Presseheft - Relevant Film
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Presseheft - Relevant Film
Mittwoch, 17. Oktober 2012, 20.15 Uhr Auslandseinsatz Vorwort »Auslandseinsatz« ist der erste deutsche Fernsehfilm, der sich konkret mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auseinandersetzt und vom Leben und der Arbeit deutscher Soldatinnen und Soldaten vor Ort erzählt. Der WDR bleibt damit seiner Tradition, sich mit aktuellen, brisanten, politischen Themen zu beschäftigen, treu. Der Afghanistan-Krieg ist und bleibt ein eminent wichtiges Thema für die Menschen in Deutschland. Bis auf die unmittelbar Betroffenen – allen voran die Soldaten selbst sowie deren Angehörige – haben jedoch viele Menschen keine konkreten Vorstellungen von der Situation der Soldaten im Einsatz, von deren Ängsten und oft unlösbaren moralischen Konflikten. Die unterschiedlichen Reaktionen auf die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Thema Afghanistan, in der er mehr Anerkennung für die dort stationierten Soldaten forderte, zeigt, wie kontrovers der Einsatz deutscher Truppen im Afghanistan-Konflikt nach wie vor diskutiert wird. In unserem Film »Auslandseinsatz« versuchen wir, einen Einblick in den schwierigen Alltag dieser Soldaten zu geben, der geprägt ist von Komplikationen und tragischen Verwicklungen, von ständiger Unsicherheit, wie Situationen einzuschätzen sind, von ihrer Unkenntnis der fremden Kultur und Sprache, von Todesangst und der Angst, selbst töten zu müssen. Durch die Entfaltung authentischer Figuren und emotionaler ebenso wie spannender Handlungsbögen gelingt es Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt und Regisseur Till Endemann auf äußerst intensive Weise, die Zuschauer in die Schicksale mehrerer junger Menschen und ihrer Vor gesetzten vor Ort hineinzuziehen. Der Produzentin Heike Wiehle-Timm, die mit der Idee zu diesem Film zu uns kam und mit unnachgiebiger Energie und großer Einsatzfreude dieses Ziel verfolgte, möchte ich an dieser Stelle voller Anerkennung danken! Ich bin stolz, dass wir uns als WDR, gemeinsam mit Relevant Film und mit Unterstützung der ARD Degeto, dieser Thematik angenommen haben und mit diesem Film zur Vertiefung der Debatte beitragen können, dessen hochkarätige Besetzung sicher das Publikum begeistern wird. Es war uns immer besonders wichtig, dass der Film der Komplexität des Themas und der Schilderung der Ängste und Nöte der Menschen vor Ort gerecht wird, indem er eine spannende und emotionale Geschichte erzählt. Diese Herausforderung hat das erstklassige Team hervorragend gemeistert. Dr. Barbara Buhl, Leiterin Programmgruppe Fernsehfilm und Kino Inhalt Vorwort 3 »Was haben wir mit Afghanistan zu tun?« Heike Wiehle-Timm, Produzentin 4 Der Inhalt in Kürze 7 Die Geschichte 8 »Wir wollten die subjektive Wirklichkeit der Soldaten mitten im Geschehen zum Thema machen« Ausführende Produzentin und Co-Autorin Nikola Bock im Gespräch 10 »Mich hat überrascht, wie viele Soldaten an dem erdachten Dilemma meiner Figuren in Wirklichkeit leiden« Autor Holger Karsten Schmidt im Gespräch Filmografie 12 15 »Wir wollten alle einen Film machen, der sich echt anfühlt und berührt« Regisseur Till Endemann im Gespräch Filmografie 17 19 »Bin immer sehr skeptisch, ob eine Szene gut geworden ist« Max Riemelt im Gespräch Filmografie 20 21 »Es ist so schwer, das Richtige zu tun« Hanno Koffler im Gespräch Filmografie 24 25 »Ich kann Emal als Deutscher mit ägyptischen Wurzeln sehr gut verstehen« Omar