Yehudi Menuhin

Transcrição

Yehudi Menuhin
Sonntag, 1. Mai 2016
15.04 – 17.00 Uhr
Yehudi Menuhin
Eine Sendereihe zum 100. Geburtstag
Von Michael Struck-Schloen
18. Folge: Geigen-Persönlichkeiten
O-Ton Yehudi Menuhin (0’15)
Die Geige ist eine unglaublich schöne Schöpfung. Und es lebt irgendwie, […] man tastet es
direkt an. […] Wenn man mit der Geige steht und spielt, dann ist es wie eine einzige
Umarmung so zu sagen.
[Das musikalische Selbstporträt ‒ Yehudi Menuhin, NDR 1960]
AUTOR
Er hatte eben doch ein erotisches Verhältnis zu seinem Instrument. Für Yehudi Menuhin
war die Violine weiblich, und er erwies sich im Laufe seines Lebens in dieser Hinsicht als
echter Don Juan, der die Geige und mit der Geige verführte. Aber er war auch wählerisch
und nahm nicht jedes Instrument ‒ selbst wenn es teuer war ‒, sondern bevorzugte echte
Charaktere, „Geigen-Persönlichkeiten“, wie ich die heutige Folge überschrieben habe.
MUSIK 1
Warner
LC 02882
0825646777815
Track 7
Henryk Wieniawski
Scherzo Tarantelle g-Moll op. 16
Yehudi Menuhin, Violine
Artur Balsam, Klavier
(Aufn. 1932)
4‘20
AUTOR
Henryk Wieniawskis Scherzo Tarantelle op. 16, gespielt von Yehudi Menuhin im Jahr 1932.
Und wer ermessen will, mit welch jugendlichem Draufgängertum der Sechzehnjährige
spielte, mit welch perfekter Technik und nie glatter, sondern leuchtender Brillanz ‒ der
muss nur diese Plattenaufnahme des scheinbar belanglosen Virtuosenschmankerls hören,
das damals landauf, landab gespielt wurde ‒ nur eben nicht so.
Dass die Persönlichkeit des Musikers, seine Lehrzeit und Reife dabei eine Rolle
spielen, steht fest. Aber wir wollen heute auch einmal die Frage stellen, welchen Einfluss die
Persönlichkeit des Instruments auf das Wunder Menuhin hatte. „Menuhin spielt sogar auf
einem Besenstiel wie ein Gott“, soll der Dirigent Fritz Busch geäußert haben. In gewisser
Weise hatte er Recht, denn selbst die wertvollste Stradivari ist musikalisch tot, wenn nicht
ein Meister ihren Körper zum Klingen bringt. Andererseits hat Menuhin immer darauf
geachtet, dass er ein Instrument spielte, das zu ihm passte; das eben nicht nur ein
Werkzeug oder ein Besenstiel war, sondern seinen Körper, seine Seele und seinen Geist auf
magische Weise ergänzte und zum Schwingen brachte. Jede große Geige, davon war
Menuhin zusammen mit dem französischen Geigenbauer Émile Français überzeugt, war
nicht nur ein perfektes Zusammenwirken von Material, Handwerkskunst und Genie, sondern
das klingende Zeugnis ihrer Spieler. Ulrich Noethen liest aus Menuhins Buch Unvollendete
Reise.
Yehudi Menuhin – 18. Folge
Seite 2 von 7
ZITAT (0’35)
Bei einer großen Geige … die Seele des Künstlers bewahrt.
[Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper
1997, S. 352]
MUSIK 2
Warner
LC 02822
0825646815
Track 2
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky
Violinkonzert D-Dur op. 35
2) Canzonetta. Andante
Yehudi Menuhin, Violine
Royal Philharmonic Orchestra
Leitung: Adrian Boult
(Aufn. 1959)
6‘00
AUTOR
Yehudi Menuhin spielte die Canzonetta aus Peter Tschaikowskys Violinkonzert op. 35,
zusammen mit dem Royal Philharmonic Orchestra und dem Dirigenten Adrian Boult.
