Sonderheft zur Vereinsgeschichte - ETV

Transcrição

Sonderheft zur Vereinsgeschichte - ETV
November 2010
ETVMAGAZIN
S O N D E R H E F T
Sich der Geschichte stellen –
der ETV vom Kaiserreich bis zur Nazi-Zeit
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VORWORT
Steine des Anstoßes
Lange waren sie vergessen, überwuchert und kaum weiter wahrgenommen. Die
steinernen »Turnerhakenkreuze« an der Außenfassade der Großen Halle des ETVSportzentrums an der Bundesstraße stehen symbolisch für den Umgang mit der
eigenen Geschichte: Über die Zeit des Nationalsozialismus und seine Vorgeschichte
schien im wahrsten Sinne Efeu gewachsen zu sein. Alle Erinnerungsdebatten der
80er und 90er Jahre waren am ETV spurlos vorüber gegangen. So verwundert es
nicht, dass der Anstoß zur Auseinandersetzung letztlich von außen kam. In dem
Maße, wie sich der ETV in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um einen
Krankenhausneubau positionierte, geriet auch zunehmend seine Vergangenheit
in den Blick der kritischen Öffentlichkeit. Zunächst war es die fortdauernde Benennung der Großen Halle im ETV-Sportzentrum Bundesstraße nach Robert Finn, die
sich bei näherem Hinsehen als nicht mehr haltbar erwies. Die Fakten, die in diesem
Zusammenhang über den langjährigen Vorsitzenden der Nachkriegszeit bekannt
wurden, rückten zunehmend auch die Geschichte des Gesamtvereins in den Fokus.
Bald wurde klar, dass es mit der einfachen Namensänderung einer Sporthalle nicht
getan war – genau so wenig wie mit einem baulichen Tilgen der historischen Symbole, wie es von einigen gefordert wurde. Dies wäre einem »Weißwaschen« gleichgekommen, das nur neuer Bequemlichkeit im Umgang mit der eigenen Vergangenheit Vorschub geleistet hätte.
Um dieser nach wie vor schwierigen und teilweise schmerzhaften Thematik adäquat zu begegnen, bedurfte es einer umfassenden Recherche der historischen
Fakten und einer differenzierten wie unsentimentalen Darstellung der Geschichte
des Eimsbütteler Turnverbandes.
Der ETV beauftragte deshalb den unabhängigen Historiker Sven Fritz, eine Geschichte
der Entwicklung des Vereins und der ihn prägenden politischen Mentalitäten zu erarbeiten und darin auch die Symbolik an der Außenfassade in ihren zeithistorischen
Kontext einzuordnen. Bei seinen Recherchen fand Fritz eine derartige Menge an
Fakten, dass aus dem Gutachten eine umfassende politische Geschichte des ETV von
seiner Gründung bis in die Nachkriegszeit geworden ist. Herausgekommen ist am
Ende eine schonungslose Konfrontation mit der eigenen Geschichte. Daraus ist ein
Buch entstanden mit dem Titel »… dass der alte Geist im ETV noch lebt«, welches
im Buchhandel oder beim ETV erhältlich ist.
Neben Sven Fritz haben weitere Experten an dieser Aufarbeitung der Vereinsgeschichte mitgewirkt, denen ich hiermit für die konstruktive und kollegiale Zusammenarbeit herzlich danken möchte: Jürgen Bischoff für die Recherchen zur Genese
und Bedeutung der Turnerkreuze, Jürgen Sielemann für seine umfangreichen Recherchen zum Schicksal ehemaliger jüdischer ETV-Mitglieder und Hannes Heer für
die wissenschaftliche Begleitung der Recherche und seine Gesamtkoordination des
Erinnerungsprojekts.
Am 8. Oktober 2010 hat der ETV die Ergebnisse der Recherchen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt. Dieses Sonderheft des ETV-Magazins
enthält die bearbeiteten Vorträge der vier Referenten. Sie bilden eine Zusammenfassung aller Aspekte zur Geschichte des ETV zwischen 1889 und 1945, die untersucht wurden.
Mit dem Buch und dem vorliegenden Sonderheft des ETV-Magazins macht der
ETV seine politische Geschichte öffentlich. Mit einem Denkmal für die ehemaligen
jüdischen Mitglieder des Vereins, mit zwei Erklärungstafeln zu historischen Fakten
der Vereinsgeschichte und mit einem Mahnmal als Kommentierung des Kriegerdenkmals von 1919 wollen wir dokumentieren, dass sich der ETV seiner Verantwortung bewusst ist. Für die Gestaltung der Denkmäler und Tafeln zeichnet Peter
Schmidt verantwortlich, dem hiermit ebenfalls herzlich gedankt sei. Seine Entwürfe
wurden von der Bildhauerin Alexandra Böhm als Erinnerungsstelen aus hellem und
dunklem Granit umgesetzt.
So stellt sich der ETV – wenn auch spät – seiner historischen und moralischen Verantwortung. Das ist für das Selbstverständnis eines modernen, zukunftsfähigen
Vereins wie dem ETV alternativlos. Unsere heutige demokratische und pluralistische
Grundhaltung zeigt sich auch in einem unverklärten Blick auf die Vergangenheit.
Ich möchte den Referenten sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr
herzlich danken für ihr großes Engagement bei diesem schwierigen Projekt. Es ist
uns gemeinsam gelungen, die Grundlagen für eine geschichtsbewusste Zukunft
des Vereins zu schaffen.
Frank Fechner
1. Vorsitzender Eimsbütteler Turnverband e.V.
Inhalt
Jürgen Bischoff
5 Das Kreuz mit den Kreuzen Woher kommen die Hakenkreuze an der Fassade
der ETV-Halle in der Bundesstraße?
Sven Fritz
9 »… daß der alte Geist im ETV noch lebt.«
Der Eimsbütteler Turnverband von der Gründung bis in die Nachkriegszeit
Jürgen Sielemann
16 Nachforschungen über die Verfolgung jüdischer ETV-Mitglieder in der
NS-Zeit Opferliste
Hannes Heer
21 Sich der Vergangenheit stellen:
Die deutsche Turnbewegung als »Einfallstor« des Nationalsozialismus
Die Autoren
27 … in Kürze
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SICH DER GESCHICHTE STELLEN
Der ETV vom Kaiserreich
bis zur Nazi-Zeit
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frau.L. / photocase.com
Jürgen Bischoff
Das Kreuz mit den Kreuzen
Woher kommen die Hakenkreuze an der Fassade der ETV-Halle in der Bundesstraße?
Als vor Jahresfrist die Bitte an mich herangetragen
wurde, für den ETV eine Tafel zu entwerfen, welche die
vier Symbole an der rechten Hallenseite für die Öffentlichkeit erklärt und historisch einordnet, war ich anfangs
geneigt, den Auftrag abzulehnen. Das Thema erschien
mir zu sehr als ein Minenfeld: Welchen Schritt auch
immer man tut, es würde der falsche sein.
So hatte die Hamburger Morgenpost an der ETV-Turnhalle
»versteckte Hakenkreuze« geortet. Demonstranten, darunter die Musikerin und Antifaschistin Esther Bejerano,
hatten demonstrativ deren Entfernung gefordert, und
der Historiker und Journalist Günther Jacob hatte – vor
dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den
Krankenhausbau auf einem Teil des ETV-Geländes –
fast 200 Internet-Seiten mit den höchst aufschlussreichen Ergebnissen seiner aufwändigen Recherchen
zu dem Thema gefüllt.
Andererseits gab es da die abwiegelnden Stellungnahmen des ETV, der an seiner Hallenwand über Jahrzehnte nicht einmal Haken-, sondern nur harmlose
Turnerkreuze zu erkennen vermochte.
Außerdem gehöre ich zu jenen, die den Kern ihrer
politischen Identität aus der aktiven Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und insbesondere
dem Nationalsozialismus entwickelt haben – und die
deswegen das wieder modern gewordene Herzeigen
und Verharmlosen von Nazisymbolen ganz und gar
unerträglich finden.
Ich habe den Auftrag trotzdem angenommen. Und
maßgebend dafür waren vor allem drei Gründe.
Erstens hatte ich nach einem ausführlichen Gespräch
mit dem ETV-Vorsitzenden Frank Fechner den Eindruck
gewonnen, dass hier ein Verein ist, der es ernst meint
mit der Aufarbeitung seiner Geschichte. Dass hier kein
Valium zur Beruhigung einer aufgebrachten Öffentlichkeit verabreicht werden soll, sondern dass ein
ernsthaftes Bestreben da ist, sich – wenn auch mit
sehr großer Verspätung – den unangenehmen Teilen
der Vereinshistorie zu stellen.
Zweitens konnte für die Orchestrierung des Vorhabens
der Historiker Hannes Heer gewonnen werden, der
seinerzeit die Ausstellungen über die Beteiligung der
Deutschen Wehrmacht am Holocaust und über die im
Nazi-Terror verstummten Stimmen des Hamburger
Kulturlebens konzipiert hatte.
Und drittens hatte die öffentlich und im Internet ausgetragene Auseinandersetzung um die Symbole an der
Vereinshalle schlicht meine Neugierde geweckt:
Denn was sind diese Zeichen nun wirklich? Sind sie
Hakenkreuze? Sind sie Nazisymbole? Oder nur harmlose Turnerkreuze? Wann und warum wurden sie in
dieser Wand verbaut? Und wer hatte dazu den Auftrag erteilt?
An der Wand des ETV-Gebäudes, wo sich früher ein Zugang zur Halle befand, sind diese vier verschiedenen
Symbole zu sehen: Zwei jeweils in Form eines Hakenkreuzes gemauerte, sogenannte Turnerkreuze, einmal
links- und einmal rechtsdrehend; eine sogenannte
Bockwindmühle; das Malteserkreuz.
angebracht, dass sie rechts und links den früher dort
befindlichen Seiteneingang flankierten. Ferner gibt es
auch in der Bauausführung oder vom verwendeten
Material her gar keinen Hinweis darauf, dass es sich um
nachträglichen Zierrat handeln könnte. Und schließlich
existiert eine alte Postkarte mit einem Foto der Halle,
das sehr bald nach ihrer Fertigstellung aufgenommen
worden sein muss, denn das Gebäude steht noch auf
unbepflanztem Brachland. Und unter Verwendung einer
guten Lupe ist darauf mit einiger Mühe die Windmühle
zu erkennen.
Zunächst einmal ist natürlich die Frage zu klären, zu
welchem Zeitpunkt diese Symbole dort vermauert
wurden. Das ist notwendig, um daraus auf die möglichen Intentionen der Bauherren rückschließen zu
können. Oder anders: Wären die Embleme beispielsweise erst 1934 dort angesetzt worden, müssten wir
uns der Frage nach dem Nazisymbol gar nicht mehr
lange widmen.
Im Archiv des ETV allerdings fand sich dazu – gar
nichts. Weder in der Bauausschreibung, die erhalten
geblieben ist, noch in der Abschlussrechnung gibt es
irgendeinen Hinweis über vermauerte Symbole. Allerdings: Auch in späteren Jahrzehnten nicht. Dabei wäre
doch zumindest zu erwarten gewesen, hätte der Vorstand die Symbole später hinzufügen lassen, dass
darauf in der Vereinszeitschrift oder in einer der zahlreichen Festschriften in irgendeiner Weise Bezug genommen worden wäre. Wurde aber nicht.
Andererseits gibt es Indizien: Die Symbole sind so
Aus all dem kann man schließen: Die Symbole wurden
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits beim Bau
der ETV-Halle in den Jahren 1909 oder 1910 dort angebracht. Und sie galten beim damaligen Vorstand
und den Vereinsmitgliedern als so selbstverständlich,
dass sich jeder Hinweis darauf oder gar eine interpretierende Rechtfertigung erübrigten.
Der Hallenbau aber war vor allem die Herzensangelegenheit des damaligen ETV-Vorsitzenden Julius Sparbier.
Er war Gründungsmitglied des ETV, hatte die Kontakte
zu Wirtschaft und Politik – und er hatte die nötige
Energie, um zu jener Zeit ein solches Projekt auf den
Weg zu bringen.
Sparbier war belesen, wortgewandt, intellektuell. Und
er hatte eine Mission: Das Turnen war für Sparbier nur
zum kleineren Teil Vergnügen – es war ihm vor allem
Politik, Mittel zum vaterländischen Zweck. Denn Julius
Sparbier war bis auf die Knochen reaktionär, er war
deutschnational und vaterländisch eingestellt. Die
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DAS KREUZ MIT DEN KREUZEN
von ihm verfasste Denkschrift zur Grundsteinlegung
der Turnhalle am 10. Juli 1909 fasst seine Haltung mit
wenigen Sätzen zusammen:
»Hier soll eine Stätte der Gesundung für unsere deutsche
Jugend in Hamburg entstehen; hier soll sein ein Hort
vaterländischen Sinnes und deutscher Kraft. Mögen
unsere Nachkommen unser Werk fortsetzen, damit
hier eine Stätte geschaffen werde, von der ein reicher
Strom vaterländischen Denkens und Fühlens, (…)
aufopfernder, einmütiger Tätigkeit zum Wohle des
Ganzen, sich fort und fort ergieße in alle Stände, alle
Herzen, alle Gedanken!«
Das Turnen galt dem Vorsitzenden Sparbier als das adäquate Mittel, junge Männer im vaterländischen Geiste
zu erziehen und sie wehrtüchtig zu machen.
Was daraus klar wird: Der ETV war zur Zeit seiner Gründung keinesfalls ein unpolitischer Spiel- und Spaßverein.
Stattdessen herrschten zumindest in der Führung vaterländisches Gedankengut und Deutschtümelei.
Genau in diesen Kontext gehören auch die Symbole,
die der Vorstand damals in der Hallenwand verbauen
ließ. Es gibt zu diesen im Archiv des Eimsbüttler Turnverbandes keinerlei schriftliche Unterlagen, keine Interpretation, nichts. Bei der Deutung der Darstellungen
und der Intentionen der Bauherren sind wir also auf
Indizien angewiesen. Sicher ist: Diese Embleme sollten
öffentliche Embleme sein, sollten einen Wiedererkennungswert haben, eine Botschaft vermitteln. Sie sind
kein geheimnisvoller Zierrat. Ich halte es bei der Interpretation deshalb mit dem Naheliegendsten. Und am
nächsten liegt immer das, was man sieht.
Da ist zum einen eine Windmühle, eine sogenannte Bockwindmühle. Zwar wurde dieser Typ im 12. Jahrhundert
in Frankreich erfunden, firmiert aber, weil sie später
vor allem in Norddeutschland verbreitet war, auch
unter der Bezeichnung »Deutsche Windmühle«. Die
»Deutsche Windmühle« taucht in der Turnerschaft des
19. Jahrhunderts immer mal wieder als Symbol auf: als
Synonym für Bewegung. Die »Windmühle« war schon
damals in der Gymnastik und bei den Turnern eine
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beliebte Übung. Es ist deshalb anzunehmen, dass auch
das Symbol an der ETV-Halle als Bewegungs-Symbol
gedeutet werden muss – zumal die Mühlenflügel in
ihrer Kreuzform mit den anderen Emblemen optisch
korrespondieren. So mögen wohl auch ästhetische
Aspekte bei der Auswahl eine Rolle gespielt haben.
Interessanter wird es beim zweiten Symbol: dem Malteserkreuz. In dieser Darstellung mit den verdickten
Enden wird es auch als »Tatzenkreuz« bezeichnet. Das
Malteserkreuz ist ein Zeichen, das die bürgerliche
Turnbewegung des 19. Jahrhunderts von Anfang an
begleitet. Ich sage extra: bürgerliche Turnbewegung.
Denn es gab auch eine andere. Im Anschluss an die
gescheiterte deutsche Revolution von 1848, an der sich
viele, oft studentische Turnvereine höchst aktiv beteiligt
hatten, kam es vielerorts zu Spaltungen der Turnbewegung: Konservative Kräfte verließen die demokratisch
gesinnten Turner und gründeten Konkurrenz-Clubs.
Diese gaben sich nach außen unpolitisch, versuchten
aber tatsächlich, sich mit der Obrigkeit, welche die
studentischen Turner zunehmend drangsalierte, zu
arrangieren.
Und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf
Friedrich Ludwig Jahn, der mit seinem 1810 erschienenen Buch »Das Deutsche Volksthum« die öffentliche,
deutsche Turnbewegung begründet hatte. Für Jahn
war Turnen keine bloße Leibesübung, es war Erziehung
zu nationalem Bewusstsein und Wehrtüchtigkeit – um
»das welsche Joch abzuschütteln«, also im Kampf gegen Frankreich bestehen zu können, das damals Teile
des späteren Deutschen Reiches besetzt hielt.
Die Franzosen galten Jahn als »Mischlingsbrut von ausverrömerten Galliern, Römlingen und vielen deutschen
Stämmen«. Vor allem aber verhinderten sie seiner Ansicht nach die Überwindung der deutschen Kleinstaaterei – und damit »Deutschlands Größe auf dem Erdenrund«. »Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden«,
schrieb Jahn, »sind Deutschlands Unglück.«
Viel Feind, viel Ehr. Zumindest Franzosen, Pfaffen und
Junker nahmen ihm das übel. Aber seine Turner bewährten sich 1813 im Lützower Freikorps, im Kampf
gegen Napoleon, und Jahn selbst befehligte sie als
Oberleutnant – was ihm die Anwartschaft auf das von
der Preußischen Regierung seinerzeit neu gestiftete
Eiserne Kreuz verschaffte. Verliehen wurde es ihm allerdings erst 1840, nachdem er zuvor wegen seines Eintretens für die deutsche Einigung fünf Jahre Festungshaft verbüßt hatte.
Das Kreuz als Turnerzeichen wird deshalb von vielen
Historikern als Zitat des an Jahn verliehenen Ordens
verstanden: als Siegeszeichen der patriotischen Turnbewegung über die feudalistische Kleinstaaterei.
Gut möglich also, dass die reichstreuen Granden des
damaligen ETV mit den beiden Malteserkreuzen an der
Hallenwand genau daran erinnern wollten.
Allerdings irritiert die spezielle Ausfertigung des
Symbols: Es zeigt eben nicht das Eiserne Kreuz, sondern
das Tatzenkreuz. Dieses aber war seit dem Mittelalter
das Hoheitszeichen des Deutschen Ordens.
Die Deutschritter hatten sich an vorderster Front an
den Kreuzzügen nach Palästina beteiligt – also am
Kampf gegen Juden und Islam – und sie hatten im 13.
Jahrhundert im heutigen Baltikum durch Vertreibung
der dort ansässigen Prußen einen gewaltigen Ordensstaat begründet. Städte wie Elbing oder Königsberg
waren Gründungen des Deutschen Ritterordens.
Da nimmt es nicht Wunder, dass dessen Symbolik bei
den völkischen und antisemitischen Organisationen,
die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (und
vor allem nach der deutschen Reichsgründung 1871)
immer mehr Nährboden fanden, gern genommen
wurde.
Gut möglich also auch, dass die Völkischen im ETV zu
Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Auswahl der
Embleme auf genau diesen Hintergrund verweisen
wollten. Denn die bürgerlichen Viertel in Eimsbüttel
waren zu jener Zeit Hochburgen des Antisemitismus
JÜRGEN BISCHOFF
in Hamburg, und es ist davon auszugehen, dass diese
Tendenzen ihre Widerspiegelung auch unter Mitgliedern und Funktionären des ETV fanden.
Und schließlich, Möglichkeit Nummer drei: Im Jahr
1910, als die Halle eröffnet wurde, war das Malteserkreuz Bestandteil der kaiserliche Marineflagge. Es
kann also auch sein, dass der damalige ETV-Vorstand
mit diesen Symbolen an der Hallenmauer die besondere Verbundenheit der Turnerschaft mit Kaiser und
Vaterland betonen wollte.
zurückführen. Ein unstrittiger Beleg für dessen Urheberschaft ließ sich jedoch nicht finden.
Die Zeit, über die wir hier reden, war eine Zeit der großen Debatten, der Umbrüche und gesellschaftlichen
Veränderungen. Über jedes Detail, über alles Neue
wurde leidenschaftlich gestritten. Auch in der Turnerbewegung. Und so schlug im Jahr 1846 der Darmstädter
Kupferstecher Heinrich Felsing als »Zeichen für Turnfahnen« ebenfalls ein Kreuz aus den vier F vor. Aber:
»Ich ordne die vier F so zusammen, dass dadurch die
Form des Deutschen Kreuzes gebildet wird. Das Kreuz
ist ein Christen-Zeichen, ein allgemeines; es ist aber
auch das spezielle deutsche Zeichen.« Dieses FelsingKreuz, bei dem die vier Buchstaben mit den Kopfstrichen aneinander lagen, setzte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte als offizielles Zeichen der Deutschen
Turnerschaft durch. Übrigens gegen den ausdrücklichen
Widerstand vieler demokratisch gesinnter Turner – vor
allem aber gegen den Widerstand jener Turner, die
jüdischen Glaubens waren: Ihnen erschien der ausdrückliche Bezug auf das »Christen-Zeichen« als nicht
hinnehmbare Ausgrenzung.
Quelle: www.kaiserliche-marine.de
Wahrscheinlich also wurde das Malterserkreuz-Symbol
gewählt, weil es von allem etwas repräsentiert: ein
bisschen Jahn-Kult, ein bisschen Kaiser-Kult, ein bisschen antisemitische Deutschtümelei.
Besonders den letzten Verdacht stützen auch die Embleme Nummer drei und vier an der Wand, die spiegelbildlichen Turnerhakenkreuze.
Niemand bestreitet, dass die Turnerhakenkreuze eine
Kombination sind: eine grafische Verbindung der vier
Anfangsbuchstaben jener Parole, die Friedrich Ludwig
Jahn zum Wahlspruch der Turnerbewegung gemacht
hatte: »Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm.« Jahn hatte den
Spruch aus dem Althochdeutschen übernommen, in
dem »fromm« noch eine andere Bedeutung hatte als
heute: »wehrhaft«. Die Reihenfolge »Frisch, Fromm,
Fröhlich, Frei«, wie wir sie heute kennen, setzte sich erst
Doch neben dem Felsing-Kreuz taucht in jenen Jahren
später durch – gegen Jahns ausdrücklichen Willen:
auch die hakenkreuzförmige Anordnung der vier F
Wehrhaft zu sein, galt ihm als die Quintessenz der an- immer öfter in Emblemen und auf Vereinsfahnen auf:
deren drei Eigenschaften.