El-Saeidi im Gespräch Filmografie 26 27 »Soldaten gegen andere Soldaten – das ist für mich wie aus einer anderen Welt« Devid Striesow im Gespräch Filmografie 30 31 Bernadette Heerwagen ist Anna Wöhler Rolle und Filmografie 32 Henriette Müller ist Sarah Schulz Rolle und Filmografie 33 Besetzung/Stab/Impressum 35 4 auslandseinsatz Was haben wir mit Afghanistan zu tun? Diese Frage muss sich jeder Deutsche stellen, seitdem die Bundeswehr seit 2001 in Afghanistan im Einsatz ist. Lange Zeit hat sich Deutschland bei internationalen Konflikten rausgehalten. Seit dem Krieg auf dem Balkan Ende der 90er-Jahre, spätestens seit Afghanistan haben wir diese zurückhaltende Position endgültig aufgegeben. Als wir anfingen uns mit der filmischen Umsetzung zu dem Einsatz am Hindukusch zu beschäftigen, beweg te uns vor allem die Frage, wie es sich wohl anfühlt, in diesem fremden Kulturraum Aufbauarbeit leisten zu wollen und stattdessen in einem Krieg zu landen. Uns war schnell klar, dass wir keine Geschichte von traumatisierten Heimkehrern erzählen wollten, sondern uns interessierte vielmehr die Frage, was es für junge westlich-konsumgeprägte Soldaten bedeutet, in Afghanistan im »Auslandseinsatz« zu sein. Afghanistan zeigt, wie jedes zivilisatorische humane Engagement in Widersprüche geraten kann. Gut gemeinte Absichtserklärungen/Hilfsprogramme verwandeln sich schnell in ihr Gegenteil. Ist sinnvolles Handeln in dieser Situation überhaupt möglich? Dies filmisch fiktional zu erzählen war unser Anliegen. Uns interessierte, wie junge Soldaten diesen Konflikt bewältigen und wie der »Auslandseinsatz« sich auf ihre Lebensentwürfe auswirkt. Die von den Autoren erfundenen Figuren Daniel, Ronnie und Emal reagieren jeweils unterschiedlich auf die Herausforderungen und Probleme, die sich ihnen stellen. Lässt man sich auf diese drei jungen Männer ein, so ist spürbar, wie schnell man in Situationen geraten kann, die keine einfachen Lösungen zulassen. Andererseits entsteht aber auch das Bedürfnis, Lösungen zu finden und diese auszuprobieren. Selbst auslandseinsatz 5 wenn sich daraus neue Widersprüche ergeben. Die Konsequenzen ihres Handelns sind von unseren Protagonisten häufig nicht erkennbar. Oft geraten sie in unvorhersehbare Situationen, die aber ein sofortiges Handeln erfordern. Nichthandeln erscheint angesichts der Probleme vor Ort als feige, ein Eingreifen wie eine moralische Verpflichtung. Wir wollen den Zuschauer mitnehmen auf diese Reise nach Afghanistan, mitten hinein in die existen tiellen Fragen, die dieser Krieg stellt. Am Ende unseres Filmes wird man sich möglicherweise fragen, wie man sich selbst entschieden hätte. Wohl wissend, dass es keine einfache Wahrheit und nicht DIE richtige Lösung gibt. Und trotzdem kann man die Augen nicht verschließen und muss – wie Daniel, Ronnie und Emal – entscheiden, ob man den Kampf aufnimmt und eingreift oder – wie in unserer Geschichte – die Mädchen den Taliban überlässt. Jede der im Film gezeigten Entscheidungen ist kritisierbar und angreifbar. Auch im Kontext des soldatischen Handelns von Befehl und Gehorsam. Aber ein Nichthandeln würde sie von vornherein schuldig machen. Das ist das Dilemma, mit dem wir unsere Figuren konfrontieren. Dabei haben wir uns bemüht, authentisch und dicht an der Realität zu erzählen und unseren Figuren emotional nah zu kommen. Das Thema Afghanistan lässt einen nicht mehr los. Ich hoffe, auch unsere Zuschauer nicht. Heike Wiehle-Timm, Produzentin Relevant Film GmbH 6 auslandseinsatz