Ut Unum Sint 02-2015

Transcrição

Ut Unum Sint 02-2015
Ut unum sint!
Botschaft von Pater
Giovanni Salerno msp
Liebe Freunde
Laudetur Jesus Christus
In der letzten Ausgabe haben wir unseren
Dienst an den Armen näher betrachtet.
Nun möchte ich auf einen anderen zentralen Punkt unseres Charismas eingehen,
nämlich den evangelisierenden Aspekt,
der zusammen mit unserem erzieherischen
Streben einer unserer Hauptziele ist. Unser
apostolisches Wirken muss ein besonderes
Augenmerk auf die Erziehung der bedürftigen
Jugend und die Evangelisierung ad gentes (hin zu allen Völkern)
legen. Immer müssen wir uns daran erinnern und auch diejenigen,
die mit uns den Dienst an den Armen teilen möchten, dass dies die
ureigenen und einzigen Zielsetzungen des Opus Christi Salvatoris
Mundi sind.
Deshalb ist es wichtig zu unterstreichen, dass das Opus Christi
keine «humanitäre» Bewegung im wörtlichen Sinne ist. Es ist keine
Gruppe von Philantropen, die Hilfe leistet, sondern wir sind eine
«humanitäre» Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes. Wir bemühen uns darum, dass alle Menschen und der ganze Mensch geistig
und körperlich reifen, wie es sich für ein Kind Gottes gehört. Deshalb ist das Opus Christi eine evangelisierende Bewegung, die aus
dem Ausruf des Apostels «wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht
predigte» ihren eigenen Leitspruch formen muss. Wir sind der Überzeugung, dass Christus die Missionare Diener der Armen der Dritten
Welt liebte und weiterhin liebt und dass er ihnen zwei Hauptaufgaben anvertraut hat: die demütige und leise Evangelisierung sowie
die Hingabe unseres ganzen Lebens, um den Armen zu ermöglichen,
Lebensbedingungen zu erreichen, die mit ihrer Würde als Mensch
und als Kind Gottes im Einklang stehen. Folglich konzentriere ich
mich im vorliegenden und im folgenden Artikel darauf, über unsere
evangelisierende Aufgabe zu schreiben, um später auf die erzieherische Aufgabe einzugehen.
Die Bezeichnung «Opus Christi Salvatoris Mundi» bedeutet, dass
wir am missionarischen Charisma der Kirche teilhaben – vor allem,
weil wir auf diejenigen zugehen, die die Liebe Gottes noch nicht
kennen gelernt haben (vgl. Jes 61,1-3) und die nach Gott und nach
Brot hungern. Die Kirche, Volk Gottes und Braut Christi, wurde
ausgesandt wie er mit der besonderen Aufgabe, den Armen das
Evangelium zu verkündigen (vgl. Lk 4,18), und so alle Völker zu
erreichen bis an die Grenzen der Erde und bis zum Ende der Zeiten
(vgl. Mt 28,19-20; Mk 16,15; Hch 2,8). Aus diesem Grund müssen
wir Missionare Diener der Armen der Dritten Welt, vom Herz der
Kirche ausgehend, an die elendesten Orte gehen, dorthin, wo die
Ärmsten leben, auf deren Gesicht sich auf sehr lebendige Weise das
Antlitz des leidenden und erlösenden Christus widerspiegelt – zu
eben jenen Menschen und Orten, die sich vor allem in Ländern der
sogenannten «Dritten Welt» befinden. Nicht selten wurden wir dar-
Nr. 05/ 2015
auf aufmerksam gemacht, dass die Benennung «Dritte Welt» beleidigend und rassistisch erscheinen könnte. Ich möchte diese Zeilen
benutzen, um anzumerken, dass wir den Ausdruck «Dritte Welt» vor
allem im Bereich der Evangelisierung verwenden. Genau gleich wird
der Begriff auch von der Kirche verwendet, um damit jene Gebiete
zu bezeichnen, in welche das Wort Gottes noch nicht oder nur teilweise vorgedrungen ist, mit dem Ergebnis, dass sich dort im Laufe der
Jahrhunderte keine richtige Ortskirche entwickelt und gefestigt hat,
was das Zeichen für die erreichte Reife einer christlichen Gemeinschaft ist, wie uns Papst Johannes Paul II. ins Gedächtnis rief. Das
Opus Christi Salvatoris Mundi fühlt sich dazu berufen, vor allem in
diesen Gebieten zu wirken. Unser ganzes Engagement (im Bereich
der Bildung, der Einkehrtage etc.) in denjenigen Ländern, die für
gewöhnlich als «westlich» bezeichnet werden, muss der Zielsetzung
unterworfen sein, wieder das christliche Bewusstsein für die Aufgabe
der Evangelisierung zu wecken.
Es scheint mir von grösster Dringlichkeit, dies gerade in dieser Zeit
hervorzuheben. Denn es gibt in der Tat viele junge, gute Katholiken
in Lateinamerika, Europa und den USA, die vieles unternehmen,
viel von Gott sprechen, an vielen Jugendtreffen teilnehmen, viele
Bücher lesen und sich treffen, um viel gemeinsam zu unternehmen,
gleichzeitig aber den tieferen Sinn des Evangeliums nicht kennen.
Sie haben die Kraft des Heiligen Geistes nicht erfahren; sie lieben
Gott nicht wirklich. Viele von ihnen benutzen die katholische Kirche und Jesus Christus, um sich ein reines Gewissen zu verschaffen.
Sie lieben Gott aber nicht wirklich, weder Gott, noch Jesus Christus,
noch die Kirche. Sie lieben sich selbst. Woran erkennen wir dies?
Daran, dass sie nicht evangelisieren. Sie lieben die Armen nicht;
sie haben Angst, sich Gott zu weihen. Und was tun sie stattdessen?
Sie warten, verlieren Zeit, lassen Gott und die Armen warten. Sie
reden viel und sind der Ansicht, dass sie Gott durch ihre Reden,
ihre Reisen, ihre Teilnahme an Treffen verherrlichen, aber eigentlich betrüben sie sein Heiligstes Herz. Wie viele junge Menschen
behaupten, Freunde Jesu Christi zu sein, lieben ihn aber nicht! Denn
wenn Jesus sie bittet, wie den jungen Reichen, ein Opfer zu bringen
oder auf etwas zu verzichten oder ein anforderungsreicheres Leben zu
leben, dann weichen sie zurück. Diese jungen Menschen werden die
Gabe Gottes nicht kennenlernen, nämlich die Freude des Heiligen
Geistes und die Freude der Apostel. In der Tat hat ihnen Jesus nicht
nur ein anforderungsreicheres Leben versprochen. Er hat ihnen auch
ein freudenreicheres Leben versprochen. Das wahre Leben!
