Abgehoben?
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Ausgabe 04 | 2014 | siemens.com/mobility ITS magazine Fachmagazin für Straßenverkehrstechnik Abgehoben? Wie durch Wechselwirkungen zwischen Science und Fiction neue Konzepte für die terrestrische Mobilität entstehen könnten Stairway to Heaven Warum intelligent gestaffelte Mobility Services Effizienz vorteile in der Instandhaltung bringen „Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.“ Norman Mailer Editorial | ITS magazine 4/2014 Liebe Leserin, lieber Leser, kreative Inspiration, erhellende Erkenntnisse, hohe Planungssicherheit, schiere Neugier oder reine Unterhaltung: Es gibt viele Gründe dafür, über den Tellerrand der Gegenwart hinauszublicken. Für den englischen Literatur-Nobelpreisträger John Galsworthy stand fest: „Wer nicht über die Zukunft nachdenkt, wird nie eine haben.“ Zum Glück haben sich aber nicht nur Dichter und Denker mit der Frage beschäftigt, sonst wäre einer der pointiertesten Sätze dazu vermutlich nie gesagt worden: „Gehe nicht dahin, wo der Puck ist“, empfahl die kanadische Eishockey-Legende Wayne Gretzky einem Mitspieler, „gehe dahin, wo der Puck sein wird.“ Das Antizipieren von Chancen gehört natürlich für uns Verkehrsexperten ebenfalls zum großen Einmaleins. Deshalb macht sich die Zukunft der Mobilität schon seit jeher auch im ITS magazine ziemlich breit. Bisher jedoch stützten sich die entsprechen- den Geschichten in der Regel auf bereits existierende Trends, sich bereits anbahnende Entwicklungen und bereits mehr oder weniger durchdeklinierte Technologien. Im Themenfokus dieser Ausgabe gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir haben zum Beispiel auf die Reißbretter von Visionären wie dem US-amerikanischen Multiunternehmer Elon Musk geschaut, der Menschen mit Überschallgeschwindigkeit durch teilvakuumierte Röhren schießen will. Wir haben Schüler des Albert-EinsteinGymnasiums in München nach ihren Vorstellungen von der Mobilität von morgen gefragt. Und wir haben mit Thomas Le Blanc gesprochen, der eine einzigartige „Phantastische Bibliothek“ mit mehr als 250.000 Büchern zu futuristischen Themen betreibt. Auch wenn manches von dem, was darin beschrieben wird, aus heutiger Sicht abgehoben erscheint: Einige der geschilderten Mobilitätskonzepte sind durchaus einen zweiten Blick wert. Was Le Blanc über die Wechselwirkungen zwischen Science und Fiction zu sagen hat, ist jedenfalls nicht nur spannend zu lesen, es erklärt auch, warum sich die Autoindustrie zunehmend für die gesellschaftlichen und verkehrlichen Szenarien in der Zukunftsliteratur interessiert. Wie schnell sich in unserer hochtechnisierten Zeit Utopien in Realität verwandeln können, wurde selten besser auf den Punkt gebracht als vom umstrittenen Bestsellerautor Norman Mailer: „Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.“ Ich wünsche Ihnen wie immer viel Spaß bei der Lektüre. Herzlichst Ihr Markus Schlitt 3 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus Inhalt 13 16 Im Fokus 06 13 16 4 „Verschiedene Grade von Unwahrscheinlichkeit“ Thomas Le Blanc, Leiter der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar, über die Wechselwirkungen zwischen Science und Fiction, die in der Zukunftsliteratur favorisierten Konzepte für die terrestrische Mobilität und das wachsende Interesse der Autoindustrie an den futuristischen Szenarien Von oben bis unten In der Horizontalen ist es schwierig, dem Stau aus dem Weg zu fahren. Wahrscheinlich suchen deshalb so viele Visionäre das Heil in der Vertikalen: Sie wollen Menschen oder Güter einfach oben drüber schicken oder unten durch – die einen mit mehr, die anderen mit weniger realistischen Konzepten Mobilität X Punkt Null Wie stellen sich eigentlich Jugendliche die Mobilität von morgen vor? Schüler des Münchner Albert-Einstein-Gymnasiums haben einfach mal draufloskonzipiert – ganz ohne die berühmte Schere im Kopf, die Experten beim Brainstorming oft in die Quere kommt Trends & Events 20 Stairway to Heaven Intelligent gestaffelte Mobility Services leiten einen Paradigmenwechsel bei der Instandhaltung verkehrstechnischer Anlagen ein. Unter dem Strich steht ein veritabler Effizienzgewinn 22 Wir müssen reden Auf der Strecke zwischen Rotterdam und Wien werden Fahrzeuge schon bald direkt miteinander und mit der Infrastruktur sprechen. Wie eine Demo-Tour im November zeigte, ist die Technologie fit für die Praxis 23Eventnews Kurzberichte von der Gulf Traffic in Dubai und von der InnoTrans in Berlin Partner & Projekte 24 Im Chancen-Reich Bei der Gestaltung eines Wahl-Moduls für den erfolgreichen Master-Studiengang „Transportation Systems“ setzt die TU München auch auf das Know-how der Experten von Siemens Im Fokus | ITS magazine 4/2014 Schaufenster zur Zukunft Ist Science-Fiction-Literatur mehr als reine Unterhaltung? Die Auto industrie jedenfalls interessiert sich ernsthaft für die gesellschaftlichen und verkehrlichen Szenarien in futuristischen Romanen 26 30 25Shortcuts Aktuelle Projekte im Bereich Straßenverkehrstechnik in Polen, Deutschland, China und den Niederlanden Profil 30 Wissen & Forschung 26 Daten à la Carte Neben der guten alten Induktionsschleife stehen heute eine ganze Reihe neuer Meisterdetektive zur Verfügung. Die unterschiedlichen Technologien ermöglichen die maßgeschneiderte Erfassung von Informationen Mobilität & Lebensraum 28 Himmlisch effizient In nur drei Monaten wurde das Mautsystem der Slowakei um über 15.000 Kilometer erweitert – im laufenden Betrieb und ohne Investitionen in straßenseitige Anlagen. Dass dies möglich war, ist ein Geschenk des Himmels. Oder genauer: ein entscheidender Vorteil der modernen Kombination aus Satellitennavigation und mobiler Kommunikation „Ein großer Schritt zur Vision Zero“ Roland Wunder, Product Manager Kooperative Systeme bei Siemens Mobility, über den volkswirtschaftlichen Nutzen der Car2X-Communication, die organisatorischen Herausforderungen beim Aufbau des ITS-Korridors Rotterdam-Wien und die Roadmap zum autonomen Fahren Rubriken 29 Im Seitenspiegel Nachdenkliches und Quergedachtes zur Zukunft der Mobilität: „Visionen für die Cloud“ 32Impressum 5 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus „Verschiedene Unwahrschein Interview Thomas Le Blanc, Gründer und Leiter der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar, über die Wechselwirkungen zwischen Science und Fiction, die in der Zukunftsliteratur favorisierten Konzepte für die terrestrische Mobilität und das wachsende Interesse der Autoindustrie an den futuristischen Szenarien. 6 Im Fokus | ITS magazine 4/2014 Grade von lichkeit“ 7 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus Ganz oben: Der myCopter, eine Studie zum möglichen Aussehen eines Personal Aerial Vehicles*: „Wenn wir uns in der dritten Dimension über unseren Straßen bewegen könnten, würde es die Automobilität auch weiterhin geben. Und auch die entsprechende Industrie, die dann möglicherweise sowohl Bodenwagen als auch Flugautos produziert – zweifellos ein toller Markt“ (Oben und rechts) Forschungsfahrzeug von VW, Ladesystem eines Elektroautos, futuristisches Display: „Die Autohersteller wollen von uns nicht wissen, welches Modell sie 2044 anbieten sollen, sondern ob es dann überhaupt noch eine Nachfrage nach Autos gibt“ * Die grundlegenden Technologien für eine sichere, umweltfreundliche und von der Gesellschaft akzeptierbare Fortbewegung in der dritten Dimension wurden im EU-Projekt myCopter (www.mycopter.eu) vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und führenden Institutionen und Universitäten in Europa untersucht 8 Im Fokus | ITS magazine 4/2014 „Beamen ist nicht ausgeschlossen, aber wohl erst in 200, 300 Jahren umsetzbar“ Stadtverkehr in Dubai, Computer-Artwork zum Thema Teleportation: „Vielleicht gibt es in der Zukunft Städte, die Besucher damit anlocken, dass sie noch Autos in ihre City lassen“ Herr Le Blanc, wir sitzen hier zwischen mehr als 250.000 Titeln fantastischer Literatur, in trauter Eintracht mit Aliens und Androiden, in einer Welt der Warp-Antriebe und Materietransmitter. Wie viel Prozent von all dem hier ist Science – und wie viel Prozent Fiction? Sagen wir einmal so: Für unser Forschungsprojekt „Future Life“, in dessen Rahmen wir die in der Science-FictionLiteratur beschriebenen Ideen systematisieren und bewerten, haben wir rund 100.000 Titel ausgewählt. Diese Werke beinhalten mehr oder weniger ernsthafte Denkmuster von Autoren, die sich zumindest darum bemühen, ihre fiktiven Welten wissenschaftlich zu erklären und nicht über Zauberei oder Spökenkiekerei. Und glauben Sie mir: Mit diesen 100.000 Büchern sind wir bei unseren Analysen mehr als gut beschäftigt. Im parallelen Kult-Universum von Star Trek beamt der gute alte Scotty Menschen, Klingonen und Vulkanier von einem Ort zum anderen, im richtigen Leben gelang inzwischen immerhin die Teleportation von Quantenzuständen. Ist das Beispiel typisch für den Realitätsbezug von Science-Fiction? Grundsätzlich gibt es in der Zukunftsliteratur natürlich verschiedene Grade von Unwahrscheinlichkeit. Nehmen Sie das Roboterauto: In der Realität entwächst es gerade dem Forschungsstadium, in der Fiktion gehört es längst zu den massenhaft verbreiteten Transportmitteln. Die Beschreibungen können der Industrie also durchaus Vorstellungen davon vermitteln, wie die Menschen mit dieser Technologie umgehen werden. Parallel dazu haben wir es mit Szenarien zu tun, die deutlich weiter in der Zukunft liegen. Die liefern mitunter ebenfalls hochinteressante Antworten – unter anderem auf die Frage: Auf welche Ideen kommen Menschen, wenn sie