Auf welchem Instrument Menuhin das Tschaikowsky-Konzert einspielte, ist beim
bloßen Hören schwer zu entscheiden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme 1959 besaß Menuhin
zwei kostbare Stradivari-Geigen mit klingenden Beinamen, die meist einen berühmten
Vorbesitzer bezeichnen und jeden Geigenkenner ins Schwärmen bringen. Eine davon war
die „Soil“ von 1714, die nach einem belgischen Sammler benannt ist und heute von Itzhak
Perlman gespielt wird. Menuhin selbst hat den Ton der „Soil“ als kraftvoll, brillant und rein
beschrieben. Sicher ist sie ein Instrument, auf dem das hochromantische TschaikowskyKonzert prachtvoll zur Wirkung kommt. „Sie ist wie ein hochgezüchtetes Rennpferd“,
schreibt Menuhin in einem Buch über die Violine. „Sie befähigt zu höchsten Leistungen an
Ausdauer, Brillanz, Selbstdisziplin und Beherrschung und ist doch so stolz und unbeugsam,
das es sich nur durch die geschmeidigste Berührung reiten lässt. Sie ist Vollkommenheit
und verlangt Vollkommenheit im Spiel“. Die Geige als Rennpferd ‒ wir werden sehen, dass
Menuhin für seine Instrumente noch viele blumige Vergleiche finden sollte.
Die Stradivari, die Menuhin die längste Zeit seines Lebens spielte und der er in fast
sentimentaler Empfindung die Treue hielt, war die „Fürst Khevenhüller“ die heute auch
Menuhins Namen trägt. Antonio Stradivari hatte sie 1733 im Alter von neunzig Jahren in
Cremona gefertigt ‒ was er stolz auf einem Zettel im Instrument vermerkte. Joseph Böhm,
der einflussreiche Lehrer von Joseph Joachim oder Jenő Hubay, gehörte zu den
Vorbesitzern. „Es ist“, so Menuhin, „eine Violine mit einem warmen, großen, kräftigen und
geschmeidigen Klang, die ganz ideal zu meiner jugendlichen, romantischen Einstellung
passte.“
Um die „Fürst Khevenhüller“ rankt sich eine der berühmtesten Anekdoten aus
Menuhins Wunderkindjahren. Sie dreht sich um die Erfüllung eines Wunschtraums, die dem
knapp dreizehnjährigen Geiger von einem bedeutenden Mitglied der Bankiersdynastie
Goldman & Sachs gewährt wurde. Zum Mittelsmann wurde im Jahr 1929 der Hausarzt der
Menuhins, der Vater Moshe, genannt Abba, auf einen heimlichen Bewunderer des jungen
Geigers hinwies.
ZITAT (3‘20)
Zu Dr. Garbats Patienten … Wallstreet Crash.
[Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper
1997, S. 103ff.]
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Yehudi Menuhin – 18. Folge
MUSIK 3
Warner
LC 02822
0825646777068
Track 6
César Franck
Violinsonate A-Dur
2) Allegro
Yehudi Menuhin, Violine
Hephzibah Menuhin, Klavier
(Aufn. 1936)
Seite 3 von 7
7‘48
AUTOR
Ein Beweis dafür, zu welcher Tonfülle und zu welchen klanglichen Abstufungen Yehudi
Menuhin sein Instrument im wahrsten Sinne „erziehen“ konnte: der zweite Satz der A-DurSonate von César Franck, wie ihn Menuhin 1936 zusammen mit seiner Schwester
Hephzibah spielte ‒ höchstwahrscheinlich auf seiner Stradivari „Fürst Khevenhüller“, dem
großzügigen Geschenk von „Onkel“ Henry Goldman. Im Übrigen ließ es sich der nahezu
blinde Goldman nicht nehmen, zu Yehudis legendärem Berlin-Debüt im Jahr 1929 eigens
nach Europa zu reisen und zu überprüfen, wie sein Schützling mit dem edlen Geschenk
zurecht kam.
Eine Geige wie die „Fürst Khevenhüller“ kann, wenn sie von einer Persönlichkeit
gespielt wird, zur Legende werden. Andererseits ist auch eine „Strad“, wie sie die
Amerikaner sportlich abkürzen, letztlich eine bestimmte Konstellation von Materialien, die
nur von einem Geigenbauer mit dem Format eines Stradivari zum klingenden Kosmos
zusammengefügt werden können. Im Vorwort zu Menuhins Violinbuch hat der legendäre
französische Geigenbauer Étienne Vatelot den Körperbau einer Violine erläutert.