Ich möchte diese kurze Betrachtung über die Dringlichkeit der Evangelisierung der Armen mit den selben Worten beschliessen, wie auch
das Gebet zu unserer Heiligen Jungfrau von Inka Perka endet:
Mutter, angesichts dieser deiner Tränen, gewähre den Kondoren
die Kraft, in jene Abgründe zu fliegen,
wo Unsicherheit, Selbstzufriedenheit und Kleinkariertheit
herrschen, jedes Mal noch tiefer hinab,
in den Morast der Drogen, der Korruption, des Bösen und der
Sünde, damit sie ihre Flügel vielen jungen Menschen leihen,
damit diese hinauffliegen können auf die Gipfel der Anden, in den
Südhimmel und sie dort das Glücksgefühl der christlichen Nächstenliebe und die Freude verspüren, den Ärmsten zu dienen.
Pater Giovanni Salerno msp
Ut unum sint !
1
Abschnitt Bibel
«Wer ein solches Kind
aufnimmt…»
P. Sébastien Dumont msp (Belgier)
Im Evangelium nach Markus kündigt Jesus dreimal seine
Passion, seinen Tod und seine Auferstehung an (8,31;
9,31 und 10,33-34). Jedes Mal war die Reaktion
der Zwölf, der ersten Missionare, von Unverständnis geprägt. Der heilige Petrus machte
ihm sogar Vorwürfe (8,32). Weiter wird uns
gesagt, dass sie unterwegs darüber gesprochen
hatten, wer von ihnen der Grösste sei (9,34).
Schliesslich fordern die Zwölf die ersten Plätze
im Reich Gottes (10,35-41). Jesus verlangt
jedoch, dass sie dem Weg der Hingabe folgen, dem Weg der Liebe bis zum Tod, damit
er sie zur Auferstehung führen kann. Deshalb
folgt auf jedes Unverständnis der Jünger eine
Belehrung seitens Jesu. Die erste, welche an
das Volk und an die Apostel gerichtet ist, ist
eine Einladung, das Kreuz auf sich zu nehmen
und ihm nachzufolgen (8,33-38). Die zweite und
die dritte Belehrung richten sich an die Gruppe der Zwölf,
jedes Mal mit demselben Thema, nämlich dem Dienen
(9,35-50 und 10,42-45).
Höre! Da setzte Jesus sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen:
Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es
in seine Arme und sagte zu ihnen: wer ein solches Kind um
meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich
aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der
mich gesandt hat (Mk 9,35-37).
Denke nach! Jesus setzte sich, rief die Zwölf und sagte zu
ihnen… Indem Jesus Platz nimmt, nimmt er die Haltung
des Meisters ein. Es handelt sich um eine feierliche Belehrung, eine wichtige Richtigstellung, die Jesus für sie vornimmt – für uns. Wer der Erste sein will, soll der Letzte von
allen und der Diener aller sein. Die ganze Belehrung betrifft
dieses Grundprinzip. Um der Erste zu sein, muss man der
Letzte sein. Dies ist kein Widerspruch. Jesus erklärt im
Folgenden, worin dieses «der Letzte sein» besteht. «Der
Letzte sein» bedeutet «Diener sein» (diakonos im Griechischen). Wenn das Wort diakonos gebraucht wird, wird
damit nicht Bezug genommen auf den «Sklaven» (was im
Griechischen doulos heissen würde [erzwungene Unterwerfung unter einen Herrn]), sondern auf denjenigen, der
beim Mal freiwillig dient und für das Wohl der Übrigen
besorgt ist, selbst wenn dies bedeutet, zu einem späteren
Zeitpunkt essen und so seine Bequemlichkeit aufopfern
zu müssen. Jesus verlangt, Diener von allen zu sein, ohne
irgendwelche Ausnahme, nicht nur Diener meiner Gruppe
oder Diener von wichtigen Personen. Der Erste von allen
wird man also nicht, wenn man um die eigene Grösse
besorgt ist, sondern wenn man allen dient, denen man nur
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Ut unum sint !
helfen kann, ohne irgendwelche Grenzen zu ziehen. Auch
wenn die Zwölf ehrgeizig ihr eigenes Interesse verfolgen,
müssen sie lernen, Diener aller zu werden.
Und er stellte ein Kind in ihre Mitte und nahm es in seine
Arme. Jesus verlangt, dass die Zwölf aufhören, auf sich
selbst zu schauen, sondern dass sie ihre Aufmerksamkeit
dem Kind zuwenden. Er stellte ein Kind in ihre Mitte und
umarmte es. Mit dieser sehr menschlichen Geste zeigt er
seine Liebe und sein Interesse für die Kleinen. Wie viele
Male hat sich der Heilige Vater nicht zum Anwalt der
Kinder, nicht zuletzt auch der Ungeborenen, gemacht, sie
umarmt und gesegnet. So erinnerte er uns an die Geste
Jesu. Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt … Die
Eltern, seien es biologische oder Adoptiveltern, wissen,
was es bedeutet, ein Kind aufzunehmen. Es ist nicht nur
eine einfache Handlung wie das Geben eines Almosens,
sondern es bedeutet viel mehr, nämlich eine Person ins
Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu stellen und für sie
alle seine Kräfte aufzuwenden. Das kleine Kind ist für
seine materiellen und geistigen Bedürfnisse von so vielen Dienstleistungen abhängig. Empfangen heisst, ihm
alle diese Dienstleistungen zukommen zu lassen, ungefähr
so wie Martha (Lk 10,38-40). Als sie Jesus aufnahm (im
Griechischen dechomai), zeigte sie sich sehr besorgt um
ihn (diakonia im Griechischen). Jesus nimmt diesen grosszügigen Dienst als Beispiel für die Missionare.
