Ökologischer Landbau
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Ökologischer Landbau
Ökologischer Landbau Rückblick 2002: Verstetigung tut Not! von Immo Lünzer und Jürgen Heß Fast zwei Jahre nach Einläuten der Agrarwende stellt sich die Frage: Was hat sich getan? Ist die Umorientierung der Landwirtschaft auf den Weg gebracht? Hat sich der Ökologische Landbau als Leitbild der Nachhaltigen Landwirtschaft, unterstützt durch die neue Agrarpolitik, an die Spitze der Bewegung setzen können oder haben doch bereits wieder die verharrenden, strukturkonservativen Kräfte die Oberhand gewonnen und blockieren die dringend notwendige Weiterentwicklung der Landwirtschaft? Die Glaubwürdigkeitskrise in der konventionellen Landwirtschaft, die dem Ökologischen Landbau 2000 und 2001 unverhofft zu neuer Publizität verhalf, holte im vergangenen Jahr eben diesen selbst ein: Nitrofen, ein Relikt aus grauer Vorzeit der konventionellen Intensivlandwirtschaft, dokumentierte erbarmungslos die Schwachstellen des „kontrolliert biologischen Anbaus“. Entwicklung des Öko-Landbaus in Deutschland Schon vor der Agrarkrise zeichnete sich der Öko-Landbau durch eine rasante Entwicklung aus (1). In Deutschland wurden bis Ende des Jahres 2001 etwa 632.000 Hektar von 14.700 Betrieben nach der EU-Ökoverordnung bewirtschaftet (siehe Tabelle 1). Damit erhöhte sich die ökologisch bewirtschaftete Fläche im Vergleich zum Jahr 2000 um etwa 20 Prozent. Seit dem Wechsel im Agrarministerium (Anfang 2001) und mit Fortbestand der rot/grünen Koalition ist die Stärkung des Ökologischen Landbaus ausdrückliches Ziel der deutschen Agrarpolitik. Mit der von Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast eingeleiteten Agrarwende soll der Öko-Landbau bis zum Jahr 2010 einen Anteil von 20 Prozent erreichen. Bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche müssten im Jahr 2010 dementsprechend 3,4 Millionen Hektar ökologisch bewirtschaftet werden. Einer Modellrechnung entsprechend (2) bräuchte es dazu eines jährlichen Wachstums von 20 Prozent (siehe Abbildung 1). Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Zielgröße in 2002 wieder erreicht werden kann. Die Vorzeichen deuten nach dem Boom in 2001 eher nicht dahin. In den vergangenen sieben Jahren lag der Zuwachs im Schnitt bei 13,4 Prozent. Es bedarf also besonderer 105 3 Der Kritische Agrarbericht 2003 Tabelle 1: Entwicklung der ökologisch bewirtschafteten Fläche und der Ökobetriebe in Deutschland LN (ha) Deutschland Betriebe Deutschland LN (ha) Ökolandbau LN (%) Ökolandbau 1994 17.209.100 578.033 272.139 1,58 1995 17.182.100 555.065 309.487 1,80 1996 17.228.000 539.975 354.171 2,06 1997 17.200.800 525.101 389.693 2,27 1998 17.232.800 514.999 416.518 2,42 1999 17.103.000 428.964 452.279 2,64 2000 17.067.334 421.100 546.023 3,20 2001 17.040.000 408.400 632.165 3,70 2002 *) 787.160 4,63 2003 *) 945.130 5,56 2004 *) 1.134.800 6,68 2005 *) 1.362.530 8,01 2006 *) 1.635.960 9,62 2007 *) 1.964.260 11,55 2008 *) 2.358.440 13,87 2009 *) 2.831.730 16,66 2010 *) 3.400.000 20,00 *) SÖL-Szenario: jährliches Wachstum von 20 Prozent, um im Jahr 2010 einen Ökoflächenanteil von 20 Prozent zu erreichen (Willer et al. 2002, aktualisierter Ausschnitt) Abbildung 1: So könnte die Entwicklung der Ökofläche in Deutschland aussehen (Szenario der SÖL) Stand: jeweils 31.12.; Schätzung der SÖL ab 2002 mit einem jährlichen Wachstum von 20 %. 