„Die Violine“, schreibt Vatelot mit der ungerührten Sachlichkeit des
Handwerksmeisters, „ist aus 82 oder 84 einzelnen Holzteilen zusammengesetzt, wobei die
Decke oder der Boden aus einem oder zwei Teilen besteht. Für den Boden, die Zargen und
die Schnecke wird Ahorn verwendet, Fichte für die Decke, Ebenholz für das Griffbrett und
Buchsbaumholz, Rosenholz oder Ebenholz für die Wirbel, den Geigenhals und den
Saitenhalter. Der gute Klang eines Instruments hängt von verschiedenen Faktoren ab: von
der Auswahl und dem Alter des Holzes, von der Wölbung der Decke und des Bodens, von
der Stärke des Holzes, von der Spannung des Bassbalkens, der die Decke stützt, von der
Geschmeidigkeit des Lacks, vom Zuschnitt des Stegs, vom Winkel, den die Saiten mit dem
Steg bilden und von der Stärke der Saiten. Zu all diesen Faktoren kommen noch der
Geschmack und sogar der Charakter des Geigers, der sein Instrument nicht nur nach der
Klangfülle auswählt, sondern auch als Spiegel seiner eigenen Persönlichkeit. Und vergessen
wir nicht den Bogen aus einer brasilianischen Holzart: er muss zugleich kräftig und
biegsam, leicht und ausgewogen sein.“
Schreibt Étienne Vatelot, den Yehudi Menuhin für einen der besten Geigenbauer
der Welt hielt. In Vatelot, der 2013 mit 87 Jahren gestorben ist, erkannte Menuhin noch
die alte Handwerkskunst, in der ein Stück von Anfang bis Ende aus einer Hand kam ‒ eine
Seltenheit bei heutigen Instrumentenbauern, von der Fabrikproduktion billiger
Massengeigen in Fernost ganz zu schweigen.
Die verschiedenen Faktoren für den guten Klang, dieses Zusammenwirken
zwischen beruflicher Erfahrung, Intuition und Musikertalent zeigen allerdings auch, dass die
astronomischen Preise für alte Instrumente mit den Zaubernamen Stradivari oder Guarneri
nur den Bedingungen des kapitalistischen Marktes entsprechen. Zum musikalischen
Ereignis gehört eben auch der große Musiker, der sich nicht in einen Banksafe sperren
lässt.
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Yehudi Menuhin – 18. Folge
MUSIK 4
Warner
LC 02822
0825646777815
Track 2
Franz Schubert
Streichquintett C-Dur D 956
2) Adagio
Yehudi Menuhin & Robert Masters, Violine
Walter Gerhardt, Viola
Maurice Gendron & Derek Simpson, Violoncello
(Aufn. 1968)
Seite 4 von 7
12‘46
AUTOR
Das Adagio aus Franz Schuberts Streichquintett C-Dur D 956 in einer Aufnahme von 1968,
in der Yehudi Menuhin primus inter pares war. Ihm zur Seite spielten der Geiger Robert
Masters, der Bratschist Walter Gerhardt und die beiden Cellisten Maurice Gendron und
Derek Simpson. Eine ziemlich unsentimentale, fast sachliche Interpretation, die Schuberts
Endzeitmusik wieder auf den Boden holt.
Um „Geigen-Persönlichkeiten“ geht es in der heutigen Folge unserer MenuhinSerie im kulturradio vom rbb; im Studio ist Michael Struck-Schloen. Die erste Geige, die ihm
die Eltern zum vierten Geburtstag schenkten, hat er kurzerhand auf dem Boden
zertrümmert: Es war eine Spielzeuggeige mit Metallsaiten, die ihm nur einen einzigen
Schrei entlockte: „Sie singt nicht!“ Für den Kauf der ersten brauchbaren Geige schickte
dann die Großmutter aus Palästina die stolze Summe von 800 Dollar, aber Yehudis Mutter
dachte ausnahmsweise nicht nur an das Wohl des künftigen Wunderkinds, sondern auch an
die Mobilität der jungen Familie und zweigte 400 Dollar für das erste Automobil ab: einen
offenen Chevrolet.
