Zuge der Entspannungspolitik zwischen den USA und der Sowjetunion und der neuen Ostpolitik des 1969 in der Bundesrepublik zum Kanzler gewählten Sozialdemokraten Willy Brandt erreichte Honecker, was die SED seit 1949 erhofft hatte: die internationale Anerkennung. Hierfür musste sie jedoch den Preis der zumindest formalen Akzeptanz international verbindlicher Bürger- und Menschenrechte zahlen. Als Konsequenz der damit verbundenen Beobachtung durch die Weltöffentlichkeit modifizierte die SED-Führung ihr Sicherheitssystem. An die Stelle ebenso offener wie willkürlicher Repressionen trat nun die bis zu ihrem Ende flächendeckend ausgebaute Überwachung und präventive Unterdrückung potenziell oppositionellen Verhaltens. Parallel hierzu verstärkte die Partei ihre Bemühungen, die Bevölkerung durch einen Ausbau der Sozialpolitik an sich zu binden. Über die Dualität von Versorgung und Überwachung sollte der SED-Staat stabilisiert werden. 34 Auf sowjetischen Druck hatte die SED-Führung innerdeutsche Verträge abschließen müssen, die den weltweiten Entspannungsprozess flankieren sollten. Der Sowjetunion ging es vor allen Dingen um einen generellen Gewaltverzicht und die Festschreibung der Nachkriegsgrenzen. Dies stürzte die DDR in ein Dilemma – einerseits war sie nun als Staat auch von der Bundesrepublik anerkannt, andererseits sprach Willy Brandt von Sonderbeziehungen bzw. von zwei deutschen Staaten und dem Fortbestand einer gemeinsamen Nation. Dies stellte aus Sicht der SED-Führung ihre Existenz zumindest potenziell infrage. In ihrer Verfassung von 1968 bezeichnete sich die DDR zwar als »sozialistischer Staat deutscher Nation«, aber bereits zwei Jahre später entwarf Walter Ulbricht die Konstruktion von der DDR als einem »sozialistischen deutschen Nationalstaat«, in dem die »sozialistische Nation« heranreife. Diese völkerrechtlich absurde Konstruktion einer auf die Gesellschaftsordnung bezogenen Nation fand unter Honecker Eingang in offizielle Verlautbarungen. Die SED bezeichnete die DDR fortan als sozialistische Nation und gestand ihrer Bevölkerung nur noch die »deutsche Nationalität« zu. Mit einer groß angelegten Kampagne versuchte die Parteiführung, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass eine »Vereinigung zwischen unserem sozialistischen Vaterland und der monopolkapitalistischen Bundesrepublik unmöglich« sei. Primat der Sozialpolitik Die SED-Führung war sich der Grenzen ihrer ideologischen und wirtschaftlichen Politik gerade mit Blick auf den anderen deutschen Teilstaat bewusst. Der Sozialismus sollte nun auf dem Feld der Sozialpolitik, die es eigentlich im Sozialismus aufgrund vermeintlich fehlender sozialer Probleme nicht geben dürfte, seine Überlegenheit beweisen. Doch auch dieses Konzept scheiterte, da das soziale Netz zwar umfassend gespannt war -allerdings auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Dennoch überstiegen selbst die dürftigen sozialpolitischen Leistungen die Wirtschaftskraft, sodass ausbleibende Investitionen und der wirtschaftliche Niedergang auch eine Folge dieser Politik waren. Indem sich der Sozialismus auf Sozialpolitik reduzierte, war ihm zugleich jede Utopie und idealistische Anziehungskraft genommen. Die in den Siebzigerjahren aufgrund verbesserter Konsummöglichkeiten in der Bevölkerung aufkeimende Hoffnung, den Wohlstand weiter steigern zu können, erwies sich als Trugschluss. Die Folgen der explosionsartig steigenden Rohölpreise erreichten mit einiger Verspätung auch die von entsprechenden Lieferungen aus der Sowjetunion abhängige DDR. Sie konnte das ohnehin bescheidene Wohlstandsniveau nur durch eine wachsende Verschuldung im westlichen Ausland, vor allem in der Bundesrepublik, sichern. Die in einem gigantischen Kraftakt als Folge der Kürzung von Rohöllieferungen erfolgte Umstellung der Energieversorgung der gesamten Wirtschaft auf Braunkohle mit katastrophalen ökologischen Folgen und das ehrgeizige und hoch subventionierte Mikroelektronikprogramm sowie zwei durch den bayerischen 35 Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß vermittelte Milliardenkredite 1983/84 konnten hieran auch nichts mehr ändern. Der