auslandseinsatz 7 Kurzinhalt Seit 2001 ist die Bundeswehr am Hindukusch im Einsatz. Ihr Auftrag: den Wiederaufbau im Norden Afghanistans zu unterstützen, durch humanitäre Hilfe Stabilität schaffen, dazu beizutragen, dass sich demokratische Strukturen etablieren können. Der WDRFernsehfilm »Auslandseinsatz« ist der erste deutsche Film, der den Krieg und den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan zum Thema hat und auch dort spielt. Er erzählt die Geschichte einer Freundschaft, die unter der Extremsituation des Krieges vor einer Zerreißprobe steht. 8 auslandseinsatz Die Geschichte Sie sind alle Mitte 20, und gemeinsam gehen sie als Zeitsoldaten nach Afghanistan: Daniel (Max Riemelt) und Ronnie (Hanno Koffler), Freunde seit Kindertagen, sowie Emal (Omar El-Saeidi), ein gebürtiger Afghane, der einst mit seiner Familie nach Deutschland floh. Begleitet werden sie durch die angehende Stabsärztin Sarah Schulz (Henriette Müller). In einem vorgerückten Außenlager stationiert, erhalten sie den Auftrag, in dem entlegenen Dorf Milanh die Schule wiederaufzubauen. Unterstützt werden sie von der Entwicklungshelferin Anna (Bernadette Heerwagen), die die Schüler vor Ort betreut. Die Begegnung mit Tara (Fatimzohra Tarchani), der Tochter des Bürgermeisters Jamil (Vedat Erincin), macht den jungen Soldaten klar, auf welch fremde Welt sie hier stoßen: Ihr fehlen zwei Finger – von den Taliban abgeschnitten, weil sie es gewagt hatte, sich ihre Nägel zu lackieren. auslandseinsatz 9 Die Aufbauarbeit erweist sich wegen der Taliban als weitaus schwieriger als gedacht. Die tägliche Bedrohung, die Fremdheit des Einsatzortes und ein erstes Gefecht setzen den Soldaten zu. Immer mehr stellt sich die Frage nach dem Sinn ihres Einsatzes. Können sie wirklich das leisten, wofür sie nach Afghanistan geschickt wurden – den Menschen eine Zukunft zu geben? Oder sind sie selbst Teil des Problems? Während Daniel verzweifelt versucht, in der Struktur der Bundeswehr Sicherheit zu finden und das Gefühl der Sinnlosigkeit zu überwinden, wird Ronnie zwischen Allmachtsgefühlen, Resignation und anarchistischer Wut hin- und hergerissen. Zwischen beiden kommt es zu Spannungen und Auseinandersetzungen, die ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen. Die Lage spitzt sich zu, als einer von Jamils Söhnen von einem US-Trupp erschossen wird und Taras Zwangsverhei ratung mit einem Taliban droht. Sollen die deutschen Soldaten helfend eingreifen und Tara in Sicherheit bringen? Oder Hauptmann Glowalla (Devid Striesow) gehorchen? Der befiehlt strikte Einhaltung der Regeln – und das bedeutet Nichteinmischung in die inner afghanischen Angelegenheiten … 10 auslandseinsatz »Wir wollten die subjektive Wirklichkeit der Soldaten mitten im Geschehen zum Thema machen« Ausführende Produzentin und Co-Autorin Nikola Bock im Gespräch Wie ist das Thema zu Ihnen gekommen? Die Initialzündung, einen Film zu diesem Thema zu entwickeln, liegt schon einige Jahre zurück, als ich mir den Film »Brothers« der dänischen Regisseurin Susanne Bier ansah. Damals dachte ich zum ersten Mal: Warum gibt es eigentlich in Deutschland keinen Film zu diesem Thema? Es gibt ja eigentlich eine starke Tradition von Antikriegsfilmen in Deutschland. Es ist nur heutzutage nicht so leicht, daran anzuknüpfen. Mein starker Wunsch war, einen Film zu machen, der das subjektive Empfinden der Soldaten in den Mittelpunkt stellt: Wie fühlt es sich an, mit der Waffe in der Hand in einem völlig fremden Land zu stehen