Für uns Missionare und Missionarinnen Dienerinnen der
Armen tönen diese Worte sehr vertraut, weil wir wissen,
dass die Waisen, verlassenen, kranken und behinderten
Kinder, welche während 24 Stunden am Tag und 365
Tagen im Jahr in unseren Heimen leben, von uns alles
abverlangen. Genau aus diesem Grund, weil der Dienst
so viele Tugenden abverlangt, handelt es sich um den
Weg der wahren Grösse, der Grösse der Liebe. Jemand,
den ich sehr schätze, hat mir einmal gesagt, dass sich
Gott seines behinderten Kindes bedient habe, welches er
adoptiert hatte, um ihn zu «zwingen», das Beste von sich
selbst hinzugeben. Jesus versichert: Wer ein solches Kind
um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf. Mit den
Augen des Glaubens üben wir den Dienst aus, als Weg der
Vereinigung mit Gott. Wie viele unserer Freunde, welche
im Vorübergehen den Saal St. Raphael besucht haben,
wo sich unsere kränksten Kinder befinden, sind durch die
Gnade Gottes berührt worden, manchmal bis zum Weinen, und sind umgekehrt zu Gott. Niemand entfernt sich
von einem Kind, von einem Kleinen mit leerem Herzen.
Diese Vereinigung mit Gott ist das, was den Menschen
wirklich gross macht. Das sei also unsere Sorge, dass wir
beten, die Sakramente empfangen und in unserem Leben
für die Kleinsten immer Raum lassen.
Bete! Selig wer sich um den Armen und Hilfsbedürftigen
sorgt.
Lebe! Nehme ich Kinder auf im Namen von Jesus?
Abschnitt Patristik
Frauen im Dienste des
Evangeliums (I)
P. Walter Corsini msp (Italiener)
Im letzten Artikel haben wir über die wichtige Rolle
vieler Familien und Ehepaare in den ersten christlichen
Gemeinden gesprochen und dabei insbesondere Aquila
und Priszilla als Beispiele genommen. In diesem und im
nächsten Artikel werden wir unser Augenmerk auf zahlreiche Frauen richten, welche im frühen Christentum eine
wirksame und bedeutende Rolle in der Verbreitung des
Evangeliums spielten.
Historisch gesehen können wir diese Frauen in zwei grosse
Gruppen aufteilen, und zwar in Beziehung zu folgenden
zwei Perioden: während des irdischen Lebens Jesu und
während der Zeit der ersten christlichen Generation.
Jesus hat als seine Schüler zwölf Männer als Väter des
neuen Israel ausgewählt, damit sie bei ihm seien und er
sie zum Predigen aussenden konnte (vgl. Mk 3,14-15).
Diese Tatsache ist bekannt. Aber neben den Zwölf hat er
auch viele Frauen in die grosse Schar der Jüngerinnen und
Jünger gerufen. In erster Linie denken wir natürlich an die
Jungfrau Maria. Mit ihrem Glauben und ihrem mütterlichen Handeln wirkte sie in einzigartiger Weise an unserer
Erlösung mit. Denken wir nur daran, dass Elisabeth zu
ihr sagte: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen (Lk
1,42), und sie fügte hinzu: selig ist die, die geglaubt hat, dass
sich erfüllt, was der Herr ihr sagen liess (Lk 1,45). Als Jüngerin ihres Sohnes zeigte Maria in Kana ein grenzenloses
Vertrauen in ihn (vgl. Joh 2,5) und folgte ihm bis zum Fuss
des Kreuzes, wo sie von ihm die mütterliche Mission für
alle seine Jünger aller Zeiten, repräsentiert in Johannes,
übertragen erhielt (vgl. Joh 19,25-27). Dann denken wir
an die Prophetin Hanna (vgl. Lk 2,36-38), die Samariterin
(vgl. Joh 4,1-39), die syro-phönizische Frau (vgl. Mk 7,2430), die Frau, die Blutungen gehabt hat (vgl. Mt 9,20-22)
und die Sünderin, der vergeben worden ist (vgl. Lk 7,3650), ohne von der Frau zu sprechen, die Brot gemacht hat
(Mt 13,33) und diejenige, die die Drachme verloren hat
(Lk 15,8-10) oder die Witwe, die den Richter belästigt
hat (Lk 18,1-8).
Wir begegnen auch anderen unterschiedlichen Frauen,
welche sich auf verschiedenste Arten mit verantwortungsvollen Aufgaben um Jesus herum scharten. Lukas
erwähnt verschiedene Namen: Maria Magdalena,
Johanna, Susanna und andere Frauen (vgl. Lk 8,2-3). Die
Evangelien berichten auch von den Frauen, welche – im
Gegensatz zu den Zwölf – Jesus in der Stunde der Passion
nicht verlassen haben (vgl. Mt 27,56.61; Mk 15,40) und
dass Magdalena zur ersten Zeugin und Verkünderin der
Auferstehung wurde (vgl. Joh 20,1. 11-18). Es handelt
sich um Maria Magdalena, welcher der heilige Thomas
von Aquin die besondere Bezeichnung «Apostolin der
Apostel» gab. Und nicht zu vergessen, die Schwestern
Maria und Martha. Immer habe ich gerne die Tatsache
betrachtet, dass sich Jesus im Hause des Lazarus und seiner
Schwestern so wohl gefühlt hatte, weil er wie ein Bruder
aufgenommen wurde, er sich wie zu Hause fühlen durfte und sich ausruhen konnte. Auch im
Umfeld der ersten Christen war die weibliche
Präsenz keineswegs zweitrangig. Denken wir
nur an die vier Töchter des Diakons Philippus,
deren Namen nicht erwähnt sind und die in
Cäsarea Maritima lebten. Wie der Evangelist
Lukas sagt, war allen vier die Gabe der Prophetie verliehen, das heisst, die Fähigkeit vom
Heiligen Geist erfüllt öffentlich zu sprechen
(vgl. Apg 21,9). Der heilige Paulus erachtet es
als ganz normal, dass die Frau in der christlichen Gemeinschaft prophetisch redet (1 Kor
11,5), das heisst, offen unter dem Einfluss des
Heiligen Geistes spricht, unter der Bedingung,
dass es dem Aufbau der Gemeinde dient und es
in würdiger Weise geschieht. In diesem Sinne ist die spätere und bekannte Ermahnung zu relativieren: Die Frauen
sollen in der Versammlung schweigen (1 Kor 14,34). Diese
Aussage wurde in vielen Fällen zum Anlass genommen,
um den Apostel Paulus einer gewissen Abneigung gegenüber Frauen zu beschuldigen. Wahrscheinlich war diese
Ermahnung auf einige konkrete Vorfälle zurückzuführen,
welche Paulus in diesem Moment gegenwärtig hatte und
deren Folgen besonders negativ für die Gemeinden gewesen waren.