Sozialismus in den Farben der DDR Mit der Ausbürgerung des widerspenstigen Liedermachers und kommunistischen Regimekritikers Wolf Biermann 1976 verspielte die SED die Unterstützung vieler Literaten und Künstler, die ihr in zumindest distanzierter Form verbunden waren. Erneut signalisierte die Parteiführung, dass sie nicht einmal eine innerkommunistische Diskussion zulassen würde. Als Gorbatschow zur Rettung des sowjetischen Sozialismus eine Öffnung des Systems und Reformen propagierte, widersetzte sich die SED vehement und sprach von einem »Sozialismus in den Farben der DDR«, was freilich nichts weiter bedeutete als die Fortsetzung des alten dogmatischen und repressiven Kurses. Dieser reale Sozialismus hatte weder eine soziale noch eine politische Basis, sodass der SED-Staat erneut in ein unauflösbares Dilemma stürzte: Öffnete er sich für Reformen, waren die Folgen nicht kalkulierbar; verschloss er sich - wie geschehen -, erzeugte er bis weit in seine Anhängerschaft hinein Resignation und Missmut. Tatsächlich beschleunigte sich der ideologische Niedergang. Nicht wenige in der zweiten und dritten Reihe der Partei hatten auf eine Modernisierung des Sozialismus gehofft und wurden nun durch die Starrsinnigkeit der Politbüro-Gerontokraten enttäuscht. Ihre Zukunftsgewissheit verschwand ebenso wie ihre Bereitschaft zur aktiven Verteidigung dieses Sozialismus, wie sich schon kurze Zeit später zeigen sollte. Im Laufe des Jahres 1989 überstürzten sich die Ereignisse: Die Reformen in der Sowjetunion und in anderen realsozialistischen Ländern zeigten spürbare Wirkung in der DDR. Die SED sah sich zu einer doppelten Abgrenzungspolitik gegenüber der eigenen Führungsmacht Sowjetunion auf der einen sowie der Bundesrepublik auf der anderen Seite gezwungen. Die im Sommer einsetzende Massenflucht vor allem über Ungarn und die im Herbst nachfolgenden Massendemonstrationen legten die Nerven der SED-Führung blank. Auch der Sturz Honeckers und die Inthronisierung von Egon Krenz und Hans Modrow als Nachfolger konnten an der Situation nichts mehr ändern. Den Niedergang des Sozialismus konnten weder Ochs noch Esel aufhalten. Der Sturz der SED-Diktatur und der Fall der Mauer Der finale Todeskampf des SED-Staates begann mit der Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989, was von Oppositionellen öffentlich gemacht wurde. In den nachfolgenden Monaten gründeten sich diverse Gruppen, welche die kommunistischen Machthaber zu einem Dialog aufforderten. Vor allem das »Neue Forum«, das eine Reform des Sozialismus forderte, zwang die SED-Führung aufgrund der hohen Resonanz in der Bevölkerung zu einer Reaktion. Im Oktober 1989 kam es in Dresden zu ersten Gesprächen zwischen den Machthabern und der Opposition. Am 9. Oktober demonstrierten in Leipzig mehrere Zehntausend 36 Personen trotz des Risikos einer gewaltsamen Niederschlagung durch die Sicherheitskräfte gegen die SED-Diktatur. Dies war der endgültige Durchbruch der Opposition, die fortan in nahezu allen Städten ein Ende der kommunistischen Herrschaft forderte. Die programmatischen Aussagen der Oppositionsgruppen waren zumeist auf einen reformierten und demokratischen Sozialismus ausgerichtet. Einigkeit herrschte unter ihnen nur in Bezug auf die angestrebte Abschaffung des SED-Machtmonopols. Als die Berliner Mauer am 9. November 1989 fiel und die Sowjetunion nicht sofort militärisch intervenierte, war es um den SED-Staat geschehen. Die neue SEDFührungsriege, aber auch die sozialistischen Oppositionellen, ahnten, dass ohne eine sozialistische Grundausrichtung die DDR keine Existenzberechtigung mehr hatte. Auf den Demonstrationen wurde nun nicht mehr »Wir sind das Volk«, sondern »Wir sind ein Volk« gerufen. In der »nationalen Frage« hatten sich SED und große Teile der Opposition gleichermaßen von den Massen isoliert. Während sich die SED jedoch auf den harten Kern der von ihr privilegierten Bevölkerungsteile verlassen konnte, verloren die Oppositionsgruppen - wie die erste und einzige freie Wahl zur DDR-Volkskammer 1990 zeigen sollte - sehr schnell ihren eben erst gewonnenen Einfluss. Der durch eine missverständliche Formulierung