und mitten im Krieg eigentlich Wiederaufbauarbeit leisten zu wollen? Als ich Holger Karsten Schmidt als Autor für diesen Film ansprach, galt die Afghanistanmission noch als humanitärer Einsatz. Mittlerweile ist es ja für niemanden mehr ein Geheimnis, dass es sich hier um einen Krieg handelt. Holger Karsten Schmidt und ich waren von Beginn an entschlossen, eine Geschichte zu entwickeln, die von diesem Krieg und den Soldaten, die ihn führen müssen, erzählt. Deswegen sollte es auch keine Heimkehrergeschichte sein. Wir wollten gerade die subjektive Wirklichkeit der Soldaten mitten im Geschehen zum Thema machen. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so ein Film nicht schon vorher gedreht wurde? Die Bundeswehr ist seit 2001 am Hindukusch ... Politische Themen haben es nie ganz leicht in der deutschen Fernseh- oder Kinolandschaft. Hinzu kommt sicher auch, dass man meist ein wenig Distanz zu solchen Ereignissen braucht, um sie gut zu erzählen. Gemeinsam mit dem WDR wollten wir eine zeitlose, politische, aber vor allem eben emotionale Geschichte erzählen. Auch ein politischer Film kann unterhalten, den Zuschauer anrühren, in Spannung versetzen und zum Nachdenken einladen. Das ist Holger Karsten Schmidt mit seinem Buch und Regisseur Till Endemann in der filmischen Umsetzung sehr gut gelungen. Sie sind Co-Autorin, haben auch die Recherchearbeit für »Auslandseinsatz« geleistet. Was galt es dabei zu berücksichtigen, und wie sind Sie vorgegangen? Im Verlauf mehrerer Jahre haben Holger Karsten Schmidt und ich mit vielen Bundeswehrsoldaten gesprochen und Interviews geführt. Dabei haben uns vor allem die Presseoffiziere in Hamburg sehr geholfen und sich um einiges offener gezeigt als der Pressestab des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin. Die Soldaten selbst hatten großes Interesse zu sprechen, haben sie doch oft das Gefühl, dass sich kaum jemand für ihre Erlebnisse vor Ort interessiert. Vieles davon hat Eingang gefunden in das Drehbuch. Mit Zunahme der Kampfhandlungen in Afghanistan wurde immer deutlicher, dass die Soldaten zwar mit großem Enthusiasmus und Engagement nach Afghanistan gehen, dann aber vor Ort und in der Rückschau von einem Gefühl großer Sinnlosigkeit erfüllt sind: Man will Gutes tun und erreicht nur Schlechtes. So lautete das Resümee vieler Soldaten, und das zu erzählen ist auch ein Kernanliegen des Films geworden. Hat sich Ihre Meinung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr während der Recherche modifiziert? Im Laufe der Recherche und der Arbeit an Buch und Film hat sich natürlich immer mehr Wissen angesammelt. Die zum Teil sehr persönlichen Berichte der Soldaten, aber auch die Schilderungen der Exil-Afghanen, die wir befragten, haben tiefe Eindrücke hinterlassen, die ich normalerweise nicht bekommen hätte. Es gibt hier keine einfachen Antworten, und wir stellen ja auch im Film in erster Linie Fragen. Wenngleich es natürlich eine emotionale Wahrheit gibt: In einem Krieg gibt es nur Verlierer. Je mehr ich mit Menschen sprach, die den Krieg persönlich erlebt haben, desto unumstößlicher ist mir diese Wahrheit geworden. auslandseinsatz 11 »Man will Gutes tun und erreicht nur Schlechtes. So lautete das Resümee vieler Soldaten, und das zu erzählen ist auch ein Kernanliegen des Films geworden.