Der »Männer Turnverein in Cassel« verwendete das
Die Idee, die vier Anfangsbuchstaben mit der Basis ge- Turnerhakenkreuz vermutlich seit Anfang 1850. Dieser
geneinander zu setzen und daraus ein Kreuz zu bilden, Verein, den es heute nicht mehr gibt, hatte sich im
liegt nahe. Es gibt ein paar schriftliche Quellen, die
Herbst 1849 von der Casseler Turngemeinde losgesagt
diese Darstellung des Turnerkreuzes direkt auf Jahn – aus politischen Gründen: Denn jene hatte sich an
der 48er-Revolution beteiligt und war auch danach noch
demokratisch aktiv, was den Männerturnern nicht
passte. Mehr aber ist vom Männerturnverein nicht
überliefert.
Auch der »Alte Breslauer Turnverein« von 1859 führte
die vier F als Turner-Hakenkreuz im Wappen. 1863 zierte
es dann die Festkarte zum dritten Deutschen Turnfest
in Leipzig – überwölbt von einer großen Fahne in den
republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold.
Quelle: Jahn-Museum
Beim fünften Deutschen Turnfest in Frankfurt überreichte der Oberbürgermeister der Deutschen Turnerschaft eine aufwändig gestaltete Fahne, »gewidmet
von Frauen und Jungfrauen der Stadt Frankfurt«, in der
die vier F hakenkreuzförmig in einem Malteserkreuz
angeordnet sind, hinterlegt mit Schwert und Fackel,
Symbolen der demokratischen Turnvereine.
Quelle: Jahn-Museum
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DAS KREUZ MIT DEN KREUZEN
Und beim Breslauer Turnfest 1894 (den ETV gab es da
noch nicht) zogen Turner aus Hamburg, darunter auch
vier des Eimsbüttler Männerturnvereins, hinter einem
Motivwagen her, der als Hanse-Kogge gestaltet war:
Am Mast wehte das Hamburger Stadtwappen, am
Heck das Turner-Hakenkreuz auf einer Fahne mit den
Farben des nunmehr geeinten Deutschen Kaiserreichs –
Schwarz-Weiß-Rot.
Der Festzug in seinen Festwagen und Kostümgruppen, Breslau 1894
Mitglied des Männerturnvereins und schon damals
sehr angesehen war Julius Sparbier. Es wäre interessant
zu wissen, ob er in Breslau dabei war, denn zu jenem
Zeitpunkt war das hakenkreuzförmiger Turnerzeichen
schon ideologisch besetzt, belastet mit völkisch-antisemitischem Gift.
1887 hatte der »Erste Wiener Turnverein« in Österreich
auf Antrag von Oberturnwart Franz Kießling in seiner
Satzung bestimmt, dass »nur Deutsche arischer Abkunft Vereinsangehörige sein können.« Der Beschluss
richtete sich vor allem gegen die jüdischen Mitglieder:
480 Juden und 20 weitere »Nichtdeutsche« mussten
den Verein verlassen. Es war der Beginn der »Arisierung«
in Deutschlands Turnvereinen, die dann schnell auch
weitere Anhänger findet.
1888 übernimmt der gesamte Gau Niederösterreich
den »Arierparagraphen« – und wird daraufhin von der
Deutschen Turnerschaft ausgeschlossen. Als Reaktion
vereinigt er sich mit den »judenreinen« Vereinen Nordböhmens zum »Deutschen Turnerbund« (der mit dem
heutigen DTB allerdings auch historisch nichts zu tun
hatte). Als Bundesabzeichen wählen sich die antisemitischen Turner das Turnerhakenkreuz, denn gegen Ende
des 19. Jahrhunderts hatte sich die »Swastika«, das
Hakenkreuz, ein Jahrtausende altes Ornamentzeichen,
in antisemitisch-völkischen Organisationen, in neugermanischen Geheimgesellschaften und Religionsbünden als Erkennungszeichen verbreitet.
Offiziell als DTB-Kennzeichen eingeführt wurde das
Turnerhakenkreuz im Jahr 1910 – in exakt jenem Jahr,
als auch die Eimsbüttler Turnhalle der Turnerschaft
übergeben wurde. Es ist sicher davon auszugehen, dass
den Männern um Julius Sparbier diese ideologischen
Aufladungen bekannt waren, als sie sich irgendwann
1909 oder 1910 für diese Ornamente an ihrer Hallenwand entschieden – und nicht für die Anbringung des
offiziellen Vereinsabzeichens, des Felsing-Kreuzes. Dann
aber gibt es für dieses Handeln nur eine Erklärung: Es war
Ausdruck ihrer Gesinnung, ihrer tiefsten Überzeugungen.
Insofern muss man die oben gestellte Frage nach der
Bedeutung dieser Embleme ein wenig gespreizt beantworten: Ein Turnerkreuz? Ja. – Harmlos? Nein. –
Ein Hakenkreuz? Ja. – Ein Nazisymbol? Nein. Aber es
ist, das steht außer Frage, ein völkisch-antisemitisches
Erkennungszeichen.
Übrigens gab es in der Tat eine kurze Phase vor 1933, in
der sich auch die Nazis dieses Zeichen zu eigen machten:
1923, als die SA nach dem gescheiterten Putschversuch
Hitlers kurzfristig verboten wurde, tarnte sie sich in
Hamburg als »Blücher Turn-, Sport- und Wandervereinigung«. Doch man brauchte eine Fahne – und wählte
im Jahr darauf das Turnerhakenkreuz. Denn, so liest
man in der 1933 erschienenen NS-Chronik »Hamburg
unterm Hakenkreuz«: »Die Querstriche der vier F ergeben
ein großes Hakenkreuz, in dem ein zweites, kleineres
liegt. Zu dieser List wurde gegriffen, um wenigstens
in unserer neutralen Fahne das Parteizeichen zu haben,
während wir andererseits uns mit dem Hinweis verteidigen konnten, dass es sich um das alte, unveränderte
Abzeichen der deutschen Turner handele.«
So bleibt zum Schluss eigentlich nur noch eine einzige
Frage, die zu beantworten wäre: Warum wir, angesichts
Riekes Vater / photocase.com
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ETV-Magazin 4/10
dieser Sachverhalte, dem Vorstand des ETV nicht empfohlen haben, diese Symbole einfach von der Wand
zu entfernen. Die Antwort ist nicht ganz einfach, und
sie wird auch nicht jeden zufriedenstellen.
Aber diese Symbole sind, wie auch das Kriegerdenkmal vor dem Haupteingang, untrennbarer Teil der Geschichte dieses Hauses, der Geschichte des ETV. Dieser
Geschichte muss er sich stellen, und er tut das gerade
in sehr eindrucksvoller Weise.
Zugegebenermaßen ist nun Geschichtsunterricht nicht
die originäre Aufgabe eines Turnvereins – doch gerade
der ETV legt großen Wert auf die Arbeit mit Kindern
und Jugendlichen, seine Räume werden vom benachbarten Gymnasium genutzt. Vor allem ihnen sollte,
ja muss der Verein seine Geschichte zugänglich und
begreifbar machen, eingeordnet in die historischen
Zusammenhänge. Nur so ist eine Auseinandersetzung
damit möglich. Nur so lassen sich daraus Lehren ziehen.
Und nur so lässt sich verhindern, dass sich Vergangenheit wiederholt.
Sven Fritz
»… daß der alte Geist im ETV noch lebt.«
Der Eimsbütteler Turnverband von der Gründung bis in die Nachkriegszeit
Im Herbst letzten Jahres beauftragte mich der ETV mit
der Erstellung eines wissenschaftlichen Gutachtens zur
Geschichte des Verbandes. Vorausgegangen war eine
öffentliche Diskussion um die Vergangenheit des ETV,
angestoßen durch die Recherchen Günther Jacobs und
der Initiative gegen die Bebauung der Sparbierplätze.
Was für mich als Bearbeitung einzelner Problemstellungen begann, wurde im Verlauf der Recherche zu
einer Geschichte der politischen Mentalität des Verbandes von seiner Gründung 1889 bis in die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Diese Geschichte umfassend darzulegen sprengt die
Möglichkeiten eines Vortrags. Ich will mich deshalb darauf beschränken, in einem Exkurs zur Verbandsgründung und zwei anschließenden kurzen Kapiteln eine
Julius Sparbier
Schneise in die hier zur Debatte stehenden ersten 60
Jahre der ETV-Geschichte zu schlagen. Verbindendes
Element dieser Ausschnitte sollen zwei Akteure sein,
die den ETV in dieser Zeit maßgeblich prägten: Julius
Sparbier und Robert Finn.
Exkurs: Turnen und völkische Bewegung im
Kaiserreich
Die deutsche Turnbewegung war ursprünglich als Teil
der liberalen Nationalbewegung am Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden. Das Erstarken der nationalkonser vativen Kräfte, vor allem aber das »Erweckungserlebnis« der Reichsgründung 1871, ließ die deutschen
Turner die Seiten wechseln: Sie ordneten liberales
Gedankengut sukzessive dem Ziel eines deutschen
Nationalstaates unter und ersetzten den Kampf gegen
Feudalismus, Absolutismus und für einen deutschen
Verfassungsstaat durch einen kritiklosen, affirmativen
Reichsnationalismus und die bedingungslose Unterwerfung unter die politische Linie der Reichsführung.
Gleichzeitig übernahmen die Turner deren Feindbild –
die »vaterlandslosen Gesellen« der Sozialdemokratie,
die sie in der Folgezeit bekämpften und aus ihren Reihen
ausschlossen.1 Diese Entwicklung hatte ihre Wurzeln
auch in der Turnbewegung selbst: Ihr Begründer,
Friedrich Ludwig Jahn, hatte sich an reformpädagogischen Ansätzen orientiert, diese aber in seinem Konzept des »deutschen Turnens« stark deformiert: Neben
die Individualerziehung trat die Nationalerziehung, die
das Turnen zu einer »Propädeutik für Vaterlandverteidiger«2 machte. Zur körperlichen, vormilitärischen Ausbildung kam damit die »nationale Gesinnungsschule«,3
deren Leitidee ein mit militaristischen, völkischen und
antisemitischen Anteilen versehener Nationalismus
war. Diese Vorstellungswelt des beginnenden 19. Jahr-
hunderts erhielt mit dem Aufkommen des politisch
organisierten Antisemitismus ab den 1880er Jahren
neue politische Sprengkraft.
1873 hatte eine handfeste Wirtschaftskrise die industrialisierten Staaten erfasst, die der bürgerliche Mittelstand
als massive ökonomische und kulturelle Bedrohung
empfand. Als Urheber dieser sogenannten »Gründerkrise« wurden, neben den tatsächlich verantwortlichen
Banken und Spekulanten, die Juden ausgemacht. Die
Folge war eine Welle von Parteigründungen, die ab den
1880er Jahren den Antisemitismus zu ihrem zentralen
Programmpunkt machten – auch in Eimsbüttel, mit
dessen Stimmen 1897 der erste Hamburger Vertreter
einer Antisemitenpartei in die Hamburger Bürgerschaft
gewählt wurde.4 Zwar verschwanden diese Parteien
Robert Finn
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DASS DER ALTE GEIST IM ET V NOCH LEBT
in Ermangelung tragfähiger Politikkonzepte bis zum
Ersten Weltkrieg wieder von der politischen Bühne,
jedoch hatten sie den Judenhass salonfähig gemacht
und in der Vorstellungswelt des Bürgertums etabliert.
Zusätzlich gelang es ihnen, sich in mächtigen Interessensverbänden wie dem Alldeutschen Verband oder
dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband
zu sammeln und so Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Diese Verbände waren, zusammen mit zahlreichen
kleinen Vereinigungen und Vertretern rechtskonservativer Parteien, Exponenten einer unter der Bezeichnung »völkische Bewegung« zu subsummierenden
Strömung innerhalb des deutschnationalen Bürgertums.5 Der Historiker Rainer Hering hat die Völkischen
als »Gegen- und Suchbewegung« beschrieben, »charakterisiert durch Antisemitismus, Antislawismus, Antiromanismus, Antiurbanismus und Antiinternationalismus. Gesucht wurden angeblich ›durch jahrhundertelange Überfremdungsprozesse‹ verschüttete
Wesens- und Charaktermerkmale der Deutschen und
ihrer Kultur.«6 Grundlage dieser Denkart waren die
als »wissenschaftlich« auftretenden Vorstellungen
einer »Rassenlehre«, wie sie in den Schriften Arthur
de Gobineaus,7 vor allem aber in Houston Stewart
Chamberlains »Grundlagen des 19. Jahrhundert«8
massenhaft verbreitet und rezipiert wurden. Im Weltbild der Völkischen verband sich dabei das politische
Konzept des Nationalstaates mit rassistischen Vorstellungen vom »Wesen der Völker« und insbesondere der
»Deutschen«. Entscheidend für die Volkszugehörigkeit
war in diesem Konzept nicht die Staatsbürgerschaft,
sondern die Zugehörigkeit zum »Volkskörper«. Dieser definierte sich zum einen über die gemeinsame
deutsche Sprache, zum anderen über eine als spezifisch
»deutsch« imaginierte Kultur, vor allem aber über eine
angenommene, gemeinsame »biologische Abstammung«. Die Definition der als »deutsch« anzusehenden
Anteile ließ dabei den Ausschluss aller als »undeutsch«
klassifizierten Gruppen zu: Der Sozialdemokraten, der
ethnischen Minderheiten und der Juden. In diesem
Klima der nationalistischen und völkischen Selbstmobilisierung gründete sich der ETV.9
Der alte Geist
Der Eimsbütteler Turnverband war nach Auftreten und
Selbstverständnis ein bürgerlicher Turnverein – die zur
Verfügung stehenden Daten zur Sozialstruktur bestätigen dies: Unter den Mitgliedern stellten diejenigen mit
kaufmännischen Berufen den weitaus größten Anteil,
gefolgt von Handwerkern, Beamten, im Staatsdienst
beschäftigten Angestellten und Lehrern. Mit einer
Zahl von 1789 Mitgliedern im Gründungsjahr verfügte
der Verband über eine personelle Basis, die durch ihre
Mitgliedsbeiträge ein sicheres finanzielles Fundament
schuf.10 Diese ökonomischen Erwägungen waren
maßgeblich für die Verbandsgründung gewesen, denn
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Ausgangspunkt für den Zusammenschluss der bestehenden Eimsbütteler Turnvereine zum Eimsbütteler
Turnverband war ein gemeinsames Anliegen: Der Bau
einer eigenen Turnhalle.11
für eine Turnhalle und auch die finanziellen Mittel
[…] zum Teil hergeben will, steht im auffallenden
Gegensatz zum Verhalten des Staates zu den Arbeiterturnvereinen.«13 Damit war die politische Implikation
ETV: Große Halle
Bei seinen Bemühungen um einen Bauplatz und um die
Finanzierung des Projektes konnte sich der Verein der
Unterstützung der Hamburger Politik sicher sein: Einige
seiner Mitglieder waren Abgeordnete der nationalkonservativ dominierten Hamburger Bürgerschaft und
saßen auch in deren Finanzdeputation, die für das Bauprojekt das entscheidende Gremium war.12
Zusätzliche Hilfe kam von befreundeten Senatoren und
zahlreichen Bürgervereinen. Derart gestärkt gelang
es dem ETV, den Baugrund an der Ecke Bundesstraße/
Hohe Weide überaus günstig zu pachten und etwa die
Hälfte der Bausumme durch großzügige Kredite der
Stadt und der Hamburger Sparkasse zu decken. Die
eigenen Pläne der Stadt, die die Errichtung einer Oberrealschule in der Nachbarschaft vorsahen und durch die
doppelte Nutzung der Halle, als Turnstätte von Schule
und Verein, den Bau eines eigenen Gebäudes einzusparen hoff te, taten ein übriges. In einer der mit dem
Thema befassten Bürgerschaftssitzungen intervenierte der Redner der SPD-Fraktion: »Ich muß sagen,
das erscheint mir doch wie ein Stück verkehrter Welt!
Wenn der Staat für seine Oberrealschule eine Turnhalle braucht, […] warum gibt er dann den Platz und
das Geld einem Privatverein und bedingt sich nur das
Mitbenutzungsrecht aus? Da erscheint es mir doch
logischer, wenn der Staat die Turnhalle nötig hat, daß
er sie selbst baut und sie eventuell dem Eimsbütteler
Turnverband zur Mitbenutzung zur Verfügung stellt.«
Die Erklärung für diese Politik lieferte er indes mit:
»Dieses Entgegenkommen, das hier dem Turnverbande
staatsseitig gezeigt wird, indem der Staat den Platz
klar benannt: Der ETV schuf sich nicht nur eine Stätte
turnerischer Betätigung, sondern war, trotz seiner beständigen Selbstdarstellung als unpolitischer Verein,
Exponent einer nationalpolitischen Erziehung. Deren
Stoßrichtung war nicht nur antisozialdemokratisch
und nationalistisch, sondern, wenigstens in Teilen,
auch völkisch-rassistisch: Der Volksschullehrer Julius
Sparbier, von 1905 bis 1911 erster ETV-Vorsitzender,
feierte in seiner Rede zur Eröffnung der Halle im April
1910 den Neubau vor etwa 1500 Zuhörern als »Hort
der Deutschheit« und Trutzburg gegen alles Fremde:
»Aber man vergißt sehr oft, daß Hamburg auch die
große Ausfallspforte Deutschlands ist, aus der schon
seit Jahrhunderten deutsche Kraft und deutsche Art
sich zum Segen der Menschheit ins Ausland ergießt.
[…] Wir Hamburger leben für den Fremden an erster
Stelle des deutschen Bodens; da ist es doch unsere
Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß in unsern Straßen
ein Geschlecht wandelt, das dem Fremden auch schon
physisch Achtung vor dem Deutschen Volke abnötigt.
[…] Auf die Dauer wird das Volk im Kampf sich am
besten behaupten, das physisch am meisten zuzusetzen hat.«14
Dass es sich bei Sparbiers Rede keineswegs um servile
Anbiederung im deutschnationalen Establishment
mittels nationalistischer Rhetorik handelte, sondern
um den Ausdruck völkischer Überzeugung, belegt der
Blick in die ETV-Zeitung: 1901 rief Sparbier die ETVer
zur Teilnahme am Knivsbergfest bei Appenrade auf,
veranstaltet vom »Deutschen Verein für das nördliche
Schleswig«, der sich die Bekämpfung des dänischen
SVEN FRITZ
Einflusses auf das deutsche Schleswig zum Ziel gesetzt
hatte. Sparbier berichtete begeistert von der auf dem
Knivsbergfest stattfindenden Einweihung eines monumentalen Bismarck-Denkmals, einem »Merkzeichen
deutscher Größe an der Grenze unseres Volkstums;
möge er hier für ewig allen Volksgenossen ein Mahnzeichen zu einmütigem, kräftigem Handeln sein.«15
Ein Jahr später, im November 1902, initiierte der ETV
eine vereinsinterne Vortragsreihe mit Sparbier als Eröffnungsredner. Unter dem Titel »Inwiefern sind wir
noch Jünger Jahns?« führte Sparbier aus, »wie die Gedanken, die Jahn hegte, die Ziele, die er seinem Volke
steckte, sich vollständig decken mit den Betrachtungen,
die der englische Schriftsteller H. St. Chamberlain über
Volkstum und Volksgröße entwickelt.«16 In seinem
kurz zuvor erschienenen Buch hatte Chamberlain, ausgehend von seinem Konzept der »Heiligkeit reiner
Rasse«, das Begriffspaar von der kulturzerstörenden –
jüdischen – und der kulturschöpfenden – arischen –
Rasse entwickelt, das Hitler später übernehmen sollte.17
In seinem Vortrag machte Sparbier damit nichts anderes,
als Jahns völkische Ideen des frühen 19. Jahrhunderts
mit den modernen Vorstellungen der angeblich wissenschaftlichen Rassenlehre zu verbinden. Die Zuhörer
dankten ihm dies mit »anhaltende[m] Beifall«.18
Die Beispiele zeigen: Im ETV waren völkisch-rassistische
Vorstellungen seit der Jahrhundertwende virulent
und wurden mit der Turnhalleneröffnung 1910 Teil
der offiziellen Darstellung des Verbandes. Vor diesem
Hintergrund ist auch die Gestaltung der Außenwand
der ETV-Turnhalle zu sehen: Die ins Mauerwerk eingebrachten Turnerhakenkreuze dokumentierten die
Annäherung des Vereins an die völkische Bewegung.
Als die Turnhalle 1910 eröffnet wurde, war das Hakenkreuz in völkischen Kreisen bekannt und eindeutig
rassistisch und antisemitisch aufgeladen.19 Dies dürften
auch die Protagonisten des ETV gewusst haben, denn in
den mit dem Hallenbau befassten Gremien wirkten ETVMitglieder und Förderer, die gleichzeitig in antisemitischen Agitationsverbänden wie dem Alldeutschen
Verband und dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband organisiert waren.
Zudem lag die Verantwortung für den Gesamtverband von 1905 bis 1911, also in der Phase der Planung,
Durchführung und Eröffnung des Baus, bei dem ersten Vorsitzenden Julius Sparbier, einem völkischen
Turnintellektuellen, der auch selbst publizierte.20 Er
gehörte zu den Gründungsmitgliedern des ETV, war
Mitglied sämtlicher mit dem Projekt befasster Gremien und »geistiger Vater« des Hallenbaus.21 Sparbier
prägte den Verband wie kein anderer und dürfte in den
Augen seiner Turnkameraden zu einer Art »Turnvater
Jahn des ETV« geworden sein . Mit der Anbringung der
Hakenkreuze setzte der Vorstand unter seiner Führung
ein politisches Signal.