des Politbüro-Sprechers Günter Schabowski und die hierauf folgende Behauptung von Westmedien, die Grenze würde geöffnet, hervorgerufene schnelle und überraschende Fall der Mauer beendete ein Grenzregime, das über mehrere Jahrzehnte die Unmenschlichkeit des kommunistischen SED-Regimes symbolisierte. Die außerhalb von Berlin sogar durch Selbstschussanlagen und Splitterminen gesicherte innerdeutsche Grenze kostete mehrere Hundert Menschen das Leben - insgesamt wurden über Tausend Menschen bei einem Fluchtversuch innerhalb oder außerhalb von Deutschland getötet -, fügte Tausenden zum Teil schwerste Verletzungen zu und brachte Zehntausende hinter Gitter. Zwischen 1964 und 1990 verkaufte die DDR insgesamt knapp 34000 verurteilte »Republikflüchtlinge« und andere politische Häftlinge an die Bundesrepublik und erhielt hierfür insgesamt 3,4 Mrd. D-Mark. Umsetzung und Grenzen des kommunistischen Machtanspruchs Auch wenn Herrschaftsformen und -instrumente im Laufe der vierzigjährigen Existenz des SED-Staates wechselten oder sich veränderten, verfestigte sich der Herrschafts- und Gestaltungsanspruch der SED bis in das Jahr 1989 hinein. Die nahezu vollständige Lenkung und Kontrolle von Staat und Gesellschaft durch die Partei vollzog sich dabei auf folgenden Ebenen: - In der nach dem Prinzip des »demokratischen Zentralismus« aufgebauten SED herrschten die Parteiführung und ihr zentraler Apparat über alle Parteigliederungen, wobei nachgeordnete Instanzen die Beschlüsse der Zentrale und der übergeordneten Gliederung in ihrem Bereich umzusetzen 37 hatten. Durch Bezugnahme auf den Marxismus-Leninismus erklärte sich die Parteiführung zum Gralshüter von Wahrheit und »gesellschaftswissenschaftlicher« Erkenntnis und entzog sich damit jeglicher Kritik. Die Basis blieb einem strengen Kontroll- und Disziplinierungsregiment unterworfen, sodass jede Forminnerparteilicher Kritik verhindert und unterbunden wurde. Die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Partei erfolgte durch die engere Parteiführung, die sich zudem selbst rekrutierte. - Der zentrale Parteiapparat der Kommunistischen Partei sowie seine regionalen Gliederungen waren den staatlichen und gesellschaftlichen Leitungs- und Abteilungsstrukturen vorgelagert. Der Parteiapparat leitete die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen an und kontrollierte sie gleichzeitig. Die Beschlüsse der Partei hatten für alle staatlichen Instanzen und gesellschaftlichen Institutionen verbindlichen Charakter. Der Parteiapparat konnte zu jeder Zeit korrigierend in den Ablauf staatlicher Politik eingreifen. - Durch die weitgehende Verstaatlichung der Wirtschaft verfügte die Parteiführung unkontrolliert über alle ökonomischen Ressourcen des Landes. Sie schuf hierüber Anreiz- und Sanktionsmechanismen, die dem Aufbau und der Konsolidierung der sozialen Basis ihrer Macht dienten. - Die Besetzung aller wichtigen Leitungsfunktionen in Staat, Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen erfolgte nach einem Nomenklatursystem, das der Partei einen direkten personellen Zugriff gestattete. Über die Aufnahme in die oberste Funktions- und Machtelite der DDR bestimmte die engere Parteiführung selbst. Ansonsten praktizierte die SED ihre Kaderauswahl und -politik durch ein mehrstufiges und hierarchisiertes System, in dem die jeweils zuständige Parteiinstanz immer die letzte Entscheidung traf. - In allen staatlichen Verwaltungen, wichtigen Betrieben, gesellschaftlichen Institutionen etc. existierten Parteiorganisationen und -gruppen, deren Leitung eine gesonderte Kontrollfunktion und zum Teil auch die direkte Führungsrolle einnahm. Außerdem waren SED-Mitglieder nie zuerst ihrem Vorgesetzten zur Loyalität verpflichtet, sondern immer vorrangig der Parteidisziplin unterworfen. - Durch ein umfassendes Berichts- und Informationswesen sowie die Arbeit des MfS verschaffte sich die Parteiführung einen zusätzlichen Überblick, der ihr als Grundlage für weitere Eingriffsmöglichkeiten diente. Die Durchsetzung der Parteimacht konnte letztlich nur erfolgen, weil die SEDFührung über einen umfangreichen Sicherheits- bzw. Unterdrückungsapparat