106 Ökologischer Landbau Anstrengungen, die 20 Prozent-Marke zu erreichen. Auf dem Weg zur Realisierung dieser Vision wird es darauf ankommen, die Qualitätsstandards des Öko-Landbaus sicherzustellen und, wo es notwendig ist, sie auszubauen. Ansonsten hätte man dem Ökologischen Landbau einen Bärendienst erwiesen. Es besteht durchaus die Gefahr – der Nitrofenskandal ist ein Zeichen dafür –, dass ein zu schnelles Wachstum, mit Rückgriff auf „konventionell“ eingefahrene Strukturen und Wege, fatale Folgen haben kann (3). „Klasse in Massen“ ist grundsätzlich noch schwerer zu erreichen als „Klasse statt Masse“. Nitrofen, Chlormequat etc. Mit der raschen Ausweitung einher geht die Gefahr der „Industrialisierung“ des Ökologischen Landbaus. So entstand im vergangenen Jahr bei der Berichterstattung in der Presse eine brisante Gemengelage von Chlormequat- und Nitrofenrückständen in Lebensmitteln und Defiziten in der Öko-Kontrolle. Dass es sich in erster Linie um ein Altlastenproblem der konventionellen Agrar- und Futtermittelwirtschaft handelte, stand dabei eher im Hintergrund. Es hat sehr lange gedauert, bis das Problem auch für den Bereich der konventionellen Landwirtschaft erkannt und diskutiert wurde. Erst gegen Ende der öffentlichen Debatte wurde allgemein von einem Futtermittelskandal gesprochen, dies nicht zuletzt deshalb, weil die Verflechtungen innerhalb Aus dem Nitrofender involvierten Futtermittelfirmen nicht mehr zu leugnen waren. Skandal muss auch Die im Oktober 2002 gegründete Verbraucherschutz-Organisation die Öko-Bewegung „foodwatch“ ist sich sicher, dass die Nitrofenverseuchung in weitaus Lehren ziehen größerem Umfang stattgefunden hat als bisher angenommen und hat deshalb gegen die Raiffeisen Hauptgenossenschaft und die Norddeutsche Saat- und Pflanzengut AG Strafanzeige gestellt sowie eine detaillierte Recherche zur Futtermittel-Sicherheit vorgelegt (4). Danach ist der Nitrofen-Skandal kein Betriebsunfall, sondern hat System: Entstehung und Ausmaß des Skandals sind ein Zeichen struktureller Probleme, sowohl bei den beteiligten Firmen als auch bei den verantwortlichen Behörden. Während zum Beispiel bei den kontaminierten Mengen das Augenmerk bisher vor allem auf rund 1.000 Tonnen Öko-Weizen und -Futtermitteln lag, muss von einer weitaus höheren Gesamtmenge (über 100.000 Tonnen konventionelles Futter) ausgegangen werden. Nitrofen wurde demnach offenbar großflächig in den Nahrungsmittelkreislauf gebracht. Natürlich muss auch die Öko-Bewegung Lehren ziehen: Auf den Höfen, insbesondere aber in der Verarbeitung muss noch konsequenter gearbeitet werden. Die Grenzen für Betriebsmittel und Zukaufswaren muss noch stärker gezogen werden. Der Ruf nach mehr Rückstandskontrollen wird lauter, über die damit verbundenen Kosten, insbesondere über die Frage, wer sie denn tragen soll, mag allerdings keiner so recht nachdenken. Noch wichtiger ist aber eine optimierte Prozesskontrolle, und da ist die Ökoszene auch selbst gefragt: denn vorbeugen ist besser als (zu viel) analysieren. Für die Bio-Bewegung ist es eine wichtige Aufgabe, das Vertrauen der Verbraucher in die bisherige, wenn auch noch zu verbessernde Kontrollpraxis wieder zurückzugewinnen und das Qualitätsmanagement weiterzuentwickeln. Dazu gehört sicher auch ein offensiverer Umgang mit künftig auftretenden Problemen. Letztlich darf jedoch nicht vergessen werden, dass das ursächliche Problem der Pestizideinsatz ist, der deshalb drastisch reduziert werden muss. (Ausführlich zum Nitrofen-Skandal auch der Jahresrückblick „Agrarpolitik“ in diesem Bericht.) Nachfrage nach Lebensmitteln aus Ökologischem Landbau In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien zum Markt für Bioprodukte und insbesondere zu Biokunden durchgeführt. In der im Jahr 2000 von der Zentralen Markt- und 107 Der Kritische Agrarbericht 2003 Preisberichtstelle (ZMP) vorgelegten Studie „Einstellungen und Käuferprofile bei BioLebensmitteln“ wurden 2.700 haushaltsführende Personen im Alter zwischen 18 und 75 Jahren befragt. 