Aufgrund der Schriften des neuen Testaments und der
ersten schriftlichen Zeugnisse des Christentums ist an der
Bedeutung der Jungfrauen nicht zu zweifeln, welche durch
ihre Existenz die Reife einer christlichen Gemeinde aufzeigten. Gerade hier ist es nötig zu erinnern, wie diese
Jungfrauen die ersten christlichen Gemeinden geprägt
haben, sodass der heilige Paulus sie als etwas ganz Normales einstufen konnte. Zudem ist es wichtig zu unterstreichen, wie prophetisch deren Existenz war, nicht nur
aufgrund ihrer Worte, deren Inhalt wir nicht kennen, sondern vor allem auch durch ihr Leben der totalen Hingabe
an den Herrn, mit Seele und Leib. In der Schule der Jungfrau Maria gab es diese ersten Jüngerinnen, welche sich
auf besondere Weise dem Herrn geweiht und welche über
Jahrhunderte hinweg religiöse Gemeinschaften gegründet hatten. Durch ihre Verpflichtung zur Jungfräulichkeit
drückten und drücken sie die totale Hingabe an den Bräutigam aus. Ihnen empfehlen wir alle geweihten Seelen
an, besonders diejenigen der Diener der Armen, damit sie
fähig werden, mit demselben Engagement und derselben
Begeisterung die Gabe zu leben, zur totalen Hingabe an
Gott und an die Kirche in den Armen berufen zu sein.
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Abschnitt Kirche
Die Kirche – universelles
Sakrament der Erlösung
(III)
P. Giuseppe Cardamone msp (Italiener)
Im letzten Artikel haben wir uns gefragt: Wie verwirklicht sich die Erlösung? Wie gelangt die
Gnade in die Welt? Wir wollen uns etwas mehr
in das Thema vertiefen, auf welche Weise Gott
die Welt erlöst. Wir haben gesagt, dass die Antwort auf diese Fragen eine einzige ist: sakramental. Wir haben gesehen, dass dies in der Person
des menschgewordenen Sohnes Gottes Jesus
Christus geschieht, dessen Menschheit, voll des
Heiligen Geistes, das lebendige Instrument ist,
mit welchem Gott die Welt rettet. Also nimmt
das Wort sakramental Bezug auf die Tatsache, dass
Gott einen bevorzugten und einzigartigen Weg
ausgewählt hat, um die Herzen der Menschen
zu berühren, nämlich die heiligste Menschheit
seines Sohnes, von dem die Kirche die lebende
Gegenwart ist. Die Kirche ist in der Tat der Leib Christi und
lässt ihn auf verschiedene Weisen in der Welt gegenwärtig werden. Durch die Sakramente verbindet Christus die
Kirche mit sich und verwandelt sie immer mehr in seinen
Leib, bis sie ein Fleisch sein werden (vgl. Eph 5,31-32).
In der Taufe schenkt er uns die Gnade, Bild des Sohnes
Gottes und so Glieder seines Leibs, der Kirche, zu werden.
Diese Vereinigung und Zugehörigkeit wird verstärkt und
vervollständigt durch das Sakrament der Firmung, welches
uns an seiner Mission teilhaben lässt. Und die Vereinigung
und Zugehörigkeit wird durch die häufige Teilnahme an der
Eucharistie vertieft.
Der heilige Cyrill von Jerusalem sagte über die Taufe und die
Firmung: Getauft in Christus und bekleidet mit Christus seid ihr
dem Sohne Gottes ähnlich geworden ….; in dem Masse, indem
ihr das Zeichen des Geistes empfangen habt, seid ihr in Christus
verwandelt worden … Nun seid ihr endgültig Abbild Christi.
Einmal mit Chrisam gesalbt, seid ihr Teilhaber und Blutsverwandte Christi selber geworden (Katechese 21). Mit Bezug auf
die Eucharistie und die Intensität der geistigen Vereinigung
der Christen mit Christus als Frucht der eucharistischen
Vereinigung bekräftigte der heilige Augustinus, dass wir
nicht nur Christen geworden sind, sondern Christus selber (in
Johannes Evangelium, Tractatus, 21,8). Die Sakramente setzen also Christus in seiner Kirche gegenwärtig und lassen
ihn handeln, damit die Kirche in der Welt gegenwärtig wird
und in ihr handelt wie sein Leib, wie Christus selber, und sie
so als sein Instrument beim Werk der Verwandlung der Welt
gemäss dem Willen Christi aktiv mitwirkt, was der heilige
Paulus wie folgt beschreibt: Er hat beschlossen, die Fülle
der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles
was im Himmel und auf Erden ist (Eph 1,10). So verstehen
wir den Sinn der Worte des heiligen Leo des Grossen gut,
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wenn er die Christen zu einem Leben in Heiligkeit auffordert als Antwort auf die erhaltenen Gnaden Gottes in den
Sakramenten, welche nicht zufälligerweise bekannt sind als
die Sakramente der christlichen Initiation: Christ, erkenne
deine Würde und Teilhabe an der göttlichen Natur und wünsche
nicht mehr, in die Verworfenheit früherer Zeiten mit unwürdigem Verhalten zurückzukehren. Erinnere dich daran, wer dein
Haupt ist und von wessen Leib du Glied bist. Vergiss nicht, dass
du der Macht der Finsternis entrissen und ins Licht des Reiches
Gottes geführt wurdest. Im Sakrament der Taufe bist du Tempel
des Heiligen Geistes geworden! Entferne dich nicht von diesem
berühmten Gast durch ein verwerfliches Verhalten und unterwerfe dich nicht von neuem der Sklaverei des Dämons. Denk
daran, dass der Preis für deine Rettung mit dem Blut Christi
bezahlt wurde (Diskurse, Predigt 1, Über die Geburt).
Die Vereinigung mit Christus, verwirklicht durch den Heiligen Geist in den Sakramenten, macht uns zu Gliedern seines Leibs, der Kirche, und zu lebenden Instrumenten für die
Rettung der Menschheit und zu diesem Zweck zu Trägern
Christi in der Welt. Gemäss dem oben zitierten Text sind
die Getauften Teilhaber an der göttlichen Natur geworden.