über grenzenlose Möglichkeiten und Ressourcen verfügen? Aber natürlich stoßen wir auch auf technologische 9 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus Konzepte, von denen wir uns heute nur schwer vorstellen können, dass sie funktionieren werden. Das Beamen fällt zweifellos derzeit noch in diese Kategorie, auch wenn der Wiener Professor Anton Zeilinger seine Versuche zur Verschränkung von Quanten unter dieser medienwirksamen Überschrift laufen lässt. Meines Erachtens ist das lediglich ein PR-Gag. Was an sich erst einmal gar nichts Schlechtes ist, weil es in der Öffentlichkeit die Bereitschaft weckt, sich auf ungewöhnliche Gedankenspiele in Sachen Mobilität einzulassen. Um zumindest eine Ahnung vom Facettenreichtum der Ideen allein in Bezug auf die terrestrische Mobilität zu bekommen: Könnten Sie einige kreative Superlative skizzieren, die den Besucher in der Phantastischen Bibliothek erwarten? Die weitreichendste Zukunftsvision ist sicherlich das Beamen: nicht gänzlich ausgeschlossen, aber vermutlich erst in 200, 300 Jahren umsetzbar. Am interessantesten erscheint mir das Flugauto – vor allem, wenn wir unterstellen, dass relativ bald der Antigravitationsantrieb erfunden wird, was aus meiner wissenschaftlichen Sicht durchaus passieren kann. Dann hätten wir die dritte Dimension und könnten uns problemlos auch in der Luft über unseren Straßen bewegen. Das wiederum würde bedeuten, dass es die Automobilität weiterhin geben wird. Und auch die entsprechende Industrie, die dann möglicherweise sowohl Bodenwagen als auch Flugautos produziert – zweifellos ein toller Markt. Für eines der wahrscheinlichsten Konzepte, die uns in der Science-Fiction oft begegnen, halte ich die Weiterentwicklung der Car-SharingModelle, die in der Realität noch in den Kinderschuhen stecken. In der Zukunftsliteratur besitzen die Menschen in der Regel keine Autos mehr, sie benutzen autonome, ein- bis maximal zweisitzige Fahrzeuge, die überall in den Städten am Straßenrand stehen und sich mit Hilfe eines im Körper implantierten Chips starten lassen. Die kleinen Cabs sind elektrogetrieben, müssen aber nicht an die Tankstelle, weil sie während der Fahrt induktiv geladen werden. Für die Industrie bedeutet das: Kein Mensch kauft sich noch ein eigenes Auto, schon gar nicht zum Angeben. Der Fokus liegt nicht mehr auf Leistung, Image und Status, 10 sondern eher auf der Zuverlässigkeit, weil die Fahrzeuge nicht mehr wie heute größtenteils irgendwo herumstehen, sondern fast nonstop unterwegs sind. Das klingt aber nach einem vorprogrammierten Abschied von der vielzitierten Freude am Fahren… Wer weiß? Vielleicht gibt es in der Adaptionszeit noch spezielle Resorts für passionierte Selbstfahrer: so eine Art Disneylands – oder einzelne Städte, die Besucher damit anlocken, dass sie noch Autos nach heutiger Wie weit voraus blicken denn die seriöseren unter den Autoren im Durchschnitt? Das ist sehr unterschiedlich. Manche schauen nur ein paar Jahre in die Zukunft – oder nicht einmal das, weil die Technologien, die sie beschreiben, schon in der Gegenwart existieren, wie etwa beim Roboterauto. Ein besonderer Reiz liegt meines Erachtens übrigens auch in Zukunftsromanen älteren Datums, die in einer Zeit spielen, die damals noch Zukunft war und heute bereits Vergangenheit ist. Es kann sehr spannend sein zu analysieren, welche „Gute Science-Fiction muss plausibel sein, sonst ist es keine gute Science-Fiction“ Bauart in ihre City lassen. Über die Übergänge von einem Mobilitätskonzept zum anderen macht sich der Science-Fiction-Autor ja keine Gedanken: Der lässt seinen Protagonisten einfach morgens aus dem Haus gehen und irgendwo einsteigen. Das futuristische Car-Sharing-Modell, das Sie gerade beschrieben haben, ist im Wesentlichen die fiktive Vollendung einer Entwicklung, die sich heute bereits abzeichnet. Wie oft treffen Sie bei Ihren Analysen auf Mobilitätskonzepte, für die es noch gar keine Entsprechungen in der Gegenwart gibt? Unterm Strich kommt das nach meiner Beobachtung sogar weitaus häufiger vor. Ich glaube, die meisten Ideen entstehen dadurch, dass sich der Autor fragt: Was gefällt mir nicht an der Welt, in der ich lebe? Und dann lässt er seiner Fantasie – und seinem oft bemerkenswerten naturwissenschaftlichen Wissen – freien Lauf. Er überlegt sich beispielsweise, wie die Geschichte der Mobilität eigentlich weitergegangen wäre, wenn man sich Ende des 19. Jahrhunderts anders entschieden hätte. Wenn man also damals nicht dem Konzept des Verbrennungsmotors von Herrn Otto, sondern gleich dem des Elektroantriebs von Herrn Siemens gefolgt wäre. Visionen des Autors eingetroffen sind und welche nicht – und sich zu überlegen, warum es in dem einen Fall so kam und in einem zweiten anders. Im krassen Gegensatz dazu gibt es auch Geschichten, die im Jahr 3000, 5000 oder 10.000 spielen – das hat dann aber sicherlich kaum mehr etwas mit Science, sondern nur noch mit Fiction zu tun. Für die interessantesten und für unsere Auswertungen ergiebigsten halte ich grundsätzlich die Romane, die etwa 20, 30 Jahre vorausblicken. Wie plausibel sind in diesen Fällen die physikalischen und soziolo gischen Ausgangsbedingungen, von denen aus die Schriftsteller ihre Utopien entwickeln? Gute Science-Fiction muss plausibel sein, sonst ist es keine gute Science-Fiction. Das heißt selbstverständlich nicht, dass alle darin erwähnten Technologien bereits bekannt oder mit aktuellem Wissen erklärbar sein müssen. Aber die Annahmen dürfen nicht gegen die Grundgesetze der Logik verstoßen, und es darf keine Brüche in der Argumentation geben. Wenn der Autor zum Beispiel einen neuen Werkstoff mit gewissen Eigenschaften in die Handlung einführt, dann muss alles, was darauf aufgebaut wird, in sich definitiv stimmen. Welche futuristischen Antriebskonzepte stehen bei den Autoren gene- Im Fokus | ITS magazine 4/2014 rell besonders hoch im Kurs, wenn es um die irdische Mobilität geht? Die Science-Fiction ist natürlich auch immer eine Literatur ihrer Zeit. Deshalb finden sich etwa in den Werken der 1940er-Jahre sehr viele Fahrzeuge mit Atomantrieben, weil man damals große Hoffnungen in die Kernenergie setzte und sich über die Nebenwirkungen noch nicht wirklich im Klaren war. Verbrennungsmotoren gaben in der Zukunftsliteratur nur zwei relativ kurze Gastspiele: zunächst kurz nach Geburt des Genres im früheren 20. Jahrhundert – und dann noch einmal in den 1950erund Anfang der 1960er-Jahre. Seit den 1970er-Jahren, also mit den ersten ernsthaften Diskussionen um die Endlichkeit der fossilen Ressourcen, sind sie eigentlich ganz aus den Romanen verschwunden. In moderneren Werken bewegen sich die Menschen in der Regel per Elektroantrieb fort: in autonomen Autos, in Einschienen-Systemen oder in unterirdischen Röhren. Die Energie dafür kommt entweder aus einem Hochleistungsakku, der in der Realität leider noch nicht zur Verfügung steht – oder sie wird per Induktion von der Straßeninfrastruktur übertragen. Wobei wir hier nur über den literarischen Konsens reden, daneben gibt es natürlich jede Menge mitunter sehr radikale Modelle. Das geht teilweise so weit, dass die Figuren in den Geschichten nur noch zu Fuß gehen, weil es der Menschheit nicht gelungen ist, ihre energetischen Probleme zu lösen. wissenschaftler, die mit manchen ihrer Konzepte in der Realität noch an die Grenzen des technologisch Machbaren stoßen. In der Fiktion lassen sich diese temporären Limits natürlich relativ leicht überwinden. Auf der anderen Seite gibt es die Spezialisten in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen, die permanent nach innovativen Lösungen für die künftigen Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden suchen. Und davon hat die Science-Fiction einige zu bieten. Es geht also im weitesten Sinn um Marktforschung – jenseits von demoskopischen Meinungsumfragen und Trendindikatoren? Das müssten natürlich eigentlich unsere Auftraggeber beantworten. Auf jeden Fall ist es so, dass sich die Firmen normalerweise nicht für ganz bestimmte spekulative Ingenieurleistungen interessieren, sondern vielmehr für Szenarien, die in der Zukunft denkbar wären. Welche Einsichten erhoffen sich zum Beispiel die Autohersteller, die Ihre Dienste in Anspruch nehmen? Im Wesentlichen geht es den Unternehmen um allgemeine Strömungen in der Gesellschaft. Alles andere macht eigentlich auch keinen Sinn, da ein zu eng eingestellter Fokus zu viele interessante Ansätze von vornherein ausklammern würde. Die Autohersteller wollen also von uns nicht wissen, wel- „Wird es künftig nur noch Nerds geben, die lieber in der virtuellen Welt unterwegs sind?