22 Prozent der in der Befragung Interviewten gaben an, Lebensmittel aus biologischem Anbau zu kaufen. Biokunden kaufen im Schnitt ein Mal pro Woche und decken damit 13,2 Prozent ihres Gesamtbedarfes an Lebensmitteln. Sie nutzen dazu im Mittel 2,5 Einkaufsstätten. Die bevorzugte Einkaufsstätte bilden der Supermarkt/Verbrauchermarkt, gefolgt vom Wochenmarkt und Nur noch 32 Prozent den Naturkostläden. Eine wichtige Rolle spielt auch die Direktvermarkder Bürger sind bereit, tung ab Erzeuger. Laut ZMP-Studie geben 70 Prozent der Biokäufer an, mehr Geld für BioBioeier zu kaufen. Damit haben Bioeier die höchste Käuferreichweite, Produkte auszugeben ... gefolgt von Gemüse (45 Prozent), Obst (41 Prozent), Kartoffeln (37 Prozent) und Brot (36 Prozent). Etwa jeder vierte Biokäufer greift zu Butter, Milch, Käse und Joghurt. Biofleisch hingegen spielt eine untergeordnete Rolle. Generell zeichnen sich die Biokäufer nach wie vor durch einen unterproportionalen Fleischkonsum aus. Als Hauptmotive werden in einer vergleichbaren Studie 1996 gesundheitliche Gründe und der Wunsch, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, genannt. Nach diversen Attacken und auch Entgleisungen der Agrarwende-Gegner in den Medien (5) und dem aus Sicht des Ökolandbaus unglücklichen Verlauf der Nitrofenkrise sind „nur“ noch 32 Prozent der Bundesbürger bereit, für Öko-Produkte mehr auszugeben. Anfang 2001, auf dem Höhepunkt der BSE-Krise, waren es in der Juni-Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach noch 56 Prozent. Davon, dass Bio-Produkte qualitativ besser seien als konventionelle, waren noch zwölf Prozent überzeugt. Andererseits zeigt sich aber, dass die Stammkunden im Fachhandel ihren Einkaufsstätten und -gewohnheiten weitgehend treu geblieben sind. Viele Naturkostkäufer erkennen den eigentlichen Skandal darin, dass versucht wurde, den Öko-Bauern etwas unterzuschieben, wofür sie nicht verantwortlich zu machen sind. Von den auf... auf dem Höhepunkt geklärten Kunden werden die Verursacher nicht in der Bio-Branche geder BSE-Krise waren sehen. Das Vertrauen der Konsumenten konnte nicht zuletzt deshalb gees noch 56 Prozent halten werden, weil die Mehrzahl der Eier- und Fleischlieferanten unmittelbar zusichern konnten, dass sie von nitrofenbelastetem Futter nicht betroffen sind. Hier zeigt sich der Fachhandel gegenüber den Supermärkten im Vorteil, bei denen eine intensive Kommunikation mit den Kunden in der Regel deutlich erschwert ist. Eine aktuelle Studie ergibt, dass das Vertrauen der Verbraucher in den Öko-Landbau zwar gesunken ist, im gleichen Zeitraum aber auch das Vertrauen in konventionelle Nahrungsmittel abnahm (6). Somit bleibt der Vertrauensvorsprung für Öko-Produkte, der Imageschaden dürfte also reparabel sein. Bundesprogramm Ökologischer Landbau Ein bahnbrechender politischer Schritt für den deutschen Öko-Landbau stellt das Bundesprogramm Ökologischer Landbau dar, das sich seit Anfang 2002 in der Umsetzung befindet. Für das Programm werden in den Jahren 2002 und 2003 jeweils 35 Millionen Euro bereitgestellt (www.bundesprogramm-oekolandbau.de). Mit dem Bundesprogramm werden seit langem bestehende Forderungen der Akteure des Ökologischen Landbaus aufgegriffen. Die Maßnahmen beziehen die gesamte Produktionskette der Öko-Lebensmittel vom Acker bis zum Teller ein. Nahezu alle Bereiche der Ökologischen Landwirtschaft können von den ausgeschriebenen Maßnahmen profitieren. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass es bei der Fortschreibung noch Entwicklungspotentiale gibt. So muss das ursprüngliche Ansinnen, ein breit angelegtes Aktionsprogramm Ökologischer Landbau (wie etwa in Dänemark) zu organisieren, wieder aufgegriffen werden. In der Planung für das derzeit laufende Bundesprogramm musste dieser Ansatz dem Zeitdruck geopfert werden. Nun ist es an der Zeit, unter weitgehendem Einbezug der Akteure die Zeit ab 108 Ökologischer Landbau 2004 – diesmal mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf – vorzubereiten. Das Bundesprogramm stellt dafür eine gute Ausgangsbasis dar. Bereits angelaufen sind unter anderem die Projekte Demonstrationsbetriebe, zentrales Internetportal (www.oeko-landbau.de), themenbezogene Netzwerke sowie Informationsveranstaltungen für diverse Zielgruppen (z. B. etwa 1.000 Informationstermine auf 200 Biohöfen), ebenso ein umfangreiches Forschungsprogramm. Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau befördert die Forschungsbemühungen zum Ökologischen Landbau in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Bis heute wurden 135 (!) Forschungsaufträge vergeben. In Summe steht für 2002 und 2003 ein zweistelliger Millionenbetrag zur Verfügung. Das ist ein sehr beachtlicher Anfang. Problematisch dabei ist allerdings die Fristigkeit. Viele Projekte haben eine Laufzeit von 15 Monaten. Gerade in den Pflanzenbau- und Nutztierwissenschaften lassen sich bei dieser Rahmenvorgabe nur Anfangsimpulse setzen – immerhin. Wie im Bundesprogramm allgemein, so gilt hier im Besonderen: Verstetigung tut Not (7). Offenbar ist sie ja auch beabsichtigt – bleibt die Hoffnung, dass der gute Wille auch durch die Haushaltsverhandlungen der kommenden Jahre trägt. Unterstützung der Vermarktung und Stabilisierung der Preise Die Vermarktung ökologisch erzeugter Produkte wird im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) seit 1990 vom Staat unterstützt. Gefördert werden zum Beispiel Startbeihilfen zu den Gründungsund Organisationskosten, Investitionsbeihilfen für die Erfassung, Lagerung, Sortierung, Be- und Verarbeitung etc. sowie Beihilfen für die Erarbeitung von Vermarktungskonzepten. Neben dieser Vermarktungsförderung führen einige Bundesländer innovative Pilot-, Modell- und Demonstrationsvorhaben im Bereich Verarbeitung und Vermarktung durch. In Sachsen bestehen zum Beispiel auch Fördermöglichkeiten für die Beratung von Verarbeitern (8). Diese Maßnahmen sollten in allen Bundesländern aufgegriffen werden, ebenso wie Investitionen im ländlichen Tourismus und Handwerk. Die im März 2002 gestartete bundesweite Informationskampagne zum Bio-Siegel und zur Ökologischer Landwirtschaft ist eine weitere wichtige Maßnahme zur Förderung und Akzeptanz der Biokost (www.Bio-Siegel.de). Gleichzeitig führten diese staatlichen Maßnahmen aber auch zu einer signifikanten Verschärfung des Wettbewerbs für den traditionellen Naturkostfachhandel, da die Supermärkte verstärkt sehr preisgünstige (= billige) Bio-Produkte im Angebot haben. Wichtig ist daher eine Stabilisierung der Erzeugerpreise, damit eine moderne bäuerliche Landwirtschaft weiterhin möglich bleibt. Dafür ist es entscheidend, dass die konNur durch eine Stabiliventionellen Produktpreise endlich die „ökologische Wahrheit“ sagen. sierung der ErzeugerDenn es kann nicht sein, dass negative Umweltauswirkungen und Folgepreise ist eine moderne kosten (wie sie etwa aus der BSE-Krise entstanden sind) immer wieder von bäuerliche Landwirtden Steuerzahlern aufgefangen werden müssen. Ganz wichtig in dieser schaft möglich Entwicklung ist, dass der Preisdruck auf die Bio-Bauern nicht ebenso zunimmt wie im konventionellen Bereich. So haben die Öko-Milcherzeugerpreise im Jahr 2002 eine rasante Talfahrt erlebt: Während 2001 die reinen Öko-Milchzuschläge das ganze Jahr über vergleichsweise