Dieser Befund wird durch die weiteren politischen
Aktivitäten Sparbiers gestützt: Seit spätestens 1902
war er Mitglied im »Zentralausschuss zur Förderung der
Volks- und Jugendspiele«, der neben einer dezidiert
antisozialdemokratischen Jugendarbeit seinen Schwerpunkt auf die Wehrhaftmachung der männlichen Jugend
legte und eng mit dem Militär zusammenarbeitete.22
Zudem war Sparbier die treibende Kraft hinter dem
1890 gegründeten Hamburger »Verein für Jugendspiel«,
der sich stark an der Arbeit dieses Zentralausschusses
orientierte.23 Schließlich bewirkte er den Beitritt des
ETV zum »Hamburgischen Landesverband für Jugendpflege«, der eng mit dem Militär und dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband verflochten
war.24 Sparbier und mit ihm der ETV waren damit
in ein Netzwerk von Verbänden eingebunden, die
ein »nationalistisch-chauvinistische[s] Jugendpflegekonzept«25 verfolgten und die Jugend nachhaltig militarisierten. Ihre Blüte erreichten sie insbesondere
in der Zeit des Ersten Weltkrieges: Der Hamburgische
Jugendverband organisierte zusammen mit den Turnvereinen Jugendkompanien zur Vorbereitung der
männlichen Jugendlichen für den Kriegsdienst. Auch
der ETV war mit einer eigenen Kompanie beteiligt und
Julius Sparbier organisierte im Auftrag des Verbandes
Propagandavorträge für die Jugendlichen.26 Als 1914
der Krieg begann und hunderte ETVer zum Militär
eingezogen wurden, äußerte er im Verbandsmagazin
begeistert: »Unsere Eimsbütteler Turner waren auf dem
Platze, als unser großes deutsches Vaterland sie in
seiner schwersten Schicksalsstunde rief! Ein deutscher
Turner bringt nicht nur den guten Willen, er bringt das
Können mit! Mit Stolz dürfen wir es heute bekennen:
Unser deutsches Turnen, unsere deutsche Turnerschaft,
in ihr an seinem bescheidenen Platze unser Eimsbütteler
Turnverband, haben nicht versagt. Wir halten die Treue,
die wir gelobt!«27 Sparbiers Kriegsbegeisterung war
ein weit verbreitetes Phänomen und der ETV bildete
keine Ausnahme. Für seine Turner, das belegen zahlreiche Artikel im Verbandsblatt, war der Krieg die
Bewährungsmöglichkeit, für die sie sich im Verein
vorbereitet hatten. Wer zu Hause blieb, war Teil der
Heimatfront und hatte die kämpfende Truppe nach
Kräften zu unterstützen. Der Krieg wurde, mit Hilfe
Gottes und einer schicksalhaften Geschichte, für die
Vorherrschaft Deutschlands wenigstens in Mitteleuropa
geführt; er einte das Volk hinter seinem Kaiser und
nivellierte alle Gegensätze in dem Ziel eines bedingungslosen Siegfriedens.28
Angesichts dieser nationalen Allmachtsphantasien kam
die Niederlage einem Sturz ins Bodenlose gleich: Der
Traum von der deutschen Weltmacht war zerplatzt
und die revolutionären, bürgerkriegsähnlichen Zustände schienen die schlimmsten Befürchtungen –
einen kommunistischen Umsturz – wahr werden zu
lassen. Auch nach der gewaltsamen Niederschlagung
der Aufstände und dem Übergang in die Demokratie
prägte das Gefühl der Bedrohung die Wahrnehmung
der Republik. Deutschnationale und Völkische konservierten deshalb in der Folgezeit die Ideenwelt des
Kaiserreiches, passten sie in Reaktion auf die zeitgenössischen Entwicklungen an, erweiterten und
radikalisierten sie. Die negativen Bezugspunkte dieses
Koordinatensystems waren: die »schmachvolle Niederlage« der »im Felde unbesiegten« Armee durch den
»Verrat« der »Heimatfront«; die Revolution und mit ihr
die beständige Angst vor einer »Bolschewisierung«
Deutschlands; der Versailler »Schandvertrag« mit
Kriegsschuldzuweisung, Reparationsforderungen und
Gebietsabtretung; die wirtschaftlichen Krisen mit den
Höhepunkten der Hyperinflation 1923 und der Weltwirtschaftskrise 1929; die Zersplitterung der Politik in
»Parteiengezänk« statt »nationaler Sammlung«; die Bedrohung »deutscher Kultur« durch »Amerikanisierung«
und Massenkultur; und schließlich die angebliche Verrohung und Desorientierung der Jugend durch »Schund
und Schmutz«. Der ETV reagierte mit trotzigem Beharren auf der tradierten Weltsicht: Am 9. Februar 1919
veranstaltete der Verband eine Begrüßungsfeier für
seine vom Militär zurückkehrenden Mitglieder. Diese
sollten »an ihrem Ehrentage möglichst in Uniform« erscheinen, um durch turnerische Vorführungen, vaterländische Gesänge und eine Ansprache Adolf Jacobsens,
ETV-Vorsitzender seit 1915, zu erleben, »daß der alte
Geist im ETV noch lebt.«29 Seine Rede fasste das Verbandsblatt zusammen: »Noch stehe der deutsche Eichbaum, wenn er auch im vierjährigen Gewittersturm
arg beschädigt sei, wenn auch in seinem Gezweig Aaskrähen sitzen und Ungeziefer und von Feinden gegossenes Gift sein Wurzelwerk zu zerstören drohte. Noch
sei eine seiner Hauptwurzeln, die Deutsche Turnerschaft, gesund; Zu sorgen, daß sie es bleibe, sei unsere
heilige Pflicht. […] Den alten Zielen der Deutschen
Turnerschaft wollen wir treu bleiben. Gegen alles Undeutsche solle der Kampf sich richten.«30
Damit hatte Jacobsen den Kurs vorgegeben, den der
ETV während der gesamten Zeit der Weimarer Republik
unverändert halten sollte: Er verharrte am rechten
Rand des deutschnationalen Milieus, unempfänglich
für die Chancen einer politischen, gesellschaftlichen
oder kulturellen Modernisierung und bot so einen
Rückzugsort für all jene, die diesen Möglichkeiten
indifferent bis ablehnend gegenüber standen. Sein
geistiges Klima wurde dabei zunächst weiterhin durch
die Generation der Vereinsgründer bestimmt.
Diese kultivierten in der gemeinschaftlichen Erinnerung
an die im Krieg getöteten ETV-Mitglieder eine militaristische und nationalistische Geschichts- und Gegenwartsbetrachtung: An den jährlich wiederkehrenden
Gedenktagen stilisierten die Redner die deutschen
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DASS DER ALTE GEIST IM ET V NOCH LEBT
Soldaten zu Helden, die Sieger zu Feinden und den Tod
der Verbandskameraden zur Verpflichtung, im »alten
Geist« weiter zu wirken. Der 1920 eingeweihte Gedenkstein und die im September 1923 in der Turnhalle
installierten Gedenktafeln erinnerten die Vereinsmitglieder daran, dass Turnen und Sport im ETV in einem
nationalen Bezugsrahmen stattfanden, dass die körperliche Ertüchtigung Teil der Befreiung Deutschlands
von den »inneren« und »äußeren« Feinden war – in
der Gegenwart und in der Zukunft, wie Julius Sparbier
1920 deutlich machte:
»Mit ehrfürchtigem Danke gedenke hier jeder deutsche
Junge, jedes deutsche Mädchen, das jetzt oder in Zukunft, wie einst unsere Toten, hier zur Pforte eingeht,
der ungeheuren Leistung unserer Brüder, zu deren Ehre
der Denkstein hier in treuer Pflege weiter stehen wird
von Jahrzehnt zu Jahrhunderten.«31 Auch rassistische
Töne waren unüberhörbar, etwa in der Ansprache des
2. ETV-Vorsitzenden, Landrichter Dr. Georg Lenz, 1925:
»Der Gedanke an unser Vaterland, wie es sich in unserer
engeren Heimat darstellt, dennoch aber weit über ihre
Grenzen hinaus alle diejenigen umfaßt, die deutschen
Bluts und deutschen Geistes sind, steht über allen anderen Gedanken. […] Deutschland über alles!«32
Es blieb nicht bei Lippenbekenntnissen: Der ETV engagierte sich weiterhin in deutschnationalen Verbänden
und rückte Mitte der 1920er öffentlich in die Nähe der
rechtsradikalen Deutschnationalen Volkspartei und des
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes.33
Zudem diffamierte die Fußballabteilung 1924 öffentlich
einen ETVer, der den Verband wegen dessen rechter
Gesinnung verlassen hatte.34 Adolf Jacobsen hatte es
auf den Punkt gebracht – der »alte Geist« lebte weiter
und wurde in den Elternhäusern, in den Schulen und in
Sportvereinen wie dem ETV der nachwachsenden Generation mit auf den Weg gegeben. Die Jüngeren, die
den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebt und ihre
Gegenwart als feindliche Umwelt wahrzunehmen gelernt hatten, nahmen ihn bereitwillig auf, gaben ihm
neue Form und radikalisierten ihn.
Robert Finn und das »Antlitz der deutschen
Jugend«
Bereits in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg hatte sich
in der sogenannten »Wandervogel-Bewegung« eine
jugendliche Protestbewegung gebildet, die nach alternativen Lebenskonzepten suchte. In den 1920er Jahren
erhielt diese Bewegung neuen Auftrieb: In selbst organisierten Bünden suchten die Jugendlichen Naturverbundenheit, pflegten das Ideengut der deutschen
Romantik und die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen.
Gleichzeitig bezog diese Jugendbewegung einen Teil
ihrer Energie aus antidemokratischen, antiurbanen
und antiindustriellen Impulsen, aus einer »deutschtümelnden Sozialromantik«,35 aus der Ablehnung von
Juden und von Mädchen, aus einem romantisierten
12
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Führerkult und einem elitären Sendungsbewusstsein.36
heben sich zum Treueschwur. Das Deutschlandlied
klingt machtvoll in die Nacht hinaus […] ›Deutschland,
Hatte sich diese Entwicklung zunächst außerhalb der
Turnbewegung vollzogen, so organisierten sich die
Deutschland über alles und im Unglück nun erst recht.‹
jugendbewegten Turner in den 1920er Jahren als so- – Zurück zur Stadt. […] Am Abend fanden wohlgelungenannte »Turnerjugend« und trugen ihre Vorstel- gene Feiern ›Deutsches Volkstum in deutscher Kunst
durch deutsche Jugend‹ in mehreren Sälen statt.«40
lungen in die Vereine.37 Im ETV gab dazu vor allem
eine Gruppe um den jungen Kaufmann Robert Finn
Die Nähe dieser politischen Inszenierung zu den Prakdie entscheidenden Impulse, die um 1920 damit be- tiken der Nationalsozialisten ist offenkundig – sie war
gann, ein »rein deutsches Jugendleben«38 im ETV zu
es auch für die Zeitgenossen: Viele Angehörige der
etablieren. Finn und seine Mitstreiter begannen mit
Turnerjugend vollzogen den Schritt und schlossen
der Pflege von Wanderfahrten und Gemeinschafts- sich der NSDAP an.41 Im ETV geschah dies im Juli 1931,
als die Landfahrer das NSDAP-Mitglied Karl Schacht zu
abenden, initiierten eine jugendbewegte Zeitschrift
ihrem Anführer wählten. Dass dies ein bewusster poliunter Finns Leitung und begannen mit dem Aufbau
einer Jugendbibliothek, die offenbar bevorzugt zeitge- tischer Schritt war, dokumentierte die Gruppe im ETVnössische Romane antimoderner und germanophiler
Blatt: »Die politische Entwicklung der letzten Jahre hat
Ausrichtung aufnahm.39 In ihren Bestrebungen um die
auch unsere Haltung beeinflußt und uns veranlaßt,
Pflege deutscher Kultur und um die Entwicklung eigener
unsere Gedanken über Ziel und Weg der Gruppe einOrganisationsformen erhielten sie prominente Unter- mal kritisch zu beleuchten. […] Ein anderer Führer mußte
stützung: Julius Sparbier griff regelmäßig zugunsten
naturgemäß ein anderes Ideengefüge in die Gruppe
hineintragen und so zeitigte die Überprüfung unseres
der Jungen in die unausweichlichen Konflikte mit der
traditionsverhafteten älteren Generation ein. Aus dem
Weges folgende Beschlüsse: Bekenntnis zum absovon Robert Finn angestoßenen ETV-Jugendleben ent- luten Führertum, Schaffung eines Arbeitskreises als
wickelten sich die sogenannte Gruppe der Landfahrer, Mitarbeiterstab des Führers, Reinigung der Gruppe
ein Volkstanzkreis sowie verschiedene jugendliche
von Mitläufern und unzuverlässigen Elementen.«42
Wandergruppen innerhalb der Abteilungen. In ihren
Unter Schachts Führung begann die Gruppe 1931 daPraktiken griffen die ETV-Jugendgruppen dabei von
mit, den Wehrsport in ihr Programm aufzunehmen
Beginn an auf völkische Rituale zurück: mystifizierte
und die Ergebnisse des »Handgranatenweitwurfs«
Sonnenwendfeiern, Umbenennung der julianischen
stolz im Vereinsblatt zu publizieren.43 Im Sommer
Monatsnamen nach pseudo-germanischen Bezeich- 1932 folgte die größte Männer-Turnabteilung dem
nungen, »Julklapp« statt Weihnachtsfeier und Teilnah- Vorschlag Schachts und übernahm mit Beschluss ihrer
me an deutschnationalen Massenveranstaltungen mit
Hauptversammlung den Wehrsport ebenfalls in ihren
martialischer Aufmachung. Eine solche war etwa der
Übungsplan.44 Im ETV hatten sich damit die WortJugendtag des Norddeutschen Fußballverbandes 1924, führer der jungen Generation dem Nationalsozialismus
über den das ETV-Magazin berichtete: Nach abend- zugewandt und begonnen, ihre politischen Vorstellichem Anmarsch im Fackelzug und in Sichtweite des
lungen offen im Verband zu propagieren.
Hermann-Denkmals im Teutoburger Wald »mahnt[e]
In der Verbandsöffentlichkeit kam es zu keinen maßgeblichen Auseinandersetzungen, im Gegenteil: Die
der Redner die Jugend mit packenden Worten zur
hochgradig nazifizierten Jugendgruppen erhielten
Einheit. ›Ein Volk, ein Wille, ein Weg ‹ und 7000 Hände
SVEN FRITZ
immer wieder Unterstützung von Sparbier und Finn:
Letzterer verwies im April 1933 werbend auf die
Landfahrer, in deren selbst veröffentlichter Zeitung
»ein wertvolles Bild von 'Antlitz und Politik der deutschen Jugend – der heutigen Jugend«45 gezeichnet
würde. Spätestens jetzt waren »alter Geist« und
»junger Nationalsozialismus« offen sichtbar miteinander verwoben.
Die Mitglieder und Sympathisanten der Nazi-Partei
innerhalb des ETV hatten zu Beginn der 1930er Jahre
allen Grund, selbstbewusst aufzutreten: Nach ihrem
Wahlerfolg im September 1931 legte die NSDAP im
April 1933 nochmal an Stimmen zu und wurde stärkste
Fraktion der Hamburger Bürgerschaft. Die Ernennung
Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und der
Sieg bei der Reichstagswahl am 5. März besiegelten
den Machtwechsel. Am Abend des 5. März besetzten
SA-Einheiten nach Schließung der Wahllokale das
Rathaus, noch in der Nacht begann der Terror gegen die
politischen Gegner; gestützt auf die nach dem Reichstagsbrand erlassene »Verordnung zum Schutz von
Volk und Staat« wurden nach Massenverhatungen in
den folgenden Wochen hunderte Regimegegner in
den Konzentrationslagern Fuhlsbüttel und Wittmoor
inhaftiert. Drei Tage nach der Wahl wurde am 8. März
1933 ein neuer, nationalsozialistischer Senat gewählt.
Am 1. April 1933 trat der Terror gegen die Juden im
reichsweit organisierten »Judenboykott« offen zutage
und wurde am 7. April mit dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in eine erste
Gesetzesform gegossen. Am 2. Mai folgte die Auflösung der Gewerkschaften, am 15. Mai die Bücherverbrennungen – in Eimsbüttel in direkter Nachbarschaft des ETV, am Kaiser-Friedrich-Ufer. Im Juni 1933
wurde die SPD verboten und mit der im Oktober erfolgenden Auflösung der Bürgerschaft war Hamburgs
Politik schließlich »gleichgeschaltet«.
Wie innerhalb des ETV auf die tagespolitischen Ereignisse im Januar und Februar reagiert wurde, lässt
sich aus den Quellen nicht rekonstruieren. Nachdem
sich die NSDAP im März 1933 endgültig als die bestimmende Macht im Staat erwiesen hatte, stellte sich
das höchste Verbandsgremium, der Turnrat, offiziell
hinter das neue Regime, indem er den Satzungszweck
des Verbandes, »die Pflege vaterländischer Gesinnung,
deutscher Art und deutschen Wesens« in eine Linie mit
der nationalsozialistischen Politik stellte: »Die Bestrebungen der nationalen Regierung laufen auf die gleichen hohen Ziele hinaus. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit und es bedarf jetzt keiner langen Erklärungen, daß wir in gleichem Sinne mit ihr, getreu
unserem Grundgesetz […] weiterarbeiten werden
für unser Vaterland, für Deutschland.«46 In seinem
Jahresbericht bekräftigte der ETV-Vorstand in Person
des 1. Vorsitzenden Hans Winkel und des Kassenwartes
Julius Stahl die Zustimmung des Verbandes zum
Nationalsozialismus: »Bei Abschluß des Berichts hat
sich die große politische Umwälzung unseres Volkswesens bereits vollzogen. Ueberall regen sich junge
Kräfte, erscheinen neue Gedanken, die alle auf das
gleiche Ziel zustreben: Umbau aller deutschen Einrichtungen auf völkischer Grundlage. Von dieser Strömung ist auch bereits die deutsche Turn- und Sportbewegung erfaßt. Und damit auch unser Verein, der
vor Entscheidungen gestellt ist, die zwangsläufig zu
einer völligen Neugestaltung unserer Grundlage führen müssen.« Welche Entscheidungen damit gemeint
waren, machte der Vorstand einen Monat später klar:
»Nach einer Botschaft des Reichssportkommissars von
Tschammer und Osten soll von jetzt an grundsätzlich
der arische Mensch den deutschen Sport bestimmen
und die neue Führung der DT verkündet, daß Juden
als Führer in der deutschen Turnerschaft nicht tragbar
sind […], und daß Marxisten […] auf keinen Fall in
die Deutsche Turnerschaft gehören. Ueberall wird
der Führergedanke in den Vordergrund gestellt. Nicht
mehr der Mehrheitsbeschluß der Mitglieder, sondern
allein der Wille des Führers soll entscheiden. […]
Der Turnrat des ETV hat sich mit selbstverständlicher
Einmütigkeit zum neuen Staat bekannt und sich vorbehaltlos zur Mitarbeit hinter seine Regierung und
die führenden Männer gestellt. Bindende Beschlüsse
für den Umbau des Vereins sollen erst gefaßt werden,
wenn die zu erwartenden Richtlinien […] vorliegen.«47 Die anstehenden Entscheidungen drehten
sich damit um die Frage des Ausschlusses von Juden,
Sozialdemokraten und Kommunisten sowie um die
Aufgabe demokratischer Vereinsstrukturen durch die
Einführung des Führerprinzips. Die Reaktion des ETVVorstandes auf diese tiefgreifenden Veränderungen
bestand im Abwarten von Richtlinien und der Ankündigung ihrer pflichtbewussten Ausführung. Mit
diesen programmatischen Aussagen von Turnrat und
Vorstand wenige Wochen nach der Machtübernahme
war die politische Linie des Verbandes für die folgende
Zeit vorgegeben.
Im Juni 1933 nahm ein Ausschuss »zur Vorbereitung
der evtl. Gleichschaltung des ETV und der damit zusammenhängenden Fragen« seine Arbeit auf.48 Neben
dem ersten Vorsitzenden und Vertretern verschiedener
Abteilungen gehörte ihm auch Robert Finn an, der
zu diesem Zeitpunkt keine Funktion im Verband bekleidete, sich aber durch intensive Tätigkeit im ETV
ausgezeichnet hatte und wohl wegen seines Sachverstandes in den Ausschuss geladen worden war –
Finn war als Manager in der »Rhenania-Ossag«, dem
deutschen Zweig des Erdölkonzerns »Royal Dutch Shell«,
zur gleichen Zeit in die »Gleichschaltung« der Firma
eingebunden und dürfte deshalb die größeren Kompetenzen im Umgang mit diesen neuen Formen gelenkter
Politik gehabt haben.49 Zwar lässt sich nicht mehr
rekonstruieren, worüber der ETV-Ausschuss im Einzelnen beriet. Das Ergebnis war jedoch die reibungslose
Anpassung, wohl auch, weil Finn sich für eine widerspruchslose Einordnung in die neuen Strukturen ausgesprochen hatte.50
Am 28. Juni 1933 wählten die 120 anwesenden ETVMitglieder auf einer Hauptversammlung per Akklamation den bisherigen 1. Vorsitzenden Hans Winkel
zum »Verbandsführer«. Die demokratischen Gremien
des Verbandes, Turnrat und Hauptversammlung, verzichteten im Anschluss auf ihre satzungsgemäßen
Rechte. Winkel ging sofort daran, die politische Zuverlässigkeit der ETV-Funktionäre zu überprüfen: »Als
Führer des Vereins […] erwächst mir auch die Pflicht,
darüber zu wachen, daß der ETV in allen seinen Abteilungen so geleitet wird, wie es die Richtlinien der neuen
Regierung fordern. Es ist deshalb nötig, daß mir die
Abteilungsführer bis zum 15. August ein genaues Verzeichnis der von ihnen berufenen Vorstandsmitglieder
geben und zwar unter Anführung ihrer politischen
Stellung und Parteizugehörigkeit.«51 Inwieweit die
Überprüfung der Parteizugehörigkeit für einzelne Mitglieder Konsequenzen nach sich zog, ist aus den Quellen
nicht rekonstruierbar. Offenbar gab es keine maßgeblichen Umbesetzungen, was angesichts der politischen
Ausrichtung des Verbandes jedoch nicht überrascht.
Im September wechselte die ETV-Spitze: 130 ETVMitglieder bestimmten den vom Turnrat nominierten
Dr. Eduard Brose zu ihrem neuen Führer.52 Der promovierte Studienrat Brose war am 1. Mai 1933 der NSDAP
beigetreten und bot damit auch formal die Gewähr
einer NS-konformen Verbandsführung.53 Offenbar
betätigte er sich nicht nur im ETV als linientreuer Nazi,
sondern trug seine Überzeugung auch in seinen Beruf
als Lehrer: Als Leiter eines Lagers der Kinderlandverschickung kontrollierte er in den 1940er Jahren
persönlich die private Post von Eltern und Schülern,
denunzierte unangepasste Jugendliche bei der Hitlerjugend und rechtfertigte deren Gewaltexzesse gegen
auffällige Mitschüler.54
Sein Stellvertreter wurde bis 1945 Robert Finn, erfolgreicher Manager der Rhenania-Ossag, NSDAP-Mitglied
seit 1940 und ab 1943 als Leiter der »Arbeitsgemeinschaft Schmierstoff verteilung« in einer zentralen
Position in der deutschen Kriegswirtschaft tätig. 55
Als erster Vorsitzender sollte er von 1948 bis 1973 den
ETV erneut nachhaltig prägen.