« Dass der Film nicht in Afghanistan gedreht werden konnte, versteht sich. Wie sind Sie auf Marokko gekommen? Wir haben über verschiedene Länder nachgedacht und uns schlussendlich für Marokko entschieden, da es zum einem landschaftlich sehr geeignet ist, »Afghanistan« zu suggerieren. Zum anderen ist Marokko im Laufe der letzten Jahre zu einem guten Filmstandort mit den nötigen Facilities geworden, der sowohl von amerikanischen als auch von vielen europäischen Filmproduktionen genutzt wird. Es werden gerade von den Amerikanern so viele Filme über Krieg und Terror dort gedreht, dass sich viele Komparsen ihre »Taliban-Bärte« schon gar nicht mehr abschneiden … Ist es einfach so möglich, dass Panzer unter deutscher Flagge durch Marokko fahren? Das Umstreichen der Panzer und ihre deutsche Beflaggung ist nicht problematisch, solange man die Genehmigungsverfahren hinter sich gebracht und natürlich bezahlt hat. Viel schwieriger zu erreichen ist, dass die marokkanischen Panzer auch wirklich fahren, denn sie sind in einem durchaus maroden Zustand. Deswegen bekommt man auch zu jedem Militärfahrzeug einen Fahrer-Soldaten und einen MechanikerSoldaten gestellt. Diese muss man aber natürlich auch beköstigen und bezahlen. Als Ausführende Produzentin waren Sie in Marokko mit vor Ort. Welche Herausforderungen galt es dort für Sie noch zu meistern? Die Herausforderungen während des Drehs in Marokko waren vielfältig, angefangen bei der Waffenund Munitionseinfuhr, der Korrespondenz mit dem König und dem Militär, den Genehmigungsverfahren, den Transporten und vieles mehr. Die Gastfreundschaft in Marokko ist groß. Dazu gehört auch, dass man fast nie ein klares Nein bekommt. Es wird eher improvisiert und gebastelt, als zu gestehen, dass etwas nicht geht. Das ist liebenswert, aber auch sehr langwierig und während der Drehvorbereitung oder gar am Set oft schwer auszuhalten. Doch das marokkanische und das deutsche Team sind nach einiger Zeit zusammen gewachsen. Das war schön zu erleben. Der Dreh in dem kleinen Berber-Dorf im Atlasgebirge war eine Zeitreise mindestens 100 Jahre zurück. Hier wird das Wasser noch aus dem Brunnen geholt, und wer das Dorf zum ersten Mal betritt, macht einen Antrittsbesuch beim Dorf-Ältesten. Das Ganze in einem wunderschönen Bergpanorama. Von dieser Atmosphäre waren nicht nur das Team, sondern auch alle Schauspieler sehr berührt. Auch das hat Eingang gefunden in den Film. 12 auslandseinsatz »Mich hat überrascht, wie viele Soldaten an dem erdachten Dilemma meiner Figuren in Wirklichkeit leiden« Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt im Gespräch Als Sie zum ersten Mal von der Idee hörten, einen Film über deutsche Soldaten in Afghanistan zu machen, welche Bilder, welche Ideen hatten Sie da im Kopf? Das erste Bild waren Zinksärge, die in Transport maschinen geladen werden. Die erste maßgebliche Idee hat sich aus dem Verdacht gespeist, dass die Kriegsein- sätze der US-Amerikaner und die auf humanitäre Einsätze beschränkte ISAF-Operation, an der Deutschland bis heute beteiligt ist, sich nur auf dem Papier trennen lassen. Man hat der deutschen Öffentlichkeit ja lange vorzuspiegeln versucht, man beschränke sich in Afghanistan auf‘s Brunnenbohren. auslandseinsatz 13 dem Putsch in Chile seinen Sohn sucht. Dieses archaische Thema ist von einer solchen Wucht und auch so berührend umgesetzt, dass der Zuschauer bereit ist, zusammen mit Lemmon jede Menge Informationen über den Putsch und die politischen Umstände et cetera zu sammeln, weil das emotionale Zentrum des Filmes stets die Suche nach dem verlorenen Sohn bleibt. Der Zuschauer findet den Zugang zu »Auslandseinsatz« unter anderem über das emotionale Thema der