konstant bei durchschnittlich sechs Cent pro Kilogramm lagen, gab es im ersten Halbjahr 2002 aus verschiedenen Gründen einen erheblichen Einbruch auf teilweise vier Cent pro Kilogramm (9). Und dies obwohl der Absatz von Biomilch im ersten Quartal 2002 um 28 Prozent, im zweiten Jahr um 33 Prozent gestiegen ist. Eine gute Idee waren auch die Oktober 2002 in verschiedenen Städten durchgeführten Bio-Erlebnistage, die leider unter anderem aufgrund zu kurzfristiger Planung und geringer Öffentlichkeitsarbeit sehr schlecht besucht waren – außer in Berlin und Nürnberg. 109 Der Kritische Agrarbericht 2003 Förderpreise Öko-Landbau Mit dem Förderpreis Ökologischer Landbau des BMVEL, der auf der Internationalen Grünen Woche Anfang 2002 zum zweiten Mal verliehen wurde, werden ökologisch wirtschaftende Betriebe ausgezeichnet, die beispielhafte Lösungen oder Leistungen in einem oder mehreren Bereichen ihres Betriebes umgesetzt haben. Ausgezeichnet wurden 2002 zwei biologisch-dynamische Pionierbetriebe: der Dottenfelderhof für seine „On-Farm“Züchtungsarbeit und die Bauckhöfe für ihre wegweisenden Arbeiten bei der Integration von Naturschutzaspekten in die Ökologische Landwirtschaft. Ebenfalls ausgezeichnet wurde der Obsthof Schneider bei Frankfurt, der sich für Streuobst und sortenreine Apfelweine engagiert und eine Bio-Apfelschoppen-Wirtschaft betreibt. (Die Preisträger des BMVEL-Förderpreises Ökologischer Landbau sind im Internet dokumentiert unter: www.katalyse.de/foerderpreis.) Ende August hat Renate Künast erstmals die Auszeichnung „Goldener Dreschflegel“ für die gelungensten Karikaturen zur Agrarwende an Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau) und Wolf-Rüdiger Marunde überreicht (10). Außerdem bedeutsam war der Euronatur-Umweltpreis 2002 an Prinz Charles für seinen langjährigen Einsatz für den Ökologischen Landbau. Öko-Zucht statt Gentechnik Auf Initiative von Renate Künast wurde 2002 der „Diskurs Grüne Gentechnik“ in relativ kurzer Zeit durchgeführt (11). Dieser stand im Spannungsfeld drängender Wirtschafts- und Forschungsinteressen auf der einen Seite und den Erfordernissen einer zukunftsweisenden Agrarreform (nach diversen Lebensmittelskandalen) auf der anderen Seite. Auch Vertreter des Öko-Landbaus waren an dem Diskurs beteiligt und betonten bei der Abschlussveranstaltung am 2. September 2002 in Berlin: Ökologischer Landbau zeigt eindrücklich, dass eine Versorgung der Menschen mit hochwertigen und naturverträglich erzeugten Lebensmitteln ohne Grüne Gentechnik in Europa und in allen anderen Ländern dieser Erde möglich ist. Der Einsatz der GenBei den Gentechnikfoltechnik gefährdet dieses Potential – nicht zuletzt auch durch den mit der gen muss konsequent Gentechnik einhergehenden Anspruch von Industrieunternehmen, durch das Verursacherprinzip Patente Besitzrechte an Pflanzen und Tieren zu erwerben. Dies widerangewendet werden spricht diametral dem Leitbild einer bäuerlich geprägten, ökologischen Landwirtschaft. Eine besondere Bedrohung für den Öko-Landbau, der keine Gentechnik einsetzen darf, ist ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission, nach dem künftig jegliches Saatgut zwischen 0,3 und 0,5 Prozent gentechnisch veränderte Sortenanteile (GVO) enthalten darf, ohne dass dies gekennzeichnet werden muss. Deshalb wurde am 14. Oktober 2002 den EU-Kommissaren Franz Fischler und David Byrne eine Petition für die Reinhaltung von Saatgut (von über 300 Organisationen) übergeben (12). Darüber hinaus ist zu fordern, dass das BMVEL, das Gesundheits- und das Umweltministerium rechtzeitig die potentiellen Gefahren der Gentechnik abwehren, damit nicht wieder die gleichen Gefahren eintreten wie