Christus macht uns ihm gleich, indem er uns seinen Geist
schenkt, welcher in unseren Herzen die Wunden der Erbsünde heilt und die menschlichen Talente verstärkt, indem
uns eine neue Fähigkeit zu handeln verliehen wird, Zeichen
eines neuen Lebens. In dem Masse also, in welchem der Heilige Geist uns heiligt, uns mit Christus eins werden lässt, uns
ihm ähnlich werden lässt und uns gleichzeitig zu gefügigen
Werkzeugen macht, um der Welt die Erlösung zu verkünden.
In einem früheren Artikel haben wir dargelegt, dass das
Wort «Heiligkeit» nichts anderes bedeutet als die Fähigkeit, barmherzig zu lieben. In dem Masse, in welchem uns
der Herr erlöst, macht er uns fähig zu dieser barmherzigen
Liebe und demzufolge fähig, die Herzen der Menschen für
die Gnade der Erlösung zu öffnen. In der Tat, die Begegnung
mit der göttlichen Barmherzigkeit in der Kirche ist die einzige Erfahrung, welche die Umkehr der Herzen hervorrufen
kann. In Anbetracht dieses grossen Geheimnisses schreibt
der heilige Chrysostomos: Es ist eher möglich, dass die Sonne
weder brennt noch leuchtet, als dass der Christ nicht glänzt; es ist
eher möglich, dass sich das Licht in Finsternis verwandelt, als dass
dies nicht geschieht. Sage nicht, dies sei unmöglich, unmöglich ist
vielmehr das Gegenteil (in acta apostolorum, Predigt XX, 4).
Wir verstehen nun besser, weshalb alles, was das Volk Gottes in
der Zeit seiner irdischen Pilgerschaft der Menschheitsfamilie an
Gutem mitteilen kann, letztlich daher kommt, dass die Kirche das
allumfassende Sakrament des Heiles ist, welches das Geheimnis
der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht (gaudium et spes, 45). Eins mit Gott werden wir
zu Instrumenten seiner barmherzigen Liebe, dem einzigen
Mittel, um zu erlösen.
Abschnitt Moral
Die lässliche Sünde
P. Agustin Delouvroy msp (Belgier)
Im letzten Artikel haben wir gesehen, dass «die Sünde tötet»,
wobei wir uns dabei vor allem auf die Todsünde bezogen
haben. Nun müssen wir uns der lässlichen Sünde zuwenden.
Dabei wollen wir jedoch nicht vergessen, dass die Existenz
der Sünde und der Kampf gegen diese vor allem Zeichen des
göttlichen Erbarmens sind, da Gott sie nur im Hinblick auf
die Umkehr des Menschen zulässt (vgl. Röm 11,32).
Die Heilige Schrift spricht explizit von einigen Sünden,
die zum Tod führen und den Ausschluss des Himmelreichs
nach sich ziehen (vgl. Jak 1,15 und Gal 5,19–21) und von
anderen Sünden, die uns nicht der Gnade Gottes und seiner
Freundschaft berauben: «Jede Ungerechtigkeit ist Sünde; aber
nicht jede Sünde führt zum Tode» (1 Joh 5,17). Die Heilige
Schrift spricht auch häufig von diesen anderen Verfehlungen, die die Gerechten auf sich laden – und dies sogar häufig
(vgl. Spr 24,16; Jak 3,2; 1 Joh 1,8). Folglich unterscheidet
die Kirche zwischen Todsünden und lässlichen Sünden. Die
Heiligen Väter beziehen sich oft auf die lässlichen, alltäglichen Sünden und grenzen diese von den Todsünden ab,
indem sie darauf hinweisen, dass lässliche Sünden nicht
gebeichtet werden müssen, da sie durch Gebet und Werke
der Nächstenliebe verziehen werden (vgl. Katechismus der
Katholischen Kirche, Nr. 1875).
Das Lehramt hat die Existenz lässlicher Sünden bestätigt.
Auch jeder Mensch guten Willens erkennt mit Leichtigkeit,
dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen einem
Mord und bloss mangelndem Respekt vor dem Gegenüber.
Zwischen Todsünde und lässlicher Sünde gibt es «einen
wesentlichen und entscheidenden Unterschied» (Joh. Paul II,
Apostol. Schreiben «Reconciliatio et Poenitentia», Nr. 17),
und nicht nur einen Unterschied in der Schwere. Nur in
der Todsünde existiert das moralisch Böse. Dies entfernt uns
grundlegend von Gott, beraubt uns des seelischen Lebens,
da es uns die Gnade verlieren lässt, die wir nicht wieder
erlangen können, es sei denn durch ein erneutes und unverdientes Eingreifen der Gnade Gottes.
Vergleichen wir dies mit der ehelichen Liebe. Wenn ein
Ehemann Ehebruch begeht, wird der ehelichen Verbindung eine tödliche Wunde zugefügt, welche der Gnade der
Beichte bedarf, um nicht in einer verzweifelten Situation zu
enden. Es kann aber auch sein, dass ein Ehemann seine Frau
in einem Anflug von Ungeduld «verletzt», ohne dass dies
seiner Treue ihr gegenüber schadet. Folglich bleibt der Wille
im Falle einer lässlichen Sünde mit Gott vereint, wenn auch
unvollkommen. «Die lässliche Sünde lässt die Liebe bestehen,
verstösst aber gegen sie und verletzt sie.» (KKK 1855). Weder
beraubt sie uns der heiligmachenden Gnade noch schmälert sie diese. «In ihr verrät sich eine ungeordnete Neigung
zu geschaffenen Gütern; sie verhindert, dass die Seele in der
Übung der Tugenden und im Tun des sittlich Guten Fortschritte
macht; sie zieht zeitliche Strafen nach sich (...) Die lässliche
Sünde macht uns jedoch nicht zu Gegnern des Willens Gottes
und seiner Freundschaft; Sie bricht den Bund mit Gott nicht. Sie
lässt sich mit der Gnade Gottes menschlich wiedergutmachen.»
(KKK 1863).