Freundschaft. War die Figurenkonstellation Daniel/ Ronnie ein Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen? Ja. Der Prozess der persönlichen Veränderung der beiden lässt sich effizient und bisweilen auch inniger erzählen, wenn sie mit einer Freundschaft in die Geschichte gehen, von der die beiden annehmen können, sie sei aus dem seltenen Stoff, der für ein ganzes Leben reicht. Sie haben in Ihrem bisherigen Werk immer wieder zeithistorische, politische Themen aufgegriffen. Was reizt Sie daran? Per se gar nichts, weil sie rechercheintensiv sind. Aber seit dem ersten Drehbuch zu so einem Thema – das war »Der Briefbomber« – kommen immer wieder Produzenten mit solchen Themen auf mich zu. Ich fasse allerdings keines davon an, wenn ich nicht einen persönlichen, emotionalen Bezug dazu herstellen kann. Wie etwa bei »In Sachen Kaminski«. Wie viel politische Reflexion verträgt ein Fernsehfilm? Eine Menge, wenn man sie in angemessener Dosis verpackt und sich nicht dazu hinreißen lässt, mit erhobenem Zeigefinger einen Telekolleg zu schreiben. Ein positives Beispiel dafür ist etwa »Vermisst«, in dem ein Vater – verkörpert durch Jack Lemmon – nach Jeder der Soldaten gerät in den Konflikt zwischen Einhalten der Regeln und dem Bedürfnis, seinem Gewissen zu folgen. Ist es nicht faszinierend, dass eines der großen Themen des antiken Dramas im Laufe der Jahrhunderte nichts an Reiz und Relevanz verloren hat? Ja, weil das menschliche Dilemma zeit-, orts- und kulturunabhängig ist. Das ist wie mit dem Vater auf der Suche nach dem Sohn. Auffallend ist, dass Sie Ronnie, Daniel und Emal keinen kalten Technokraten, keinen gefühllosen Befehls fetischisten gegenübergestellt haben, sondern mit Glowalla einen Hauptmann, der sich seines Dilemmas, als Soldat nicht wie als Privatperson handeln zu können, bewusst ist. Das Dilemma macht auch vor Glowalla nicht Halt. Es wäre auch ein wenig einfach, wenn sich die Probleme meiner Figuren lediglich auf einen unmenschlichen 14 auslandseinsatz Vorgesetzten fokussierten. Das ist nicht das Thema – sondern der Sinn dieses Einsatzes. Damit sie sich diesem inneren Konflikt stellen können, habe ich auf den eindimensionalen Vorgesetzten verzichtet, auf den ich darüber hinaus in der Recherche zu diesem Film auch nie gestoßen bin. Sie haben im Vorfeld gemeinsam mit der Co-Autorin Nikola Bock mit vielen Soldaten gesprochen. Wie wichtig waren diese Gespräche für die Entwicklung des Drehbuchs? Enorm wichtig. Ob Details des Dienstalltags in Afghanistan, die Regeln im Camp, die unterschiedlichen Motivationen der Soldaten – jede kleine Information sorgt in einer fiktiven Geschichte, die ja letztlich nur meinem Kopf entsprungen ist, für eine authentische Erdung. Und damit – hoffe ich – auch für Glaubwürdigkeit. Hat das, was Sie über die/von den deutschen Soldaten in Afghanistan erfahren haben, in etwa Ihren Vorstellungen entsprochen? Ja, ziemlich genau. Mich haben allerdings einige Motivationen, sich für einen Afghanistan-Einsatz auch zum wiederholten Male zu melden, sprachlos gemacht. Und mich hat überrascht, wie viele an dem erdachten Dilemma meiner Figuren in Wirklichkeit leiden. Ich meine nicht: damit ein Problem haben. Ich meine wirklich leiden. Beeindruckend ist auch die Figur des Bürgermeisters Jamil, des Malik. Welche Vorarbeit war nötig, um diese afghanische Perspektive einnehmen zu können? Zunächst nur eine dramaturgische. Eine Figur zwischen den Fronten, eine Figur, die die Bewohner des Dorfes und ihre Tochter schützen