bei der Atomenergie. Dazu muss ein umfassendes Konzept zur Sicherung einer ökologischen Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln ohne Gentechnik erarbeitet werden. Dabei ist konsequent das Verursacherprinzip anzuwenden, damit nicht die Öko-Landwirtschaft, sondern die Inverkehrbringer von gentechnisch veränderten Organismen die Kosten von Schutzmassnahmen oder für Analysen tragen. Bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen müssen höchste Sicherheits- und Prüfstandards gelten. Neben diesen Schutzmaßnahmen ist es notwendig, die in den vergangenen Jahrzehnten praxiserprobten modernen Methoden einer ökologischen Pflanzen- und Tierzucht weiterzuentwickeln (13). 110 Ökologischer Landbau Rechtliche Regelungen Mit dem Öko-Landbau-Gesetz wurden 2002 bestimmte Vollzugsaufgaben gebündelt und die Effizienz der Durchführung der EU-Öko-Verordnung verbessert. Es enthält folgende Maßnahmen: 1. Ausweitung der Meldepflichten 2. Bündelung von Vollzugsaufgaben bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 3. Einführung von Straf- und Bußgeldvorschriften Darüber hinaus bedarf das landwirtschaftliche Fachrecht einer verbesserten Kontrolle und einer Verschärfung mit dem Ziel, den Eintrag von Agrochemikalien in Ökosysteme zu verringern. Insbesondere die Düngeverordnung bedarf einer gründlichen Reform. Den Landwirten, die das Fachrecht nicht befolgen, sind die Subventionen zu streichen. Ebenso ist die politische Vertretung und Lobbyarbeit im Rahmen der EU-Öko-Verordnung zu verbessern. Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft – die neue Interessensvertretung Nachdem im letzten Jahr über das Auseinanderbrechen der AGÖL berichtet wurde, können wir für diesen Rückblick mitteilen, dass am 26. Juni 2002 in Berlin Vertreter der ÖkoLandbauverbände, der ökologischen Lebensmittelverarbeitung und des Handels den „Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ (BÖLW) gegründet haben (www.BOELW.de). Damit ist es erstmals in der Lebensmittelwirtschaft gelungen, die gesamte Wertschöpfungskette vom Acker bis zum Ladentisch in einer Organisation abzubilden (14). Im Mittelpunkt der BÖLW-Tätigkeiten stehen neben der Gestaltung politischer Rahmenbedingungen folgenden Themengebiete: • Weiterentwicklung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, • Grüne Gentechnik und Maßnahmen zur Vermeidung der Kontamination von Bioprodukten mit gentechnisch veränderten Organismen, • Lebensmittelgesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene, • Weiterentwicklung der EU-Öko-Verordnung und Reform der EU-Agrarpolitik, • Mittelstandsförderung für die Öko-Lebensmittelwirtschaft. Gründungsmitglieder des BÖLW sind die Anbauverbände Bioland, Demeter, Gäa, Naturland, Biopark, Biokreis und Ökosiegel, für Lebensmittelverarbeitung und Handel der Bundesverband Naturkost Naturwaren Herstellung und Handel (BNN), der Bundesfachverband Deutscher Reformhäuser (refo), die Association Oekologischer Lebensmittelhersteller (AOEL) sowie die Unternehmen Alnatura und Frosta AG, welche die Vorbereitungsarbeiten zur Gründung mit getragen haben. Schlussfolgerung Mit der Anfang 2001 eingeleiteten Agrarwende sind viele der agrarpolitischen Vorstellungen und Forderungen des Ökologischen Landbaus ihrer praktischen Realisierung näher gekommen. Mit den erhöhten Flächenprämien, den verbesserten Investitionsbeihilfen, dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau und der verstärkten Öffentlichkeitsarbeit dürfte sich der Anteil der Biobetriebe weiter erhöhen, ebenso das Bewusstsein für hohe Lebensmittelqualität und damit auch die Nachfrage nach Bioprodukten. Die geplanten oder bereits realisierten Maßnahmen