«Eine lässliche Sünde begeht, wer in einer nicht schwerwiegenden Materie eine Vorschrift des Sittengesetzes verletzt oder das
Sittengesetz zwar in einer schwerwiegenden Materie, aber ohne
volle Kenntnis oder volle Zustimmung übertritt.» (KKK 1862)
Im ersten Falle handelt es sich z.B. um Faulheit, ein Wort
oder ein Lachen zuviel, Eitelkeit, Naschhaftigkeit. «Falls die
lässliche Sünde mit Bedacht geschieht und nicht bereut
wird, macht sie uns allmählich bereit, Todsünden zu
begehen.» (KKK 1863) «Halte aber diese Sünden,
die wir als leicht bezeichnen, nicht für harmlos. Falls
du sie für harmlos ansiehst, wenn du sie wägst; dann
zittere, wenn du sie zählst. Viele kleine Dinge bilden
eine grosse Masse; viele Tropfen füllen einen Fluss;
viele Körner bilden einen Haufen» (Hl. Augustinus, In epistulam Johannis. 1, 6). Die Beichte
hat einen grossen Wert auch für jene Christen,
die nie eine Todsünde begangen haben.
«Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater
im Himmel vollkommen ist» (Mt 5,48). Die Todsünde und die lässliche Sünde sind die Widersacher eines von der Seligkeit inspirierten Lebens.
Christliches Leben ist sehr viel mehr als die Anstrengung
zur Vermeidung der Sünde. Christliches Leben ist aktives
Bemühen um gute Taten, um alle Tugenden zu leben und
die unbegrenzte Liebe zu Gott und zum Nächsten zu fördern, indem wir unser Leben ganz seinem göttlichen Willen
unterwerfen. In den meisten Fällen zeigt und entwickelt sich
die Einheit mit Jesus in der Treue zu ihm in den normalsten
und einfachsten Dingen unseres Lebens. Aufgrund der Erbsünde ist der Mensch aber nicht in der Lage, jede lässliche
Sünde jederzeit zu vermeiden (vgl. KKK 1863).
Ungeachtet dessen lebt der Mensch das Leben eines mittelmässigen Christen, wenn er nicht ernstlich und beharrlich gegen die lässlichen Sünden ankämpft. Ansonsten
wird er die Grösse der Liebe Gottes nie erfahren. Es ist
deshalb wichtig, dass wir vor allem die bewusst begangenen lässlichen Sünden bekämpfen, aber auch die halb
unbewusst begangenen Sünden, nämlich jene die wir aus
Schwäche begehen. Wir müssen sogar gegen die kleinen
Unvollkommenheiten kämpfen, die keine Verletzung der
Gebote Gottes darstellen. Unvollkommenheiten sind Akte
unvollkommener Erfüllung des Willens Gottes. Dazu gehören beispielsweise der Mangel an Inbrunst beim Gebet oder
fehlender apostolischer Eifer oder fehlende Grosszügigkeit.
Ut unum sint !
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Abschnitt Spiritualität
Christus nachfolgen
und nachahmen (II)
Begegnung und Umkehr
P. José Carlos Eugénio msp (aus Portugal)
Der göttliche Ruf und die Antwort des Menschen schaffen eine persönliche Begegnung mit
Jesus. Das geistliche Leben beginnt in Wahrheit
erst dann, wenn es zu dieser Begegnung kommt.
Wenn diese Begegnung intensiv ist, drängt sie
mächtig hin zur Bekehrung. Unglücklicherweise geschieht es allzu oft, dass man getauft
ist, zur Messe geht, kommuniziert, beichtet,
eine Seelenführung hat, betet usw. – ohne eine
authentische persönliche Begegnung zu erfahren. Unseligerweise ist das die Situation vieler
Christen. Und hierin liegt einer der Gründe,
weshalb nicht alle Christen ein wirklich geistliches Leben führen. Das kann man im Licht der
Heiligen Schrift in der Berufung Samuels und im
Drama Hiobs besser verstehen.
Die Geschichte der Berufung Samuels ist allen bekannt.
Der Herr ruft wiederholt den jungen Samuel, und dieser
eilt zum Priester Heli, seinem Meister, in der Meinung,
jener habe ihn gerufen. Dies tut er jedes Mal, wenn er den
Ruf vernimmt. Beim dritten Mal versteht Heli, dass nur
der Herr den Jungen hat rufen können. Folglich sagte er
ihm: «Geh und lege dich nieder! Und wenn er dich ruft, so
sage: ‹Sprich, Herr, dein Diener hört!›» (1 Sam 3,9). Dies tut
Samuel, und der Herr vertraut ihm die Mission an, zu der
er ihn bestimmt hat. Bedenken wir ein Detail, nämlich die
Begründung, warum der junge Samuel nicht verstand, wer
ihn gerufen hatte. Der Text sagt: «Noch kannte Samuel den
Herrn nicht, da sich ihm das Wort des Herrn noch nicht geoffenbart hatte» (1 Sam 3,7). Man kann diesen Vers in dem Sinn
verstehen, dass Samuel, obwohl er sich schon einige Zeit
unter der Führung des Priesters Heli als Diener des Herrn
im Tempel befand, erst in jener nächtlichen Begegnung
seine wahre Geburt zum Glauben und den Beginn eines
authentischen Fortschritts im geistlichen Leben erlebte.
Das will sagen, erst ab dieser Begegnung mit dem Herrn
wurde Samuel zum Propheten befähigt. Daraus folgt, dass
man zur Kirche gehören und häufig im Tempel dienen kann
wie Samuel und dennoch den Weg des wahren und eigentlichen Glaubens noch nicht begonnen haben kann. Ein
Weg, der tatsächlich erst dann beginnt, wenn wir in persönlicher Weise Jesus begegnen, oder besser gesagt, wenn
wir erlauben, dass Jesus in unser Haus eintritt, so wie es sich
bei Zachäus ereignete.
Dieser Beginn muss sich nicht unbedingt im Rahmen einer
Zeremonie ereignen, sondern in einer wahrhaften und
wirklichen persönlichen Begegnung mit Gott, so wie sie die
berühmte Erklärung Hiobs wunderbar zum Ausdruck bringt,
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Ut unum sint !
die er dem Herrn am Ende seiner dramatischen Erfahrung
machte: «Ich habe dich nur vom Hörensagen gekannt, aber jetzt
haben dich meine Augen gesehen» (Hiob 42,5). Die Erfahrung Hiobs ist eine neue Wahrnehmung der Wirklichkeit
Gottes. Zuvor hatte Hiob nicht mehr als eine allgemeine
Idee von Gott: «Ich habe dich nur vom Hörensagen gekannt»;
schliesslich begegnete er Gott in persönlicher Weise: «aber
jetzt haben dich meine Augen gesehen». Wenn es wahr ist,
dass der «religiöse» Hiob auch schon vor dieser Erfahrung
existierte, so beginnt doch Hiob als der «Mann des Glaubens» seinen Weg erst ab dieser persönlichen Begegnung
mit Gott, eine Begegnung, die ihn unabhängig von der
Wiedererlangung von Gesundheit und äusserer Würde zu
einem wahrhaft Glaubenden macht und ihn vollständig auf
den Weg Gottes führt.