verfügte - in den Achtzigerjahren waren ungefähr eine Dreiviertelmillion Menschen haupt- oder nebenberuflich in diesem Bereich beschäftigt - und über die Verwendung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen bestimmen konnte. Damit 38 besaß sie ein Anreiz- und Sanktionssystem, das unter den gegebenen Bedingungen die Existenz der DDR bis 1989 sicherte. Angesichts des beträchtlichen Repressionspotenzials blieben offener Widerstand und Opposition von 1961 bis 1989 randständig, die Verweigerung trug zumindest in der Breite eher Züge von Passivität und Doppelmoral. Die seit 1961 in ihrem Land eingesperrte Bevölkerung arrangierte sich auf die eine oder andere Weise mit den Verhältnissen. Da sie davon ausgehen musste, dass die Sowjetunion die DDR nicht aus ihrem Machtbereich entlassen und der Westen weiterhin den Status quo akzeptieren würde, gab es subjektiv gesehen ohnehin keine realistische Alternative zum realen Sozialismus. Doch Ruhe und Stabilität erwiesen sich als trügerisch; in dem Moment, als die Grenzen durchlässig wurden, entlud sich das über Jahrzehnte aufgestaute Protest- und Enttäuschungspotenzial. Überrascht von der Wucht der Ereignisse im Sommer/Herbst 1989 blieb den herrschenden Kommunisten nur der überstürzte Rückzug und die Preisgabe der Macht, da sie sich nicht einmal mehr ihrer Befehlsgewalt gegenüber den Repressionskräften sicher sein konnten. Entlassen aus dem sowjetischen Imperium, konnte die DDR keine eigene Identität entwickeln, zumal eine Fortsetzung des Sozialismus, auch eines modernisierten, für die Mehrheit der Bevölkerung nicht attraktiv war. Die von der sowjetischen Besatzungsmacht aufgezwungene und von der SED über Jahrzehnte aufrechterhaltene Diktatur stieß mit dem Fall der Mauer an ihre Grenze: die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Wohlstand. Die DDR als (spät)totalitärer SED-Staat Der SED-Staat kannte weder Gewaltenteilung noch kulturellen, sozialen oder politischen Pluralismus. In den letzten beiden Jahrzehnten verringerte sich die Umsetzungskraft des totalitären Herrschafts- und Gestaltungsanspruchs. Der ihr von den veränderten internationalen Rahmenbedingungen und der innerdeutschen Systemkonkurrenz aufgezwungene Wechsel vom gewaltsamen totalitären System zu einem spättotalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat konnte jedoch Niedergang und Untergang des SED-Staates nicht verhindern. Die Machtpotenziale des kommunistischen Staates und der sie lenkenden und kontrollierenden Partei - Gewaltapparat, ökonomische Verfügungs- und ideologische Interpretationsmacht sowie die Loyalität der sozialistischen Dienstklasse - waren erschöpft und seine Herrschaftsinstrumente ohne Gewaltandrohung wirkungslos, sodass mit der Eroberung öffentlicher Räume durch die Demonstranten ein Ventil geöffnet wurde, das die im Verborgenen gewachsenen Kräfte freisetzte. Diese zielten zuerst auf den Sturz der kommunistischen Diktatur und sodann auf die schnelle Wiedervereinigung. Die DDR scheiterte letztlich an dem unaufhebbaren Widerspruch zwischen dem totalitären Gestaltungs- und Machtwillen der SED-Führung und den unzureichenden Entwicklungspotenzialen einer hiervon gefesselten und blockierten Industriegesellschaft. Der totalitäre Kern der SED-Diktatur barg den Keim des 39 Niedergangs und Untergangs in sich; hieran konnten weder die sich wandelnden Herrschaftsformen noch die Sozialpolitik etwas ändern. (Post)kommunistische Strömungen im wiedervereinigten Deutschland Das kommunistische Experiment von 1945 bis 1990 in Deutschland scheiterte nachhaltig und endgültig; gleichwohl musste das wiedervereinigte Deutschland das kommunistische Erbe übernehmen. Die umbenannte SED Die SED entschloss sich nach dem Fall der Mauer nicht zur Auflösung ihrer Partei, sondern nahm nur eine Umbenennung in SED-PDS vor. Der Namenszusatz symbolisierte eher die Absicht zum Wandel als einen tatsächlichen Bruch mit der Vergangenheit. An die Spitze der Partei rückten Gregor Gysi als Parteivorsitzender und Hans Modrow als neuer Ministerpräsident. Der Verzicht auf die Auflösung der alten und die Neugründung einer sozialistischkommunistischen Partei