Kurz vor Broses Wahl zum Vereinsführer hatte Adolf
Jacobsen, der 1933 für einige Monate offenbar als
Interims-Führer fungierte, im ETV den Hitlergruß in
einer Turner-Variante eingeführt und dabei gleichzeitig die Begeisterung des ETV für das neue Regime
zum Ausdruck gebracht: »Die nationale Erhebung ist
auch den Mitgliedern des Eimsbütteler Turnverbandes
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DASS DER ALTE GEIST IM ET V NOCH LEBT
ein tief und froh empfundenes Erlebnis gewesen. Wir
begrüßen es freudigst [sic!], daß die Ziele und der
Inhalt unserer Arbeit: ›Deutschtum, körperliche und
charakterliche Kraft, Ordnung und Gehorsam‹ durch
den Führer der nationalsozialistischen Bewegung wieder zu Ehren gebracht worden sind […] Ich ordne
daher, um unserer Übereinstimmung mit den Zielen
der Regierung des neuen Deutschlands auch äußerlich
Ausdruck zu geben, an, daß fortan der deutsche Gruß
mit unserm Turnergruß derart verbunden wird, daß
während des ›Gut Heil!‹-Rufs der rechte Arm ausgestreckt wird.«56
Turnfest Breslau 1938
Im September 1933 hatte die ETV-Spitze damit die
organisatorische Selbstgleichschaltung des Vereins
weitgehend abgeschlossen. Sie hatte den Verband
auf das Führerprinzip umgestellt, die Funktionsträger
in den Abteilungen einer politischen Prüfung unterzogen und nationalsozialistische Rituale eingeführt.
Den nächsten Schritt, die Vertreibung der jüdischen
Mitglieder, vollzog der Verein mit weniger öffentlichem Aufsehen.
Anders als der Dachverband »Deutsche Turnerschaft«,
der einen radikal antisemitischen Kurs einschlug und
bereits Anfang April den Ausschluss der Juden aus seinen Reihen verfügte, vertrieb der ETV seine jüdischen
Mitglieder offenbar nicht durch die Implementierung
eines »Arierparagraphen« in die Satzung. Dies war
auch nicht zwingend nötig, denn der Verein war bereits
1924 wegen sportlicher Differenzen aus der Deutschen
Turnerschaft ausgetreten.57 Im Oktober 1933 schloss
er sich dem Deutschen Fußballbund an, der bis dato
Juden bereits aus leitenden Positionen ausgeschlossen
hatte.58 Der ETV verfuhr ebenso: Der einzige bekannte
jüdische ETV-Funktionär, der Leiter der Fechtabteilung
John Heinemann, verlor seinen Posten bis zum Sommer
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1934 und hatte, in den Worten Robert Finns 1964, ab
diesem Jahr ein »hartes Schicksal als Emigrant« auf
sich zu nehmen59. Heinemann verließ also 1934 den
Verein und verschwand damit aus Finns Blickfeld. Auch
gegen die anderen jüdischen Mitglieder scheint der
ETV einzeln vorgegangen zu sein, indem er den Druck
sukzessive erhöhte, ihnen den freiwilligen Austritt
nahelegte oder ihre Mitgliedschaft aufkündigte. Im
März 1935 stellte der Verein seine Arbeit schließlich per Satzungsänderung auf die Grundlage des
»nationalsozialistischen Volksstaates«60, der in der
nationalsozialistischen Ideologie alle »Rassefremden«
ausschloss. Damit dürfte auch der ETV ab März 1935
»judenfrei« gewesen sein.
Seit der Machtübernahme hatte sich der Verband reibungslos in die nationalsozialistischen Strukturen eingefügt und bei zahlreichen Gelegenheiten seine Übereinstimmung mit den politischen und ideologischen
Vorgaben öffentlich dokumentiert. Die neuen Machthaber zeigten sich erkenntlich: Sie würdigten die
Generation der Vereinsgründer. Bereits im Juli 1933
ehrte der Hamburger NS-Senat den völkischen spiritus
rector des ETV, Julius Sparbier, zu seinem 65. Geburtstag durch die Umbenennung des Sportplatzes an
der Bundesstraße zum »Julius-Sparbier Platz«.61 Im
August des Jahres folgte der, von 1000 ETV-Mitgliedern
gestaltete, »Julius-Sparbier-Tag«, dem der Ehrengast
in Begleitung von NSDAP-Funktionären beiwohnte.62
Ebenfalls 1933 machte das Regime den 67-jährigen
August Bosse, ehemaliger Volksschullehrer, Begründer
der Eimsbütteler Fußballtradition und langjähriger
Sportfunktionär im Norddeutschen Fußballverband,
zu dessen Hamburger Bezirksführer.63 Der Bericht zu
seiner Beerdigung 1935 offenbarte den Grund für diesen Aufstieg. Der NSDAP-Sektionsleiter führte in seiner
August Bosse
Trauerrede aus: »So, wie es August Bosse, den Kämpfer
im Sport, zur Jugend getrieben habe, so habe er auch
politisch zu der jungen Idee des Nationalsozialismus
kommen müssen. Mit den Jungen habe er für das
Dritte Reich gekämpft, und sein Vermächtnis sei, weiter zu kämpfen.«64 Der charismatische Sportfunktionär
und im ETV jahrzehntelang als Fußballtrainer tätige
Bosse hatte maßgeblich dazu beigetragen, »alten Geist«
und »jungen« Nationalsozialismus zu amalgamieren
und an die Jugend weiterzugeben. Seinen Erfolg belegt
eine Mitteilung der Fußball-Abteilung, die in der Saison
1933/34 über den Ausfall zahlreicher Mannschaften
klagte, deren »Spieler wegen Dienstes in der SA oder
SS nicht antraten.«65 Die Nationalsozialisten dankten
auch Bosse seinen Einsatz mit der Benennung eines
Sportplatzes zum »August-Bosse-Platz«.
Im Nachkriegs-Narrativ des ETV hatten Sparbiers und
Bosses Funktionen als Wegbereiter und Parteigänger
des Nationalsozialismus keinen Platz. Die Erinnerung
an sie wurde entpolitisiert und auf ihre turnerischen
und sportlichen Verdienste beschränkt. Auch andere
Aspekte der NS-Zeit verschwanden hinter Chiffren: Die
Vertreibung der Juden, ihre Flucht ins Exil oder ihre
Deportation und Ermordung wurden als »schweres
Emigrantenschicksal«, so Robert Finn 1964, getarnt.
Die Kriegshetze im ETV-Blatt der Jahre 1940/41 wurde
ausgeblendet und dagegen die Rolle als ausgebombte
Opfer der »Kriegsfurie«,66 so Adolf Jacobsen 1954, in
den Vordergrund gestellt. Eine ebensolche Chiffre
war das Diktum der »Fremdarbeiter«67 in der Turnhalle des ETV. Auf sie soll im Folgenden kurz eingegangen werden.
In der Forschungsliteratur war die Nutzung der großen
ETV-Turnhalle als Lager für ausländische Arbeitskräfte
bislang nur bruchstückhaft bekannt.68 Im Rahmen der
Recherchen war es jedoch möglich, auf bisher unerschlossene Quellen zurückzugreifen und damit den
Wissensstand erheblich zu erweitern. Es handelt sich
um eine umfangreiche zeitgenössische Kartei, in der
wahrscheinlich alle im Lager untergebrachten Menschen verzeichnet wurden.69 Für die finanzielle Unterstützung der Digitalisierung der Quelle möchte ich an
dieser Stelle dem Freundeskreis der KZ Gedenkstätte
Neuengamme herzlich danken. Außerdem danke ich
meinem Kollegen Jens Geiger für seine ebenso schnelle
wie gewissenhafte Hilfe.
Bereits im September 1938 war die große Turnhalle
des ETV dem Turnbetrieb entzogen und im Rahmen
der Kriegsvorbereitungen als Lagerstätte für Getreide
requiriert worden. Ab August 1940 änderte sich die
Nutzung erneut: Aus der Halle wurde nun ein »Gemeinschaftslager« der »Deutschen Arbeitsfront«, in dem
ausländische Arbeitskräfte untergebracht wurden.70
Die Deutsche Arbeitsfront hatte nach Kriegsbeginn
tausende Lager gegründet, um die Versorgung der
SVEN FRITZ
Kriegswirtschaft mit Arbeitskräften sicherzustellen.
Im Fall der ETV-Halle arbeiteten die Menschen offenbar vorrangig für die »Sonderbauleitung Unterelbe
der Abteilung Rüstungsausbau im Reichsministerium
für Bewaffnung und Munition« sowie für die mit Rüstungsbauten befasste »Organisation Todt«, die ihrerseits
in das Rüstungsministerium eingegliedert war. Die
Sonderbauleitung Unterelbe unterhielt in Hamburg
neben der Bundesstraße noch mindestens drei weitere
Lager, in denen auch Kriegsgefangene interniert waren.
Die »Abteilung Rüstungsausbau« zeichnete beispielsweise für den Bau der Flakbunker auf dem Heiligengeistfeld verantwortlich.
Nachdem die Halle im August und September 1940
durch die »Organisation Todt« für die Nutzung als Arbeitslager vorbereitet worden war, trafen im Dezember
die ersten Insassen, italienische Zivilarbeiter, ein. Bis
zum November 1943 – dem letzten Zeitpunkt, für den
eine Lagernutzung nachweisbar ist – lebten hier insgesamt 2050 Menschen, ausschließlich Männer, aus
23 Nationen. Die größten Gruppen stellten Italiener,
Holländer, Franzosen und Polen, gefolgt von Dänen,
Spaniern, Belgiern, Tschechen und Slowaken, Litauern
sowie Menschen aus der Sowjetunion.
Ihre Lebensbedingungen dürften sich, wie in anderen
Lagern auch, an der rassistischen Werteskala der NSIdeologie orientiert haben. Arbeiter aus befreundeten
oder neutralen Staaten, etwa aus Italien, waren meistens freiwillig nach Deutschland gekommen und den
deutschen Arbeitern zunächst weitgehend gleichgestellt. Auch die als »germanisch« eingestuften Arbeiter,
z.B. die Dänen, erhielten meist eine gute Behandlung.
Die Arbeiter aus den als »fremdvölkisch« angesehenen
Ländern – etwa Franzosen und Belgier – waren dagegen schlechter gestellt. Die unterste Stufe bildeten
Gedenktafel am ETV-Gebäude zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterunterbringung in der Großen Halle.
schließlich die als »slawische Untermenschen« stigmatisierten polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiter.
Sie waren ins Reich deportiert worden und praktisch
rechtlos.
Auch bei den Arbeitern aus West- und Nordeuropa
kann allerdings nur bedingt von einem freiwilligen
Einsatz ausgegangen werden, da ihre Herkunftsländer
besetzt waren und festgelegte Kontingente an Arbeitskräften abzuliefern hatten. Zudem änderte sich der
Status der Italiener, die mit der Kapitulation Italiens
im September 1943 als »Verräter« galten und fortan zu
den Zwangsarbeitern mit den schlechtesten Lebensbedingungen zählten.
Die Zeiträume, die die Arbeiter in der ETV-Halle verbringen
mussten, waren sehr unterschiedlich und reichten von
wenigen Tagen bis zu eineinhalb Jahren. Für den größten
Teil von ihnen war die Turnhalle nur eine Durchgangsstation, denn sie wurden von hier in zahlreiche Lager im
Hamburger Stadtgebiet verlegt – Neugraben, Waltershof,
Stellingen, Wandsbek, Billstedt, Niendorf, Veddel,
Hummelsbüttel, Eilbek, Barmbek, Blankenese, Altona
und St. Pauli waren weitere Stationen.
Mindestens drei Menschen starben, während sie in
der ETV-Halle untergebracht waren: Der Franzose
Francois Autret starb am 14. Dezember 1942 im Krankenhaus Harburg. 1942/43 kam der Franzose Jean Marie
Michel Saffray ums Leben, und am 24. März 1943 starb
der Däne Paul William Bach. Möglicherweise gab es im
Lager noch einen weiteren Toten, den Italiener Guido
Fabro. Für ihn vermerkt eine Nachkriegs-Auflistung
verstorbener Ausländer als Todestag den 26.8.1943
und als Todesort das »A[rbeits] L[ager] Bundesstr. 96«.
Laut der neu erschlossenen Meldekartei hatte Fabro
das Lager allerdings bereits im August 1941 verlassen.
Es bleibt damit unklar, ob auch er während seiner Unterbringung in der ETV-Halle starb.
Der kurze Aufriss der Geschichte des Lagers in der
Bundesstraße macht deutlich: Hinter der Chiffre der
»Fremdarbeiter« verschwanden im ETV die Ausbeutung und der Tod von Menschen aus ganz Europa
durch die deutsche Kriegswirtschaft. Auch diese Chiffre wurde Teil einer Verbandsgeschichte, die nach
Kriegsende systematisch abgespalten, umgedeutet,
verleugnet und umgelogen wurde.
Die derart gesäuberte Vergangenheit machte schließlich ein ungebrochen positives Nachkriegs-Narrativ
möglich, für das Robert Finn und Adolf Jacobsen
1949 den Grundstein legten: Laut Finn hielt der ETV
»das Gedenken an unsere Vorderen wach und pflanzte
damit gute Vorsätze in die Brust der Wachen, Starken
und Guten […] Vaterlandsliebe fand in ihm einen
Hort.«71 Jacobsen ergänzte: »Möge die Jugend […]
erkennen, daß nur durch Arbeit, Begeisterung, Opfer
und Kampf das Erbe geschaffen werden konnte, das
sie in Händen hat […] Jugend Eimsbüttels, wende
den Blick zurück zu denen, die vor Dir waren und
eifere ihnen nach! Die Alten unter den Mitgliedern
Deines Vereins schauen auf Dich. Sie werden Dir helfen,
soweit sie können.«72
Die Leitmotive der Nachkriegs-Geschichte des ETV lauteten demnach: Vaterlandsliebe, Traditionsbewusstsein, Arbeit, Begeisterung, Opferwille und Kampfgeist. Zum Kern der auf diese Weise neu erzählten Geschichte wurde damit all das, was vom »alten Geist«
noch übrig war.
Anmerkungen
1 Vgl. Dieter Düding, Von der Opposition zur Akklamation – Die
Turnbewegung im 19. Jahrhundert als politische Bewegung, in:
Irene Diekmann/Joachim H. Teichler (Hg.), Körper, Kultur und Ideologie.
Sport und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Bodenheim bei
Mainz 1997, S. 79–97. Hans-Georg John, Politik und Turnen. Die
Deutsche Turnerschaft als nationale Bewegung im deutschen
Kaiserreich von 1871–1914, Ahrensburg 1976. Dieter Langewiesche,
»Für Volk und Vaterland kräftig zu würken…« Zur politischen und
gesellschaftlichen Rolle der Turner zwischen 1811 und 1871, in:
Dieter Langewiesche (Hg.), Nation, Nationalismus, Nationalstaat
in Deutschland und Europa, München 2000, S. 103–131.
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DASS DER ALTE GEIST IM ET V NOCH LEBT
2 Düding, Opposition, S. 82.
3 Ebd.
4 Beate Meyer, »Goldfasane« und »Nazissen«. Die NSDAP im
ehemals »roten« Stadtteil Hamburg Eimsbüttel, Hamburg 2002,
S. 23. Daniela Kasischke-Wurm, Antisemitismus im Spiegel der
Hamburger Presse während des Kaiserreichs 1884–1914, Hamburg
1997, S. 368. Kurt-Gerhard Riquarts, Antisemitismus als politische
Partei in Schleswig-Holstein und Hamburg 1871–1914, Kiel 1975,
S. 278 ff.
5 Zum Alldeutschen Verband vgl.: Rainer Hering, Konstruierte
Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003.
Zum Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband vgl.: Iris Hamel,
Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der Deutschnationale
Handlungsgehilfen-Verband 1893–1933, Frankfurt am Main 1967.
6 Hering, Konstruierte Nation, S. 15.
7 Arthur de Gobineau, Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen, 4 Bände, Stuttgart 1922 [zuerst 1853].
8 Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des Neunzehnten
Jahrhunderts, 2. Bände, München 1900.
9 Gangolf Hübinger, Sakralisierung der Nation und Formen des
Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: Gerd Krumeich/
Hartmut Lehmann (Hg.), »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im
19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 233–248, hier:
235. Zur völkischen Bewegung vgl.: Stefan Breuer, Die Völkischen in
Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008.
Julia Schmid, Kampf um das Deutschtum. Radikaler Nationalismus in
Österreich und dem Deutschen Reich 1890–1914, Frankfurt,
New York 2009. Peter Walkenhorst, Nation-Volk-Rasse. Radikaler
Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890-1914, Göttingen 2007.
10 Mitglieder-Verzeichnis der Männer-Abteilungen und der AltherrenAbteilung des Eimsbütteler Turnverbandes, in: Archiv des ETV (AETV),
Vereinsnachrichten (VN), Dezember 1905. Vereinsbericht
für die Zeit vom 1. Januar 1907 bis 31. März 1908, S. 4. Die
Vereinsberichte 1902–1908 sind angebunden an die zu einem
Band zusammengefügten Jahrgänge der Vereinsnachrichten,
Band 1901–1907. AETV, VN, Band 1901–1907.
11 Julius Sparbier, Vorgeschichte des Eimsbütteler Turnhallenbaues.
Denkschrift zur Grundsteinlegung der neuen Turnhalle des Eimsbütteler
Turnverbandes e.V., 10. Juli 1909, Hamburg 1909, S. 3.
12 So war etwa der Rechtsanwalt David Wolfhagen Mitglied im
völkischen und antisemitischen Alldeutschen Verband, ETV-Mitglied
seit Mai 1896 und Vorsitzender des Finanzausschusses der ETVBaukommission.
Zum Alldeutschen Verband: Hering, Konstruierte Nation, S. 288.
Zur ETV-Mitgliedschaft: Ehrentafel, AETV, Der Eimsbütteler, Juni
1936, S. 85.
13 37. Sitzung der Bürgerschaft, 6. 11. 1907, in: Stenographische
Berichte über die Sitzungen der Bürgerschaft zu Hamburg im Jahre
1907 (Sitzung 1 bis 42), Hamburg 1908, S. 955.
14 Die Einweihung unserer Halle, AETV, VN, Mai 1910, S. 9.
15 Knivsbergfest, AETV, VN, September 1901, S. 16.
16 Bericht über den ersten Vortragsabend des Verbandes, AETV,
VN, Januar 1903, S. 4.
17 Vgl. Chamberlain, Grundlagen.
18 Bericht über den ersten Vortragsabend des Verbandes, AETV,
VN, Januar 1903, S. 4.
19 Hajo Bernett, Turnerkreuz und Hakenkreuz – Zur Geschichte
politischer Symbolik, in: Spectrum der Sportwissenschaft, 4 (1992),
Heft 1, S. 14-35.
20 Vgl. etwa: Julius Sparbier, Deutsche Turn- und Kampfspiele.
Ihr Wesen, ihr Betrieb, ihr Werden. Nebst einer Darstellung der Vorübungen und vorbereitenden Spiele im Schul- und Vereinsbetrieb
(Handbuch der Leibesübungen, herausgegeben im Auftrage der
Deutschen Hochschule für Leibesübungen, 2. Band), Berlin 1923.
Julius Sparbier, Der deutsche Turnwart. Ein Hilfs- Trost- und Mahnspruch für deutsche Turnwarte und Turnlehrer, Dresden 1926. Julius
Sparbier, Bau von sportlichen Übungsstätten, in: Heinrich Hasperg,
Ein Jahrhundert Sport in Hamburg, Hamburg 1932, S. 152–158.
21 Eimsbütteler Turnverband (Hg.), 50 Jahre Eimsbütteler Turnverband
1889–1939, Hamburg 1939, S. 106.
22 Ralf Schäfer, Der Zentralausschuss für Volks- und Jugendspiele
und seine Stellung in der deutschen Sportgeschichte, in: Michael
Krüger (Hg.), »Mens sana in corpore sano«. Gymnastik,Turnen, Spiel
und Sport als Gegenstand der Bildungspolitik vom 18. bis zum 21.
Jahrhundert. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom
7.–8. Juni 2007 in Frankfurt am Main, Hamburg 2008, S. 41–55.
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Zu Sparbiers Rolle im Zentralausschuss und der Anbindung des
ETV an den Ausschuss: AETV, VN, September 1902, S. 57; VN,
September 1908, S. 32; VN, November 1908, S. 46.
23 Wolfgang Meyer, Geschichte des Turnwesens im Gau Nordmark
der deutschen Turnerschaft, 2 Bände, Hamburg 1936 und 1938,
hier: Band 2, S. 60. Auch: AETV, Der Eimsbütteler, Januar 1929, S. 1 ff.
24 Uwe Uhlendorff, Geschichte des Jugendamts. Entwicklungslinien der öffentlichen Jugendhilfe 1871-1929, Weinheim, Basel,
Berlin 2003, S. 257 ff. Zur Mitgliedschaft des ETV: Hamburgischer
Landesverband für Jugendpflege an den Eimsbütteler Turnverein,
12. 12. 1912, StAHH, 614-1/18, Nr. 27 Bd. 3.
25 Uhlendorff, Jugendamt, S. 261.
26 Zu Sparbiers Tätigkeit: Hauptgeschäftsstelle der militärischen
Vorbereitung der Jugend im Staatsgebiet Hamburg an die Bezirksleiter der Jugendkompagnien, 10.12.1914, StAHH 614-1/18, Nr. 28,
Bd. 1.
27 Zum Geleite, AETV, VN, November 1914, S. 44. Jahresbericht,
AETV, VN, März 1916, S. 3. Jahresbericht, AETV, VN, August 1918, S. 9.
28 Unser Volk und der Krieg, AETV, VN, November 1914, S. 45.
29 Anzeige für die Begrüßungsfeier, AETV, VN, Januar 1919, S. 23.
30 Ebd.
31 Festrede zur Weihe des Gedenksteins für unsere Gefallenen,
AETV, VN, September 1920, S. 32 f.
32 Ansprache am Gedenkstein für unsere Gefallenen, AETV, Der
Eimsbütteler, Oktober 1925, S. 119–120, hier: S. 120.
33 Dies belegen etwa die Werbeanzeigen des Handlungsgehilfenverbandes in: AETV, Der Eimsbütteler, Februar 1926, S. 179 und April
1926, S. 15. Hinzu traten Anzeigen der dem Verband angeschlossenen
Deutschnationalen Krankenkasse in: AETV, Der Eimsbütteler, April
1925, S. 16; Dezember 1925, S. 156; Januar 1926, S. 168; März
1926, S. 192. Außerdem machte der ETV Werbung für die DNVP
in: Anzeige der DNVP, AETV, Sportzeitung, 15.11.1924, S. 24.
