Der neue Kult des Selbermachens

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Der neue Kult des Selbermachens
MARKETING & VERTRIEB
Trends
Der neue Kult des
Selbermachens
Autorin: Christine Mattauch, New York
Maker – das ist Realität gewordene Science-Fiction
für Do-it-yourselfer. Internet ist heute, 3-D-Drucken
die nächste industrielle Revolution. Technikprotagonisten prophezeien eine explosive Umgestaltung
sämtlicher Produktionsverhältnisse. Worauf muss
sich Marketing einstellen?
Manchmal gehen die Dinge schnell: Vor
fünf Jahren hörte Aric Rindf leisch zum
ersten Mal von einem Gerät, das dreidimensional drucken sollte. „Das kann
eine große Sache werden“, dachte der
Marketingprofessor. Heute betreibt der
47-Jährige an der University of Illinois
ein MakerLab mit sechs 3-D-Printern.
Es ist das erste derartige Labor an einer
US Business School, doch bestimmt
nicht das letzte. „Die neue Technik
wird das Geschäftsleben entscheidend
verändern“, glaubt Rindf leisch.
Die futuristischen Kästen sind das wohl
spektakulärste Element eines Trends,
der in den USA eine ganze Generation
erfasst: Die „Maker Movement“ breitet
sich aus. Junge Leute, von denen man
glaubte, dass sie ihre Hände nur noch
zum Tippen und Texten gebrauchen,
haben das Selbermachen entdeckt.
Sie entwerfen eigenen Schmuck, nähen Kleidung, basteln Spielzeug oder
witzige Getränkeautomaten. Mit dem
Hobbykeller der 70er-Jahre freilich
hat der Trend so viel gemeinsam wie
eine Reiseschreibmaschine mit einem
iPad. Die neuen Werkzeuge sind Entwurfssoftware, Sharing-Programme,
Lasercutter und 3-D-Drucker für den
Hausgebrauch.
Eine neue Infrastruktur entsteht, die auf
die Bedürfnisse der Hightech-Bastler
abstellt; innovative Konzerne setzen den
Trend zur Produktpromotion ein. Langfristig ist das Potenzial noch viel größer.
In Zukunft könnten Gebrauchsgegenstände dupliziert werden wie heute digitale Inhalte. „Bisher war die Produktion
wegen der nötigen Ausstattung und des
erforderlichen Know-hows großen Firmen vorbehalten. Das ändert sich jetzt“,
sagt Chris Anderson, Ex-Chefredakteur
des Technikmagazins „Wired“ und Autor
des Buchs „Makers – The New Industrial
Revolution“ (unter dem Titel „Makers –
das Internet der Dinge“ auf Deutsch erschienen). Seine Vision: Kunden werden
zu Herstellern; Unternehmen liefern
ihnen Anleitung und Ideen.
Als Vater der Bewegung gilt Dale Dougherty, ein Verleger aus dem Silicon
Valley. Er gründete 2005 das Magazin
„Make“ und wenig später die Maker
Faires – Messen, auf denen sich die
Gemeinschaft der Bastler trifft. Inzwischen sind das Großveranstaltungen:
»Die neue Technik wird das Geschäftsleben entscheidend verändern.«
Aric Rindfleisch, Marketingprofessor an der University of Illinois
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absatzwirtschaft 7–8/2013
© Christine Mattauch
Produkte aus dem 3-D-Drucker: „Unendliche Möglichkeiten bieten sich dir“ – mit diesem Slogan warb die Firma Shapeways
auf der Maker Faire New York.
Die World Maker Faire in New York
2012 zog mehr als 50 000 Besucher an.
In Deutschland fand diesen April in
München eine „Make Munich“ statt
mit über 3 000 Besuchern, und am
3. August beginnt die erste offizielle
„Maker Faire“ in Hannover.
„Viele sehen uns Amerikaner als Inbegriff der Konsumenten“, sagt Dougherty, „aber wir sind auch ‚Can-DoPeople‘, die Spaß haben am Tüfteln.“
Schon gibt es hochmodern ausgestattete
Bastelclubs, die TechShop heißen oder
BuildMore. Die Selbermacher haben
ihre eigenen Vertriebsplattformen – die
bekannteste heißt Etsy – und Websites
wie Thingiverse, auf denen sie dreidimensionale Baupläne teilen.
Der Do-it-yourself-Trend ist so stark,
dass Radioshack, eine große Kette für
Elektrobedarf, ihr Sortiment änderte.