“ In erster Linie zerbrechen sich die Science-Fiction-Autoren ihre kreativen Köpfe, um Leser zu unterhalten. Was genau versprechen sich die Firmen und Institutionen, die Ihnen den Auftrag erteilen, in der Zukunftsliteratur nach Antworten auf bestimmte Fragestellungen zu fahnden? In der Science-Fiction steckt ganz einfach ein riesiger Datenschatz von Ideen, der bisher noch nicht gehoben worden ist. Bei den Schriftstellern handelt es sich zum großen Teil um Natur- ches Modell sie 2044 anbieten sollen, sie interessieren sich eher dafür, ob es dann überhaupt noch eine Nachfrage nach Autos gibt. Die Fragen, die an uns gestellt werden, lauten zum Beispiel: Wie leben die Menschen in 30 Jahren? Sind sie sozial eingestellt? Reisen sie viel? Werden sie die immer größeren zeitlichen und finanziellen Freiräume, die ihnen die Technologie eröffnet, dazu nutzen, um in der Zukunft noch mehr unterwegs zu sein? Oder wird es künftig nur noch Nerds geben, die lieber virtuell reisen, weil man die künstliche Welt von der wirklichen gar nicht mehr richtig unterscheiden kann? Die Autoindustrie würde sicherlich Variante eins favorisieren... Ganz klar. Aber auch, falls Variante zwei Realität würde, wäre es natürlich von Vorteil, wenn man sich rechtzeitig darauf vorbereiten kann. Wenn zum Beispiel Daimler wüsste, dass die Menschen auch in der virtuellen Realität noch Wert auf automobile Statussymbole legen, lohnt es sich ja vielleicht, über die Entwicklung eines besonders gut ausgestatteten Cyber-Mercedes nachzudenken. Liefert die Science-Fiction eine Antwort darauf, wie das heute schon beginnende Wettrennen zwischen physischer und virtueller Mobilität ausgeht? Zumindest ist eine Tendenz erkennbar: Die Mehrheit der Autoren unterstellt, dass wir Menschen als von Grund auf soziale Wesen auch in Zukunft noch aus uns herausgehen, dass wir die vielfältigen Optionen der Mobilität morgen sogar noch extremer nutzen werden, als wir das heute bereits tun. Gleichzeitig wächst aber auch die Zahl der Schilderungen einer Welt, in der wir uns vollkommen in die virtuelle Realität zurückziehen und kaum noch einen Fuß vor die Tür setzen. Das hat jedoch zum Teil sicherlich auch damit zu tun, dass unter den Fans von Science-Fiction relativ viele Nerds sind, die natürlich gern über etwas lesen, das sie selbst praktizieren. Wie könnte sich die Relation zwischen individueller und kollektiver Mobilität in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? Diese Frage wird in Zukunft wahrscheinlich gar niemand mehr stellen, weil die beiden Bereiche immer mehr miteinander verschmelzen. Nehmen Sie zum Beispiel das autonome einsitzige Elektroauto, über das wir vorhin gesprochen haben: In der Stadt bin ich damit natürlich individuell unterwegs, um mehrere persönliche Ziele ohne Umsteigen zu erreichen – auf weiteren Strecken aber schließen sich die einzelnen Kabinen dann zu kollektiven Verbünden zusammen. Es ist also fast 11 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus „Die Zukunftsliteratur hat nicht nur eine Prognose-, sondern auch eine Warnfunktion“ Zur Person Thomas Le Blanc hat Mathematik und Physik studiert und war zunächst Studienrat, startete dann aber eine Laufbahn als freier Publizist mit inzwischen über 1200 eigenen Veröffentlichungen. 1987 gründete er in Wetzlar die Phantastische Bibliothek mit heute über 250.000 Titeln aus dem Genre Zukunftsliteratur. Im Rahmen des Projekts „Future Life“ werden aus diesem riesigen Reservoir technische und systemische Ideen exzerpiert und anhand bestimmter Fragestellungen für Unternehmen oder Forschungseinrichtungen ausgewertet. unmöglich zu entscheiden, ob wir es hier mit einem individuellen oder mit einem kollektiven Verkehrsmittel zu tun haben. Wir empfehlen auch jedem Auftraggeber, den Fragenkatalog an uns sehr breit anzusetzen. Denn auf die von Ihnen angesprochene Differenzierung kommt es in 30, 40 Jahren vermutlich nicht mehr an. Dann geht es nur noch darum, wie gut die Vernetzung funktioniert. Und der Anspruch der Menschen wird dies bezüglich mit Sicherheit steigen. Was die Verkehrsverantwortlichen mindestens genauso brennend interessiert: Gibt es auf den Verkehrswegen der Zukunft noch Staus? In der Theorie dürfte es sie eigentlich nicht mehr geben. Schon allein deshalb, weil die meisten Staus heute von uns Menschen verursacht werden und wir in Zeiten autonomer Fahrzeuge als 12 Störfaktor mehr oder weniger aus fallen. In der Praxis ist es allerdings höchst wahrscheinlich, dass irgendwo in den automatisiert gesteuerten Kolonnen einer mitfährt, der gerade Lust aufs Selberfahren hat. Wenn der dann das autonome System deaktiviert, ist das Chaos auch in der Zukunft vorprogrammiert. Und wenn sich das autonome System nicht mehr ausschalten ließe? Das wird nicht passieren, weil sonst kaum jemand ein solches Fahrzeug benutzen würde. Dafür ist unsere Skepsis gegenüber Maschinen zu groß. Die sitzt nämlich noch tiefer, als viele glauben. Im Prinzip haben wir es hier mit unserer menschlichen Urangst davor zu tun, uns der Technik komplett auszuliefern und eines Tages komplett von ihr abgelöst zu werden. Auch dafür liefert die Science-Fiction jede Menge Indizien. Und sie kann gewisse Trends verstärken oder abschwächen, indem sie den Leser mehr oder weniger dazu zwingt, sich gegenüber einer bestimmten Idee zu positionieren. Nach meiner Überzeugung hat die Zukunftsliteratur nicht nur eine Prognose-, sondern auch eine Warnfunktion. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist der Roman „1984“ von George Orwell: Hätte es den nie gegeben, wäre der bürgerliche Widerstand gegen den sogenannten Überwachungsstaat heute bei weitem nicht so groß. Oder noch pointierter formuliert: Die Vision „1984“ ist so lange nicht eingetreten, weil der Roman „1984“ so eindringlich davor warnte. Je autonomer der Verkehr der Zukunft wird, desto mehr stellt sich die Frage: Wer wird ihn steuern? Hat die Science-Fiction darauf eine Antwort? In der Zukunftsliteratur sind das eher die Konzerne und weniger die Staaten. Das hängt vor allem mit einer Entwicklung zusammen, die längst begonnen hat: Das Internet lässt sich lokal oder national immer weniger überwachen. Global Player wie Google beispiels- weise werden also in 30, 40 Jahren mehr Macht über unsere Bewegungsmuster haben als die Regierungen der Länder, in denen wir leben. Das muss nach meiner Überzeugung aber nicht unbedingt ein Nachteil sein, solange sich die Unternehmen ihrer Verantwortung bewusst sind. Wie gewichten die Autoren denn prinzipiell die verschiedenen Faktoren, die zur Entwicklung bestimmter Mobilitätskonzepte führen – geht es vorwiegend um Zeitgewinn, um Sicherheit oder um Umweltverträglichkeit? Dazu kann die Science-Fiction kaum belastbare Aussagen machen. Für die Autoren ist die Mobilität in der Regel nur ein Nebenkriegsschauplatz: Sie ist notwendig, damit der Held von A nach B kommt. Aus welchen Gründen die eine Mobilitätsform zur Verfügung steht und die andere nicht, wird eher selten thematisiert. In dem einen Roman kommt die eine vor, in dem anderen die andere, weil jeder Autor spezifische Voraussetzungen für seine Geschichte benötigt. Gibt es Beispiele für mobilitätsspe zifische Strategien oder Konzepte, die zunächst in der Zukunftsliteratur beschrieben und später in mehr oder weniger ähnlicher Form wirklich realisiert worden sind? Als prominentester Vordenker in dieser Hinsicht gilt sicherlich Jules Verne. Er war zwar nicht der Erfinder des U-Boots, wie man immer wieder mal hört, aber er ist tatsächlich eng mit der Historie des modernen Atom-U-Boots verwoben. Als der US-amerikanische Maschinenbauingenieur Simon Lake Ende des 19. Jahrhunderts das Konzept einer autarken U-Boot-Flotte realisierte, hatte er ein klares Vorbild vor Augen: die „Nautilus“ von Kapitän Nemo aus dem Zukunftsroman „20.000 Meilen unter dem Meer“. Herr Le Blanc, wir danken Ihnen für das Gespräch. Im Fokus | ITS magazine 4/2014 Von oben bis unten Futuristische Transportmittel In der Horizontalen ist es schwierig, dem Stau aus dem Weg zu fahren. Wahrscheinlich suchen deshalb so viele Visionäre das Heil in der Vertikalen: Sie wollen Menschen oder Güter einfach oben drüber schicken oder unten durch – die einen mit mehr, die anderen mit weniger realistischen Konzepten. Skizze zum Projekt „Hyperloop”: Tesla-Motors-Chef Elon Musk will Menschen in Aluminiumkapseln mit Überschallgeschwindigkeit durch teilvakuumierte Röhren schießen 13 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus (Oben links) Rohrpost-System CargoCap: Ein interdisziplinäres Forscherteam der Ruhr-Uni in Bochum möchte bestimmte Frachtgüter künftig unterirdisch durchs Ruhrgebiet schicken (Oben rechts) AeroMobil-Prototyp 3.0: Das Flugauto aus der Slowakei soll bereits 2016 serienreif werden – es braucht nur 200 Meter Anlauf beim Start und 50 Meter Auslauf bei der Landung (Rechts) Terrafugia Transition: Ebenfalls im kommenden Jahr will das US-Unternehmen mit der Serienfertigung seines Flugautos beginnen – angeblich gibt es schon 100 Vorbestellungen zu einem Kaufpreis von 279.000 Dollar „Erinnert Euch an meine Worte“: Wer seine Sätze so einleitet, der hat für gewöhnlich eine Mitteilung von größerer Tragweite zu machen. Das gilt auch für Henry Ford, der 1940 eine für damalige Verhältnisse mehr als gewagte Prognose stellte – oder soll man es Prophezeiung nennen? „Irgendwann“, so ließ der Mann, der als Erster Autos in Millionenstückzahlen von Fließbändern rollen ließ, seine Zeitgenossen wissen, „irgendwann wird es eine Kombination aus Flugzeug und Auto geben. Ihr könnt ruhig lachen – aber so wird es kommen.“ Wenn es nach Carl Dietrich ginge, dann wäre dieses „Irgendwann“ eigentlich schon längst gewesen. Seine im US-Bundestaat Massachusetts beheimatete Firma Terrafugia verkündete nämlich bereits des Öfteren den unmittelbar bevorstehenden Start der Serienfertigung des ersten Flugautos. 2016 soll es nun aber endgültig losgehen. Laut Dietrich gibt es bereits 100 Vorbestellungen zu einem Kaufpreis von 279.000 Dollar. Ein Prototyp des ersten Modells Terrafugia Transition ist bereits öffentlichkeitswirksam abgehoben. 