muss. Und das alles, während alle Ansprüche an den Malik stellen: Warlords, Taliban, US-Truppen und auch noch Ronnie und Daniel. Ich wollte jemanden zeigen, der letztlich den Preis für die Vorstellungen und Überzeugungen anderer zahlen muss. Jamil repräsentiert jene Afghanen, die die Taliban ermorden werden, wenn sich die NATO-Truppen in zwei Jahren aus dem Land zurückziehen. Und es muss hier auch keiner so tun, als würden wir das nicht sehenden Auges in Kauf nehmen. Nikola Bock hat das Buch von Exil-Afghanen in Hamburg gegenlesen und prüfen lassen. Deren An merkungen und Richtigstellungen sind dann von mir eingearbeitet worden. Der Film bietet keine Lösung für Afghanistan an. Man kann sowohl die Argumentation derer, die den Einsatz der deutschen Soldaten für sinnlos halten, als auch derer, die ihn befürworten, bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Wollten Sie die Entscheidung bewusst dem Zuschauer überlassen – oder gibt es schlichtweg keine Lösung? Ob es eine Lösung für so ein komplexes Thema gibt, kann ich nicht beantworten. Ich habe sie zumindest nicht, und ich würde jedem misstrauen, der behauptet, er hätte eine. Ganz sicher ist aber, dass ich dem Zuschauer am Ende keine Lösung auf dem Silbertablett liefern möchte, die ihm das Denken abnimmt. Es gibt, wie Sie sagen, gute Gründe für und gegen den Einsatz, und das bedeutet, dass keine der beiden Positionen komplett und ausnahmslos richtig sein kann. In diesem Sinne empfinde ich den Film als einen Denkanstoß. Er will und kann nicht alle Facetten des Afghanistan-Kriegs abbilden. auslandseinsatz 15 »Jamil repräsentiert jene Afghanen, die die Taliban ermorden werden, wenn sich die NATO-Truppen in zwei Jahren aus dem Land zurückziehen.« Filmografie (Auswahl) Warum ist der Film jetzt, im Herbst 2012, wichtig? Es ist erst mal für die Situation politischer Filme in Deutschland bezeichnend, dass der erste deutsche Film, der sich des Krieges in Afghanistan mit deutscher Beteiligung vor Ort annimmt – elf Jahre nach dem entsprechenden ISAF-Mandat und drei Jahre nach dem dem WDR die erste Drehfassung vorlag – ausgestrahlt wird. Wenn man in Betracht zieht, was zum Beispiel ein George Clooney seit Jahren im US-Kino politisch zur Sprache bringt, muss man konstatieren, dass wir dagegen ein filmisches Dritte-Welt-Land sind. Wichtig ist der Film, weil er – hoffentlich – verdeutlicht, dass die nachfolgenden Generationen in Krisenregionen vor allem eines benötigen: Bildung. Es dauert etwas länger, Bildung zu exportieren und in den Köpfen vor Ort reifen zu lassen, als ein Land mit Krieg zu überziehen, aber es wird auf Dauer die sinnvollere Investition sein. 2012 »Tod einer Brieftaube« (Regie: Markus Imboden), 2010 »Mörder auf Amrum« (Regie: Markus Imboden), 2009 »Jenseits der Mauer« (Regie: Friedemann Fromm), »Zwölf Winter« (Regie: Thomas Stiller) , 2008 »Tod in der Eifel« (Regie: Johannes Grieser), 2005 »In Sachen Kaminski« (Regie: Stephan Wagner), 2004 »Der Stich des Skorpion« (Regie: Stephan Wagner), 2003 »Zwei Tage Hoffnung« (Regie: Peter Keglevic), 2000 »Der Briefbomber« (Regie: Torsten Fischer), 1997 »14 Tage lebenslänglich« (Regie: Roland Suso Richter) Auszeichnungen: U. a. Grimme-Preis für »Mörder auf Amrum«, Grimme-Preis-Nominierung für »In Sachen Kaminski«, »Zwölf Winter«, »Jenseits der Mauer« und »Der Solist«. ver.di-Fernsehpreis für »Zwei Tage Hoffnung« und »In Sachen Kaminski«. Bobby für »In Sachen Kaminski«. Nominierung Deutscher Fernsehpreis für »Der Stich des Skorpion«, »Todesstrafe – Ein Deutscher hinter Gittern«, »Mörder auf Amrum« und »Der Briefbomber«. Nominierung Goldene Nymphe für »Mörder auf Amrum«. 