Ein besseres Stück war dann die 7/8-Geige von 1696 aus der Werkstatt des
Mailänders Giovanni Grancino, auf der Menuhin 1927 sein Debüt in der New Yorker
Carnegie Hall unter Leitung von Fritz Busch gab. Bis zuletzt war die Grancino in seinem
Besitz und erbrachte nach seinem Tod bei der Versteigerung seiner Instrumente bei
Sotheby’s die stolze Summe von knapp 112.000 Pfund ‒ eine Summe, die der
preisbewusste Menuhin angesichts des historischen Werts der Geige sicher für angemessen
gehalten hätte. Und gern erzählte er die Geschichte, wie er kurz nach dem Kauf der Geige
einen Traum hatte. Da war ihm das leuchtende Vorbild, der Wiener Geiger Fritz Kreisler,
erschienen und hatte ihm vom Podium herab die Geige gereicht mit den Worten „Die ist für
dich“.
Es war die kindliche Ahnung von der mystischen Übertragung der Persönlichkeit
über das Instrument. Denn was Menuhin an Kreisler bewunderte, war der enorme
Vorsprung an Lebenserfahrung, der auch dem Klang seiner Geige anzuhören war, die
Kreisler durch seine prsönlichen Schwingungen prägte. Und plötzlich dämmerte Menuhin,
dass es eine direkte Verbindung zwischen Klangfülle und Lebensfülle geben müsse.
O-TON Yehudi Menuhin (0’34)
Darin habe ich verstanden, dass das Leben nötig ist, um das Leben zu übersetzen im
Geigenspiel. […] Das Geigenspiel hängt ganz ab […] von der Tiefe der Erfahrungen und der
Leidenschaft vom Geiger. Wenn er weniger erlebt hat, dann ist seine Musik auch weniger
ausdrucksvoll. Je mehr man mit der Menschheit zusammen sich gefreut und gelitten usw.,
je reicher wird der musikalische Ausdruck. [Gespräch HdK Berlin, SFB 1985]
MUSIK 5
Warner
LC 02822
0825646777815
Track 3
Benjamin Britten
Violinkonzert op. 15
3) Passacaglia
Yehudi Menuhin, Violine
London Symphony Orchestra
Leitung: Istvan Kertész
(Aufn. 1968)
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12‘40
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Yehudi Menuhin – 18. Folge
Seite 5 von 7
AUTOR
Ein selten zu hörendes Stück ‒ zumal auf dem Kontinent: das Violinkonzert op. 15 von
Benjamin Britten aus dem Jahr 1940, als der erklärte Pazifist Britten England verlassen
hatte und in den USA weilte. Yehudi Menuhin spielte das Finale, eine ausgedehnte
Passacaglia, in einem Live-Mitschnitt vom Edinburgh Festival 1968. István Kertész
dirigierte das London Symphony Orchestra.
Wer wissen will, was Menuhin über die Geige dachte, sollte seinen Beitrag zum
Buch Violine und Viola lesen. Während sich William Primrose darin um die Bratsche
kümmert, beschreibt Menuhin Bau- und Spielweise, aber auch die Symbolik der Violine, so
wie er sie sieht. Am Anfang steht ein Vergleich mit der Kunst des Bogenschießens, wobei er
in der Violine den Bogen und im Geigenbogen den Pfeil erkennt ‒ eine etwas
problematische Parallele, die ihn aber direkt zum Bild von der friedfertigen Waffe führt: die
Geige, so Menuhin, sei eines „der wenigen Werkzeuge des Menschen, das nicht zum Töten
gedacht ist, eine der am vollkommensten verkörperten Formen, und doch gleichzeitig
körperlos, bestimmt, Geist und Seele anzusprechen, nicht zu physischer
Gewaltanwendung“. Womit Menuhin elegant die Brücke von der Musik zu seinem
humanitären Engagement in aller Welt schlägt, für das er 1976, als das Buch entstand, fast
schon bekannter war als für sein Geigenspiel.