werden jedoch nicht ausreichend sein, denn sie haben teilweise nur punktuellen oder Projektcharakter und sind zeitlich 111 Der Kritische Agrarbericht 2003 begrenzt. Es bedarf daher einer langfristigen Strategie zur Entwicklung des Öko-Landbaus in Deutschland in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn. Eine solche Strategie muss gemeinsam mit den Akteuren des Ökologischen Landbaus entwickelt werden. Sie sollte Überlegungen zur Änderung des Förderinstrumentariums im Rahmen der GAK zur dauerhaften und kontinuierlichen Erhöhung des Bioanteils sowie die Umwidmung von Forschungsgeldern zugunsten des Öko-Landbaus einschließen. Der Ökologische Landbau hat nach wie vor einen enormen Nachholbedarf in Sachen Forschung. Es bedarf einer langDie europäische Agrarpolitik bedarf dringend einer weiteren und nachhalfristigen Strategie tigen Veränderung. Wichtig ist, insbesondere im Hinblick auf die Agrarzur Entwicklung reform „Agenda 2007“, dass man bereit ist, aus den Fehlern der Vergandes Öko-Landbaus genheit zu lernen. So wurden zum Beispiel weitreichende, zum Teil sehr progressive Vorschläge der Euro-päischen Kommission durch die Staatsund Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten verwässert. Alle, die sich die Fortführung der Agrar- und Ernährungswende zum Ziel gesetzt haben, sind aufgerufen, auf Bundesund Länderebene und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission die Weiterentwicklung der agrarpolitischen Rahmenbedingungen entschieden voranzutreiben (15). Anmerkungen (1) Vgl. hierzu: Wolfgang Schaumann, Immo Lünzer und Georg Siebeneicher: Geschichte des ökologischen Landbaus. SÖL-Sonderausgabe Nr. 65, Bad Dürkheim, 2002. (2) Helga Willer, Immo Lünzer und Manon Haccius: Ökolandbau in Deutschland. SÖL-Sonderausgabe Nr. 80, Bad Dürkheim, 2002. (3) Vgl. hierzu auch Beitrag von Dietmar Groß und Gerd Coldewey in diesem Kapitel. (4) Nähere Informationen zu foodwatch im Internet unter: www.foodwatch.de. Siehe auch das Interview im Jahresrückblick des Kapitels „Verbraucher und Ernährungskultur“. (5) Vgl. hierzu den Beitrag von Nikolai Fuchs in diesem Kapitel. (6) Stephan Götze: Nitrofen – Spuren am Markt (Ökomarkt-Forum vom 1.11. 2002). (7) Zu dieser Verstetigung auf internationaler Ebene gehört auch die Einrichtung einer entsprechenden Koordinationsstelle für Forschung im Öko-Landbau. (8) Vgl. Hiltrud Nieberg und Renate Strohm-Lömpcke: Förderung des ökologischen Landbaus in Deutschland: Entwicklung und Zukunftsaussichten. In: Agrarwirtschaft 50 (2001), S. 410 – 420. (9) Ökomarkt-Forum vom 1. November 2002. (10) Dokumentiert in: Aktionsbündnis Ökolandbau: MeinungsBilder zur Agrarpolitik in Wort & Cartoon. Schwerin 2002. (11) Vgl. hierzu den Kommentar zum Diskurs von Heike Moldenhauer im Kapitel „Gentechnik“. (12) Vgl. hierzu im Internet: www.saveourseeds.org sowie die Dokumentation des Memorandums im Beitrag von Benedikt Haerlin im Kapitel „Gentechnik“. (13) Vgl. hierzu die Ausführungen zur Saatgut-Frage von Oliver Willing im vorliegenden Kapitel sowie den Beitrag zur ökologischen Tierzucht im Kapitel „Tierschutz und Tierhaltung“. (14) Vgl. den nachfolgenden Beitrag von Thomas Dosch in diesem Kapitel. (15) Anonym: Revision: Die Agrarwende – Kurswechsel an der Kasse. Nest-Verlag, Frankfurt 2002. Autoren Immo Lünzer, Geschäftsführer des Forschungsrings für BiologischDynamische Wirtschaftsweise und Vorstandsmitglied im AgrarBündnis. Brandschneise 1, 64295 Darmstadt E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Jürgen Heß, Leiter des Fachgebietes Ökologische Land- und Pflanzenbausysteme an der Universität Kassel. Nordbahnhofstr. 1a, 37213 Witzenhausen E-Mail: [email protected] 112