14 Angetrieben wird das multitalentierte Gerät von einem 104 PS starken Rotax-Motor, der eine maximale Fluggeschwindigkeit von 185 km/h ermöglicht und eine Höchstgeschwindigkeit auf der Straße von 105 km/h. Die Karosserie besteht aus Kohlefaserverbundstoff, das ganze Flugauto wiegt gerade mal 440 Kilogramm. Aufgrund einer Ausnahmegenehmigung der USBehörden ist es mit besonders leichten Reifen und einer extrem gewichtsreduzierten Verglasung ausgestattet. Einfach mal so in die Luft gehen, wenn man im Stau steht, kann man mit dem Transition allerdings nicht. Denn zum einen benötigt der Fahrer eine gültige Fluglizenz, bevor er zum Piloten mutieren darf. Zum anderen braucht der Autoflieger eine rund 800 Meter lange Start- und Landebahn. Zwar hat das Unternehmen auch ein Modell für Senkrechtstarter im Programm. Aber bis sich der TF-X dank schwenkbarer Rotoren aus dem Stand über den Stau erhebt, gehen selbst nach den optimistischen Herstellerangaben noch etwa zehn Jahre ins Land. Nur 200 Meter Anlauf beim Start und 50 Meter Auslauf bei der Landung braucht der Prototyp 3.0 des slowakischen Terrafugia-Konkurrenten AeroMobil, dessen Flugauto ebenfalls 2016 serienreif werden soll. Damit abgehoben ist bisher nur einer: der Designer Stefan Klein, der früher unter anderem für Audi, BMW und Volkswagen tätig war, inzwischen aber seit etwa 20 Jahren an dem Karbon-gewordenen Zukunftstraum tüftelt. Der Motor, der gleiche übrigens wie beim Transition, steckt hinter dem Cockpit und treibt während der Fahrt die Vorderräder und im Flug den Propeller an. Auch wenn es mit dem Massenstart des fliegenden Autos offenbar noch ein bisschen dauert: Begonnen hat die Zukunft der individuellen Mobilität hoch über unseren Köpfen trotzdem schon. Die meist zweisitzigen Geräte, mit denen der Schritt in die dritte Dimension längst möglich ist, heißen Tragschrauber – oder auch Gyrokopter. Sie sehen in etwa so aus, wie man sich eine fliegende Windmühle vorstellt, funktionieren aber nach einem ausgeklügelten Konzept: Anders als beim Hubschrauber wird der Rotor des Tragschraubers nicht durch ein Triebwerk, sondern passiv durch den Fahrtwind in Im Fokus | ITS magazine 4/2014 Womöglich wird es in Zukunft ziemlich eng am Himmel Drehung versetzt. Der Auftrieb entsteht durch den Widerstand des sich drehenden Rotorblatts. Der an Bord befindliche Motor ist lediglich für den Propeller, also für den Antrieb zuständig. In Deutschland beispielsweise sind Tragschrauber als Ultraleichtflugzeuge zugelassen. Um sie zu fliegen, braucht man eine Sportpilotenlizenz. Die deshalb naheliegende Schlussfolgerung, dass es sich um reine Freizeitgeräte handelt, trifft indes nur zum Teil zu. Im Irak etwa werden Gyrokopter seit einigen Jahren zu polizeilichen Zwecken eingesetzt. Und Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) testen seit 2012 gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk die Verwendungsmöglichkeiten von Tragschraubern für den Katastrophenschutz und den Rettungseinsatz. Bei weitem nicht so realistisch, sondern auf den ersten Blick eher wie die Idee des genialen Erfinders Daniel Düsentrieb aus den Donald-Duck-Comics mutet das Konzept des so genannten Jetpacks an. Doch die neuseeländische Martin Aircraft Company meint es durchaus ernst mit ihrem Konzept des Düsen-Rucksacks, für das sie mittler- weile vom zuständigen Luftfahramt eine offizielle Lizenz für bemannte Testflüge im normalen Luftverkehr bekommen hat. Der von Rotoren erzeugte Auftrieb reicht, um einen Menschen bis zu 1500 Meter in die Luft steigen zu lassen. Die Spitzengeschwindigkeit liegt bei rund 100 Stundenkilometern. Für Interessenten hat das Unternehmen eine gute und eine schlechte Nachricht: Um das futuristische Luftfahrzeug zu steuern, bedarf es angeblich keiner Fluglizenz; allerdings wird der fliegende Rucksack voraussichtlich stolze 150.000 Dollar kosten. Echte Mobilitäts-Pioniere scheint das jedoch keineswegs abzuschrecken. „Über 10.000 Leute haben bereits nachgefragt, wo man das Jetpack in Zukunft kaufen kann“, freut sich Peter Coker, seines Zeichens CEO der Martin Aircraft Company. Nicht nur preislich in ganz anderen Dimensionen ist die Idee unterwegs, mit der der US-amerikanische Multiunternehmer Elon Musk im vergangenen Jahr die Welt beglückte. Der Mitgründer des Internetbezahlsystems PayPal und Chef des Elektroautoherstellers Tesla Motors will Menschen in Aluminiumkapseln mit bis zu 1220 Stundenkilometern durch spezielle Fahrröhren aus Stahl schießen. „Hyperloop“ nennt er das Projekt, mit dem er „das Reisen revolutionieren“ möchte. Luftkissen sollen die mit maximal je 28 Personen besetzten Geschosse in den maximal 3,3 Meter starken Röhren stabilisieren. Ein Teilvakuum innerhalb dieser Röhren ermöglicht Reisegeschwindigkeiten bis knapp oberhalb der normalen Schallgeschwindigkeit ohne Durchstoßen der Schallmauer. Beschleunigt und gebremst werden die Kapseln über asynchrone Linearmotoren. Der dazu benötigte Strom wird von Sonnenkollektoren erzeugt, die über den auf Stelzen stehenden Stahlröhren angebracht sind. Völlig ausgereift, das gibt der Internetmilliardär zu, sei das Konzept noch keineswegs. Es handle sich vielmehr um einen Open-Source-Entwurf, an dem auch andere mitarbeiten und ihre technischen Ideen einbringen können. Nicht zuletzt im Hinblick auf den Steuermechanismus der Kapseln, auf die Detailplanung der Stationen zum Einund Aussteigen und auf die Tests der gesamten Hyperloop-Technik wünscht sich der gebürtige Südafrikaner möglichst breite externe Unterstützung. Mit einer Rohrpost anderer Art beschäftigt sich ein interdisziplinäres Forscherteam der Ruhr-Uni Bochum. Die Idee dazu hatte Professor Dr. Dietrich Stein von der Fakultät für Bauingenieurwesen: Er will Joghurts, Wäschetrockner, Maschinenbauteile und vieles andere, was bisher per Lkw transportiert wird, künftig unterirdisch kreuz und quer durchs Ruhrgebiet schicken. CargoCap, so der Name des Konzepts, ist also eine Art Mini-U-Bahn für Transportgüter, die die wichtigsten logistischen Zentren des Ballungsraums miteinander verbindet. Etwa zwei Drittel der in Deutschland zu transportierenden Waren passt nach Schätzung des Projektteams ohne weiteres Aufbrechen der Ladung in den CargoCap-Frachtraum. Ein gigantischer Markt für das innovative System also, dem andererseits aber auch stattliche Investitionen für die Unterkellerung einer ganzen Region gegenüberstehen. Allein für die rund 80 Kilometer lange Trasse vom Duisburger Hafen zum Flughafen Dortmund stehen Baukosten von etwa einer halben Milliarde Euro auf dem Plan. „Wenn man das in der Relation zu anderen Investitionen in die Erhöhung verkehrlicher Kapazitäten sieht, ist das jedoch ein sehr geringer Aufwand“, meint Professor Stein. „Ein Kilometer Fahrrohrleitung für CargoCap kostet inklusive Rohrvortrieb 3,2 Millionen Euro, während der Kilometer einer zweispurigen Autobahn je nach Bauwerken und Bebauung mit 10 bis 30 Millionen Euro und ein Tunnelkilometer im städtischen Bereich sogar mit mehr als 100 Millionen Euro veranschlagt wird.“ Zumindest kleine Transportgüter mit weniger als 2,5 Kilogramm Gewicht könnten in Zukunft freilich auch auf deutlich luftigerem Weg zu ihren Empfängern gelangen. Als Jeff Bezos, Chef des Internethändlers amazon, Ende vergangenen Jahres über den möglichen Einsatz von Drohnen bei der Zustellung von Paketen schwadronierte, glaubten viele noch an einen Werbegag. Inzwischen jedoch hat auch der Web-Tycoon Google damit begonnen, die innovative Luftfracht-Variante zu testen. Vielleicht müssen wir uns ja tatsächlich damit abfinden, dass es in Zukunft ziemlich eng wird am Himmel. 15 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus „Mobilität ist sicherlich ein großes Zukunftsthema. Welchen Stellenwert es hat, führte uns der letzte Bahnstreik in Deutschland wieder ganz deutlich vor Augen: Viele Menschen kamen nicht zur Arbeit oder zu Terminen. Das zeigte sehr deutlich, wie wichtig es ist, individuelle Alternativen zu entwickeln – und da habe ich unter den Ideen meiner Schüler einige sehr interessante Ansätze entdeckt.“ Sophia Leiß, Albert-Einstein-Gymnasium München Mobilität X Punkt Null Thinking Future Wenn Fachleute über die Mobilität von morgen nachdenken, steht allzu oft das im Vordergrund, was alles nicht geht. Deshalb hat das ITS magazine Jugendliche gefragt, bei denen die Schere im Kopf naturgemäß noch nicht zuschnappt. Unter der Regie ihrer Kunstlehrerin Sophia Leiß entwickelten Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums in München eine ganze Reihe faszinierender Ideen. Im Fokus | ITS magazine 4/2014 „Mir ging es vor allem darum, ein Konzept zu finden, um Benzin zu sparen. Mit dem Puzzle Car geht das. Da können sich beliebig viele Autos mit demselben Ziel miteinander verbinden und wie ein Zug fahren. Dabei müssen dann nicht die Motoren aller Autos laufen, sondern nur ein paar davon. Gesteuert wird das alles über eine App.“ Charlotte Popp, Klasse 9a „Ich hab‘ mir einfach überlegt, wie man schnell und gemütlich von einem Platz zum anderen kommt. In dem Film ,Wall.E‘ fahren auch alle in so Sesseln rum, das fand ich ziemlich cool. Die Röhren sind praktisch die Straßen, sie verlaufen überall in der Stadt in ein paar Metern Höhe. Der Antrieb funktioniert irgendwie mit Wasser, auf jeden Fall muss man nichts verbrennen.“ Felix Hadasch, Klasse 6c 17 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus „Mit den düsengetriebenen Bürosesseln kann man von der Arbeit aus überall hinfahren, man muss nicht extra aufstehen. Im Vordergrund steht der Komfort – und die Umweltfreundlichkeit, weil die Energie aus Wasserstoff gewonnen wird. Nach meiner Vorstellung wäre das eine Alternative vor allem für die Strecken, die man bisher mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegt.“ Nuschin Rabiei, Klasse 10d „Die Blasen sind nicht aus irgendeinem Material, es sind magnetische Felder, die sich auf Knopfdruck über eine entsprechende App ein- und ausschalten lassen. Deshalb stoßen sie sich auch gegenseitig ab, und es können keine Unfälle passieren. Man muss sich im Verkehr also keine Sorgen mehr machen und kommt immer total entspannt an seinem Ziel an.