Viele Christen leben in derselben Situation wie Hiob, als
er den Herrn «nur dem Hörensagen nach» kannte. Niemals
hatten sie eine persönliche Erfahrung der Begegnung mit
Jesus. Wenn sich diese wunderbare persönliche Begegnung
zwischen einem Menschen und Christus ereignet, dann
erlebt und bezeugt dieser Mensch eine lebendige Wirklichkeit. Christus ist dann nicht mehr nur etwas Entferntes und
jemand, von dem man nur reden gehört hat, sondern er ist
eine wirkliche Person, lebendig und nah, von einem Herzen beseelt, und er drängt dazu, seinem Beispiel und seiner
Lebensweise zu folgen. Schlussendlich handelt es sich um
dieselbe Erfahrung, welche die ersten Nachfolger Christi
und alle Heiligen gemacht haben.
In den Evangelien sieht man ganz klar, wie diese persönliche Begegnung mit Jesus eine tiefe Veränderung hervorruft, eine wirkliche Umkehr, und wie sie zugleich von innen
her und wie von selbst zur Nachfolge drängt. Das heisst,
dass der Ruf vor allem eine übernatürliche Tatsache und auf
ein übernatürliches Ziel ausgerichtet ist. Deshalb bringt er
immer eine innere Umformung mit sich, eine Umkehr, die
allein der Heilige Geist bewirken kann. Selbstverständlich
ist dieses Werk nur möglich auf Grund der Bereitschaft des
Menschen zu einer hochherzigen Antwort. Aber immer ist
es der Heilige Geist, der dem Menschen diesen inneren
Sinn schenkt, welcher ihn nach dem übernatürlichen Ziel
streben lässt und ihn zu einer besonderen Mission leitet,
indem er ihm die Überzeugung eingibt, von Gott gerufen
zu sein, diesen Weg und keinen anderen zu gehen oder
in diesen Lebensstand und in keinen anderen einzutreten.
Das ist eine Gnade, die eine Anziehungskraft einschliesst,
welche die gerufene Person zur Umkehr führt. Es handelt
sich nicht nur einfach darum, sich für eine bestimmte Zeit
in die Nachfolge von irgend jemandem zu begeben, eine
mehr oder weniger lange Zeit, um damit eine notwendige
Formung zu erlangen. Wer sich entschliesst, Jesus nachzufolgen, bricht alle Brücken der Vergangenheit ab, verlässt das
Frühere, um ein neues Leben zu beginnen. Der Glaube verlässt das nur passiv angenommene Sein, etwa aus dem Erbe
oder aus einer Gewohnheit, und geht über zu einem Sein,
das sich selbst gestaltet, in aktiver und personaler Weise.
Das erlebte zum Beispiel die heilige Theresia vom Kinde
Jesu mit 14 Jahren (vgl. Geschichte einer Seele, Kap. 5).
Abschnitt Berufung
Die Oblaten (V)
P. Álvaro Gómez Fernández msp (Spanier)
Wir haben gesehen wie bedeutungsvoll es ist, unsere
christliche Existenz als Oblat zu leben, wobei wir diese
Dimension der Hingabe in allen Bereichen anwenden
sollen (Arbeit und Ruhe, Freud und Leid ...), vor allem
aber in unserem Leid, denn dies ist Ausdruck des Kreuzes.
Und dieses Kreuz ist nicht etwas Beliebiges auf unserem
Weg, sondern unaufgebbare Bedingung unserer Nachfolge Christi: «Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich
selbst und nehme das Kreuz auf sich» (vgl. Mt 16,24–26;
Mk 8,34; Lk 9,23; und auch Mt 10,38 und Lk 14,27).
Wir wollen die besondere Form dieser Bedingung nicht
unbeachtet lassen: «Wenn einer mir nachfolgen will» (oder:
«Wenn du willst...», vgl. Mt 19,17.21). Es ist so, dass Gott
niemals etwas auferlegt; er lädt ein, schlägt vor, wobei
er uns die Freiheit lässt. Wenn wir sie gut gebrauchen –
indem wir nach der überlieferten Lehre des heiligen Thomas von Aquin immer das Gute wählen – wird es für uns
zur Quelle des Verdienstes. Wenn wir sie aber schlecht
gebrauchen, ist dies für uns Anlass zu Sünde und Verderben. Menschlich gesehen widerstrebt uns das Kreuz. Wir
neigen dazu, es zurückzuweisen. Nur der Glaube kann
uns helfen, in ihm nicht etwas Absurdes, sondern einen
Reichtum zu sehen. Wir suchen es nicht (das könnte,
von Ausnahmen abgesehen, krankhaft sein), doch sollen
wir das in Frieden und Demut annehmen, was auf uns
zukommt, ohne dass wir es ausgesucht hätten.