34 AETV, Sportzeitung, 15.12.1924, S. 19.
35 Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, in:
Reinhard Rürup/Hans-Ulrich Wehler/Gerhard Schulz (Hg.), Deutsche
Geschichte, Band 3: 19. Und 20. Jahrhundert 1815–1945, Göttingen
1985, S. 203–404, hier: S. 306.
36 Ebd.
37 Zur Turnerjugend vgl.: Jürgen Dieckert, Die Turnerjugendbewegung.
Ein Beitrag zur Erziehungsgeschichte der außerschulischen Jugenderziehung während der Weimarer Republik, Schorndorf 1968.
38 Jugendbewegung, Bericht über die Jahre 1922/24, AETV, VN,
Februar 1924, S. 9.
39 Bücherei für unsere Jugend, AETV, VN, März 1920, S. 10.
40 Der Jugendtag in Detmold, 4. bis 6. Oktober, AETV, VN, November
1924, S. 99.
41 Dieckert, Turnerjugendbewegung, S. 133.
42 Jahresbericht 1931/32, Der Eimsbütteler, Juni 1932, S. 3–10,
hier: S. 10, STAHH, Z 509/0115.
43 Die Landfahrer, Der Eimsbütteler, November 1931, S. 2, StAHH,
Z 509/0115.
44 Wehr-Sport, AETV, Der Eimsbütteler, Juli 1932, S. 3.
45 Sie sollen daran nicht vorübergehen, AETV, Der Eimsbütteler,
März 1933, S. 5.
46 Aus den April-Turnratssitzungen, Der Eimsbütteler, Mai 1933,
S. 3, StAHH, Z 509/0115.
47 Vorstand des ETV, AETV, Der Eimsbütteler, Juni 1933, S. 5.
48 Aus der Juni-Turnratssitzung, AETV, Der Eimsbütteler, Juli
1933, S. 5.
49 Zu Finns Tätigkeit als Manager der Royal Dutch Shell vgl.: Internetpräsenz der »Initiative gegen die Bebauung des Sparbier-Sportplatzes«,
http://keindiakonieklinikum.blogger.de, letzter Zugriff 12.9.2010.
50 Armin Finn, Der Mann der arbeitete und schwieg. Wer war
Robert Finn, unveröffentlichtes Manuskript, unpaginiert, verfasst
im März 2010, Privatbesitz Armin Finn. Armin Finn stellte mir das
Manuskript freundlicherweise zur Verfügung.
51 Der Führer des ETV, AETV, Der Eimsbütteler, August 1933, S. 1.
52 Bekanntmachung des Führers, AETV, Der Eimsbütteler, Oktober
1933, S. 3.
53 NSDAP-Mitgliederkartei (Ort), BA (ehem. BDC), 3200, Film
C0035, Eduard Brose, 24.5.1895.
54 Dies geht aus verschiedenen Schreiben hervor, die Brose aus
Gößweinstein an Dienststellen der HJ schickte und mit »Lagerleiter«
zeichnete. Vgl. Brose an die Inspektion HJ der Dienststelle KLV,
12.4.1943; KLV-Schulinspektor Sarhage an Brose, 6. 1. 1944; Brose
an Sahrhage, 12.1.1944; alle in: StAHH, 362-2/8, Nr. 181.
55 Arbeitsgemeinschaft Schmierstoff-Verteilung (ASV), in: Öl und
Kohle, 39 (1943), S. 588. Armin Finn, Wer war Robert Finn, Blatt 4
Erklärung Robert Finns, 8.12.1946, Entnazifizierungsverfahren
Robert Finn, StAHH, 221-11, J (0) 11. Vgl. auch: Ulrich Prehn, Zur
Geschichte des Eimsbütteler Turnverbandes (ETV) in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts sowie zur Rolle Robert Finns im Verein und
in der deutschen Vorkriegs- und Kriegswirtschaft (SchmierstoffIndustrie), unveröffentlichtes Gutachten im Besitz des ETV, Hamburg
2007.
56 Bekanntmachung des Führers, AETV, Der Eimsbütteler, Oktober
1933, S. 3.
57 Warum sich der ETV dem Deutschen Fußball-Bund angeschlossen
hat, AETV, Der Eimsbütteler, Dezember 1933, S. 1 f.
58 Ebd. Vgl. auch: Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz.
Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt, New
York 2005, S. 158.
59 Nachruf für John Heinemann, AETV, Der Eimsbütteler, Januar
1968, S. 3–4, hier: S. 4.
60 Abdruck der ETV-Satzung, AETV, Der Eimsbütteler, Juli 1935,
S. 9–10, hier: S. 9.
61 Der Staat ehrt Julius Sparbier, AETV, Der Eimsbütteler, August
1933, S. 2–4, hier: S. 2.
62 Julius Sparbier-Tag, Hamburger Tageblatt, 28. August 1933.
63 Der Bezirkstag in Hamburg: Der Vorstand unter nationalsozialistischer Leitung, HamburgerTageblatt, 4. Mai 1933. Aussprache des
Bezirks-Führers mit den prominenten Vereinsführern Groß-Hamburgs,
Hanseatische Sport-Zeitung, 12. September 1933.
64 August Bosses letzter Gang: Wir trugen einen Kämpfer zu Grabe,
Hamburger Tageblatt, 25. Januar 1935. Vgl. auch: August Bosses
letzter Weg, Hamburger Fremdenblatt, 25. Januar 1935.
65 Bericht der Fußball-Abteilung im ETV, AETV, Der Eimsbütteler,
Juli 1934, S. 112–113, hier: S. 113.
66 Ein stolzer Tag, AETV, Der Eimsbütteler, Januar 1954, S. 1.
67 Eimsbütteler Turnverband (Hg.), 75 Jahre Eimsbütteler Turnverband e.V. Hamburg 1889–1964, Hamburg 1964, S. 13. Adolf
Jacobsen schrieb darin: »So stand das Vereinsleben wieder in
schöner Blüte, als der 2. Weltkrieg sich ankündigte. Schon vor
Ausbruch des Krieges wurde unsere große Halle beschlagnahmt,
anfangs, um Gerste zu lagern, später, um in ihr Fremdarbeiter
unterzubringen. Zum Glück hat unser Gebäude zwei Hallen, so
daß das Turnen nicht ganz stillgelegt zu werden brauchte. Daß
der Betrieb in allen Abteilungen sehr zurückging, bedarf keiner
Betonung.«
68 Vgl. Friederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der
Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945, München 2006. Das Lager
in der Bundesstraße 96 ist in der zu Littmanns Monographie gehörenden Datenbank dokumentiert: Bundeszentrale für politische Bildung
u.a. (Hg.), Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945.
Wegweiser zu Lagerstandorten und Einsatzstätten ausländischer
Zwangsarbeitskräfte basierend auf einer Datenbank von Friederike
Littmann (CD-ROM), Hamburg 2007. Die Datenbank ist mittlerweile
auch im Internet verfügbar: www.zwangsarbeit-in-hamburg.de,
letzter Zugriff 14.9.2010. Littmanns Ergebnisse wurden erweitert
durch: Prehn, Geschichte des ETV, S. 23–25.
79 Es handelt sich um die sog. »Hausmeldekartei«, in der sämtliche
Bewohner eines Hauses vermerkt wurden. Die Hamburger Behörden
führten die Bundesstraße 96 als Wohnhaus, denn in dem Gebäude
befanden sich auch zwei Privatwohnungen; in einer von ihnen
lebte der ehemalige Turnlehrer des ETV. Auch die Turnhalle wurde
offenbar als Wohngebäude in die Kartei aufgenommen. Damit
gelangten alle dort untergebrachten Arbeiter als Hausbewohner
in die Kartei. Hausmeldekartei, StAHH, 332-8, A51/1, verfilmte
Hauskartei 1939–1968 im Bestand 741-4, Fotoarchiv K 2441L.
70 Für die folgenden Angaben zum Lager in der Bundesstraße
96 vgl.: Sven Fritz, »… daß der alte Geist im ETV noch lebt. Der
Eimsbütteler Turnverband von der Gründung bis in die Nachkriegszeit, Hamburg 2010, S. 142–147.
71 Robert Finn, Zum Geleit!, AETV, Der Eimsbütteler, Mai 1949,
S. 2.
72 Adolf Jacobsen, Rückblick, Eimsbütteler Turnverband (Hg.),
Festschrift zum sechzigjährigen Bestehen des Eimsbütteler Turnverbandes e.V. 1889–1949, Hamburg 1949, S. 7 und S. 17.
Jürgen Sielemann
Nachforschungen über die Verfolgung jüdischer
ETV-Mitglieder in der NS-Zeit
Im vergangenen Jahr wandte sich der Vorstand des
Eimsbütteler Turnverbands an die Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie, um Auskunft über Vereinsmitglieder zu erhalten, die in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes als Juden verfolgt wurden. Als
Vorsitzender der Hamburger Gesellschaft für jüdische
Genealogie habe ich dieses Anliegen gern unterstützt.
Die Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Grenzen solcher
Nachforschungen waren mir sehr bewusst, denn ähnliche Ermittlungen hatten vor meiner 2007 erfolgten
Pensionierung jahrzehntelang zu meinen Aufgaben als
Referent des Staatsarchivs für das Archivgut und die
Geschichte der Juden in Hamburg gehört. Dazu zählte
auch die Bearbeitung des 1995 vom Staatsarchiv veröffentlichten Gedenkbuchs »Hamburger jüdische Opfer
des Nationalsozialismus«.
Im Folgenden möchte ich zunächst auf die ETV-eigenen
Archivquellen eingehen, danach den Gang der Recherchen an einem Beispiel demonstrieren und anschließend von den bis dato festgestellten jüdischen Vereinsmitgliedern des ETV sprechen.
Im März 2010 gab der ETV-Vorstand in einer Presseinformation den damaligen Stand der Nachforschungen
bekannt: »Die Recherche der Namen dieser ehemaligen jüdischen Mitglieder, die es ganz sicher gegeben
hat, gestaltet sich recht schwierig, denn systematische
Mitgliederlisten für die entsprechende Zeit gibt es –
wenn überhaupt – nur noch zufällig. Eine Mitgliederkartei dieser Zeit liegt nicht mehr vor. Inzwischen
haben einige interessierte Vereinsmitglieder im
Vereinsregister und im Vereinsarchiv recherchiert
und sind auf Wettkampflisten, auf Listen neu eingetretener Mitglieder, auf Mannschaftslisten etc. gestoßen.«
Für meine Nachforschungen stellte mir der ETV 177
Fotokopien mit datierten und undatierten Namenlisten zur Verfügung.
Die datierten Namenlisten stammen aus den Vereinszeitschriften der Jahre 1905 bis 1910, 1914 bis 1916,
1919, 1926 und 1933 bis 1936. Insgesamt sind darin die
Namen von 902 Mitgliedern dokumentiert, davon 582 in
der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Ein komplettes Mitgliederverzeichnis der männlichen Mitglieder des Eimsbütteler Turnverbandes ist nur von 1905 vorhanden, ein
Gesamtverzeichnis der weiblichen Mitglieder fehlt ganz.
Wir müssen deshalb leider feststellen, dass die Namen
der Vereinsmitglieder nur sehr unvollständig überliefert sind. Hinzu kommt, dass Identifikationsmerkmale
Um den Gang der Recherchen an einem Beispiel zu demonstrieren, wenden wir uns einem Mitglied zu, das
im Mitgliedsverzeichnis von 1905 wie folgt verzeichnet
ist:
S. Kleve, Hausmakler, Feldstr. 49, II., Mitglied der Männerabteilung Binderstraße. 1909 wurde S. Kleve in der
Vereinszeitschrift als 1. Vorsitzender des Verbandsfestausschusses und 1916 als Soldat in Serbien genannt.
In der Meldekartei der vor 1926 aus Hamburg verzogenen bzw. verstorbenen Einwohner ist eine Karteikarte von Saly Kleve enthalten.
wie die Wohnadressen und Berufe in vielen Fällen
fehlen. Geburtsdaten und -orte finden sich an keiner Stelle. Als Grund für die Vernichtung der Mitgliederkarteien und anderer Unterlagen aus der NS-Zeit
wird eine systematische »Säuberung« des Vereinsarchivs vermutet.
Unter den 902 überlieferten Namen von Mitgliedern
fand ich 54, die für eine weitere Prüfung in Betracht
kamen, weil ich ihre Familiennamen aus den Mitgliederkarteien der Jüdischen Gemeinde, aus dem Gedenkbuch für die Hamburger jüdischen Opfer des Nationalsozialismus und aus anderen Quellen kannte.
22 dieser 54 Mitglieder ließen sich eindeutig identifizieren.
Dem ersten Anschein nach könnte er mit dem ETVMitglied S. Kleve identisch sein, zumal sein Beruf (Hausmakler) und seine Adresse (Feldstraße 49, II.) mit den
Angaben in der Vereinszeitschrift übereinstimmen.
Allerdings wurde Saly Kleve bereits 1843 geboren
und starb 1913, so dass seine Identität mit dem in
der Vereinszeitschrift von 1916 als Soldat in Serben
genannten S. Kleve auszuschließen ist. Sämtliche
Angaben in der Vereinszeitschrift treffen aber auf
Saly Kleves Sohn Siegfried zu. Dieser wurde 1879 in
Altona geboren, war bis 1911 bei seinem Vater in
der Feldstraße 49 gemeldet und, wie die Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde
in Hamburg zeigt, ebenfalls Hausmakler von Beruf.
Aus dieser Kartei geht hervor, dass Siegfried Kleve
und seine Ehefrau Erna geb. Lasch am 11. Juni 1942
aus Hamburg deportiert wurden. Dem Gedenkbuch
»Hamburger Jüdische Opfer des Nationalsozialismus«
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VERFOLGUNG JÜDISCHER ETVMITGLIEDER
ist zu entnehmen, dass Siegfried Kleve 1941 in das KZ
Fuhlsbüttel gebracht wurde und am 11. Juni 1942 mit
seiner Frau nach Auschwitz in den Tod geschickt wurde. In Hamburg hatten beide zuletzt in qualvoller Enge
in der Bogenstraße 27 wohnen müssen. Das Gebäude
war von der Gestapo zum »Judenhaus« erklärt worden
und diente der Unterbringung zahlreicher Familien
auf engstem Raum. Vor dem Eingang erinnert heute ein
»Stolperstein« an Siegfried Kleve. Seine Schwägerin
Edith Lasch hinterlegte zu seinem Gedächtnis dieses
Dokument in der israelischen Gedenk stätte Yad
Vashem.
Das 1905 gedruckte Verzeichnis der Damenabteilung
Tornquiststraße führt drei Träger des Familiennamens
Blankenstein mit der Adresse Schäferkampsallee 37
auf: B., E. und G. Blankenstein. Sie sind eindeutig
als Schwestern zu identifizieren. Bertha Blankenstein,
geb. 8.11.1876 in Dortmund, wurde am 25.10.1941 aus
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Hamburg nach Lodz deportiert und ermordet. Das
Gleiche hat ihre Schwester Edith Blankenstein erlitten.
Sie wurde am 15.5.1883 in Hamburg geboren und war
Volksschullehrerin von Beruf. Gertrud Betty Blankenstein,
geb. 8.1.1888 in Hamburg, war mit einem nicht jüdischen Musiklehrer namens Anton Penkert verheiratet.
Am 9.4.1943 wurde sie verhaftet, in das KZ Fuhlsbüttel
und im Herbst 1943 zur Ermordung nach Auschwitz gebracht. Als ihr Todestag in Auschwitz ist der 1.12.1943
dokumentiert. Für Bertha und Edith Blankenstein wurden »Stolpersteine« vor dem Haus Abendrothsweg 23
verlegt.
Das Mitgliederverzeichnis der Männerabteilung Binderstraße des ETV von 1905 nennt einen Kaufmann namens
S. Cohen mit der Adresse Parkallee 4, 1. Stock. Aufgrund
der Adressenangabe konnte dessen Identität mit
Siegmund Veit Cohen, geb. 1.11.1880 in Hamburg,
festgestellt werden. Siegmund Veit Cohen, Handelsvertreter in einer Textilfirma, starb am 29.3.1940 in
Hamburg an einem Lungenleiden. Seine Witwe Erna
geb. Behrens, geb. 17.2.1885 in Hamburg, wurde am
25.10.1941 aus Hamburg nach Lodz deportiert und dort
am 20.4.1942 ermordet. Gerda, Lisa und Franz, die drei
Kinder des Ehepaars, konnten Deutschland vor dem
Beginn des Krieges verlassen.
Als Mitglied der Damenabteilung ist in der Vereinszeitschrift von 1905 »O. Delbanco, Heinrich-Barth-Straße 8,
parterre« verzeichnet. Die Angabe ihrer Adresse ermöglicht die Identifizierung. Es handelte sich um die
Lehrerin Olga Delbanco, geb. am 24.2.1876 in Hamburg.
Sie wurde am 18.11.1941 aus Hamburg nach Minsk
deportiert und ermordet. Vor dem Haus Haynstraße 10
erinnert ein »Stolperstein« an sie.
Unter den 1919 in den ETV eingetretenen Mitgliedern
ist der Kaufmann Daniel Dublon, Dammthorstraße 6,
in der Vereinszeitschrift aufgeführt. Daniel Dublon,
geb. 27.8.1883 in Hamburg, wurde am 19.7.1942 aus
Hamburg nach Theresienstadt deportiert und hat
überlebt.
Die Vereinszeitschrift von 1905 nennt als Mitglieder
der Männerabteilung Binderstraße die Kaufleute »M.
und Rud. Glückstadt, Heinrich-Barth-Straße 11« und
einen Kaufmann »Rich. Glückstadt, Dillstr. 21, parterre«. Die drei Vereinsmitglieder wurden als Max
Glückstadt, Rudolf Ruben Glückstadt und Richard
Ruben Glückstadt identifiziert. Max Glückstadt, geb.
12.10.1884 in Hamburg, Händler mit Pferdehaaren,
emigrierte 1939 nach England. Rudolf Ruben Glückstadt, geb. 3.9.1883 in Hamburg, emigrierte im Mai
1939 mit seiner Ehefrau Hanna geb. Möller und den
Kindern Ruth und Elisabeth nach Bolivien. Richard
Ruben Glückstadt, geb. 21.7.1887 in Hamburg, wurde
am 12.9.1940 in Brüssel in Gestapohaft ermordet.
Vor dem Haus Hochallee 121 erinnern »Stolpersteine«
an ihn, an seine Ehefrau Fanny Glückstadt geb. Levy
und an seinen Sohn Werner Glückstadt. Beide wurden
aus Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet.
In der Vereinszeitschrift von 1919 ist als neues Mitglied Hans Goldstein, Student, St. Benedictstraße 29,
genannt. Er wurde eindeutig als Hans Goldstein, geb.
1.7.1899 in Hamburg, identifiziert. 1923 meldete er
sich aus Hamburg nach Frankfurt a.M. ab. In der NSZeit emigrierte er nach London.
Die Mitgliedschaft des Schülers »D. Hamburger,
Klosterallee 22, II.«, in der ETV-Männerabteilung
Binderstraße ist in der Vereinszeitschrift von 1905
dokumentiert. Es handelte sich um Donald Hamburger,
geb. 3.11.1888. Im Juli 1932 siedelte er als Bankier
nach Den Haag über und schied aus der DeutschIsraelitischen Gemeinde in Hamburg aus. Als Opfer
der NS-Verfolgung wurde er nicht festgestellt.
John Heinemann, von Beruf Möbelhändler, wurde am
5.6.1894 in Hamburg geboren und starb am 23.11.1967
in Pinneberg. Im Ersten Weltkrieg geriet er in russische
Kriegsgefangenschaft und verbrachte einige Zeit in
Sibirien. Von 1924 bis 1934 leitete er die Fechtabteilung
des ETV. Im Oktober 1938 emigrierte John Heinemann
mit Frau und Kindern nach Uruguay. Vor 1953 kehrte
er nach Hamburg zurück und trat wieder in die Fechtabteilung des ETV ein. Der Verein ernannte ihn zum
JÜRGEN SIELEMANN
Ehrenmitglied und widmete ihm in der Vereinszeitschrift einen Nachruf.
1915 meldete die Vereinszeitschrift, dass das ETVMitglied Friedrich Jacobsohn im Krieg gefallen sei.
Das 1932 veröffentlichte Gedenkbuch für die jüdischen
Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen
Marine und der deutschen Schutztruppen führt im
Abschnitt »Hamburg« Friedrich Jacobsohn mit dem
Geburtsdatum 11.8.1888 und dem Todestag 19.5.1915
auf.
1916 war in der Vereinszeitschrift zu lesen, dass das
ETV-Mitglied Maximilian Jacobsohn »seine Tätigkeit
als Sanitäter im Osten bei einer Munitionskolonne aufgenommen hat«. Es handelte sich um den am 27.4.1891
in Hamburg geborenen Exportagenten Maximilian
Jacobsohn. Die Akten des Hamburger Senats zeigen, dass
ihm 1918 als Sanitäts-Unteroffizier das Hanseatenkreuz verliehen wurde. Maximilian Jacobsohn war
Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und
emigrierte im November 1938 mit seiner Familie aus
Hamburg nach Belgien. Am 4.4.1944 wurde er von
dort nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die
Ermordung seiner am 11.12.1921 in Hamburg geborenen Tochter Ingeborg ist ebenfalls dokumentiert.
»Alb. Jacobson, Kaufmann, Hansastraße 36«, ist in
der Vereinszeitschrift 1919 als neues ETV-Mitglied
verzeichnet. Es ist eindeutig als Albert Jacobson, geb.
2.12.1893 in Hamburg, zu identifizieren. Im Mai 1938
emigrierte er in die USA.
Als neues Mitglied der Männerabteilung vor dem
Dammtor meldete die Vereinszeitung 1909 ohne
weitere Angaben zur Person Arthur Joelson. In den
Quellen wurde ein einziger Träger dieses Namens festgestellt werden: Arthur Nathan Joelson, geb. 26.1.1890
in Hamburg, Mitglied der Deutsch-Israelitischen
Gemeinde in Hamburg bis zu seiner Emigration nach
England im März 1939. Höchstwahrscheinlich war er
mit dem ETV-Vereinsmitglied Arthur Joelson identisch.
In der Vereinszeitschrift von 1905 erscheint »J. Kahn,
Kaufmann, Grindelallee 168, III.«. Es handelte sich um
den am 1.9.1888 in Hamburg geborenen Kaufmann
James Friedrich Kahn. Er emigrierte 1939 nach Frankreich. Seine Ehefrau Eva geb.Lipschitz und die Kinder
Ruth und Ingrid konnten ihm nach dem Kriegsbeginn
nicht folgen und wurden am 8.11.1941 aus Hamburg
nach Minsk deportiert und ermordet. James Friedrich
Kahns Mutter Marie geb. Helbing deportierte die
Hamburger Gestapo am 24.2.1943 aus Hamburg nach
Theresienstadt. Als ihr Todestag in Theresienstadt ist
der 27.3.1943 dokumentiert.