“ Carys-May Teixeira, Klasse 10d 18 Im Fokus | ITS magazine 4/2014 „Mein Konzept heißt Edfatsap: Electronic Device for Apps, Teleport, Shopping and Phone. Es funktioniert über einen Chip, der neben dem Kopf seines Besitzers schwebt und der durch Gedanken gesteuert wird. Damit kann man alles Mögliche machen: zum Beispiel shoppen, Suchanfragen stellen – oder sich zu einem beliebigen Telespot irgendwo auf der Welt teleportieren lassen.“ Tim Waßmund, Q11 „Ich wollte als Kind schon immer gern fliegen, deshalb sind mir gleich die Schuhe eingefallen, als wir die Aufgabe bekommen haben. Für weitere Strecken sind sie wahrscheinlich nicht geeignet, weil es ein bisschen anstrengend ist, ständig das Gleichgewicht zu halten. Aber zum Beispiel für den Weg in die Schule wären sie echt optimal.“ Linda Krisp, Klasse 6c 19 ITS magazine 4/2014 | Trends & Events Stairway to Heaven Mobility Services (Serie, Teil 1) Wenn etwas defekt ist, dann kommt der Kundendienst. So war das in der Straßenverkehrstechnik, und so wird es auch bleiben – nur nicht mehr so oft. Denn innovative Systeme haben inzwischen hellseherische Fähigkeiten entwickelt und verhindern mit Hilfe intelligent gestaffelter Konzepte mögliche Fehler, bevor sie entstehen. Wichtigste Auswirkung der technologischen Aufrüstung ist die maximale Verfügbarkeit. Immer einen Schritt voraus: Die Zukunft der Instandhaltung hat bereits begonnen Fehlervorhersage durch Analyse von Datenmustern und Trends Regelbasierende Instandhaltung (Prescriptive Maintenance) Erstellung konkreter Lösungsvorschläge Unterstützung bei der Lösungsfindung Definition der Servicemaßnahmen anhand des vorhergesagten Zustands der Anlage Voraussagende Instandhaltung Fehlervorhersage durch Analyse von Datenmustern und Trends Definition der Servicemaßnahmen anhand des aktuellen Zustands der Anlage Zustandsbasierte Instandhaltung Basierend auf Diagnosedaten und Remote-Monitoring Wartung und gegebenfalls Reparaturen bevor ein Fehler auftritt Basierend auf fest definierten Service-Intervallen und Inspektionen Reparaturen als Reaktion auf ein Ereignis 20 Präventive Instandhaltung Reaktive Instandhaltung Trends & Events | ITS magazine 4/2014 Zur Ruhe setzen kann er sich natürlich nicht, der gute alte Schraubenzieher. Aber er wird wohl in Zukunft deutlich weniger zu tun haben, weil ihm sein neuer Kollege, das Keyboard, einen immer größeren Teil der Arbeit ab nimmt. Nicht wenige der Störungen, die bis vor kurzem noch den Einsatz eines Servicetechnikers vor Ort erforderlich machten, lassen sich heute per Fernwartung beheben. Oder – noch besser: Sie treten gar nicht mehr auf, da die zugrunde liegenden Fehler schon im Vorfeld vom System erkannt und daraufhin sofort behoben wurden, bevor sie tatsächlich Unheil anrichten konnten. Inzwischen sind die Verkehrsleitwarten von rund 250 Städten weltweit an die so genannte common Remote Service Platform (cRSP) von Siemens angeschlossen: an eine extern zertifizierte Plattform, die höchste Sicherheitsanforderungen erfüllt und die beispielsweise auch für die Überwachung von Kraftwerken und medizinischen Großgeräten eingesetzt wird. Die entsprechenden Kundenanlagen werden mit Hilfe der cRSP Platform automatisch überwacht, vorbeugend gewartet und gegebenenfalls „remote“, sprich aus der Ferne durch die Service-Experten repariert. Und viele dieser Kommunen haben ihre Verkehrsprobleme dank der höheren Verfügbarkeit von Lichtsignalanlagen nachweislich besser in den Griff bekommen. Konzipiert worden ist das komplexe Highend-System cRSP ursprünglich für den hochsensiblen Bereich der Medizintechnik. Der permanente unternehmensinterne Know-howTransfer sorgte jedoch dafür, dass auch die Mobility-Kollegen und vor allem deren Kunden von den zahlreichen Vorteilen der innovativen Technologie profitieren können. „Das ist einer der ganz großen Pluspunkte eines diversifizierten Konzerns“, sagt Fred Kalt, weltweit verantwortlich für den Service der Siemens Straßenverkehrstechnik. „Für uns allein hätten wir so ein Projekt nicht stemmen können – oder wir könnten die neuen Leistungen zumindest nicht zu so attraktiven Preisen anbieten.“ Nur durch den Schulterschluss zwischen den Unternehmensbereichen war das Team um Fred Kalt also in der Lage, mit seinem Service-Portfolio einen echten Paradigmenwechsel im Bereich der Straßenverkehrstechnik einzuleiten: Repariert werden nicht mehr ausschließlich die Teile, die bereits defekt sind, sondern auch die Komponenten, die demnächst für Störungen sorgen könnten. Insgesamt fünf Stufen umfasst die innovative Service-Treppe, die schrittweise zu einem klar definierten Ziel führt: die maximale Verfügbarkeit verkehrstechnischer Anlagen. Die Basis bildet natürlich auch weiterhin der Reaktive Service – also der Kundendienst, der auf Zuruf kommt, wenn eine Schadensmeldung eingeht. „Wir haben nach wie vor rund 1100 Techniker draußen im Feld, die bei Wind und Wetter unterwegs sind und Störungen bearbeiten, teilweise mit zugesicherten Reaktionszeiten von 30 Minuten“, sagt Senior Service Manager Konrad Weichmann. „Das war jahrzehntelang eine unserer entscheidenden Stärken – und wird es auch noch lange bleiben.“ Noch einen Schritt weiter nach oben auf der ServiceTreppe geht die Voraussagende Instandhaltung Ebenfalls noch analog, aber bereits präventiv geht es auf Stufe zwei der Service-Treppe zu. Durch Definition regelmäßiger Service-Intervalle und intensiver Kontrollen der verschleißanfälligen Komponenten lassen sich Schwachstellen im System schon erkennen, bevor sie zu Beeinträchtigungen der Leistung führen. Durch rechtzeitigen Austausch der entsprechenden Teile werden Anlagenausfälle verhindert und somit Verkehrs sicherheit und Verkehrsfluss nonstop aufrechterhalten. Digital wird es erst ab Stufe drei – bei der Zustandsbasierten Instand haltung: Hier kommt die common Remote Service Platform ins Spiel, über die sich die Spezialisten im Customer Support Center in München direkt in die Kundenanlagen einloggen und mit Hilfe spezieller Agents (= Servicetools) nach eventuellen Fehlern in den Systemen fahnden können. So werden zum Beispiel gehäufte Lese- und Schreibfehler von Festplatten schon erkannt, lange bevor sie dem Kunden auffallen – und bevor sie spürbare Probleme verursachen. Noch einen Schritt weiter nach oben auf der Service-Treppe geht die Voraussagende Instandhaltung: Dabei analysiert das System nicht nur den derzeitigen Zustand der jeweiligen Anlage, es stellt darüber hinaus anhand bestimmter Modelle und Algorithmen auch Hochrechnungen zu deren künftigem Zustand dar. Auf diese Art ist es möglich, sich abzeichnende Fehlfunktionen noch früher zu erkennen. Durch die zeitnahe Einleitung entsprechender Gegenmaß nahmen lässt sich zum einen der ununterbrochene Betrieb der Anlage sicherstellen. Zum anderen vermeidet man durch einen in der Regel kostengünstigen – weil geplanten – Serviceeinsatz, dass in der Folge weitaus teurere Schäden entstehen. Ganz oben auf der Service-Treppe steht aktuell die Regelbasierende Instandhaltung (Prescriptive Maintenance) – eine Strategie, die für den Bereich Straßenverkehrstechnik zwar noch sehr neu ist, die aber zum Beispiel in der IT bereits als echter Zukunftstrend propagiert wird. Sie nutzt sämtliche Instrumente der Voraussagenden Instandhaltung, belässt es jedoch nicht bei einer Diagnose, sondern gibt dazu noch konkrete Handlungsempfehlungen. Um die Funktionsweise zu verdeutlichen, bedient sich Fred Kalt eines Vergleichs mit der automobilen Technik: „Das ist in etwa so, als würde der Bordcomputer eines modernen Fahrzeugs sagen: Die Motortemperatur nähert sich allmählich dem kritischen Bereich, weil der Öldruck immer niedriger wird. Am besten wäre es, wenn man die Dichtung der Ölwanne austauscht.“ Auch hier ist der Experte weiterhin gefragt, der diese Handlungsempfehlung prüft und die letztliche Entscheidung trifft, welche Maßnahme zu ergreifen ist. Die Kunden haben in Sachen Service jetzt also die freie Wahl angesichts der innovativen Vielfalt an unterschiedlichen Konzepten. Und wenn sie der damit verbundenen Qual entgehen möchten, gibt es noch eine weitere Möglichkeit: den so genannten Verfügbarkeitsvertrag. „Dabei“, sagt Fred Kalt, „wird lediglich vereinbart, wie hoch die Verfügbarkeit der verkehrstechnischen Anlagen sein soll – alles andere erledigen wir.