Eher zu erwarten war dagegen der Vergleich der Violine mit dem weiblichen
Körper. Menuhin genießt die geschwungenen Linien und zarten Konturen des Instruments,
deren Teile tatsächlich als Hals, Schultern oder Taille bezeichnet werden; wie seidige
menschliche Haut erscheint ihm der Lack einer Stradivari oder Guarneri, der Diven unter
den Geigen. Menuhin gesteht, dass er regelmäßig seine Violine küsst, bevor er sie zum
Schlafen im Geigenkasten verstaut ‒ sicher eine rührende Geste. Kurioser ist schon die
Überlegung, ob Geigerinnen zum vermeintlich „weiblichen“ Körper der Violine nicht ein
grundsätzlich anderes Verhältnis haben als Männer ‒ eben, so die Schlussfolgerung,
weniger ein erotisches als ein narzisstisches. Frauen rät Menuhin deshalb lieber zum Cello.
Das hat sicher etwas Kurioses, versetzt mit einer Prise Sexismus. Dennoch sollte
man Menuhin nicht für einen notorischen Schwerenöter halten, sondern in seinem Denken
auch den vitalen Aspekt erkennen: Für ihn ist die Geige ein lebendiges Wesen, das man
behandeln und lieben muss wie ein Lebewesen, das frei schwingen und nicht gequetscht
oder gepresst werden sollte. Leider sind auch den zärtlichen Berührungen Grenzen gesetzt:
Damit der wunderbare Lack nicht beschädigt wird, muss sich der Kontakt auf die Reinigung
mit einem Lappen beschränken ‒ die Liebe zur Geige bleibt letztlich platonisch, „beschränkt
auf edelste Kunst und Kunstfertigkeit, sublimiert im herrlichen Klang, den alle hören
können“.
Und nach diesem letzten Zitat aus Menuhins Geigenbuch jetzt ein Treffen von zwei
Instrumenten mit ausgesprochen kurvigen Formen. Yehudi Menuhin und der Harfenist
Nicanor Zabaleta spielen die zweisätzige Sonate Es-Dur von François Adrien Boieldieu.
MUSIK 6
Warner
LC 02822
0825646777815
Track 6-7
François Adrien Boieldieu
Sonate Es-Dur für Geige und Harfe
Yehudi Menuhin, Violine
Nicanor Zabaleta, Harfe
(Aufn. 1980)
12‘00
AUTOR
Elegante Klassik für den adligen französischen Salon, in dem um 1800 die Harfe eine
klangvolle Rolle spielte. François Adrien Boieldieu, der Meister der Opéra comique,
komponierte diese Sonate für Geige und Harfe. Yehudi Menuhin und Nicanor Zabaleta
spielten in einer Aufnahme von 1980.
Und man könnte sich vorstellen, dass Menuhin diese Kammermusik nicht auf einer
Stradivari, sondern auf seiner neuen Guarneri del Gesù mit dem Beinamen „Lord Wilton“
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Yehudi Menuhin – 18. Folge
Seite 6 von 7
gespielt hat, einem Instrument von 1742, das er kurz zuvor erworben hatte. Es war
keineswegs seine erste Geige aus der Dynastie der Guarneri. Schon seine erste Frau Nola
hatte ihm nach der Hochzeit ein Instrument von Bartolomeo Giuseppe Guarneri geschenkt,
der nach den Christus-Initialen in seinen Geigen nur „Guarneri del Gesù“ genannt wurde.
Die Guarneri spielte also in Menuhins Leben immer wieder eine Rolle; und er war sich der
unterschiedlichen Qualitäten und Individualitäten der beiden Antipoden Stradivari und
Guarneri sehr bewusst. Ulrich Noethen liest aus Menuhins Lebenserinnerungen
Unvollendete Reise.
ZITAT (3‘35)
Mein ganzes Leben könnte ich beschreiben …denken lässt.
[Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper
1997, S. 350]
AUTOR
Über die generelle Bevorzugung der Stradivari hinaus, war es für Menuhin selbst immer
überraschend, welche seiner vielen Geigen er schließlich für ein Konzert auswählte. Die
endgültige Wahl traf er in einem „schweigsamen Colloquium“, wie er schrieb, in dem
weniger die anstehende Musik als das Eigenleben der Geigen eine Rolle spielte, ihr aktueller
Zustand, ihr Bedürfnis nach Ruheperioden. Aber man kann davon ausgehen, dass er das
große Konzert von Jean Sibelius auf einer Stradivari, höchstwahrscheinlich der
klangstarken „Soil“ spielte, die er sich 1951 gekauft hatte. Ihr pompöser, stolzer,
manchmal etwas harter Klang kommt im Eingangssolo des Konzerts eindrucksvoll zur
Geltung. Yehudi Menuhin wird begleitet vom London Philharmonic Orchestra, der Dirigent
ist Adrian Boult.