Dr. med. Max Kulik, geb. 10.6.1898 in Hamburg, veröffentlichte als Student sportmedizinische Artikel in
der Zeitung der Fussball-Abteilung des ETV und ist
1930 als Mitglied der Alte-Herren-Fußballmannschaft
des ETV dokumentiert. Seit 1925 war er in Hamburg
als praktischer Arzt und Sportarzt tätig. Seinen weiteren Lebenslauf hat Anna von Villiez in ihrem Buch
über die jüdischen Ärzte in Hamburg 1933–1945 geschildert. 1938 wurde Dr. Kulik von der Gestapo verhaftet und nur unter der Bedingung, sofort auszuwandern,
aus dem KZ Fuhlsbüttel entlassen. Er flüchtete über
Frankreich nach Marokko, kehrte von dort nach Frankreich zurück und reiste 1941 über Mittelamerika nach
New York. 1943 eröffnete Dr. Kulik dort eine Arztpraxis.
Am 8.9.1959 starb er in New York.
Die Vereinszeitschrift von 1905 nennt als Mitglied der
Männerabteilung »R. Lisser, Neumünsterstraße 28, II.«.
Dort wohnte damals eine Familie namens Lisser; ein
männliches Familienmitglied, dessen Vorname mit R
begann, konnte jedoch nicht festgestellt werden.
Die Vereinszeitschrift von 1915 meldete in der Rubrik
»Ehrentafel der gefallenen Mitglieder« den Tod von
Dr. August Regensburger. Dem erwähnten Gedenbuch
der jüdischen Gefallenen ist zu entnehmen, dass
Dr. Karl August Regensburger am 25.5.1888 in Hamburg
geboren wurde und am 8.8.1915 als Angehöriger
eines Feld-Artillerie-Regiments den Tod fand.
Hugo Waldbaum befand sich lt. Vereinszeitschrift 1916 in
Marocco. Ein am 21.8.1892 in Hamburg geborener Kaufmann dieses Namens gehörte der Deutsch-Israelitischen
Gemeinde in Hamburg bis zu seiner Auswanderung nach
Amsterdam im Januar 1931 an. Als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist er nicht nachgewiesen.
Seine Identität mit dem 1916 genannten Vereinsmitglied ist anzunehmen; weitere Träger dieses Namens
wurden jedenfalls nicht festgestellt.
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Opferliste ehemaliger jüdischer ETV-Mitglieder
Rot hervorgehoben sind die Namen, welche in den ETVMitgliederverzeichnissen oder sonstigen Vereinsdokumenten gefunden wurden. Die mit Signatur angeführten
Quellen sind im Staatsarchiv Hamburg verwahrt.
B. Blankenstein, Schäferkampsallee 37 III. (Mitgliederverzeichnis der Damenabteilung Tornquiststraße,
1906, S. 8) Identisch mit Bertha Blankenstein, geb.
8.11.1876 in Dortmund, Tochter von Hermann (Herz)
Blankenstein; am 25.10.1941 aus Hamburg nach Lodz
deportiert, ermordet (332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III 93 201; Jürgen Sielemann (Bearb.), Hamburger
jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch.
Hamburg 1995, S. 38; 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b,
Kultussteuerkartei 1913–1943, Bertha Blankenstein).
E. Blankenstein, Schäferkampsallee 37 III. (Mitgliederverzeichnis der Damenabteilung Tornquiststraße,
1906, S. 8) Edith Blankenstein, geb. 15.5.1883 in Hamburg,
Aufnahme in den hamburgischen Staatsverband 1908,
damalige Adresse, Schäferkampsallee 37, Lehrerin im
öffentlichen Volksschuldienst, Vater: Herz genannt
Hermann Blankenstein (332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III 93 201); Deportation nach Lodz am
25.10.1941, ermordet (Jürgen Sielemann (Bearb.),
Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus.
Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 38).
G. Blankenstein, Schäferkampsallee 37 III. (Mitgliederverzeichnis der Damenabteilung Tornquiststraße,
1906, S. 8). 332-8 Meldewesen, A 30, Meldekartei
1891–1925 Gertrud Betty Blankenstein, geb. 8.1.1888
in Hamburg, Vater: Herz Blankenstein, Adresse 1909:
Schäferkampsallee 37, III., bei den Eltern. Eheschließung
am 10.7.1909 mit Anton Adolph Penkert, Musiklehrer,
evangelisch-lutherisch (Standesamt 20, Heiratsregister
1909, Nr. 480). Lt. Beischreibung in diesemHeiratsregister
und im Geburtsregister des Standesamts Hamburg 3,
1888 Nr. 173, Tod am 1.12.1943 in Auschwitz. Am 9.4.1943
verhaftet und im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert, im Herbst
1943 nach Auschwitz deportiert, Tod in Auschwitz am
1.12.1943 (351-11 Amt für Wiedergutmachung, 2652,
Anton Penkert).
S. Cohen, Kaufmann, Parkallee 4 I. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der AltherrenAbteilung, 01/1906, S. 1) Cohen, F. S., i. Fa. Maas &
Cohen, Parkallee 4, I. (Adressbuch 1907) Ferdinand
Siegmund Cohen, geb. 16.3.1846 in Hamburg, gest.
27.7. 1915 in Hamburg, Religion: mosaisch, Sohn: Siegmund Veit Cohen, geb. 1.11.1880 in Hamburg; Adresse
1901–1913: Parkallee 4, I. (332-8 Meldewesen, A 30,
Meldekartei 1891–1925).
Siegmund Veit Cohen geb. 1.11.1880 in Hamburg, gest.
29.3.1940 in Hamburg, Handelsvertreter, Ehefrau: Erna
geb. Behrens, geb. 17.2.1885 in Hamburg (522-1 Jüdische
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Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Karteikarte Siegmund Veit Cohen). Todesursache von Siegmund
Veit Cohen: Lungenleiden (331-5 Polizeibehörde –
Unnatürliche Sterbefälle, Standesamt 1, 1940 Nr. 240)
Erna Cohen geb. Behrens geb. 17.2.1885 in Hamburg,
Witwe von Siegmund Veit Cohen, 25.10.41 deportiert
nach Lodz (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Karteikarte Erna Cohen).
Henriette Erna Cohen geb. Behrens, geb. 17.2.1885 in
Hamburg, 25.10.1941 deportiert in das Ghetto Lodz,
Tod im Ghetto Lodz am 20.4.1942 (Bundesarchiv,
Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Online-Version).
O. Delbanco, Heinrich-Barth-Straße 8, p. (Mitgliederverzeichnis der Damen-Abteilungen, 01/1906, S. 7)
Olga Delbanco, geb. 24.2.1876 in Hamburg, wurde am
18.11.1941 aus Hamburg nach Minsk deportiert und
ermordet. Eltern: Hirsch Elias Delbanco und Hanna
geb. Arnhold (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Karteikarten Olga Delbanco
und Witwe Hirsch Elias Delbanco, (Jürgen Sielemann
(Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 79). Adressbuch 1907: Witwe Hirsch Elias Delbanco, HeinrichBarth-Straße 8, P.
Dublon, Daniel, Kaufmann, Dammthorstraße 6
(Vereinszeitschrift 03/1919, neu eingetretene Mitglieder, S. 81) Daniel Dublon, geb. 27.8.1883 in Hamburg, 19.7.1942 deportiert nach Theresienstadt (522-1
Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–
1943, Daniel Dublon); hat überlebt.
M. Glückstadt, Kaufmann; Rud. Glückstadt, Kaufmann, Heinrich Barth-Straße 12 (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der AltherrenAbteilung, 01/1906, S. 2).
Gustav Arje Glückstadt, geb. 28.7.1849, gest. vor
5.5.1935, Rohtabakfirma, Ehefrau: Rahel geb. Stern,
geb. 20.12.1857 in Hamburg, gest. 5.5.1935, Adresse:
Heinrich- Barth-Straße 12; Sohn: Max Glückstadt, dessen
Steuerkarteikarte siehe Nr.1081 (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Karteikarte
Rahel Glückstadt, Witwe von Gustav Arje Glückstadt)
Max Glückstadt, geb. 12.12.10.1884 in Hamburg, Handel mit rohen und verarbeiteten Pferdehaaren, 1939
Emigration nach England (522-1 Jüdische Gemeinden,
992 b, Kultussteuerkartei 1913-1943, Karteikarte Max
Glückstadt).
Rud. Glückstadt, Kaufmann, Heinrich-Barth-Straße 12
(Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und
der Altherren-Abteilung, 01/1906, S. 2).
Rudolf Ruben Glückstadt, geb. 3.9.1883 in Hamburg,
Kaufmann, Heinrich-Barth-Straße 12, Mai 1939 Emigration nach Bolivien (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b,
Kultussteuerkarteo 1913-1943, Karteikarte Rudolf Ruben
Glückstadt).
Rich. Glückstadt, Kaufmann, Dillstraße 21 p. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der Altherren-Abteilung, 01/1906, S. 2). Identisch mit Ruben
Richard Glückstadt, geb. 21.7.1887 in Hamburg (332-8
Meldewesen, A 24 Bd. 384, 1927 Nr. 885: Ruben Richard
Glückstadt, Rufname Richard ist unterstrichen).
Richard Glückstadt, geb. 21.7.1887, Bankgeschäft, Ehefrau: Fanny Glückstadt geb. Levy, geb. 15.3.1894, drei
Söhne, darunter Werner Glückstadt, geb. 29.5.1925,
1934 Emigration nach Brüssel (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913-1943, Karteikarte
Richard Glückstadt).
Ruben Richard Glückstadt, geb. 21.7.1887 in Hamburg, Opfer der NS-Verfolgung (Jürgen Sielemann
(Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 125); ermordet in Brüssel in Gestapohaft am 12.9.1940 (Datenbank
Stolpersteine Hamburg).
Fanny Glückstadt geb. Levy, geb. 15.3.1894 in Hamburg,
Haft in Gurs, 4.9.1942 deportiert aus Drancy nach
Auschwitz, ermordet (Jürgen Sielemann (Bearb.),
Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus.
Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 125).
Werner Glückstadt, geb. 29.5.1925 in Hamburg,
4.9.1942 deportiert aus Drancy nach Auschwitz, ermordet (Jürgen Sielemann (Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch.
Hamburg 1995, S. 125).
Hans Goldstein, Student, St. Benedictstraße 29
(Vereinszeitschrift 03/1919, S. 81, 1919 neu eingetretene Mitglieder) Identifiziert als Hans Goldstein,
geb. 1.7.1899 in Hamburg, 1923 abgemeldet nach
Frankfurt a.M. (332-8 Meldewesen, Meldekartei
1891–1925); emigriert nach London (314-15 Oberfinanzpräsident, F 763).
D. Hamburger, Schüler, Klosterallee 22 II. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der
Altherren-Abteilung, 01/1906, S. 2) Adressbuch 198:
S. D. Hamburger, in Fa. D. Hamburger, Klosterallee 22,
Kultussteuerkartei 1913–1943 (522-1 Jüdische Gemeinden,
992 b, Donald Hamburger): Donald Hamburger, geb.
3.11.1888, 19.7.1932 Verzug nach Haag, Vater: Salomon
David Hamburger. Als Opfer nicht nachgewiesen.
John Heinemann (jüdisches ETV-Mitglied lt. Frank
Fechner). Identifiziert als John Heinemann, geb.
5.6.1894 in Hamburg, gest. 23.11.1967 in Pinneberg
(332-5 Standesämter, 9098, Geburtsregister 1894, Nr.
1020); Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde
JÜRGEN SIELEMANN
in Hamburg seit 1920, Apotheker, später Möbelhändler,
im Oktober 1938 mit Frau und Kindern nach Uruguay
emigriert (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Karteikarte
John Heinemann). 1954 in Hamburg eingebürgert (332-8
Meldewesen, Hausmeldekartei Rellingerstraße 12).
Alb. Jacobson, Kaufmann, Hansastraße 36 (Vereinszeitschrift 03/1919, S. 81, 1919 neu eingetretene Mitglieder). Identisch mit Albert Jacobson, geb. 2.12.1893 in
Hamburg, Mai 1938 Emigration in die USA (522-1 Jüdische
Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943).
Friedrich Jacobsohn, 1915 gefallen (Ehrentafel der
gefallenen Mitglieder, 1915, S. 65) Gefallen am 19.5.1915
(Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Hrsg., Die jüdischen
Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine
und der deutschen Schutztruppen, 1914–1918, S. 372).
Maximilian Jacobsohn »hat seine Tätigkeit als Sanitäter im Osten bei einer Munitionskolonne aufgenommen.« (Vereinsnachrichten 06/1916, S. 30).
Maximilian Jacobsohn, geb. 27.4.1891 in Hamburg,
Export-Agent, emigrierte im November mit Ehefrau
Sophie geb. Löwy und Tochter Ingeborg (geb. 11.12.1921)
nach Belgien (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Maximilian Jacobsohn).
Maximilian Jacobsohn, geb. 27.4.1891 in Hamburg,
4.4.1944 aus dem Durchgangslager Mecheln nach
Auschwitz deportiert, ermordet (Jürgen Sielemann
(Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 191).
Ingeborg Jacobsohn, geb. 11.12.1921 in Hamburg, deportiert nach Auschwitz, ermordet (Jürgen Sielemann
(Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 190).
Verleihung des Hanseatenkreuzes an Maximilian
Siegfried Jacobsohn, Sanitäts-Unteroffizier in Belgien,
am 26.10.1918 (111-2 Senat – Kriegsakten, Mikrofilm
K 2095)
Arthur Joelson neues Mitglied 1909 der Männerabteilung vor dem Dammtor (Vereinszeitschrift 1909, 19).
Arthur Nathan Joelson, geb. 26.1.1890 in Hamburg,
Emigration nach England im März 1939 (522-1 Jüdische
Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943,
Arthur Nathan Joelson).
J. Kahn, Kaufmann, Grindelallee 168, III. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der Altherren-Abteilung, 01/1906, S. 3) James Friedrich Kahn,
geb. 1.9.1888 in Hamburg, Adresse vor 1910:
Grindelallee 168 III., Sohn von Ludwig Kahn, geb.
1.9.1855, gest. im Mai 1910, und Marie geb. Helbing,
geb. 16.4.1856 in Fürth (332-8 Meldewesen, A 30,
Meldekartei 1891–1925).
James Friedrich Kahn, geb. 1.9.1888 in Hamburg,
Agenturen und Kommissionen in Firma Ludwig Kahn
Ehefrau: Eva geb. Lipschitz, geb. 2.2.1895 in Lodz,
Kinder: Ruth Kahn, geb. 17.3.1922, Ingrid, geb. 28.7.1924;
1939 Emigration nach Frankreich (522-1 Jüdische
Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943,
Karteikarte James Friedrich Kahn).
James Friedrich Kahns Mutter Marie geb. Helbing wurde am 24.2.1943 aus Hamburg nach Theresienstadt
deportiert, Tod in Theresienstadt am 27.31943. Seine
Ehefrau Eva geb. Lipschitz und die Kinder Ruth und
Ingrid wurden am 8.11.1941 nach Minsk deportiert
und ermordet (Jürgen Sielemann (Bearb.), Hamburger
jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch.
Hamburg 1995, S. 125).
S. Kleve, Hausmakler, Feldstraße 49, II. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der AltherrenAbteilung, 01/1906, S. 3).
Siegfried Kleve, geb. 30.3.1879 in Altona, Adresse vor
1911: Feldstr. 49, II. (332-8 Meldewesen, A 30, Meldekartei 1891-1925).
Siegfried Kleve, geb. 30.3.1874 in Altona, Hausmakler,
Ehefrau: Erna Kleve geb. Lasch, geb. 26.4.1889 in Berlin,
11.7.1942 Deportation (522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b,
Kultussteuerkartei 1913-1943, Karteikarte Siegfried Kleve).
R. Lisser, Neumünsterstraße 28, II. (Mitgliederverzeichnis der Männerabteilungen und der AltherrenAbteilung, 01/1906, S. 2). Adressbuch 1907, Straßenteil,
Neumünsterstraße 28, J. Lisser, Secretär, Mitgliedsverzeichnis der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in
Hamburg 1909 (522-1 Jüdische Gemeinden, 387 b Bd. 2):
Isaac Sal. Lisser, Neumünsterstraße 28.
Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde
in Hamburg 1913–1943 (522-1 Jüdische Gemeinden,
992 b): Isaac Salom. Lisser gen. Iwan, Ehefrau: Rosa
geb. Guttmann, geb. 13.7.1854, Kinder: Iwan, geb.
22.5.1870, Ludwig, geb. 8.4.1873.
Rosalie Lisser, geb. 17.10.1877 in Hamburg, Tochter von
Isaac Lisser, 1908 gemeldet für Neumünsterstraße 28
bei den Eltern, am 6.6.1908 verheiratet mit Leopold
Zinner, Neumünsterstraße 28, Standesamt 3 a 1908
Nr. 291 (332-8 Meldewesen, A 30).
Ein männlicher Träger des Namens R. Lisser konnte
nicht festgestellt werden.
Leopold und Rosalie Zinner emigrierten mit den
Kindern Heinz und Hedwig 1936 nach Holland.
Dr. August Regensburger, 1915 gefallen (Ehrentafel
der gefallenen Mitglieder, 09/1915, 72). Gefallen am
19.5.1915 (Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Hrsg.,
Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der
deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen,
1914–1918, S. 374).
Hugo Waldbaum, 1916 Aufenthalt in Marocco (Vereinszeitschrift 06/1916, S. 33) Hugo Waldbrunn, geb.
21.8.1892, Kaufmann am 12.1.1931 aus Hamburg nach
Amsterdam ausgewandert (522-1 Jüdische Gemeinden,
992 b, Kultussteuerkartei 1913–1943, Hugo Waldbrunn)
Leonhard Weile, neues Mitglied 1909 der Männerabteilung vor dem Dammtor (Vereinszeitschrift
05/1909, 19) Leonhard Weile, geb. 3.1.1893 in Altona,
18.12.1941 Suizid in Hamburg (Jürgen Sielemann
(Bearb.), Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch. Hamburg 1995, S. 425).
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Hannes Heer
Sich der Vergangenheit stellen:
Die deutsche Turnbewegung als »Einfallstor« des Nationalsozialismus
Die Bibel der deutschen Turner
Weil Friedrich Ludwig Jahn seit 1811 von Preußen
aus das Turnen in Deutschland zu einer Massenkultur
machte, wurde er zum »Turnvater Jahn«. Weil er das
Turnen als politische Bewegung begründete, wurde
er zu einer der umstrittensten Personen der neueren
deutschen Geschichte. Seine 1810 veröffentlichte Programmschrift »Deutsches Volkstum« wurde die Bibel
der deutschen Turner. Ihr Katechismus war die 1816
erschienene »Deutsche Turnkunst« Sechs zentrale Gedanken aus der Bibel möchte ich in Erinnerung rufen:
Volkstum als Schöpfer und Seele des Volkes
»Was Einzelheiten sammelt, sie zu Mengen häuft, diese
zu Ganzen verknüpft, sie zu Mengen häuft, […] diese Einungskraft kann in der höchsten und größesten
und umfassendsten Menschengesellschaft, im Volke,
nicht anders genennt werden als – Volkstum. Es ist das
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Gemeinsame des Volks, sein inwohnendes Wesen, sein
Regen und Leben, seine Wiedererzeugungskraft, seine
Fortpflanzungsfähigkeit. […] Das bringt all die einzelnen Menschen des Volks, ohne daß ihre Freiheit und
Selbständigkeit untergeht, sondern gerade noch mehr
gestärkt wird in der Viel- und Allverbindung mit den
übrigen, zu einer schönverbundenen Gemeinde. […]
Der Baum wächst von unten hinauf, der Staat vom sogenannten Volk oder großen Haufen in die Höhe. […]
Staat ist das Grundgestell des Volks, die stehende äußere
Befriedung vom Volkstum.«1
Die Begriffe Volk und Volkstum wie die Idee vom Staat
als dessen organisch gewachsene äußere Form waren
Ausgeburten der politischen Romantik. Anders als im
revolutionären Frankreich, wo die Zugehörigkeit zum
Volk durch den freien Entschluss jedes einzelnen erfolgte und der Staat durch den Gesellschaftsvertrag
miteinander konkurrierender Gruppen konstituiert
worden war, behauptete Jahn, bei seinen Grundkategorien handle es sich um Gegebenheiten der Natur.
Deutsches Volkstum: die Krone der Menschheit
»Der Name Deutsch war bis zu den neuesten Unglücksfällen [der Herrschaft Napoleons über Deutschland] ein
Beehrungswort. […] Vollkraft, Biederkeit, Gradheit, Abscheu der Winkelzüge, Rechtlichkeit und das ernste Gutmeinen waren seit einem Paar Jahrtausenden die Kleinode
unseres Volkstums, und wir werden sie auch gewiß durch
alle Weltstürme bis auf die späteste Nachwelt vererben.
[…]. Welches Volkstum steht am höchsten, hat sich am
meisten der Menschheit genähert? Kein anderes […],
wie weiland volkstümlich die Griechen und noch bis
jetzt weltbürgerlich die Deutschen, der Menschheit heilige
Völker.«2
Die Überhöhung des Deutschtums durch Jahn war eine
Konstruktion, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun
hatte. Da er selbst die Zerstrittenheit der Deutschen
beklagte und die deutsche Geschichte als eine des fortwährenden »Bürgerkriegs« bezeichnete,3 handelte
es sich bei der Heiligsprechung des Deutschtums um
ein Wunschbild, eine Idealisierung.
Ein Volk, das in Gefahr ist, zu verschwinden
»Als Volk haben wir den unglücklichen, schmachvollen
Westfälischen Frieden [1648] nie wieder verwunden.
[…] Der Deutsche Reichsadler zeigte sich in seiner tiefsten Erniedrigung: am rechten Flügel hat ihn eine
starke Gestalt gefaßt, die eine Königskrone und einen
mit Lilien besäten Mantel trägt [Frankreich] und ihm
die besten Schwungfedern ausreißt; in die andere Seite
schlägt ein hungriger Löwe seine Klauen [Schweden];
und hinten droht ein Henkersgesicht mit gezücktem
Säbel, was mit Grinsen andeutet: ›Sperre dich nicht, es geschieht ja alles zu deinem Besten.‹ Vom Westfälischen
bis zum Tilsiter Frieden [1807] haben wir Deutschen
nur im Geheimen und Stillen weitergelebt, durch
Sprache und Schrift, ein unsichtbares geistiges Leben.