war in erster Linie den Besitzansprüchen der alten Staatspartei geschuldet. Die Bezeichnung der SED−PDS in ihrem Statut als marxistische Partei war lediglich ein Minimalkonsens, auf den sich die verschiedenen Parteigruppierungen einigen konnten, denn die Zeit der ideologischen Geschlossenheit war nun auch für diese ehedem dogmatisch-kommunistische Partei vorbei. Der Partei mit ihrem Ministerpräsidenten Modrow gelang es in den ihnen verbliebenen wenigen Monaten an der Macht zwar nicht, die DDR zu retten, aber immerhin begünstigte die letzte kommunistische Regierung die sie tragenden loyalen Kräfte durch die Möglichkeit eines günstigen Grundstückserwerbs und schützte sie durch die Reinigung ihrer Kaderakten. Dagegen nahm ihr Einfluss in der Bevölkerung weiter ab. Bei den ersten und einzigen freien Wahlen zur Volkskammer im März 1990, zu denen die ehemalige kommunistische Staatspartei jetzt nur unter dem Namen PDS mit einer entschiedenen Ablehnung einer schnellen Wiedervereinigung und antiwestlichen Parolen antrat, erhielt sie bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent lediglich 16,4 Prozent der Stimmen. Diese knapp zwei Millionen Wähler, die ihre Stimme der ehemaligen DDR-Staatspartei gaben, entsprechen in etwa der Zahl der Personen, die den SED-Staat mehr oder weniger aktiv getragen haben. Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen ging der Stimmenanteil der PDS in den neuen Ländern auf gut 11 Prozent zurück, um bei den anschließenden Bundestagswahlen wieder anzusteigen (1994: 19,8 Prozent; 1998: 21,6 Prozent). 1998 bei der Bundestagswahl übersprang die Partei sogar in ganz Deutschland knapp die 5−Prozent−Hürde, um bei der nachfolgenden Wahl allerdings erneut darunter zu bleiben. 40 Der Durchbruch zu einer gesamtdeutschen Partei gelang der postkommunistischen PDS bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005. Nach einem populistischen Wahlkampf gegen die neuen Sozialgesetze der rot-grünen Koalition verbuchte sie mit einer »offenen Liste«, auf der Vertreter der neugegründeten linkssozialdemokratischen westlichen Partei (WASG) platziert wurden, beachtliche 8,7 Prozent (West: 4,9 Prozent; Ost: 25,3 Prozent) auf ihrem Stimmenkonto. Am 16. Juni 2007 schlossen sich beide Parteien, die große ehemals diktatorische aus dem Osten und die kleine ehemals an der SPD und den Gewerkschaften orientierte, zusammen und nannten sich fortan Die Linke. Nach eigenen Angaben hatte die neue Partei im Jahre 2008 gut 76000 Mitglieder, davon in den alten Ländern knapp 26 000. Die ostdeutschen Mitglieder weisen einen hohen Altersdurchschnitt auf; in ihrer überwiegenden Zahl waren sie bereits in der SED, und arbeiteten im Partei- oder Staatsapparat, bei der NVA, dem MfS oder der Volkspolizei. Bei den Bundestagswahlen im Jahr 2009 konnte die Partei ihren Stimmenanteil auf 11,9 Prozent (West: 8,3 Prozent; Ost: 26,4 Prozent) steigern - ein Ergebnis, das wahrscheinlich durch die Person Oskar Lafontaines begünstigt wurde, der als ehemaliger SPD-Vorsitzender zur WASG übergetreten war und als Spitzenkandidat zur Wahl stand. Zwar verzichtete die Partei bisher auf die Verabschiedung eines Programms, gibt sich aber in ihren »Eckpunkten« deutlich antikapitalistisch und stellt ausdrücklich die Systemfrage. In einer Passage heißt es: »Die Demokratisierung der Wirtschaft« erfordere, »die Verfügungsgewalt über alle Formen des Eigentums sozialen Maßstäben unterzuordnen«. Der Sozialismus ist als politisches Ziel festgeschrieben. Kommunistische Kräfte innerhalb der LINKEN Die politisch-ideologischen Strömungen und Differenzen, die in der PDS zwischen Kommunisten und Reformsozialisten bestanden, vergrößerten sich mit der Ausweitung der Partei nach Westen. Zwar ging angesichts der Dominanz der beiden Führungsfiguren Gysi und Lafontaine der Einfluss der »Kommunistischen Plattform«, die nach wie vor ein Loblied auf die diktatorische DDR singt, zurück, dafür rückte aber der Parteivorsitzende Lafontaine deutlicher nach »links«. In Annäherung an die offen als Kommunisten agierenden Kräfte in der Partei forderte er einen »starken Staat« und eine weitgehende staatliche Kontrolle von Schlüsselbereichen der Wirtschaft. Ihm gegenüber stehen reformerische Kräfte, die vor allem in einigen Landesverbänden in den neuen Ländern und in Berlin einen gemäßigten linkssozialdemokratischen Kurs postulieren. Anders als ihre innerparteilichen Widersacher ziehen sie einen Schlussstrich unter einige negative Seiten der SEDDiktatur. 