„Vor drei Jahren begannen sich immer
mehr Kunden zu beschweren, dass sie
bei uns nicht finden, was sie suchen“,
erinnert sich Lauren Kushnerick, Ma-
nagerin für Produktmarketing bei
Radioshack. Der Händler richtete einen Blog zur Sortimentsänderung ein
und bat um Vorschläge. Mehr als 500
kamen. So nahm Radioshack Arduino
ins Programm, eine MikrocontrollerPlattform, die Tüftlern das Umsetzen
ihrer Entwürfe erleichtert. „Innerhalb
weniger Monate hatten wir mehr als
50 000 Stück verkauft“, berichtet Kushnerick. Neuerdings schickt die Kette
ihre Verkäufer in die Weiterbildung,
damit sie mit der trendigen Kundschaft
auf Augenhöhe sind.
Schnell reagiert hat auch Red Bull. 2011
veranstaltete der Getränkehersteller in
den USA seinen ersten Innovationswettbewerb „Red Bull Creation“, bei dem
Erfinderteams gegeneinander antreten. Wer den besten und verrücktesten
Automaten baut, erhält 10 000 Dollar.
Der Wettstreit, der in diesem Jahr zum
dritten Mal läuft, ist ein Hit in der
Maker-Gemeinde und die Teilnahme
eine Frage der Ehre. Viele dokumentie-
Lego: Kultfirma der Maker
1998 brachte Lego die „Mindstorms“ heraus: eine Produktreihe mit programmierbaren Legosteinen und Elektromotoren. Bastler konnten damit kleine Roboter konstruieren, vom Spielzeugkran bis zur Pfannkuchenmaschine. Damit begann die „Maker
Movement“. Heute hat die „Mindstorms Community“ mehr als 50 000 Mitglieder,
die Lego sogar in die Entwicklung einbezieht. „Der Kontakt zu unseren Fans ist für
uns eine sehr wichtige Inspirationsquelle“, sagt Lego-Pressesprecherin Helena Seppelfricke. Regelmäßig werden Fangruppen eingeladen, um Produkte vor dem offiziellen Start zu testen und zu verbessern. Im Lego-Mutterhaus in Billund pflegt ein
Fanbeauftragter den Dialog, und es gibt zertifizierte Modellbauer wie den Deutschen
René Hoffmeister, der das Online-Forum www.1000steine.de eingerichtet hat.
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ren ihren Bastelmarathon per Blog und
Video und bestätigen so das Image von
Red Bull als Szene-Getränk.
Doch Vorboten der Do-it-yourselfBewegung gibt es auch hierzulande.
So überlegt der Baumarkt Obi, sein
Sortiment um den Bereich Handarbeit
zu erweitern, der „aktuell definitiv“ im
Trend liege, wie eine Sprecherin bestätigt. Der Münchner Verleger Hubert
Burda beschloss im April, die Kreativmarke „burda style“ nach Nordamerika
zu exportieren: Eine Zeitschrift soll es
geben, Nähkurse, Videocontent und
E-Books.
Angetrieben wird der Bastelrausch
durch die 3-D-Drucker, die dem Verbraucher ganz neue Möglichkeiten
bieten. Sie sind etwa so groß wie konventionelle Laserdrucker und funktionieren, indem sie Plastik verf lüssigen
und in hauchdünnen Schichten nach
einem digitalen Bauplan übereinanderlegen. In den USA gibt es mehr
als zwei Dutzend Marken, und sie
werden immer erschwinglicher. Als
letzter Schrei gilt der „Replicator 2“ von
Marktführer Makerbot, der rund 2 200
Dollar kostet. Mehr als 15 000 Drucker
hat die Brooklyner Firma, die erst 2009
gegründet wurde, schon verkauft. In
Deutschland vertreibt die Stuttgarter
Firma „Hafner’s Büro“ den Apparat.
Es ist eine bestechende Vision: Geht
ein Brillenbügel kaputt, sucht man im
Internet das Design und druckt den
Ersatz selber aus. Kinder entwerfen
ihr Spielzeug selbst. Wer einen Knopf
verliert, repliziert ihn.
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Etsy, eine Online-Vertriebsplattform für Selbstgemachtes: Das Unternehmen sitzt in einem coolen Loft im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Waren im
Wert von fast 900 Millionen Dollar wurden 2012 verkauft.
Was bedeutet das für die Unternehmen?
Einige experimentieren schon mit den
neuen Möglichkeiten. General Electric
und Ford etwa setzen die Printer in ihren Entwicklungsabteilungen ein, weil
Ingenieure damit im Handumdrehen
Prototypen herstellen können.
