Kommunikation abseits der Sprache

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Kommunikation abseits der Sprache
2. Deutschsprachiger Kongress für „Transkulturelle Psychiatrie“
Kongresspressekonferenz, 26.9.2008, AKH-Wien
Kommunikation abseits der Sprache
Migration ist wie ein Sprung in eine neue, unbekannte Gesellschaftsordnung – ganz besonders dann, wenn es sich um
unfreiwillige Migration handelt. Das Phänomen Sprache kann heute bereits mittels PET (Positronen Emissions
Tomografie, Brain Mapping) naturwissenschaftlich sichtbar gemacht werden – wenn ein zweisprachiger Mensch sich
auf einer Sprache über seinen Kopfschmerz austauscht, werden hierbei andere Areale aktiviert, als in der zweiten
Sprache. Tatsächlich „stimulieren“ unterschiedliche Sprachen auch unterschiedliche Areal der Großhirnrinde (Cortex).
Sprache ist somit nicht Sprache, und Emotionen „fühlen“ sich unterschiedlichen Sprachen auch unterschiedlich an.
Trotz dieser feinen und wesentlichen sprachlichen Unterschiede finden sich in jedem Land eine Vielfalt an
Sprachen – die Forderung, sich in der Muttersprache grundsätzlich behandeln zu lassen, ist auf diesem Hintergrund
nachvollziehbar und richtig. Allerdings sind nur wenige Sprachen ausreichend repräsentiert – wo würde ich einen
tschetschenischen Psychiater oder eine tamilische Psychotherapeutin finden? Viele Migranten des afrikanischen
Kontinentes bringen bereits viele Sprachen mit, zu denen häufig auch Englisch oder Französisch gehören. In der
Kommunikation der transkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie ist daher grundsätzlich die Fähigkeit zur
Improvisation wichtig, wenn eine angestammt Kultur “verlassen“ werden muss. Das gilt für KlientInnen ebenso wie
für TherapeutInnen. Sich von den Unterschieden nicht erschrecken zu lassen und den Mut zu haben, flexibel zu
reagieren – eine Herausforderung an die KlinikerInnen im transkulturellen Arbeitsfeld.
Kommunikation abseits der Sprache: Wir vergessen häufig, daß ein Großteil der Kommunikation nicht verbal,
sondern paraverbal (Stimmqualität, Sprachtempo, Rhythmus der Sprache) und nonverbal (Körperhaltung, Mimik,
Gestik) abläuft. Diese Grundlage jeder Kommunikation kann aktiv genutzt werden zu einer professionellen
Beziehungsgestaltung: Auch im Dolmetschersetting halte ich den nonverbalen Kontakt mit der Klientin. Mein
Stimmfluß ist angepasst an mein Gegenüber, die Klientin, und ebenso die Sprachauswahl – auch wenn erst die
Dolmetscherin den Inhalt transportiert. Gerade da verbaler Inhalt und non – bzw. paraverbale Botschaften zeitlich
getrennt transportiert werden, werden zweitere umso bedeutsamer. Genau an dieser Stelle kann es zu irritierenden
Fehlinterpretationen kommen: Der tamilische Klient schüttelt den Kopf – und meint „Ja“. Der arabische junge Mann
senkt immer den Blick – aber nicht, um etwas zu verbergen, sondern als Respektsbezeugung. Auch, wenn es beim
Therapeuten
zu
Irritationen
kommt,
muss
das
„ertragen“
und kann
erst
nachher
aufgearbeitet
werden.
Transkulturelle Kompetenz bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur, sich flexibel auf den Gegenüber einzustellen
und auch selbst vertraute Bahnen zu verlassen, wenn ich beispielsweise in einer Fremdsprache spreche. Sondern sie
bedeutet vor allem auch, eigene Irriationen wahr zu nehmen und sie zu einem späteren Zeitpunkt zu klären. Im
transkulturellen Setting, ob mit oder ohne DolmetscherIn, ergeben sich immer wieder Situationen, die der Kliniker
zunächst
nicht
durchschaut
–
und
diese
Unsicherheit
als
immanentes
Element
erfordert
Toleranz
(„Ambiguitätstoleranz“) und eine genaue Reflexion im Anschluß.