Ich will einige Zitate anführen, die uns hierin als Stützen
oder Mittel der Vertiefung dienen können. Ich gestehe,
dass ich ein grosser Zitatensammler bin (fast schon eine
Sucht! Steht das der evangelischen Armut entgegen? Ich
meine das Streben anzuhäufen ...?). Doch ich denke, dass
dies in jeglicher Hinsicht eine grosse Stütze sein kann,
um meinen Dienst an der Verkündigung des Wortes auszuüben oder um die Lehren in den gebotenen Augenblicken gegenwärtig zu haben, aber auch als Inhalt für meine
Gebete und Betrachtungen (ich empfehle Euch deshalb,
euch dieses heilsame «Laster» anzueignen). Ich habe
sie angesammelt nach folgenden Kategorien: biblische
und lehramtliche Zitate, solche aus Schriften und Leben
der Heiligen und auch solche, die nicht als «religiöse»
katalogisiert sind wie Dostojewski, Chesterton, Tagore
usw. Ich beginne mit einem Zitat des heiligen Paulus:
«Fern von mir sei, mich zu rühmen, ausser im Kreuz unseres
Herrn Jesus Christus» (Gal 6,14) – was ihn an anderer
Stelle zur Aussage führt: «Wir aber rühmen uns sogar der
Trübsale» (Röm 5,3). Es ist so, dass wir der ständigen
Gefahr ausgesetzt sind, unseren eigenen Ruhm zu suchen
(Anlass für unsere Sünden), während doch das einzige
Ziel des menschlichen Lebens es ist – wie sich der heilige Ignatius von Loyola ausdrückt – die Ehre Gottes
zu suchen (Anlass für das Leben in der Gnade). Aber
im Hinblick auf diese Verherrlichung Gottes: Wie sollte
man sich nicht rühmen (Gefallen finden, sich freuen
und jubeln) ob der äussersten Liebe Gottes, die sich dem
Menschen (mir!) offenbart und die zur vollkommensten Entsagung und Hingabe führt, Symbol und Ausdruck des Kreuzes. Wie sollte man
sich nicht freuen und somit Gott verherrlichen (ihm danken, rühmen, loben, benedeien
... anstatt vor ihm zu klagen oder ihm Vorhaltungen zu machen), wenn er mir die Gelegenheit anbietet, mich mittels meiner Trübsale
– welcher Art auch immer, physische, moralische oder spirituelle – mit jenem Kreuz zu
verbinden, das mich auf diese Weise mit Gott
an der Erlösung der Welt mitwirken lässt?
Ich fahre fort in der Reihe der Zitate, um
das Gesagte zu untermauern, und zwar diesmal aus dem Katechismus der Katholischen
Kirche: «Die Menschen, die oftmals unbewusste
Mitarbeiter des göttlichen Willens sind, können aus freiem
Willen in den Heilsplan Gottes eintreten, nicht nur mit
ihren Taten und Gebeten, sondern auch durch ihre Leiden
(vgl. Kol 1,24). Dann werden sie in voller Weise »Mitarbeiter Gottes (1 Kor 3,9; 1 Thess 3,2) und seines Reiches
(vgl. Kol 4,11)» (KKK 307). Und an anderer Stelle fügt
der Katechismus hinzu: «Durch seine Passion und seinen
Tod am Kreuz gab Christus dem Leiden einen neuen Sinn:
seitdem gestaltet es uns ihm gleich und vereint uns mit seiner heilbringenden Passion» (KKK 1505). So könnt ihr
sehen, ich erfinde nichts aus mir! Unser Leiden ist nicht
irgend etwas Negatives. Wenn wir es nur aus einem rein
menschlichen oder rationalen Standpunkt sehen, ist es
das natürlich, ein Ärgernis und eine Torheit (vgl. 1 Kor
1,23 ... wir fahren fort mit dem Laster der Zitate!). Aber
aus dem Glauben heraus, schauend mit den Augen Gottes, aus seiner «Pupille», wandelt es sich in die Kraft und
die Weisheit Gottes (ebenda, Vers 24).
«Wir vereinigen uns mit seinem Leiden, wie der Leib mit
seinem Haupt. Wir leiden mit ihm, um mit ihm verherrlicht zu werden» (Lumen Gentium, Nr. 7). Das Leiden,
in Dankbarkeit angenommen und dargebracht in Liebe,
macht uns zu Mit-Erlösern und Mit-Arbeitern Gottes bei
der Erlösung der Welt. Das bedeutet, im Leben umzusetzen, was wir liturgisch feiern: «In der Eucharistie ist das
Opfer Christi auch das Opfer der Glieder seines Leibes. Das
Leben der Gläubigen, ihr Lobpreis, ihr Leiden, ihr Gebet und
ihre Arbeit, vereinigen sich mit dem von Christus und seiner
vollkommenen Darbringung, und erlangen so einen neuen
Wert. Das Opfer Christi, das auf dem Altar gegenwärtig ist,
gibt allen Generationen der Christen die Möglichkeit, sich mit
seiner Opferhingabe zu vereinigen» (KKK 1368). Was für
ein Möglichkeit! Versäumen wir dies nicht!
Ut unum sint !
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ICHER
MIT KIRCHL
ERLAUBNIS
Kontemplative
Ut unum sint!
Lebensweise der streng lebenden Ordens-
leute, die gleichzeitig arbeiten, um den
Ärmsten zu helfen.
Ut unum sint!
Verpflichtete
Ordensleute, Priester und Laien im Dienst
an den Ärmsten, mit den Merkmalen
des Ordenslebens der Regularinstitute
(Gelübde und Gemeinschaftsleben).
Assoziierte
Bischöfe, Priester, Klöster, kirchliche Gruppen und Einzelne ausserhalb der Bewegung,
die gemäss unserer Spiritualität in Armut
leben und den Armen helfen.
Laienmitglieder
Kranke und Gefangene, die ihre Leiden für
die Armen der Dritten Welt aufopfern.
Mitarbeitende
Auch Nichtglaubende, welche die Bewegung irgendwie unterstützen.
Die Missionare
Diener der
Armen der
Dritten Welt
Impressum
Herausgeber & Redaktion: Verein zur Unterstützung
der Bewegung der Diener der Armen der Dritten Welt,
9320 Arbon.
Druck: Schmid-Fehr AG, Hauptstrasse 20,
9403 Goldach
Erscheint 6 Mal pro Jahr. Geht an alle Mitglieder und
Gönner / innen des Vereins «Bewegung der Diener
der Armen der Dritten Welt». Für Mitglieder ist das
Abonnement im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Gönnerinnen und Gönner werden ein Mal pro Jahr
CHF 5.– von den Spenden abgezogen.
Missionare Diener der
Armen der Dritten Welt
P. O. Box 907
Cuzco (Peru)
Tel. 0051 984 03 24 91
Tel. 0051 956 94 93 89
[email protected]
www.msptm.com
Deutschland:
Freunde der Diener
der Armen
Schleusenstrasse 7
DE-63839 Kleinwallstadt
Tel. 06022 / 20726
[email protected]
Österreich (und Südtirol):
Verein zur Unterstützung
der Bewegung der Diener
der Armen der Dritten Welt
Perfuchsberg 49
AT-6500 Landeck
Tel. 05442 / 67811
[email protected]
Schweiz:
Verein zur Unterstützung
der Bewegung der Diener
der Armen der Dritten Welt
Postfach 83
CH-9320 Arbon
Tel. 058 345 71 99
[email protected]

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