41 Auf der orthodox-sozialistisch-kommunistischen Seite der Partei tummeln sich weitere Gruppierungen wie die Antikapitalistische Linke und die Sozialistische Linke mit Überschneidungen zu neokommunistischen Positionen. Insgesamt gehören knapp 2100 Personen zu den aktiv und öffentlich auftretenden sozialistischkommunistischen Parteiströmungen . Solange ihr Kurs von Politikern bestimmt wird, die rot-rote oder rot-rot-grüne Regierungskoalitionen anstreben, dürften die Anhänger kommunistischer Positionen im Hintergrund bleiben. Gleichwohl kooperieren nicht wenige von ihnen mit linksextremistischen Gruppen, sei es mit der »Roten Hilfe« oder mit der DKP. Eine der maßgeblichen Kommunisten in der Partei, Sahra Wagenknecht, verteidigte gar die Politik Stalins mit den Worten, er habe »nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraumes« bewirkt. Obwohl diese Strömungen in der zahlenmäßigen Minderheit sind, sprechen sie mit ihrer fundamentalistischen Kritik am wiedervereinigten Deutschland und an seiner westlichen Gesellschaftsordnung und mit ihrem Lob der DDR vielen Mitgliedern der Partei im Osten aus dem Herzen. In den neu aufgebauten westlichen Landesverbänden tummeln sich zudem Sozialisten und Kommunisten verschiedenster Couleur, die in einigen Landesverbänden die Mehrzahl der aktiven Mitglieder stellen. Ziele der (post)kommunistischen Partei In ihren »programmatischen Eckpunkten« formuliert die Partei ein »strategisches Dreieck«: Gesellschaftlicher Protest soll mit der Entwicklung von Reformalternativen unter gegebenen Bedingungen verknüpft werden und dabei Wege aufzeigen, die über die gegenwärtige Gesellschaft hinausweisen. Diese Vorstellungen erinnern an das Konzept der »systemüberwindenden Reformen« der Jungsozialisten in den Siebzigerjahren der alten Bundesrepublik. Je nachdem, welcher Aspekt betont wird, können sich die verschiedenen Parteiströmungen in dieser Strategie wiederfinden: Die kommunistischen Kräfte betonen den außerparlamentarischen Protest und die Suche nach einer Systemalternative, die Reformkräfte dagegen das Aufzeigen von immanenten Reformen, die das System zumindest modifizieren. In ihren innenpolitischen Vorstellungen konzentrieren sich die Eckpunkte im Wesentlichen auf den Ausbau des Sozialstaats und auf mehr Umverteilung. Daneben geht es um die Zurückdrängung eines »entfesselten Kapitalismus« und einer »neoliberalen Politik«. Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus in Richtung Sozialismus, wobei dessen Gestalt nicht weiter ausgeführt wird. Der Freiheitsbegriff der Partei ist an den in der DDR von der SED vorgegebenen (Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit) angelehnt und koppelt individuelle 42 Freiheit an soziale Gleichheit. Der Parteivorsitzende Lafontaine brachte dies auf die abwegige Formel: »Freiheit durch Sozialismus«. Die orthodox-kommunistische DKP Die von der SED finanzierte und gelenkte (westdeutsche) DKP, die 1989/90 noch etwa 40000 Mitglieder hatte, verzeichnete nach der Wiedervereinigung einen drastischen Mitgliederrückgang. Ein Teil ihrer Mitglieder wanderte zur PDS ab; andere zogen sich ganz aus dem politischen Leben zurück. Im Jahre 2008 hatte die DKP noch 4200 Mitglieder mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren. Ihr Parteivorsitzender Heinz Stehr bekräftigte auch 2008 die kommunistische Ausrichtung der Partei: »Die Wichtigkeit der DKP besteht darin, dass sie den wissenschaftlichen Sozialismus zur Grundlage ihrer Politik macht; dass sie - aus meiner Sicht - die einzige Partei ist, die in ihrer Strategie und Taktik den revolutionären Bruch anstrebt.