“ 21 ITS magazine 4/2014 | Trends & Events Wir müssen reden Car2X-Korridor Der Weg in eine sicherere, effizientere und umweltverträg lichere Zukunft des Straßenverkehrs führt über die innovative Kommunikation, da sind sich die Experten einig. Auf der Strecke zwischen Rotterdam und Wien werden Fahrzeuge deshalb schon bald direkt miteinander und mit der Infrastruktur sprechen. Wie eine Demo-Tour im November eindrucksvoll zeigte, ist die Technologie fit für die Praxis. Bisher vermeldete ein „Satz mit X“ nicht wirklich hoffnungsfrohe Botschaften. Jetzt bekommt die umgangssprachliche Floskel plötzlich eine ganz andere Färbung: Denn mit der Car2X-Kommunikation startet eine neue Ära der Mobilität. Und die22 ses Zeitalter sorgt nicht nur für mehr Sicherheit auf unseren Straßen, sondern auch für mehr Bewegung und damit für weniger Schadstoffemissionen. Darüber hinaus schafft die Vernetzung von Fahrzeug und Fahrbahn die Grundlage für die inzwischen durchaus nicht mehr unrealistische Vision vom autonomen Fahren (siehe auch Interview ab Seite 30). Car2X heißt: Autos kommunizieren sowohl untereinander als auch mit den Verkehrsleitstellen und der Infrastruktur an der Straße. Kreuzungen und Hinweisschilder werden intelligent und arbeiten mit den Fahrzeugen zusammen. Sie schicken zum Beispiel Warnungen vor akuten Gefahren direkt ins Auto – und zwar genau für den Streckenabschnitt, auf dem man sich gerade befindet. Genauso ziel gerichtet senden sie konkrete Handlungsempfehlungen etwa zur Wahl der idealen Route angesichts der aktuellen Verkehrslage oder zur optimalen Geschwindigkeit für die Nutzung Grüner Wellen. Nach zahlreichen intensiven Tests stehen die so genannten Kooperativen Systeme inzwischen unmittelbar vor ihrem ersten zentraleuropäischen Großeinsatz: 2015 beginnen Autohersteller, Straßen- und Infrastrukturbetreiber in einer konzertierten Aktion mit dem Aufbau eines Car2X-Korridors von Rotterdam über Frankfurt am Main nach Wien. Auf dieser rund 1300 Kilometer langen Strecke werden die vielfältigen Möglichkeiten dieser Technologie schon sehr bald Wirklichkeit. Ganz konkret geht es zunächst um Warnungen vor mobilen Baustellen und die Erfassung der aktuellen Verkehrslage durch die Fahrzeuge selbst. Für weitere Anwendungen entwickeln die drei beteiligten Länder Niederlande, Deutschland und Österreich eine gemeinsame Einführungsstrategie. Dass die dazu notwendige Technologie fit für die Praxis ist, haben die Beteiligten im Rahmen einer DemoTour durch Deutschland, Österreich und die Niederlande im November 2014 eindrucksvoll bewiesen. Thilo Jourdan, Leiter der Siemens-Division Mobility in Deutschland, sagte beim Tour-Auftakt auf der electronica in München: „Car2X ist keine Vision mehr, sondern eine faszinierende Option, die bereits verfügbar ist.“ Trends & Events | ITS magazine 4/2014 In die Vollen Gulf Traffic Dass der Mittlere Osten beim Ausbau seiner Verkehrsinfrastruktur keine halben Sachen macht, ließ sich unschwer an den Zahlen ablesen, die unmittelbar vor der größten Branchenmesse der Region veröffentlicht wurden: Demnach will die gesamte Golfregion umgerechnet mehr als 120 Milliarden US-Dollar in Straßen und Brücken investieren. Allein Saudi-Arabien hat beispielsweise für die Modernisierung seiner landesweiten Transportin frastruktur 26,9 Milliarden reserviert, der Wert der in Katar aktuell laufenden Projekte im Bereich der Straßeninfrastruktur beläuft sich auf rund 17 Milliarden. Entsprechend groß war folgerichtig das Interesse der mehrheitlich hochkarätigen Besucher an den Lösungen und Produkten der über 200 internationalen Aussteller bei der diesjährigen Gulf Traffic vom 7. bis 9. Dezember 2014 im Dubai International Convention and Exhibition Centre. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte dabei die aktuelle Controller-Generation von Siemens, die eine neue Ära in der Verkehrssteuerung einläutet: Dank leistungsfähigster Hardware und innovativster Software setzt Sitraffic sX ganz eigene Maßstäbe in Sachen Bedienungskomfort, Flexibilität, Konnektivi- Bei der Gulf Traffic in Dubai stand die aktuelle Controller-Generation im Blickpunkt tät und Effizienz. Neben perfekten Vernetzungsoptionen bietet das kleine Multitalent zum Beispiel auch eine bislang einzigartige Möglichkeit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit: Denn erstmals lassen sich Funktionen von bereits im Feld betriebenen Steuergeräten über Remote-Updates erweitern – und das ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs, so dass gefährliche „Dunkel“Situationen nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören. Dasselbe gilt natürlich auch für die Fernwartung, eine Option, die darüber hinaus die Anzahl von Vor-Ort-Serviceeinsätzen erheblich reduziert. Was bei den Entscheidern in der dynamischen Golf region ebenfalls bestens ankam: Das neue Verkehrssteuergerät ist in der Lage, mit der Infrastruktur einer Stadt mitzuwachsen, da es sich in unterschiedlichsten Konstellationen betreiben lässt – als Stand-alone-Lösung ohne Sensorik und Anbindung an einen übergeordneten Verkehrsrechner genauso wie als nahtlos eingebundene Komponente in die komplexen Verkehrsleitsysteme größerer Städte. Im Großen und Ganzen Die integrierte Mobilitätsplattform vereinfacht intermodales Reisen InnoTrans Eigentlich gilt sie als Weltleitmesse für die Schienenverkehrstechnik, doch inzwischen stehen auf der InnoTrans zunehmend auch ganzheitlich vernetzte Lösungen im Blickpunkt. So informierten sich bei der aktuellen Auflage vom 23. bis 26. September in Berlin viele der fast 140.000 Fachbesucher aus über 100 Ländern zum Beispiel über die integrierte Mobilitätsplattform von Siemens, die den Betreibern die Einbindung komplementärer Mobilitätsdienste in das eigene Angebot auf besonders effiziente Art ermöglicht. Auf diesem Weg können gebündelte Verkehrsangebote entstehen, die die Planung, Buchung und Abrechnung intermodaler Services erleichtern. Ein weiterer wichtiger Baustein zur attraktiven Vernetzung von Verkehrsmitteln ist das so genannte eTicketing mit einer elektronischen Smartcard, die künftig die Fahrkarte aus Papier ersetzt. Ein großer Vorteil dabei: Die Nutzer müssen sich keine Tarife merken, sie bezahlen ganz einfach für die zurückgelegte Strecke, egal ob für die Bahnfahrt, die Benutzung von Fahrrädern oder für das Parken des Autos. 23 ITS magazine 4/2014 | Partner & Projekte Im Chancen-Reich Nachwuchsförderung Der Master-Studiengang „Transportation Systems“ an der TU München bietet seinen Absolventen glänzende Perspektiven. Das hat vor allem mit seiner einzigartigen Spezialisierung zu tun, aber auch mit seiner lebendigen Nähe zur Praxis. Bei der Gestaltung von einem der Wahl-Module setzt Professor Dr. Fritz Busch zum Beispiel auf das hochaktuelle Know-how der Experten von Siemens. Wann genau das didaktische Miteinander begann, lässt sich heute gar nicht mehr so exakt datieren. „Sicher ist: Schon als ich 2003 den Lehrstuhl für Verkehrstechnik an der TU München übernahm, haben wir immer wieder mal Spezialisten von Siemens gebeten, eine Vorlesung zu halten“, erinnert sich Professor Dr. Fritz Busch. „Das waren damals aber noch sporadische Einsätze. Mit der Gründung eines neuen Master-Studiengangs vor einigen Jahren wurde die Zusammenarbeit dann intensiver.“ Der Master-Studiengang, um den es hier geht, heißt „Transportation Systems“, und er ist ein echtes Unikat zumindest in der deutschen UniLandschaft. Denn hier ist „Verkehr“ 24 „Unter dem Strich gibt es bei dieser Art von Kooperation nur Gewinner.“ das Hauptfach und nicht eines von mehreren Vertiefungsfächern. Das gibt den Architekten des Curriculums die Möglichkeit, weiter in spezifische Themen wie etwa die Steuerungsverfahren einzusteigen. So entstand der Gedanke, dem innerstädtischen Verkehr samt Planung und Erstellung verkehrsabhängiger Steuerungen ein eigenes Wahl-Modul zu widmen: mit vier Vorlesungen plus vier geblockten Tagen für einen Office-Kurs und weiteren zwei Tagen fürs Tutorial. Genau dieses Wahl-Modul betreut ein Siemens-Expertenteam um Senior Software Engineer Dr. Andreas Poschinger – natürlich in enger inhaltlicher Abstimmung mit der TU München. „Für uns sind dabei zwei Dinge wichtig“, sagt Professor Busch: „Einerseits müssen die Vorlesungen frei von Produktwerbung sein, andererseits sollen sie den höchstaktuellen Stand der Technik in der praktischen Anwendung darstellen. Auf diese Art gibt es unter dem Strich nur Gewinner bei der Kooperation – allen voran die Studierenden, deren Abschluss bei uns bei möglichen Arbeitgebern auch deshalb sehr hoch im Kurs steht.“ Wie die anhaltende Flut von internationalen Bewerbungen für den Studiengang beweist, haben die Studierenden ihre Vorteile längst erkannt: Dazu gehört letztlich nicht nur der hautnahe Einblick in die Praxis, sondern zum Beispiel auch der direkte Draht zu hochkarätigen Mentoren für die Master-Thesis, die Chance auf einen attraktiven Praktikumsplatz – und später vielleicht sogar auf einen perfekten Start in die berufliche Karriere. Partner & Projekte | ITS magazine 4/2014 Vernetzt in die Zukunft München Die bayerische Zentralstelle für Verkehrsmanagement (ZVM) hat sich für ein zentrales Verkehrssteuerungssystem entschieden, das sämtliche Lichtsignalanlagen im Freistaat miteinander verbindet. Den zentralisierten Betrieb und das Monitoring für die rund 2100 Ampeln wird künftig ein Verkehrsrechner vom Typ Sitraffic Scala übernehmen, der auch die zentralisierte Auswertung der landesweit erfassten Verkehrsdaten erlaubt. Mit Sitraffic smartGuard steht außerdem ein höchst nutzerfreundliches und sicheres webbasiertes Monitoring-System zur Verfügung. Mit dem Projekt unterstreicht die ZVM unter anderem auch den ehrgeizigen Plan Bayerns, eine führende Rolle im Bereich der Car2X-Communication zu übernehmen. Die polnische Stadt Bydgoszcz rüstet ihr Straßennetz mit ANPR-Kameras aus Sicher im Blick Bydgoszcz Sowohl zur Früherkennung von Verkehrsbehinderungen als auch zur Erhöhung der Verkehrssicherheit rüstet die Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Kujawien-Pommern ihr Straßennetz mit mehr als 50 Kameras zur automatischen Nummernschilderkennung (ANPR) aus. Die Videosysteme vom Typ Sitraffic Sicore, die bis zu zwei Fahrspuren und auch unterschiedliche Fahrtrichtungen detektieren kön- nen, sollen bereits ab Frühjahr 2015 über eine halbe Million Nummernschilder erfassen. Der Arbeitsbereich der Kameras liegt bei rund fünf bis 35 Metern. Die integrierte Lese-Technologie erreicht höchste Erkennungsraten bei Fahrzeuggeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h. Spezielle Algorithmen erlauben auch die Unterscheidung verschiedener Fahrzeugklassen und die Überwachung von Gefahrguttransporten. Beim ZVM-Projekt in Bayern kommt auch Sitraffic smartGuard zum Einsatz Besser im Fluss Premiere in China Zhuhai Als erste chinesische Kommune überhaupt installiert die 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt in der Provinz Guangdong ein System zur Straßenbahnpriorisierung für die Zhuhai Tram Line No. 1. Die effiziente Koordination von Individualverkehr und Öffentlichem Ver- kehr läuft dabei über den neuen ST950-Controller. Das Projekt ist Bestandteil eines Memorandum of Understanding über eine Kooperation zur umweltfreundlichen Gestaltung des Verkehrs zwischen Siemens und den örtlichen Regierungsbehörden. Eindhoven Mit Hilfe der innova tiven Car2X-Technologie soll das Projekt „Ghost Traffic Jam“ auf der niederländischen A58 zwischen Eindhoven und Tilburg künftig Staus, die in Folge von Stoßwellen entstehen, verhindern oder reduzieren. Die Maßnahme ist Teil des Programms „Beter benutten“, an dem das Ministerium für Infrastruktur und Umwelt, die Provinz Nordbrabant und der Distrikt Eindhoven beteiligt sind. Die Inbetriebnahme des Systems, zu dem Siemens sowohl Lösungen für die Datenfusion als auch Road Side Units und den Master Road Infrastructure Server beisteuert, steht bereits für Sommer 2015 auf dem Programm. 