Das Dreieck KlientIn-TherapeutIn-DolmetscherIn - eine anspruchsvolle Konstruktion, die unter bestimmten
Voraussetzungen echte Vorteile bieten kann. Bei ausgebildeten und persönlich geeigneten Sprach – und
Kulturmittlern kann mir der Dolmetscher beispielsweise im Anschluß berichten, daß „Haare ausreißen“ nicht etwa
selbst verletzendes Verhalten, sondern übliches Trauerritual in traditionellen Dorfgemeinschaften darstellt. Er
vermittelt nicht nur die verbalen Inhalte, die Sprache, sondern auch das kulturelle Wissen seiner Heimat.
Die
Auswahl des geeigneten Dolmetschers ist die Grundlage für eine gelungene Therapie. Bei einem männlichen
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Therapeuten und einer Klientin ist es wichtig, daß die Dolmetscherin eine Frau ist. Bei KlientInnen aus Kriegsregionen
ist ein gewisses Verständnis für den jeweiligen Krieg Voraussetzung für therapeutischen Erfolg. Hier kann von
Bedeutung sein, zu welcher „Seite“ der Dolmetscher in einem solchen Konflikt „gehört“ hat. Angehörige von
ehemaligen oder akuten Kriegsparteien, können bzw. wollen in der Regel keine tragfähige Kommunikation aufbauen.
Wie könnte eine irakische Dolmetscherin, die unter Saddam Hussein gelitten hat und das Land verließ, gute
Übersetzung in der Psychotherapie leisten, wenn der Klient unter Saddam im höheren Beamtentum war und heute
Probleme in seinem Land bekam? Sprache ist nicht gleich Verstehen – es gehört mehr dazu, und die soziopolitischen
Realitäten im Herkunftsland sind ein wesentlicher Punkt zu diesem Verständnis.
Es ist allerdings keinesfalls erforderlich, erst Experte aller Länder dieser Welt zu werden – es wäre ein unmögliches
Unterfangen. Wesentlich ist eine persönliche soziokulturelle Kompetenz – wesentlich wichtiger als das akademische
Wissen. Allzu schnell kämen wir in Versuchung, innere Schubladen zu bilden, indem wir etwas als „typisch türkisch“
oder „typisch serbisch“ etc. bezeichnen – und schon tappen wir in die allgegenwärtige „Kulturalisierungsfalle“, die uns
den
Weg
zu
einer
konstruktiven
Lösung
versperrt.
Verlässlicher
ist
die
individuelle
und
professionelle
Beziehungsgestaltung auf allen kommunikativen Ebenen (verbal, para – und nonverbal), verbunden mit einer echten
Empathie für diesen einen Klienten. Insofern reicht es aus, sich bei einem neuen Herkunftsland rasch zu informieren,
ob dort Krieg geherrscht hat und dann besonders sorgfältig bei der Dolmetscherauswahl vorzugehen. Nur so gelingt
es, persönliche Eigenheiten eines Patienten von seinem kulturellen Rahmen abzugrenzen. Somit ist das rein
sprachliche Totalverständnis nicht notwendige Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie – sondern menschliche
Offenheit und die professionelle Gestaltung aller Ebenen der menschlichen Kommunikation. Gerade bei diesem Punkt
der sozialen Basiskompetenzen bringen Heil- und Sozialberufe ein großes Potential mit, das die erfolgreiche Arbeit im
transkulturellen Setting von einer scheinbar unüberwindbaren Hürde zu einer abwechslungsreichen Herausforderung
schrumpfen lässt.
.
Eva van Keuk
Dipl. Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Tanz- & Bewegungstherapeutin,
PSZ Düsseldorf, www.psz-duesseldorf.de, 40213 Düsseldorf, Benrather Str.7
Tel. +49 - (0)0211 - 35 33 15 , Fax: +49 – (0)211 - 35 33 14, Mail:[email protected]
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