« Die Partei sieht sich weiterhin in Kontinuität zu der vom Bundesverfassungsgericht 1956 verbotenen KPD. Ihre Resonanz sowohl bei außerparlamentarischen Aktivitäten als auch bei Wahlen ist jedoch äußerst gering. Ohne die finanzielle und politische Unterstützung aus der DDR ist sie eine kleine Sekte geworden. Kleine kommunistische Gruppen Neben diesen beiden Parteien - Die Linke und DKP -, die für das politische Erbe der DDR stehen, existieren im wiedervereinigten Deutschland weitere kommunistische Parteien und Strömungen. Von den diversen maoistischen Gruppierungen, die in der alten Bundesrepublik gegründet wurden, ist nur noch die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) nennenswert. Ihre 2300 Mitglieder halten unverdrossen an einer maoistisch-stalinistischen Ideologie fest und streben einen revolutionären Umbruch an. »Es gibt keinen Weg zum Sozialismus ohne die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht und die Errichtung der Diktatur des Proletariats.« Aktivitäten dieser Partei sind öffentlich kaum wahrnehmbar, ihr Wahlergebnis marginal. Die trotzkistisch orientierte Linke agiert in Deutschland mit einer Vielzahl von zumeist kleinen Sektionen internationaler Dachverbände, kleinen eigenständigen Gruppen, aber auch innerhalb der Partei Die Linke. Die Zahl ihrer Aktivisten wird auf knapp 2000 geschätzt. Innerhalb der Linken arbeitet sie in der »Sozialistischen Linken« und stellt zwei Mitglieder im Bundesvorstand. Ihren revolutionären Anspruch dokumentiert sie mit den Worten: »Wir streiten für eine Orientierung auf Klassenkampf und den Aufbau von Gegenmacht.« Die meisten trotzkistischen Gruppierungen vertreten die Strategie des Entrismus, d. h. die gezielte Unterwanderung anderer –zumeist größerer -linker Parteien, denen sie ihren programmatischen Stempel aufdrücken wollen. 43 Gewaltbereite Linksextremisten Von den geschätzten gut 30 000 Linksextremisten werden etwa 6300 Personen dem gewaltbereiten Spektrum zugeordnet. Die Mehrzahl von ihnen versteht sich als »Autonome«, die zumeist in größeren deutschen Städten gegen Faschismus, Rassismus, Repression und Militarismus »kämpfen« und öffentlich über ihr gewalttätiges Verhalten wahrgenommen werden. Sie liefern sich regelmäßig Straßenschlachten mit der Polizei, zünden Autos an und sind -als Täter oder Opfer immer wieder an gewalttätigen Scharmützeln mit Rechtsextremisten beteiligt. Die in kleinen Gruppen agierenden Autonomen verfügen über keine einheitlichen politisch-ideologischen oder gar programmatischen Konzepte, ihre Gemeinsamkeit resultiert aus einem generellen »Anti« gegen die Gesellschaftsordnung und einer hohen Gewaltbereitschaft. In einem Papier heißt es: »Wir setzen unsere Hoffnung auf Veränderung und nicht in den Staat, unsere Perspektive ist und bleibt die soziale Revolution weltweit.« Jährlicher »Höhepunkt« der Autonomen ist der 1. Mai in Berlin und Hamburg. Dort toben sich die Aktivisten gemeinsam mit abenteuerlustigen Jugendlichen - viele aus Immigrantenfamilien - mit dem Werfen von Steinen und Flaschen auf Polizisten und unbeteiligte Zuschauer, dem Anzünden von Autos, Mülleimern u. ä. aus. Am 1. Mai 2009 verletzten gewalttätige Linksextremisten und ihre abenteuerlustigen Mitläufer in Berlin 440 Polizisten zum Teil schwer. Im Jahre 2008 verübten nach Angaben der Polizei Linksextremisten insgesamt 3124 Straftaten, darunter 701 Gewalttaten wie Körperverletzung, Landfriedensbruch und Brandstiftung. Im gleichen Jahr wurden 342 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten registriert. Opfer von gewalttätigen Rechtsextremisten wurden 358 Linksextremisten. Ein Großteil der Gewalthandlungen von Extremisten geht also auf innerextremistische Auseinandersetzungen zurück. Auch wenn Deutschland noch weit von Weimarer Verhältnissen entfernt ist, als Kommunisten und Nationalsozialisten sich häufig Straßenschlachten lieferten, nehmen in den letzten Jahren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gruppen zu, die (unterschiedlichen) totalitären Ideologien anhängen. Eine weitere linksextremistische Organisation ist die »Rote Hilfe e.V.