MUSIK 7
EMI
LC 06646
2641762
CD 45 Track 4
Jean Sibelius
Violinkonzert d-Moll op. 47
1) Allegro moderato
Yehudi Menuhin, Violine
London Philharmonic Orchestra
Leitung: Adrian Boult
(Aufn. 1955)
15‘04
AUTOR
Yehudi Menuhin als Solist im ersten Satz des Konzerts op. 47 von Jean Sibelius ‒ einem
Repertoire, das für ihn eher untypisch war. Man spürt die Anstrengung im oft forcierten
Ton, der dem romantischen Überdruck bei Sibelius eher mit Kraft als mit Tonfülle begegnet.
1955 entstand diese Studioaufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra, dirigiert
von Adrian Boult.
Menuhin war der festen Überzeugung, dass das Holz der Geige die Seele des
Künstlers bewahrt, der sie spielt ‒ vorausgesetzt, er ist ein Könner von Gnaden. Er selbst
konnte das erleben, als er sich z.B. die Guarneri des großen Eugène Ysaÿe für einen Monat
auslieh und den Eindruck hatte, nur ein Schattenspieler von Ysaÿe zu sein. Wer Menuhins
Geigen zu Lebzeiten oder nach seinem Tod im Jahr 1999 erwarb und sie nicht nur als
Geldanlage betrachtete, sondern wirklich spielen wollte, der musste sich gegen ihre
Charakterprägung durch Menuhin durchsetzen ‒ sicher kein Problem für Itzhak Perlman,
der Menuhin die Stradivari „Soil“ in den achtziger Jahren abkaufte. Auch seine geliebte
„Fürst Khevenhüller“, das Geschenk von Henry Goldman, hat Menuhin zu Beginn der
achtziger Jahre verkauft, um seine neue Wohnung im Londoner Stadtteil Belgravia zu
finanzieren; sie verschwand in einer Privatsammlung ‒ so wie die Guarneri „Lord Wilton“,
die für sechs Millionen Dollar verkauft wurde, aber hin und wieder doch gespielt wird.
Mittlerweile ist sie auch für erschwingliche 1000 Dollar erhältlich: als amerikanische Kopie.
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Yehudi Menuhin – 18. Folge
Seite 7 von 7
Die Geige, die Menuhin jetzt im Variationensatz aus Ludwig van Beethovens
Kreutzersonate op. 47 spielt, ist keine billige Kopie, sondern das Original einer Stradivari ‒
Objekt der permanenten Liebkosung und Beschwörung, wie es Menuhin in seinem Buch
über die Geige geschrieben hat. Hören Sie den Satz aus der Gesamtaufnahme der
Beethoven-Sonaten aus den fünfziger Jahren mit dem Pianisten Louis Kentner.
MUSIK 8
EMI
LC 06646
2641462
CD 15 Track 9
Ludwig van Beethoven
Violinsonate A-Dur op.47 „Kreutzersonate“
2) Andante con variazioni
Yehudi Menuhin, Violine
Louis Kentner, Klavier
(Aufn. 1953)
15‘43
AUTOR
Andante con variazioni, der langsame Satz aus Beethovens anspruchsvollster Violinsonate,
der so genannten „Kreutzersonate“ A-Dur op. 47. Yehudi Menuhin spielte zusammen mit
seinem Klavierbegleiter und Schwager Louis Kentner.
Eine Aufnahme von 1953 ‒ und die Schlussmusik der heutigen Menuhin-Huldigung
im kulturradio vom rbb. Das Manuskript können Sie von unsrer Website kuturradio.de
herunterladen, auch wenn Sie noch einmal Interpreten oder Aufnahmedaten nachhalten
wollen. Beim nächsten Mal spielt dann nicht die Diva unter den Streichinstrumenten,
nämlich die Geige, eine Rolle, sondern die unscheinbarere Schwester, die Bratsche, für die
aber viele Komponisten große Musik geschrieben haben. Auch die Viola hat Menuhin
gespielt ‒ wenn es Sie interessiert: am nächsten Sonntag zur gleichen Zeit auf dieser Welle.
Für heute verabschiedet sich Michael Struck-Schloen.
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