Wenn aber diese Seelenwanderung auch noch aufhört,
[…] so werden wir alsdann nur durch einige Bücher in
der Völkerwelt gespenstisch umherspuken. […] Noch
sind wir nicht verloren! Noch sind wir zu retten! Aber nur
durch uns selbst. Wir brauchen zur Wiedergeburt keine
fremden Geburtshelfer; nicht fremde Arznei, unsere eigenen Hausmittel genügen.«4
Jahns Bild vom zerstückelten Reichskörper ging auf einen
Kupferstich aus der Zeit des 30jährigen Krieges zurück.
Dass er das Bild zur Charakterisierung der deutschen
HANNES HEER
Geschichte verwendete und die ihm innewohnenden
Schrecken bis in die Gegenwart verlängerte, verriet
eine Obsession, die Deutschen zum ewigen Opfer
fremder Gewalt zu machen und ihre Geschichte in
Schicksal zu verwandeln. Angst und Ohnmacht waren die Koordinaten dieses Weltbildes. Und Rettung
Friedrich Ludwig Jahn
kam nicht von den Fremden, sondern nur von den
Deutschen.
»Die eigenen Hausmittel« in der Sterbestunde des
Volkstums
»Ein Heilungsverfahren von Grund aus ist in der Volkserziehung gegeben. Sie impft mit Schutzstoff den alten
Stamm, läßt ihn sonder Gefahr die Keime aller künftigen
Seuchen verlieren, zieht im Volk ein neues veredeltes Volk
auf. Aus ihrer Schule wird das Volk hervorgehen, als
Tatvolk lebend, nicht als bloßes Namenvolk daseiend; sein äußerer Staatsverband wird durch die innere Bundeskraft bestehn, es wird nicht zu einer Weltflüchtigkeit verirren, gleich Zigeunern und Juden. […]
Eine wahre Volkserziehung muß die Vorarbeit für künftige Vaterlandsverteidiger ebensowohl übernehmen
als andere Ausbildung: denn jede Schule soll überhaupt
sein ein Lehren für künftigen Gebrauch. Im Dunkel
verkümmert die Pflanze, im Winkel verrostet das
Schwert, ohne Gebrauch wird der Geist stumpf, ohne
Äußerung der Wille zahm. Unsere Körperkraft ist ein vergrabener Schatz; wir lassen sie schimmeln, bis Fremde
sie in Gebrauch setzen. […] Die Leibesübungen sind ein
Mittel zu einer vollkommenen Volksbildung […].«5
Schon vor Jahn hatte eine Gruppe deutscher Reformpädagogen, die sogenannten Philanthropen, die Ideen
der französischen Aufklärung auf die Körpererziehung
angewendet.6 Unter Rückgriff auf Rousseaus Forderung, den Körper zu trainieren, »damit er klug und
vernünftig wird«,7 entwarfen sie ein Konzept, das die
Trennung von Körper und Geist aufzuheben trachtete.
Basierend auf den Ideen der Kindgemäßheit und der
Selbstentfaltung war Turnen für sie »Arbeit im Gewande jugendlicher Freude«.8 Im Unterschied zu diesen
weltbürgerlichen Aufklärern, von denen Jahn einen
Großteil seiner Übungen und Geräte übernahm, stand
bei ihm nicht der Einzelne und seine Erziehung zum innengesteuerten bürgerlichen Subjekt im Zentrum. Sein
Ziel war die Wehrhaftigkeit und Kriegstauglichkeit des
Kollektivs Jugend, um durch die Körperertüchtigung
der einzelnen Glieder die Stärkung des gesamten
Volkskörpers zu garantieren. »Wehrlos, [ist] ehrlos«,
diesem Sinnspruch der Ahnen hatte sich auch die in
Vereinen turnende Jugend zu unterstellen.9
Über die künftigen Kriege
»Soldatenheer auf Soldatenheer losgelassen ist eine Menschenhetze, wo die Kämpfer bei der ersten günstigen
Gelegenheit das Weite suchen. […] Aber der Gedanke
eines vaterländischen Schutzkrieges, wo alles auf dem
Spiele steht, alles verloren und alles gewonnen werden
kann, leuchtet und entzündet als eine unvergängliche
Sonne. […] Nur im vaterländischen Schutzkrieg […]
kann der Mensch, mit Ehre und Pflicht einstimmig, streiten, siegen und fallen. Nur da ist des Kriegers Herz im
Einklang mit dem Verstande, ohne erkältet zu sein; […]
es brennt fürs Große und glüht fürs Gute und wird nicht
von außen her eingegeistert, sondern von innen kommt
die Begeisterung. […] Der Eroberungskrieg ist ein ganz
ander Ding als ein Kampf auf Leben und Tod fürs Vaterland. [Nur in einem solchen Kampf kann der Heerführer]
das Unmögliche befehlen, das Sterben auf der Stelle als
ein Vaterlandsopfer.«10
Eroberungskriege wie die napoleonischen lehnte Jahn
ebenso ab wie die von Söldnern geführten Kriege
der feudalen Territorialherren. Für ihn war Krieg nur
moralisch vertretbar als Verteidigung des bedrohten
Vaterlandes aufgrund der dann wirkenden moralischen
Motive von Ehr- und Pflichtgefühl und der notfalls auch
mit dem eigenen Tod bewiesenen Liebe zum Vaterland. Unter dieser idealistischen Lyrik versteckte sich
ein Konzept, das der Philosoph Johann Gottlieb Fichte
in seinen »Reden an die Deutsche Nation« 1807/08
vorgestellt hatte: Statt der bisherigen durch Strafe und
Belohnung erfolgende Außensteuerung des Subjekts
propagierte er die durch ein »neues Selbst« erfolgende Selbstregulierung. Diese verlaufe aber nicht
willkürlich und egoistisch, sondern, indem der individuelle Wille »gänzlich vernichtet« und durch einen
national gebundenen Willen ersetzt werde, könne
man mit diesem auch in der Extremsituation eines
Krieges »sicher rechnen und auf ihn sich verlassen«.
Fichtes begeisterter »Verteidiger des Vaterlandes« ist
»ein erweitertes Selbst, das nur als Teil des Ganzen
sich fühlt«.11 Offensichtlich hatte diese selbstgesteuerte
Puppe in den sogenannten Freiheitskriegen so gut
funktioniert, dass Jahn den Krieg als Geburtshelfer
und Kindfrau des Volkstums propagierte. 1815 schrieb
er: »Nun hat Gott den Deutschen den Sieg gegeben;
aber […] Deutschland braucht einen Sieg auf eigene
Faust, – um sich in seinem Vermögen zu fühlen; es
braucht eine Fehde mit dem Franzosentum, um sich
in ganzer Fülle seiner Volkstümlichkeit zu entfalten.
Diese Zeit wird nicht ausblieben; denn ehe nicht ein
Land die Wehen kriegt, kann kein Volks geboren werden.«12 Von Schutzkriegen war jetzt keine Rede mehr.
Bismarcks »Einigungskriege« von 1864 bis 1870 sind
diesem Drehbuch gefolgt.
Völkischer Selbstmord durch Ausländer und
»Vermischung«
»In der ganzen Lebensgeschichte eines Volkes ist sein
heiligster Augenblick, wo es aus seiner Ohnmacht erwacht, aus dem Scheintode auflebt, sich seiner zum ersten
Male selbst bewusst wird, an seine heiligen Urrechte
denkt und an die ewige Pflicht, sie zu behaupten;
endlich erkennt, daß es nur durch Selbstmord seiner
Volkstümlichkeit sich unter andern Völkern verlieren
kann. Es ist ein langersehnter Schöpfungsbeginn, wenn
ein Volk nach dem Verlauf schrecklicher Jahre sich selbst
[…] offenbaren darf, in welche volkentwürdigende
Dienstbarkeit es durch Ausländerei geraten war. […]
Mischlinge von Tieren haben keine echte Fortpflanzungskraft, und ebensowenig Blendlingsvölker ein eigenes
volkstümliches Fortleben. Es läßt sich ein Edelauge in den
Wildling setzen, ein Edelreis auf den Wildstamm, […]:
aber das Immerwieder-Überpfropfen taugt nicht in der
Baumschule und in der Völkerzucht noch weit weniger.
[…] Das Spanische Sprichwort: ›Traue keinem Maulesel
und keinem Mulatten‹ ist sehr treffend, und das Deutsche:
›Nicht Fisch, nicht Fleisch‹ ist ein warnender Ausdruck.
Je reiner ein Volk, je besser; je vermischter, je bandenmäßiger. […] Was im gewöhnlichen Lebensgewühl der
edle Charakter vollendeter Menschen, das [ist] im Völkergebiete das Volkstum. Volkstum ist eines Schutzgeistes
Weihungsgabe, ein unerschütterliches Bollwerk, die
einzige natürliche Grenze.«13
Jahns Phantasien über die Todesstunde des Volkstums
offenbaren den geheimen Kern dieses Begriffs – die
Rasse. Diese ist schon in Gefahr, wenn der Deutsche
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SICH DER VERGANGENHEIT STELLEN
die Turner ihren Frieden mit der neuen Ordnung: Der
Nationalstaat, nicht die Freiheit, war ihnen das Wichtigste gewesen. Eilfertig sprach sich die Deutsche Turnzeitung gegen alle »Freiheitsphrasen« aus und erfand
eine neue, die »germanische Freiheit«: Sie verkörpere
»Ordnung, Recht, Bildung und Gesinnung«.18
Turnen im Kaiserreich 1871–1914
Die Unterwerfungsgesten seitens der Deutschen Turnerschaft waren ernst gemeint und entsprachen der Überzeugung der überwältigenden Mehrheit ihrer 200.000
Mitglieder.19 Liberal-demokratische Strömungen in
ihren Reihen gab es nicht mehr.20 Aber der Kaiser und
sein Kanzler hielten Abstand zu den Turnern – ihre
republikanische Vergangenheit war nicht vergessen.
Die Verschmähten reagierten mit noch mehr Anpassung: Es waren die Turner, die als Nationalfeiertag
den Tag des Sieges bei Sedan am 2. September 1870
durchsetzten und gestalteten, sie waren maßgeblich
beteiligt am Zustandekommen der drei steinernen MonuZur Geschichte der deutschen Turnbewegung
mente des wiedererstandenen Reichs – des Hermanns-,
im 19. und 20. Jahrhundert
Im Folgenden will ich in einer knappen Skizze verdeut- des Niederwald- und des Leipziger Völkerschlachtdenkmals und organisierten dort vaterländische Feste, sie
lichen, wie Friedrich Ludwig Jahns Bibel im Laufe von
machten ihr Verbandsorgan und ihre Bildungsabende
zwei Jahrhunderten konkret geworden ist und wie
zu Medien der Verbreitung einer trivial-romantisierenden
sich das Gebäude seiner Glaubenssätze, je nach Zeit
und spießig-obrigkeitshörigen »Nationalkultur«.21 Deren
und politischer Konstellation, verändert hat.
Die Turnbewegung 1815–1870
Elemente waren Germanenkult und Ritterherrlichkeit,
Die frühe Turnbewegung, in ihrem Zentrum Preußen
Heimat- und Naturschwärmerei, das Preislied von
vom Kreis der Reformer um die Freiherrn von Stein und
deutscher Art und Sitte und – mit gezogenem Schwert
von Hardenberg unterstützt, wollte die Überwindung – die Verteidigung von Volkstum und Vaterland gegen
der feudalen Ordnung und den Zusammenschluss der
Überfremdung und Vernichtung. Sie sorgten dafür, dass
zersplitterten deutschen Territorialstaaten unter einer
der von allen liberalen Schlacken gereinigte Friedrich
Ludwig Jahn als »der getreue Eckart der Deutschen«,
konstitutionellen Monarchie.17 Nach dem Sieg über
Napoleon war sie, zusammen mit der deutschen Bur- als »Prophet und Apostel der deutschen Einheit« ins
schenschaft, die einzige Opposition in Deutschland. Pantheon der nationalen Helden einziehen durfte. 22 Erst
jetzt wurde die deutsche Turnerschaft zur Verkörperung
Deshalb wurden beide nach der Restauration des ancien
dessen, wovon ihr »Turnvater« 1810 geträumt hatte –
régime auf dem Wiener Kongress 1819 verboten. Eine
die wehrhafte Vorhut des »heiligen Volks« der Deutschen.
»Turnsperre« folgte und Jahn musste den Turnplatz
Das zeigte sich, als das deutsche Reich ab Mitte der
in der Berliner Hasenheide für sechs Jahre mit dem
1880er Jahre mit dem Erwerb der ersten Kolonien seinen
Gefängnis vertauschen.
Als die Turnbewegung im Zusammenhang mit dem
Anspruch als Weltmacht immer dringlicher anmeldete.
revolutionären Aufschwung in ganz Europa in den
In enger Tuchfühlung mit dem Alldeutschen Verband,
40er Jahren ihr Comeback erlebte, lag ihr Zentrum im
der »Kernorganisation« des radikalen und expansiven
Südwesten bzw. in Sachsen und ihre politischen Forde- Nationalismus, 23 begrüßten die Führer der Deutschen
rungen hatten sich radikalisiert: Im Bündnis mit den
Turnerschaft, dass die Reichsregierung »den DirigentenLiberalen wollte sie nationale Einheit und innere Freiheit, stab im deutschen Konzert« übernommen habe, erinnicht von oben, aus der Hand der Fürsten, sondern
nerten daran, dass »der Deutsche ein Herrscher und
von unten durch das Volk. Und Österreich sollte mit im
kein Sklave« sei und forderten nicht weniger, als dass
Bunde sein. Auf den Barrikaden von 1848 bewiesen
Deutschland »die Herrin der Erde« sei.24
viele Turner, wie ernst es ihnen damit war. Aber nach
Dem entsprach im Inneren der Übergang zu einem entdem Scheitern der Revolution nahm die Geschichte
schiedenen Volkstumskampf: Die Turnführung tolerierte
den Ausschluss der Juden in den österreichischen Vereinen anderen Verlauf: Bismarck entschied sich für die
einen, öffnete dem Antisemitismus »den Eingang in
Reichseinigung von oben und durch Krieg – gegen
die Deutsche Turnerschaft« und bezog »selbst judenDänemark, Österreich und Frankreich. Als dieser Prozess
1871 mit der Kaiserkrönung Wilhelms I. im Schloss von
feindliche Positionen«; 25 sie verschärfte den Kampf geVersailles ihren Abschluss gefunden hatte, machten
gen die wegen ihrer »internationalen Hirngespinste«
fremde Sprachen lernt oder mit Fremden Umgang
hat. Der Ernstfall aber tritt ein, wenn es um den Stoff
Blut geht, wenn sich deutsches Blut mit fremden Blut
mischt. Dann, so prophezeit er unter Nennung von
Beispielen europäischer Völker, kommt es zur Verwandlung von Teilen des Volkes in kriminelle Banden.14
Schlimmer ist der durch die Blutsmischung eintretende Verlust aller Wurzeln und der damit einhergehende Absturz in die »Weltflüchtigkeit« und Heimatlosigkeit nomadischer Völker, wie es die Juden und
die Zigeuner sind.15 Wenn diese Vermischung nicht
gestoppt wird, bleibt nur der Untergang eines ganzes
Volkes.16 Volkstum, das dürfte klargeworden sein, ist
bei Jahn das Synonym für Rassenreinheit. Sie ist die
»einzige natürliche Grenze« eines jeden Volkes, die es
ständig zu beobachten und bei Gefahr zu verteidigen
gilt. Sie ist wichtiger als ein schwer zu passierender
Grenzfluss oder ein unwegsames Gebirge.
24
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schon lange zu »Reichsfeinden« erklärten Sozialdemokraten,26 indem sie mit einer Satzungsänderung den
Nachweis der »vaterländischen Gesinnung« zur Bedingung der Mitgliedschaft machten; sie eröffnete einen
hasserfüllten Feldzug gegen die Gründung polnischer
und tschechischer Turnvereine im Reich und unterstützte alle Bemühungen, in gemischtsprachigen Gebieten jenseits der Grenzen, wie z. B. in Böhmen und Mähren, durch Gründung von deutschen Turnvereinen und
anderen Einrichtungen »Ausstrahlungspunkte deutscher Kultur und Bollwerke gegen das Tschechentum«
zu errichten.27
Ihre Hauptaufgabe sahen die organisierten Turner aber
darin, zur Wehrhaftmachung der deutschen Nation
beizutragen. Als Wilhelm II. 1890 auf einer nationalen
Schulkonferenz die Militarisierung der Gymnasien ankündigte – »Ich suche nach Soldaten, wir wollen eine
kräftige Generation haben, die auch als geistige Führer
und Beamte dem Vaterland dienen« – und ein Jahr
später der Zentralausschuss zur Förderung der Volksund Jugendspiele gegründet wurde, war die Deutsche
Turnerschaft zur Stelle.28 Als der Zentralausschuss 1899
zur Koordinierung aller Wehrfragen zwischen militärischen und zivilen Stellen einen »Ausschuss zur
Förderung der Wehrkraft« einsetzte und, auf Geheiß
Wilhelms II., 1911 der Jungdeutschlandbund gegründet
wurde, die aus den Turn-, Sport- und Wandervereinen zusammengefasste Jugendarmee des kaiserlichen Heeres,29 da gehörte die Turnführung zu den
aktivsten Mitgliedern, und die DT spielte aufgrund
ihrer zahlenmäßigen Stärke eine herausragende Rolle. »Gepäckmärsche« und »Kriegsspiele« gehörten ab
jetzt zum Turnbetrieb.30
Als es ernst wurde und seit 1905 eine außenpolitische
Krise die andere jagte, jede mit dem Keim eines zukünftigen Krieges versehen, war es die DT, die dem hilfloshyperaktiven Kaiser aufmunternd zurief: »Kräftig, gewandt und mutig wollen wir dem Heer unsere wirklichen Turner schicken […], ein gutes Rohmaterial,
made in Germany und Marke Jahn«.31 Ab dem 1. August
1914 war es soweit: 400.000 Turner marschierten
schon in den ersten Monaten des Krieges in Feldgrau
an die Front.32 Die Deutsche Turnzeitung kommentierte das epochale Ereignis: »Ein gütiges Geschick
hat uns diese Prüfung auferlegt. Denn das deutsche
Wesen war von Gefahren umdrängt, schlimmer und
Scylares/ photocase.com
HANNES HEER
schlimmer, je reicher Deutschland wurde. Die Ichsucht drohte unsere besten Kräfte zu zerfressen; Üppigkeit und Luxus verdarben das Volk […]; was noch
an gesunden Kräften lebte in unserer Kunst, war nahe
daran erstickt und verschüttet zu werden […].«33
Es war die Vorstellung vom Krieg als Geburtshelfer
des Volkstums, wie sie Jahn ein Jahrhundert zuvor
phantasiert hatte. Diesmal kostete die Geburt 10 Millionen Menschen das Leben.
Die Turnerschaft in der Zeit der Weimarer
Republik 1918–1933
Der Krieg, schrieb die Deutsche Turnzeitung Mitte
November 1918, sei Deutschland »von neidischen und
eifersüchtigen Nachbarn trotz aller [deutschen] Friedensbestrebungen« aufgezwungen worden.34 Grund für
die Niederlage sei nicht die militärische Niederlage,
sondern die »Zerrissenheit« des Volkes im Inneren gewesen.35 Jetzt sei Deutschland »der Willkür rachsüchtiger
und beutegieriger Feinde preisgegeben«.36 In dieser
verzweifelten Lage müsse sich die DT »als das feste
Band beweisen, das die Deutschen einig und fest zusammenhält«,37 als deren »gesunden Kern«,38 der imstande sei, »ein neues Geschlecht« heranzubilden für
ein neues Vaterland.39 Diese Bestandsaufnahme ging
einher mit der schärfsten Frontstellung gegen den Versailler »Schandvertrag« und die »Kriegsschuldlüge«40
und mündete in die kaum verhüllte Drohung eines
neuen Revanchekrieges: »Darum geben wir gutwillig nicht einen Quadratmeter deutschen Bodens […]
her. Nimmt man ihn uns mit Gewalt, so ertragen wir
es nur mit Wut und Zähneknirschen. Aber wir lehnen
dann auch den Eintritt in den Völkerbund ab und gestehen freimütig, daß wir auf den Tag warten, der unser
Deutscher Tag sein wird.«41
Es verwundert nicht, dass die deutschen Turn- und
Sportvereine ihre Hauptaufgabe darin sahen, ihre
Mitglieder auf diesen Tag der Rache vorzubereiten.
Da die allgemeine Wehrpflicht durch den Versailler
Vertrag aufgehoben worden war, trat die Wehrerziehung in den Vereinen an deren Stelle: »Volk in Leibesübungen« anstatt des Vorkriegsslogans »Volk in Waffen«,
so beschrieb Carl Diem, Geschäftsführer des Deutschen
Reichsauschuss für Leibesübungen, die neue Rolle.42
Und die Turner formulierten martialisch: »Die Deutsche
Turnerschaft muß das Erbe des alten Heeres sein!«43
Der neue Staat, die Republik von Weimar, kam in all dem
nicht vor. Die DT war ein Teil des rechtsextrem-republikfeindlichen Lagers, sie gehörte zum anderen, dem
»geheimen Deutschland«, das dabei war, sich einen
passenden Staat erst noch zu schaffen. Im Juli 1923, beim
13. Turnfest in München, begegneten die deutschen
Turner dessen militanter und putschbereiter Vorhut,
der NSDAP, die mit zwei Massenveranstaltungen versuchte, sich in Erinnerung zu bringen. Ohne diesen
versuchten Schulterschluss zu erwähnen, hielt der
Quelle: Bundesarchiv Berlin, Enhüllung des Jahn-Denkmals Juli 1929
Vorsitzende der DT eine Rede, die von Adolf Hitler hätte
stammen können: »[…] bedenkt: Freiheit und Ehre
kommen von selber, wenn das Volk reif ist und wenn
die Zeit reif ist. Reifen aber können beide nur, wenn
das Volk rein und wenn es einig ist. Den Deutschen
kann nur durch Deutsche geholfen werden […].«44
Das Zentralorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter,
lobte das Turnfest und den dort bekundeten Willen,
»wieder einig zu werden und in Einigkeit zu erstarken«.