25 ITS magazine 4/2014 | Wissen & Forschung Daten à la Carte Detektor-Systeme Die Formel ist eigentlich ganz simpel: Je besser die Datenlage, desto effizienter die Verkehrssteuerung. Neben der guten alten Induktionsschleife stehen heute eine ganze Reihe neuer Meisterdetektive zur Verfügung. Hier eine Übersicht der wichtigsten Technologien für die je nach Anwendung sowohl technisch als auch wirtschaftlich maßgeschneiderte Erfassung von Informationen. 26 Wissen & Forschung | ITS magazine 4/2014 Von Magnetfeldtechnik bis Bluetooth: Für jeden Bedarf das richtige Detektor-System Induktionstechnik Die bewährten Schleifendetektoren Sitraffic SLD4 und LD4-F erfassen mit höchster Zuverlässigkeit und unabhängig von Umgebungsbedingungen die Verkehrssituation an Kreu zungen. Über 50.000 Installationen und 30 Jahre Erfahrung – nach wie vor die beste Lösung, wenn wes auf Robustheit und sehr hohe Erfassungsgenauigkeit ankommt. Magnetfeldtechnik Relativ neu und außergewöhnlich klein sind die drahtlosen Bodensensoren Sitraffic Wimag für den Einbau in den Straßenbelag. Zuverlässige Detektion, lange Lebensdauer, niedrige Installationskosten und – mit Mikroradarmodul – die Möglichkeit der Detektion von Fahrrädern und stehenden Fahrzeugen machen das System zu einer Art Tausendsassa unter den Detektoren. Passiv Infrarot Technik (PIR) Mit ihrem extrem niedrigen Stromverbrauch bei hoher Datenqualität eignen sich die PIR-Detektoren besonders für solarbetriebene Systeme wie Traffic Eye Universal (TEU). Als strategisches Detektionssystem für die Messung der Verkehrslage kann es an beliebigen Standorten eingesetzt werden; auch dort, wo keine Stromversorgung vorhanden ist. Videotechnik Für die kostengünstige Präsenz-Detektion an Kreuzungen sind die Videodetektoren Sivicam und Phoenix ideal geeignet. Hochwertige Bildverarbeitung und fortschrittliche Sensortechnik sorgen für eine hohe Erkennungsrate bei jedem Wetter und rund um die Uhr. Das ANPR-Kamerasystem Sicore erkennt Nummernschilder noch bei 250 km/h und lässt sich zum Beispiel für Reisezeitmessungen und Zugangskontrollen einsetzen. Radartechnik Dank ihrer Technologie sind die 24 GHz-Radardetektoren Heimdall vollkommen unempfindlich gegenüber optischen Beeinträchtigungen. Es gibt sie in verschiedenen Ausprägungen für unterschiedliche Detektionsaufgaben, sie eignen sich vor allem für Kreuzungssteuerungen und lassen sich schnell und einfach installieren. Funktechnik Bluetooth-Scanner haben sich als sehr praktisch für die Reisezeitmessung im Rahmen der strategischen Detektion erwiesen. Sie sind schnell installiert und eignen sich nicht nur für dauerhafte Installationen, sondern auch für mobile Einsätze an Baustellen oder temporären Umleitungen. Mit der integrierten WLAN-Funktion können auch moderne Smartphones erkannt werden, die für Bluetooth oft unsichtbar sind. Detail-Tabellen mit Leistungs merkmalen der unterschiedlichen Technologien finden Sie hier: 27 ITS magazine 4/2014 | Mobilität & Lebensraum Himmlisch effizient Mautsystem Slowakei In der Rekordzeit von drei Monaten wurde das inzwischen umfangreichste Mautsystem Europas um über 15.000 Kilometer erweitert – im laufenden Betrieb und ohne Investitionen in straßenseitige Anlagen. Dass dies möglich war, ist ein Geschenk des Himmels. Oder genauer: ein entscheidender Vorteil der modernen Kombination aus Satellitennavigation und mobiler Kommunikation. Falls noch ein Beweis nötig gewesen wäre für die Effizienz satellitengestützter Mautsysteme: Die jüngste Erweiterung des für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen gebührenpflichtigen Straßennetzes in der Slowakei hätte ihn mehr als eindrucksvoll erbracht. Etwas überspitzt formuliert, kamen dabei gleichsam auf Knopfdruck 3162 neue Streckenabschnitte hinzu, fast über Nacht wur28 den aus 2447 Kilometern mehr als sieben Mal so viele: exakt 17.762 – und damit mehr als genug, um die Nummer-Eins-Position in der Europarangliste der Mautsysteme einzunehmen. Ebenfalls einzigartig in der EU ist die umfangreiche Integration von Straßen zweiter und dritter Ordnung, auf deren Konto der weitaus größte Teil der Ergänzung geht. Multitalent Sitraffic Sensus: Die On-BoardUnit eignet sich für alle Maut-Technologien Keine teuren Erfassungsstationen an den Straßen, keine aufwändigen Kabelverbindungen, kein Spalier von Videokameras: Schon bei ihrer Einführung im Jahr 2010 galt die auf der Positionsbestimmung über das Global Navigation Satellite System (GNSS) basierende slowakische Lösung als wegweisendes Beispiel innovativer Flexibilität. Erstmals kam dabei eine Mobilität & Lebensraum | ITS magazine 3/2014 On-Board-Unit (OBU) zum Einsatz, die vom Fahrer selbst in wenigen Minuten installiert werden kann. Die Datenkommunikation zwischen den mehr als 200.000 OBUs und der Zentrale läuft über die bestehende Infrastruktur der GSM-Netze. Die OBUs können also jederzeit „over the air“ Aktualisierungen empfangen: Änderungen der geografischen Daten genauso wie alle erforderlichen Modifizierungen an der OBU-Software oder der Firmware von Hardware-Komponenten. Auf genau diesem Weg wurde zu Beginn des Jahres auch das außergewöhnlich komplexe Update übermittelt, das die Erweiterung der bemauteten Streckenabschnitte enthielt. Eine Unterbrechung der Anwendung war dazu ebenso wenig nötig wie die kostenintensive Installation straßenseitiger Anlagen. Die Verkehrsingenieure mussten lediglich das Geo-Modell um mehrere 1000 virtuelle Mautbrücken für die zusätzlichen Streckenabschnitte ergänzen. Zur Optimierung der korrekten Identifikation gebührenpflichtiger Fahrten wurde übrigens ein patentierter „Wegpunkt-Algorithmus“ entwickelt, mit dessen Hilfe man in der Slowakei vom ersten Tag an eine effektive Erkennungsrate von 99 Prozent erreicht. Wie hoch der Effizienzgewinn satellitengestützter Mautsysteme gerade auch bei solch umfassenden Erweiterungen ist, zeigt der Blick auf ein Alternativ-Szenario: Hätte die Slowakei ein auf Basis der Dedicated Short Range Communication (DSRC) errichtetes System um 3162 zusätzliche Mautsegmente ausbauen wollen, wären allein für die Installation von Mikrowellen-Infrastruktur Kosten von über 100 Millionen Euro entstanden – zuzüglich der Betriebskosten natürlich, die sich über die Jahre schnell noch einmal auf ein Mehrfaches dessen summieren würden. Mit dem GNSS-Ansatz waren nicht nur die Kosten für die Erweiterung des slowakischen Mautstraßennetzes um über 15.000 Kilometer marginal: Sie betrugen nur einen Bruchteil der ursprünglichen Investition für die Einrichtung des Mautsystems – und waren dank der höheren Einnahmen bereits nach drei Monaten fast wieder eingespielt. Außerdem blieb den Verantwortlichen jede Menge weiterer Aufwand erspart: Sie brauchten weder entsprechende Bauplätze im Umfeld der betreffenden Straßen zu erwerben noch Tausende von Baugenehmigungen zu beantragen oder neue Stromleitungen zu verlegen. Im Seitenspiegel Visionen für die Cloud Visionen brauchen ihre Zeit. Bis wir Normalbürger wahre Geniestreiche erkennen, können Ewigkeiten vergehen. Mit Visionen ist es so eine Sache: Der Begriff beschreibt zum einen die optische Sinnestäuschung oder Halluzination – zum anderen aber die bildhafte Vorstellung zukünftiger Entdeckungen, Erfindungen oder Innovationen. Manchmal wird erst in späteren Jahrhunderten klar, zu welcher Kategorie der jeweilige Visionär gehörte, denn die Grenze zwischen Geistesblitz und Querschläger ist oft fließend. Nimmt man als Maßstab Werner von Siemens, Gottlieb Daimler und Carl Benz oder Ferdinand Porsche, der schon um 1900 ein Hybridauto mit elektrischem Allradantrieb konstruierte, sind wahre Visionäre eher selten. Doch auch die Visionen etwa des französischen Schriftstellers Jules Verne wirken nach. Er beschrieb 1865 die Reise „Von der Erde zum Mond“ mit technischen Details, die bei der ersten Mondlandung hundert Jahre später tatsächlich umgesetzt wurden. Und das rätselhafte Genie Leonardo da Vinci, kühner Vordenker in Sachen Mobilität, skizzierte bereits um das Jahr 1500 ein dreirädriges Fahrzeug mit Federwerkantrieb – lokal emissionsfreie Mobilität erster Güte. Jede Zeit hat freilich ihre speziellen Genies: So wollen, inspiriert von Facebook und Twitter, moderne Visionäre um den amerikanischen Dokumentarfilmer Bruce Duncan die Persönlichkeit eines Menschen vollständig digitalisieren – die physische Existenz also gegen eine virtuelle austauschen: Beim Avatar-Projekt „LifeNaut“ kann man schon zu Lebzeiten mit seinem virtuellen Selbst chatten, ihm die eigenen Gedanken, Ideen und rhetorischen Fähigkeiten nahebringen – für kluge Post-mortem-Gespräche mit den Anderen. Künftig sollen die Avatare sogar autonom ihre Timeline pflegen oder twittern können. Dem russischen Medienunternehmer Dmitri Itzkow ist das noch nicht visionär genug. Er beschäftigt rund 30 Wissenschaftler aller Fakultäten, die in einer ersten Stufe das komplette Gehirn in einen einfach zu wartenden Roboterkörper verpflanzen sollen. Ziel sei langfristig aber, so Itzkow, auch noch den Androiden einzusparen und durch ein Hologramm zu ersetzen. Ewiges Leben in der Cloud: Einem uralten Menschheitstraum kommt das schon sehr nahe. Ein cerebraler Geniestreich also – so lange keiner den Strom abstellt. 