Einen anderen Nutzen sah die schwedische Synthesizer-Firma „Teenage Engineering“: Sie stellte im vergangenen
Herbst Download-Dateien auf ihre Website, mit denen Kunden Ersatzteile wie
Hebel und Schlaufen selbst ausdrucken
können. „Die Versandkosten für diese
kleinen Gegenstände sind sehr hoch“,
begründete die Firma den Schritt.
Noch weiter geht Nokia: Der finnische
Telekommunikationsriese hat auf der
Website Thingiverse gratis die Tools
zum Ausdruck einer Smartphone-Hülle
bereitgestellt. Die Nutzer können das
Design übernehmen – oder verändern.
Der Kunde als Co-Designer: Das ist revolutionär und definiert womöglich die
Rolle von Forschung und Entwicklung
neu. Wenn die Kunden am häuslichen
Bildschirm über Farbe, Form und Funk-
Vom Marketer zum Maker
In einer nahezu perfekten Konsumwelt suchen junge Amerikaner wie Seth Gray
wieder nach Authentizität. Gray arbeitete nach dem College zehn Jahre im Marketing, zuletzt beim Verlag McGraw-Hill. Vor einem Jahr kündigte er und begann,
hochwertige Ledertaschen zu produzieren. „Ich wollte etwas anderes vorweisen
können als schnell vergessene Werbekampagnen“, begründet er seine Wandlung
vom Marketer zum Maker. „In einer Welt von Wegwerfrasierklingen und Papptellern steigt die Sehnsucht nach etwas Echtem.“ Dabei versteht sich der 34-Jährige,
der in Ohio lebt, nicht als Aussteiger, sondern als Avantgardist. Maker wie er hätten
eine Botschaft für Unternehmen: „Hört auf, tolle Geschichten über schlechte Produkte zu erzählen. Macht lieber gute Produkte.“
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tionsdetails entscheiden, muss das Unternehmen nur noch die Idee liefern –
und einen Rohling. Ganze ResearchStufen werden überf lüssig, weil das
Unternehmen nicht mehr wissen muss,
was genau die Kunden wollen.
In Zukunft werden 3-D-Drucker auch
andere, vielleicht sogar mehrere Materialien gleichzeitig verarbeiten können.
Aus dem Luxusspielzeug für Hobbyisten würde eine Kleinfabrik, die aus
dem Haushalt nicht mehr wegzudenken
wäre. „Heute drucken Sie sich einen
neuen Batteriedeckel aus, in zehn Jahren die komplette Fernbedienung“, sagt
Marketingprofessor Rindf leisch.
Wenn elektronische Druckanleitungen
den physischen Versand von Produkten
ersetzen, hat das enorme Konsequenzen für die Logistik. „Bisher ist 3-DPrinting eine Nische, und es ist nicht
»Viele sehen uns Amerikaner als
Inbegriff der Konsumenten, aber wir
sind auch ›Can-do-People‹, die Spaß
haben am Tüfteln.«
Dale Dougherty, Mitbegründer von O‘Reilly Media und Herausgeber der Zeitschrift „Maker“
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© University of Illinois
Die weltweit erste 3-D-Werkstatt an einer Business School: Blick in das MakerLab der University of Illinois. Dort lernen Studenten, wie die
futuristischen Geräte das Marketing der Zukunft verändern.
klar, wie schnell sie sich ausdehnt“, sagt
Prof. Uwe Clausen, Leiter des Instituts
für Transportlogistik an der Universität Dortmund und Institutsleiter am
Fraunhofer-Institut für Materialf luss
und Logistik. „Aber wir beobachten die
Entwicklung mit hohem Interesse.“ Für
Unternehmen sind Effizienzvorteile
möglich, wenn Lager- und Versandkos-
ten entfallen. Für manche wird aber, je
leichter Zubehör zugänglich ist, auch
eine Einnahmequelle verschwinden.
Das ist nicht die einzige Gefahr: Mit
3-D-Druckern lassen sich im Handumdrehen Plagiate anfertigen. Schon gibt
es erste Programme, die digitale Fotos
in 3-D-Druckvorlagen verwandeln, und
Raubkopien von Produktbauplänen,
INTO
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SEPTEMBER 18 & 19, 2013 | COLOGNE
IDEELLER & FACHLICHER TRÄGER
die in Internetforen von den Makern
munter geteilt werden. Unternehmen,
deren Geschäftsmodell allein in der Fähigkeit zur Massenproduktion besteht,
sollten ihre Strategie überdenken, rät
Aric Rindf leisch: „Welchen Mehrwert
kann ich bieten, der dem Kunden einen
Grund gibt, mein Produkt trotzdem zu
kaufen?“
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