« (RH) mit geschätzten 5000 Mitgliedern, die behauptet, in Deutschland würden Personen wegen ihrer politischen Überzeugungen und Aktivitäten eingesperrt. Sie unterstützt durch öffentliche Sympathiekundgebungen, Zuschüsse zu Anwalts- und Prozesskosten und Kampagnen Linksextremisten, die angeklagt werden oder inhaftiert sind. Ihr politisches Ziel ist die Freilassung aller politischen Gefangenen. Die verschiedenen linksextremistischen Gruppen einschließlich der orthodoxkommunistischen, die sich wechselseitig beschimpfen und bekämpfen, halten in ihrem Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Militarismus, Globalisierung und staatliche Repression zusammen. Sie kooperieren auf internationaler, vor allem 44 europäischer Ebene mit Gruppen von Gleichgesinnten, so zum Beispiel bei diversen Antiglobalisierungskampagnen. (Post)kommunistische Medien Nahezu alle größeren Gruppen geben Zeitungen heraus und sind mit Selbstdarstellungen und Kampagnen im Internet aktiv. Die auflagenstärkste Zeitung ist das Neue Deutschland (ND), das ebenso wie die SED den Untergang der DDR überlebt hat. Die Zeitung, in der die verschiedenen Strömungen der LINKEN Gehör finden, kämpft allerdings ums finanzielle Überleben, da ihre Auflage stetig zurückgeht (von 1,1 Millionen Exemplaren Ende der Achtzigerjahre auf derzeit etwa 40 000 Exemplare). Unter den geschätzten knapp 200 linksextremistischen Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Publikationen nimmt die Tageszeitung junge Welt (jW) eine Sonderrolle ein. Sie steht parteiübergreifend für das linksextremistische Spektrum und die DDRTrauergemeinde. Ihr Chefredakteur Arnold Schölzel arbeitete zu DDR-Zeiten als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi und bespitzelte seine Studienkollegen. Wo immer Kommunisten oder andere Linksextremisten in Deutschland oder der Welt Gewalttaten verüben, können sie sich des mehr oder weniger direkten Beifalls der jungen Welt gewiss sein. Der fehlende antitotalitäre Konsens Insgesamt betrachtet haben Kommunismus und Linksextremismus im wiedervereinigten Deutschland lediglich eine schmale personelle Basis. Ihr Kampf gegen Kapitalismus und die westliche Gesellschaftsordnung findet in der Bevölkerung nur geringe Resonanz. Insofern versuchen die Gruppen, über populäre Kampagnen gegen Rechtsextremismus oder Globalisierung ihren Sympathisantenkreis und ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung zu vergrößern. In dem Maße, wie sich demokratische Gruppierungen auf Bündnisse mit ihnen einlassen, wird die Trennlinie zwischen linksextremistischen und demokratischen Aktivitäten und Zielen unscharf. Der antitotalitäre Konsens, der in der alten Bundesrepublik seit den späten Sechzigerjahren von der politischen Linken wegen seiner angeblichen antikommunistischen Schlagseite aufgekündigt wurde, erlebte nach dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion zwischenzeitlich eine gewisse Renaissance, wird in den letzten Jahren aber im öffentlichen Diskurs auf Antifaschismus bzw. Antirechtsextremismus reduziert. 20 Jahre nach dem Mauerfall wird der Antikommunismus in öffentlichen Diskursen erneut diffamiert und sogar als Verharmlosung von Rechtsextremismus und Nationalsozialismus dargestellt. Tatsächlich aber ist der Antikommunismus in einer zivilen Gesellschaft eine notwendige politische Tugend, wenn er in einem antitotalitären Konsens aufgeht. Attraktivität und Verführungskraft einer kommunistischen Ideologie sind immer noch gegeben, verspricht sie doch eine bessere Welt für nahezu alle Menschen: eine Welt 45 ohne Unterdrückung oder Ausbeutung. Der reale Sozialismus/Kommunismus und seine Verbrechen verblassen dagegen oder werden als historische Notwendigkeiten verstanden. So landen nicht wenige Intellektuelle bei der Position des marxistischen Philosophen Georg Lukacs, der alle Irrungen und Wirren der kommunistischen Bewegung in Ungarn durchlebt hat und kurz vor seinem Tod schrieb: »Ich war immer der Meinung, dass man selbst in der schlechtesten Form des Sozialismus besser leben könne als in der besten Form des Kapitalismus.« Kommunisten wähnen sich weiterhin im Besitz der»Wahrheit« und glauben an die Befreiung der Menschheit. Tatsächlich legitimieren sie nur Unterdrückung und - was vielleicht noch schlimmer wiegt - Entindividualisierung und Versklavung im Namen einer seelenlosen Utopie. 46