29 ITS magazine 4/2014 | Profil „Ein großer Schritt zur Vision Zero“ Interview Roland Wunder, Product Manager Kooperative Systeme bei Siemens Mobility, über den volkswirtschaftlichen Nutzen der Car2X-Communication, die organisatorischen Herausforderungen beim Aufbau des ITS-Korridors Rotterdam-Wien und die Roadmap zum autonomen Fahren. Herr Wunder, Zwei-Mann-Tragschrauber gibt es längst zu kaufen, das erste Flugauto ist angeblich serienreif, und auch der DüsenRucksack scheint bereits zu funktionieren (siehe Seite 13): Brauchen wir da überhaupt noch so revolutionäre Technologien wie die Car2XCommunication für den Straßen verkehr? Ich sehe hier eigentlich kein Entweder-Oder. Denn letztlich sollten schon allein aus Sicherheitsgründen ja auch diese futuristischen Transportmittel 30 miteinander und mit der Infrastruktur kommunizieren. Außerdem: Selbst wenn zum Beispiel das Flugauto tatsächlich bereits technologisch ausgereift wäre, müssten vor einer flächendeckenden Einführung noch die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Auch hier sind wir mit der Vision der Kooperativen Systeme natürlich deutlich weiter. Und rein rechnerisch spricht aus Sicht der Öffentlichen Hand ebenfalls alles dafür, die Car2X-Communication mit Hochdruck weiter voranzutreiben: Nach aktuellen Studien bringt hier jeder investierte Euro ein Vielfaches an volkswirtschaftlichem Nutzen. Die meistgenannten Vorteile Kooperativer Systeme sind die Erhöhung der Verkehrssicherheit, die Verbesserung des Verkehrsflusses und die Reduzierung verkehrsbedingter Emissionen. Welchen dieser Effekte halten Sie für den wichtigsten? Im Grunde sind alle drei extrem wichtig für die Zukunft der Mobilität. Aber wenn ich mich für einen Bereich Profil | ITS magazine 4/2014 Zur Person • 1987-1991: Ausbildung bei der Siemens AG zum Kommunikationselektroniker, Fachrichtung Nachrichtentechnik • 1992-1998: Tätigkeit im Bereich Systemprüffeld der Siemens Straßenverkehrstechnik • 1998-2000: Ausbildung zum Industriemeister Elektrotechnik / Nachrichtentechnik, mit Auszeichnung (Bayerischer Meisterpreis) • 1999-2000: Projektleitung und Fertigungsaufbau Parkscheinautomaten • 2001-2002: Tätigkeit im ITS Trainingscenter, Schwerpunkt Parken • 2002-2005: Projektleitung Verkehrsmanagementsysteme in der Vertriebsregion Deutschland • 2005: Zertifizierung als Projektmanager nach PM@Siemens • Seit 2006: Produktmanager mit Schwerpunkt Innovations technologie – Kooperative Systeme entscheiden müsste, wäre es die Verkehrssicherheit. Was die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle angeht, haben wir natürlich auch mit konventionellen Mitteln schon einiges erreicht, aber die 26.200 Menschen, die 2012 auf den Straßen der EU ihr Leben verloren, sind definitiv 26.200 zu viel. Und ich bin davon überzeugt, dass uns die Kooperativen Systeme der Vision Zero einen großen Schritt näherbringen. Der Begriff Car2X-Communication schließt sowohl die Kommunikation zwischen Fahrzeugen als auch die Vernetzung von Fahrzeugen mit der Infrastruktur mit ein. Welches der beiden Konzepte verspricht Ihres Erachtens den höheren Nutzen? Auch wenn die Autohersteller eine Zeit lang anderer Meinung waren: Inzwischen hat sich unter allen an der Entwicklung der Systeme Beteiligten die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht reicht, wenn ausschließlich die Fahrzeuge miteinander sprechen. Den größtmöglichen Nutzen bieten die Kooperativen Systeme, wenn man ihren Namen wörtlich nimmt und die Zusammenarbeit auf eine möglichst breite Basis stellt: in technologischer Hinsicht genauso wie in organisatorischer. Als eine der ersten regulären Anwendungen der Car2X-Communication steht ab 2015 der Aufbau des ITS-Korridors von Rotterdam nach Wien auf der Agenda – ein Projekt, in das gleich drei Länder involviert sind (siehe Seite 22). Wo sehen Sie bei der Realisierung die größeren Herausforderungen: im technologischen oder im organisatorischen Bereich? Eindeutig in der Organisation. Dass die Technologie bereit ist für den praktischen Einsatz, hat sie im Rahmen diverser Feldversuche immer wieder bewiesen. Jetzt geht es vor allem noch um administrative Fragen wie die Zuständigkeiten bei der Zertifizierung der Informationen, die zum Austausch freigegeben werden dürfen. Und auch an der grenzübergreifenden Abstimmung der Spezifika tionen und Funktionalitäten gilt es natürlich noch zu feilen. Wie viele Fahrzeuge mit entsprechenden Sende- und Empfangs einheiten müssen denn auf den Straßen unterwegs sein, um spürbare Effekte zu erzielen? Das kommt immer auf die Anwendung an. In einigen Fällen, wie etwa der Warnung vor mobilen Baustellen, ist das System schon vom ersten Fahrzeug an interessant. Zur Erstellung von Geschwindigkeits-Profilen oder zur Detektion von Kreuzungen ist dagegen ein Ausstattungsgrad von 80 Prozent und höher nötig. Europa läutet mit dem ITS-Korridor die Zukunft des Straßenverkehrs ein. Gibt es in anderen Teilen der Welt ähnlich ambitionierte Car2XProjekte? Das Thema steht definitiv weltweit im Fokus – schon allein deshalb, weil auch die Automobilindustrie global aufgestellt ist. Die USA beispielsweise sind in puncto Standardisierung sogar einen Schritt weiter als die EU. Und auch in anderen Teilen der Erde ist man bereits dabei, die Car2X-Technologie auszurollen. Im Rahmen des ITS-Korridors kommen zunächst nur zwei Anwendungen zum Einsatz: Warnungen vor mobilen Baustellen und die Übermittlung von Daten zur Verkehrslage. Was genau können Kooperative Systeme dabei besser als Navigationssysteme? Der Hauptunterschied liegt in der Aktualität und der lokalen Relevanz der Daten. Die Informationen für Navigationssysteme werden in der Regel zunächst an ein Rechenzentrum gesendet, dort aggregiert und erst dann an die Empfänger geschickt. Die Car2X-Daten stehen praktisch in Echtzeit zur Verfügung, und zwar genau für die Position, an der sich der Autofahrer gerade befindet. Wie wesentlich dieser Unterschied ist, zeigt sich zum Beispiel, wenn hinter einer Kurve eine mobile Baustelle meine Spur blockiert: Dann hilft mir die Info, dass mich in 20 Kilometern ein Stau erwartet, nicht wirklich dabei, einen Unfall zu vermeiden. Welche weiteren Car2X-Anwendungen wären mit heutiger Technologie bereits realisierbar? Im Interurban-Bereich sind zum Beispiel individuelle Geschwindigkeitsdaten interessant. Wenn ich weiß, dass unmittelbar vor mir ein Fahrzeug von 120 auf 20 km/h abbremst, erwartet mich dort vermutlich ein Hindernis: ein Stauende, ein Unfall oder was auch immer. Aber auch für innerstädtische Applikationen gibt es reichlich Ideen: von Kreuzungsassistenten über Fußgängerwarnungen bis zu ÖPNV- oder Event-Infos. Wenn man die Entwicklung weiterdenkt, landet man dann nicht schon beim autonomen Fahren? So ist es. So lautet im Übrigen für die nächsten 10 bis 20 Jahre auch das erklärte Ziel der Autohersteller. Und um das zu erreichen, ist nach meiner Überzeugung auf jeden Fall eine kommunizierende Infrastruktur nötig. Werden Sie persönlich dann schon im Flugauto unterwegs sein – oder noch mit Bodenhaftung im Kooperativen System? Da ich ein bodenständiger Mensch bin, wäre mir aus heutiger Sicht definitiv das Zweite lieber. Herr Wunder, wir danken Ihnen für das Gespräch. 31 ITS magazine 4/2014 | Im Fokus IMPRESSUM ITS magazine · Fachmagazin für Straßenverkehrstechnik / ITS Herausgeber: Siemens AG · Mobility Division · Mobility Management Otto-Hahn-Ring 6 · D-81739 München Redaktion: Stephan Allgöwer (verantwortlich), Karin Kaindl, Roland Michali: Siemens AG, Communications and Governmental Affairs Koordination: Roland Michali: Siemens AG, Communications and Governmental Affairs Textredaktion: Peter Rosenberger, Philip Wessa: www.bfw-tailormade.de · Eberhard Buhl („Im Seitenspiegel“) Fotos: Corbis Seite 1, 8 l.u. . Getty Images Seite 2, 6/7, 8 u.m., 8 u.r. 9 u., 13 o. . Gareth Padfield, Flight Stability and Control Seite 8 o. . iStockphoto Seite 9 o., 20, 25 o., 25 u. . Thomas Le Blanc Seite 12 . dpa picture-alliance Seite 13 u., 14 l., 14 u., 24 . AeroMobil Seite 14 o. . Achim Graf Seite 16-19 . Photocase.com Seite 29 Alle anderen Fotos: Siemens AG Konzeption & Gestaltung: Agentur Feedback, München · www.agentur-feedback.de Druck: G. Peschke Druckerei, München Copyright: © Siemens AG 2014 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung dieser Unterlage sowie Verwertung ihres Inhalts unzu lässig, soweit nicht ausdrücklich zugestanden! Technische Änderungen vorbehalten. Printed in Germany. Das nächste ITS magazine erscheint im April 2015 www.siemens.de/traffic ISSN 2190-0299 Bestell-Nr. A19100-V355-B118 Dispo-Nr. 22300 · K-Nr. 689 313702 IF 12145.0 32 Über die kostenlose App „Siemens Publications“ können Nutzer von iPads oder Android-Tablets das ITS magazine abonnieren und werden jedes Mal sofort benachrichtigt, sobald eine neue Ausgabe erschienen ist. Siemens Publications für iOS Siemens Publications für Android