»Die Turner«, so bilanzierte das Blatt, »sind heute
die Hauptträger dieses Willens. Darum hinein in die
Turnvereine, wer deutsch denkt und fühlt!«45
Die Führung der DT nutzte die folgenden Jahre der politischen und ökonomischen Stabilität, um die ideologische Ausrichtung des Verbandes unter dem Leitbegriff des »Geistesturnen« zu intensivieren und damit die
»völkisch-sittliche Erneuerung« des deutschen Volkes
voran zu bringen.46 Das Medium dieser mentalen Aufrüstung war eine Beilage der Deutschen Turnzeitung,
die unter dem Titel Der Dietwart, zu deutsch: Volksturmwart, die ab 1925 versuchte, eine zweite JahnRenaissance einzuleiten und die Aktualität völkischen
Denkens nachzuweisen.47 Es wundert nicht, dass schon
der erste Jahrgang der Beilage zum Forum der Ideen
wurde, die ein genialerer Kopf als Jahn ganz aktuell
publiziert hatte – Adolf Hitler. Die Beiträge zu Rassenreinheit und Rassenkunde, zur Verknappung des Lebensraums und zur Ostsiedlung lesen sich wie Assoziationen
zu Ideen in »Mein Kampf«.48 Zur gleichen Zeit versuchte
die von der Turnerschaft heftig befehdete Sportbewegung, das altdeutsche Schlagballspiel und das moderne, immer populärer werdende Fußballmatch mit
einer nationalsozialistischen Leitidee zu legitimieren:
»Das Mannschaftsideal« erziehe »den Einzelnen zum
Glied einer ganzen Macht«, wodurch für den einzelnen
Spieler »der Weg zur wahren Volksgemeinschaft
[…] frei« sei, schrieb 1926 der Süddeutsche
Fußballverband. Und der Vorsitzende der Jugendpflege
Karlsruhe war überzeugt, dass »die gemeinschaftsbildende Kraft […] aus der kleinen Gemeinschaft […]
der Schlag- oder Fußballmannschaft […] sich auf die
große Volksgemeinschaft überträgt.«49
Diese Beiträge bezeugen die wachsende Attraktivität
der NSDAP, ohne dass sich daraus Folgen ergeben hätten.50 Der mit völkischer Rhetorik verdeckte Attentismus der großen Turn- und Sportverbände, der zuletzt
beim 14. Turnfest im von der französischen Besatzung
»befreiten« Köln 1928 offenbar geworden war,51 geriet
erst durch die 1929 einsetzende ökonomische und politische Krise unter Druck. Es waren die Führer der Turnerjugend, die auf die Abwanderung von Teilen der Jungmannschaft zur SA und HJ hinwies, »wo sie die Klarheit,
die sie braucht findet, wo sie auf einfache zündende
Ideen triff t, denen sie mit Begeisterung […] dienen
kann«52 und nach Taten verlangte. Aber ihre Forderungen, ein Aktionsprogramm in die Satzung aufzunehmen oder – mit Blick auf die NSDAP, die seit Herbst
1930 zur stärksten Kraft im rechten Lager geworden war
– die bisherige parteipolitische Neutralität aufzuheben,
scheiterten. »Es bedarf nur eines starken Einflusses,«
schrieb der Völkische Beobachter, der diese Auseinandersetzungen genau verfolgte, »und das deutsche
Volk hat in der ›Deutschen Turnerschaft‹ ein Heer von
Vorkämpfern für Wehrhaftigkeit, Rassenreinheit und
Freiheit gewonnen.«53 Es waren die Jungen, Turnführer
wie Neuendorff und Finn, die durch ihren Eintritt in
die Partei und die Überzeugungsarbeit in ihren Verbänden oder Vereinen erreichten, dass dieser Fall eintrat: Sie ersetzten im Frühjahr 1933, ohne auf Widerstand zu stoßen, die alte Führungsriege und überführten die mit revanchistischen und rassistischen
Ideen aufgepumpten Turn- und Sportverbände reibungslos ins Dritte Reich. Der Tag der Rache für alles
Deutschland zugefügte Unrecht, der »Deutsche Tag«
war gekommen.
Studien über die Deutschen
Norbert Elias, der aus Deutschland vertriebene jüdische
und zu Weltruhm gekommene Soziologe, hat aus Anlass des Eichmann-Prozesses 1961/62 einen Essay unter
dem Titel »Der Zusammenbruch der Zivilisation« verfasst.54 Dabei hat er die Frage nach den Gründen des
Holocaust mit dem Glauben der Nationalsozialisten an
ihre historische Mission zur Rettung der arischen Rasse
vor der Vernichtung durch die Juden beantwortet, aber
auch die viel schwierigere Frage gestellt, warum eine
solche Glaubensbewegung in Deutschland mehrheitsfähig und Träger der absoluten Macht werden konnte.
Antworten darauf findet er in dem von der Entwicklung der europäischen Nachbarn abweichenden Verlauf der deutschen Geschichte und deren Produkt, dem
»sogenannten deutschen ›Nationalcharakter‹«.55
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SICH DER VERGANGENHEIT STELLEN
Dessen prägenden Faktor sieht Elias in der Erfahrung
eines Verlustes: Das erste im Mittelalter gegründete
deutsche Reich, das ein riesiges Territorium ohne verteidigungsfähige natürliche Grenzen umfasste, wurde
sukzessive, am schlimmsten im 30jährigen Krieg, zur
Beute der konkurrierenden europäischen Großmächte
und der nur auf ihre Machtsteigerung bedachten deutschen Territorialstaaten. Hier, in der traumatischen Erfahrung der äußeren Bedrohung und der inneren Zerrissenheit liegt für Elias der Grund für zwei deutsche
Besonderheiten, die zum nationalen und in kritischen
Situationen aktivierten Leitmotiv werden sollten – der
»glühende Wunsch nach Einheit« und »die Sehnsucht
nach […] einem Monarchen, einem starken Führer,
der sie zur Einheit und Einigkeit bringen könnte, […]
der sie ebenso vor sich selbst wie vor ihren Feinden zu
schützen vermochte.«56
Die durch Jahrhunderte fortdauernde Identifizierung
als Deutsche bei gleichzeitiger Ausbildung eines Gefühls der Minderwertigkeit führte zu einem konstruierten Idealbild von Deutschland bzw. den Deutschen,
das wenig mit der Realität zu tun hatte. Nach der erreichten nationalen Einheit und der Gründung des
zweiten Reiches 1871 entwickelte sich daraus ein Verhalten, das zwischen einem übersteigerten Nationalstolz und der Hybris, die europäische Großmacht zu
sein und kommende Weltmacht zu werden, schwankte.
Den Grund für diese Schwankungen und Inkongruenzen erblickt Elias in einer nationalen Identität, die
»relativ unsicher und verwundbar« und »immer gebrechlicher« als z.B. bei den Engländern oder den
Franzosen war.57
Diese »Gebrechlichkeit« war schon erkennbar an der
Schwierigkeit, zu beschreiben, was eigentlich deutsch
bedeutete: War es die »deutsche Kultur« oder nur
»gemeinsame Gefühle«? Die Antwort, die Elias gibt,
lautet: „Spezifisch deutsch war allenfalls eine ›Weltanschauung‹, eine Art Glauben. […] Der bloße Klang des
Wortes ›Deutschland‹ schien für deutsche Ohren mit
Assoziationen des Außergewöhnlichen, eines Charisma,
das ans Heilige grenzte, aufgeladen zu sein.«58 Als Verhaltenslehre für den normalen Alltag taugte das wenig:
Ein way of life oder ein savoir vivre war daraus nicht
abzuleiten. Der Deutsche kam erst zu sich im Außergewöhnlichen, bei den vaterländischen Festen, bei den
bizarren Totenkulten für seine tragischen Helden –
Herrmann der Cherusker, Barbarossa, das Schillsche
Freicorps von 1809, die gefallenen Kameraden des Ersten
Weltkriegs – und endgültig in den nationalen Krisen
und Katastrophen. Dann war jedem Deutschen klar,
wie er sich zu verhalten hatte: hart und kompromisslos;
dann wusste er, worum es ging: um Alles oder Nichts.
Daraus, aus der Sehnsucht, im Namen Deutschlands gerufen zu werden, für das hohe Ideal ohne Rücksicht auf
die Realitäten, zu kämpfen und zu fallen, resultierte Jahns
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ETV-Magazin 4/10
Wunsch nach dem »eigenen Krieg gegen Frankreich«
»heiligen« deutschen Volk und seiner historischen
oder der parteienübergreifende Jubel der Deutschen
Mission zu produzieren. Sie hat Hitler nicht zu ihrem
Turnerschaft bis zur SPD am 1. August 1914. »Hier«, so
Führer erwählt und auf den Schild gehoben, aber
schlussfolgert Elias, »in der zwingenden Kraft eines ex- sie hat mitgeholfen, dass die Tür zu seinem Sieg sperrklusiven Glaubens, eines unbedingten nationalen und
angelweit aufstand. Und die vergiftete Botschaft
sozialen Ideals, das seinen Anhängern kurzfristig das
ihres Propheten Jahn und aller seiner Schüler ist
Gefühl der Allmacht verlieh und das um jeden Preis
dafür verantwortlich, dass es nach der schlimmsten
verfolgt werden musste – hier lag die Gefahr, die dann
militärischen und moralischen Niederlage der deutin der nationalsozialistischen Bewegung so außeror- schen Geschichte noch einmal mehr ein halbes Jahrdentlich virulent wurde.«59
hundert gedauert hat, bis diese Schuld erkannt und
angenommen werden konnte.62
Die zweite Kernfusion zwischen der Mehrheit der
Deutschen und dem Nationalsozialismus entstand aus
der Bedeutung des Zweiten, des Kaiserreichs als Erfüllung der Sehnsucht nach nationaler Einheit und als
Basis für den Griff zur Weltmacht. 1918 hatte sich dieser
Anmerkungen
Traum erledigt. Die militärische Niederlage und deren
1 Friedrich Ludwig Jahn, Deutsches Volkstum, (Lübeck 1810),
Kodifizierung im Versailler Diktat ließen Deutschland
Berlin 1990, S. 22, 61, 33; Jahn hatte schon im Jahr 1800, also
zur ökonomisch ausgebluteten politischen Mittelmacht
lange vor der französischen Besetzung, eine Erstlingsschrift unter
schrumpfen. Die Deutschen waren damit konfrontiert, dem Titel »Über die Beförderung des Patriotismus im Preußischen
Reiche« veröffentlicht, die im Kern seine späteren Thesen enthielt.
diese bittere Realität zu akzeptieren. Aber große Teile
2 Ebenda, S. 23 f. und 31, ähnlich S. 119.
der Gesellschaft, darunter die deutsche Turn- und
3 Ebenda, S. 43, 91 ff.
Sportbewegung, waren unfähig zu einer solchen ratio- 4 Ebenda, S. 25 ff.
nalen politischen Entscheidung. Sie wollten den Tag- 5 Ebenda, S. 133 f. und 175 ff.
6 Vgl. Hajo Bernett, Die pädagogische Neugestaltung der
traum deutscher Größe weiterträumen, gefangen in
bürgerlichen Leibesübungen durch die Philanthropen, Schorndorf
1973.
den nie verarbeiteten Traumata der Vergangenheit und
7 Zitiert bei Gertrud Pfister, Zur Geschichte des Körpers und
der halluzinogenen Droge ihres Nationalideals. »Sein
seiner Kultur-Gymnastik und Turnen im gesellschaftlichen ModerZwangscharakter«, so Elias, »ließ keine Korrektur auf- nisierungsprozeß, in: Irene Diekmann, Joachim H. Teichler (Hg.),
Körper, Kultur und Ideologie. Sport und Zeitgeist im 19. und 20.
grund von etwas so Unwichtigem wie dem realen Gang
Jahrhundert, Bodenheim bei Mainz 1997, S. 11–47, hier S. 27.
der Ereignisse zu. Realitäten mussten ohne Rücksicht
8 Johann Christoph Friedrich GutsMuths, zit. ebenda, S. 28.
auf Verluste geändert und an das nationale Ideal an- 9 Jahn, Deutsches Volkstum, S. 217.
10 Ebenda, S. 207 f. und 210 f.
gepasst werden.«60
11 Johann Gottlieb Fichte, Reden an die Deutsche Nation, zit.
Genau das versprach Hitler den Deutschen. Er wollte
bei Thomas Hollerbach, »Liebe ist kälter als der Tod« – Der
die Zeit umkehren und versprach nicht nur ein Drittes, Patriotismusdiskurs in der frühen deutschen Nationalbewegung
am Beispiel des ›Turnvater‹ Friedich Ludwig Jahn, in: Michael
sondern das »Tausendjährige Reich«. Der triumphale
Krüger (Hg.), »mens sana in corpore sano«. Gymnastik, Turnen,
Verlauf seiner Karriere vom sektiererischen Bierkeller- Spiel und Sport als Gegenstand der Bildungspolitik vom 18. bis
agitator zum angebeteten Massenmagnet und unum- zum 21. Jahrhundert, Hamburg 2008, 29–40, hier S. 29ff.
12 Zit. bei Dieter Düding, Von der Opposition zur Akklamation
schränkten Führer des zum Revanchekrieg entschlos- – Die Turnbewegung im 19. Jahrhundert als politisch-soziale
Bewegung, in: Diekmann/Teichler, Körper, Kultur und Ideologie,
senen nationalen Lagers schien der Beweis, dass ihm
S. 79–97, hier S. 83.
das gelingen werde. »Die nationalsozialistische Episode
13 Jahn, Deutsches Volkstum, S. 225, 33. f., 37.
markierte den Moment der deutschen Geschichte, in
14 Ebenda, S. 34 f.
dem es fast unausweichlich geworden war, den im- 15 Ebenda, S. 134.
16 Ebenda, S. 33, 36 f.
perialen Traum als Nachhall einer Vergangenheit zu
17 Das Folgende nach Düding, Von der Opposition zur
erkennen, die für immer vorbei war und einer Größe, Akklamation, S. 79–97.
die nie wiederkehren würde. Was immer sonst noch für 18 Deutsche Turnzeitung (DTZ), Nr. 26 und 30 (1871), zit. ebenda, S. 91.
die Barbarei der Hitlerzeit verantwortlich war, einer 19 Düding nennt für 1865 die Zahl von 170.000 Mitgliedern,
ebenda, S. 88.
ihrer Gründe war sicherlich die Weigerung, diese Ent- 20 Die folgende Darstellung stützt sich auf Hans-Georg John,
Politik und Turnen. Die Deutsche Turnerschaft als nationale
wicklung zu sehen und zu akzeptieren. Die Kraft des
Bewegung im deutschen Kaiserreich von 1871–1914, Hamburg
Abwärtstrends spiegelte sich in der extremen Rohheit
1976, hier S. 33.
der Mittel, mit denen man ihn aufzuhalten versuchte. 21 Vgl. als Spiegel dieser »machtgestützten Innerlichkeit« die
Schrift des Turnführers Ferdinand Götz, Vom rechten Turnerleben,
[…] Wie wilde Tiere sind mächtige Nationen oder
Leipzig 1891.
andere mächtige [gesellschaftliche Bewegungen] am
22 DTZ, 32 (1878) und 16 (1905) zit. bei John, Politik und Turnen, S. 46 f.
gefährlichsten, wenn sie sich in die Enge getrieben
23 Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband
fühlen.«61 Die deutsche Turnbewegung hatte seit Be- 1890 bis 1939, Hamburg 2003, S. 15.
24 DTZ, 9 (1894), 1 (1903) und 45 (1902), zit. bei John, Politik
ginn, mehr als ein Jahrhundert seit ihrem Bestehen daran
und Turnen, S. 84.
mitgewirkt, diesen nationalen Wahn vom auserwählten, 25 Ebenda, S. 70 f.
HANNES HEER
26 DTZ, 40 (1873), zit. ebenda, S. 115.
27 Ebenda, S. 152.
28 Ralf Schäfer, Der Zentralausschuss für Volks- und Jugend
spiele und seine Stellung in der deutschen Sportgeschichte, in:
Krüger, »mens sana in corpore sano«, S. 41–55, hier S. 49 ff.
29 Vgl. der bei John auszugsweise abgedruckte Erlass des
Kultusministeriums, ders., Turnen und Politik, S. 94; zum
Jungdeutschlandbund und zur Wehrhaftmachung der Jugend in
dieser Zeit vgl. Christoph Schubert-Weller, »Kein schönrer Tod…«
Die Militarisierung der männlichen Jugend und ihr Einsatz im
Ersten Weltkrieg 1890–1918, Weinheim, München 1998.
30 John, Politik und Turnen, S. 90; Sven Fritz, »… daß der alte
Geist im ETV noch lebt.« Der Eimsbütteler Turnverband von der
Gründung bis in die Nachkriegszeit, Hamburg 2010, S. 42.
31 Turnen und Wehrkraft, Jahrbuch 1911, zit. bei John, Politik
und Turnen, S. 92.
32 So die Zahl im ersten Halbjahr des Krieges, DTZ 37 (1916), zit.
ebenda, S. 94.
33 So Heinrich Schroer, der Vorsitzende des deutschen Turnlehrervereins und Redaktionsmitglied der »Monatsschrift für das
Turnwesen« 10 (1914), zit. ebenda, S. 61.
34 DTZ, 45 (1918), zit. bei Lorenz Peiffer, Die Deutsche
Turnerschaft. Ihre politische Stellung in der Zeit der Weimarer
Republik und des Nationalsozialismus, Hamburg 1976, S. 17.
35 DTZ, 48 (1919), zit ebenda, S. 18.
36 DTZ, 3, (1919), zit. ebenda, S. 20.
37 DTZ, 48 (1919) zit. ebenda, S. 19.
38 DTZ, 16 (1919), zit. ebenda.
39 DTZ, 48 (1919) zit. ebenda.
40 DTZ, 10 (1920) zit. ebenda, S. 28.
41 DTZ, 9 (1919), zit. ebenda, S. 22.
42 Zit. bei Peter Tauber, »Je härter Sport und Spiel, umso besser
ersetzen sie uns den Krieg« – Sport als Erziehungsmittel und Teil
der militärischen Ausbildung in der Reichswehr der Weimarer Republik,
in: Krüger, »mens sana.in corpore sano« S. 77–93, hier S. 88.
43 Zit. bei Peiffer, Die Deutsche Turnerschaft, S. 33.
44 DTZ, 32 (1923), zit. ebenda, S. 55.
45 VB, 25. 7. 1923.
46 Friedrich Babbel, Deutsches Volkstum, Heft 3, Dresden 1925,
zit. Peiffer, Die Deutsche Turnerschaft, S. 64.
47 DTZ, 5 (1925), zit. ebenda, S. 65.
48 DTZ, 91 und 103 (1925), 52 (1926) zit. ebenda, S. 66 ff ;
bedauerlicherweise hat Peiffer diese Zitatsammlung, die die
Nähe zur NS-Ideologie belegt, nur für den Zeitpunkt 1925/26
dokumentiert.
49 Zit. bei Rudolf Oswald, Erziehung zur Volksgemeinschaft – Die
Sportmannschaft im gesundheits- und sozialpolitischen Diskurs
der zwanziger Jahre, in: Krüger, »mens sana in corpore sano«,
S. 95–104, hier S. 98 f.
50 Die Unterscheidung, die Peiffer zwischen der »Rassenlehre«
der NSDAP und der der Deutschen Turnerschaft macht, ist hilflos:
die DT habe damit keine »imperialistischen Ziele« verbunden,
ders., Deutsche Turnerschaft, S. 68; die Vorstellung von der
»Reinhaltung der deutschen Rasse« ließ sich wie, Jahn und 1939
zeigen, jederzeit für einen Krieg mobilisieren.
51 Vgl. Peiffer, Die Deutsche Turnerschaft, S. 86 ff.
52 DTZ, 26 (1930), zit. ebenda, S. 99.
53 Zit. ebenda., S. 110.
54 Norbert Elias, Der Zusammenbruch der Zivilisation, in: ders.,
Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main 1994,
S. 393–516.
55 Ebenda, S. 412.
56 Ebenda, S. 413 f.
57 Ebenda, S. 418 f.
58 Ebenda, S. 420 f.
59 Ebenda, S. 426.
60 Ebenda, S. 452.
61 Ebenda, S. 447, 467.
62 Zum Thema der deutschen Schuld und zum Umgang der
Deutschen mit den Folgen, von 1945 bis heute, vgl. Hannes Heer,
Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt,
aber keiner war dabei, Berlin 2004 und ders., »Hitler war‘s«. Die
Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit, Berlin 2005.
Die Autoren
Jürgen Bischoff
geboren 1954 in Hamburg, war mehrere Jahre Redakteur unter anderem
beim ZEITmagazin und bei der Hamburger Morgenpost; später erschienen seine Reportagen in fast allen großen deutschen Magazinen. Bischoff
schreibt heute als Wissenschaftsjournalist vor allem für GEO sowie für das
Geschichtsmagazin GEO Epoche.
Sven Fritz
carsten vitt
Historiker. Studium der Geschichte, Volkskunde und Musikwissenschaft
an der Universität Hamburg. Abschluss 2008 mit einer Arbeit zu den SSÄrzten des KZ Neuengamme. Seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Ausstellung »Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ›Juden‹ aus der
Oper 1933-1945«. Veröffentlichungen: Die SS-Ärzte des KZ Neuengamme.
Praktiken und Karriereverläufe, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.),
Das KZ Neuengamme und seine Außenlager. Geschichte, Nachgeschichte,
Erinnerung, Bildung, Berlin 2010 (im Erscheinen). Zusammen mit Hannes
Heer: Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der »Juden« und »politisch
Untragbaren« aus den hessischen Theatern, (im Erscheinen).
Jürgen Sielemann
geboren 1944, war bis zu seinem Ruhestand Referent des Staatsarchivs
Hamburg, dort war er unter anderem für den Themenbereich der Geschichte
und Archivbestände der jüdischen Gemeinden Hamburgs zuständig. Zur
jüdischen Familienforschung, zur Verfolgung der Juden in Hamburg
1933–1945 und zur Auswanderung über den Hamburger Hafen im ersten Weltkrieg veröffentlichte er zahlreiche Texte. Außerdem ist Jürgen Sielemann
der Gründer der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. (1996)
und erhielt 2004 den »German Jewish History Award« sowie 2008 die
Lappenberg-Medaille des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Hannes Heer
geboren 1941 in Wissen/Sieg. Studium der Geschichte und Literatur in
Bonn, Freiburg und Köln. 1993 bis 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Hamburger Institut für Sozialforschung und Leiter des Ausstellungsprojektes »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. 1997
Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille. 2004/2005 zusammen mit Petra
Bopp und Peter Schmidt Ausstellung »Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in
Blankenese«. 2006 zusammen mit Jürgen Kesting und Peter Schmidt Ausstellung »Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ›Juden‹ aus der Oper
1933 bis 1945«. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegserinnerung. Lebt als Historiker, Publizist
und Ausstellungsmacher in Hamburg.
Die vier steinernen »Turnerhakenkreuze«, siehe auch die Titelseite dieses
Sonderheftes, fotografierte ETVer Andreas Salomon-Prym.
ETV-Magazin 4/10
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