16 auslandseinsatz auslandseinsatz 17 »Wir wollten alle einen Film machen, der sich echt anfühlt und berührt« Regisseur Till Endemann im Gespräch Vor welche Herausforderungen hat Sie der Dreh in Marokko gestellt? Marokko ist ein hochinteressanter Filmstandort, es hat sich dort über die letzten Jahre eine filmwirtschaftliche Infrastruktur herausgebildet. Diese ist aber natürlich noch immer weit entfernt vom deutschen Standard, und die Mentalität vor Ort ist eine andere. Sagen wir es so: Filmarbeiten in Marokko beinhalten viele Überraschungen. Es kostet immer wieder zusätzliche Kraft und Nerven, da oftmals die letzte Verlässlichkeit in den Absprachen fehlt. Gleichzeitig wird man mit wunderbaren Drehorten und bereichernden menschlichen Begegnungen belohnt. Es war eine Freude zu sehen, wie der deutsche und der marokkanische Teil des Teams stetig und immer mehr zusammen gewachsen sind, wie gemeinsam für diesen Film gekämpft wurde – und das bei oft über 40 Grad. Szenen mit Soldaten, schwerem Gerät und Kampfhandlungen dreht man ja nicht alle Tage. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet? Ich wusste bei diesem Projekt zwei Militärberater an meiner Seite, einen während der Vorbereitung, einen während der Dreharbeiten in Marokko, das war mir sehr wichtig. Es gab viele Gespräche über die Situation in Afghanistan, Detailarbeit am Drehbuch und ein mehrtägiges intensives Militärtraining für die Darsteller. Zusätzlich habe ich einer Ausbildung beigewohnt, im Rahmen derer die Soldaten, die tatsächlich nach Afghanistan gehen, konkret für diesen Auslandseinsatz vorbereitet wurden. Im Spielfilm kann man nicht immer alles so umsetzen, wie es in der Realität passieren würde oder müsste, aber das Ziel war es, dieser Realität so nah wie möglich zu kommen. Gab es Filme, die Sie inspiriert haben? Ja, unter anderem den Oscar-prämierten Film »Hurt Locker«, denn dieser Film schafft es, den Druck, der auf den Soldaten lastet, spürbar zu machen, gerade auch durch seine Ästhetik. Sehr wichtig war für mich außerdem die Auseinandersetzung mit dokumentarischem Material aus Afghanistan, oft von Soldaten selbst gedreht. Vor allem aber zwei zur Zeit der Drehvorbereitungen aktuelle Dokumentarfilme haben mich sehr inspiriert und mir bildlich gezeigt, wie es sich anfühlen kann, »mittendrin« zu sein. Ich habe dem Team und auch meinen Hauptdarstellern diese Filme gezeigt, denn wir wollten alle einen Film machen, der sich echt anfühlt und berührt. Welche Dokumentarfilme waren das? Dabei handelte es sich um den dänischen Doku mentarfilm »Camp Amadillo« und den amerikanischen »Restrepo«, beides ungeschönte Einblicke in die Kriegsrealität junger Soldaten. Wenn man in einer fremden Umgebung dreht, Tag für Tag mit einer außergewöhnlichen Landschaft und einer anderen Kultur konfrontiert wird – weicht man dann unter Umständen auch einmal von den Plänen ab, mit denen man aus Deutschland angereist ist? Schon nach unserer ersten zeitlich eng gesteckten Motivtour durch die marokkanischen Dörfer im Atlasgebirge, als wir von wirklich jeder marokkanischen Familie herzlich empfangen und zu Tee und hausgemachten Speisen eingeladen wurden, merkten wir, dass es Abweichungen geben wird, geben muss. Generell finde ich: Wenn man sich entscheidet, so ein Projekt in einem fremden Land zu drehen, dann ist es eigentlich auch Pflicht, sich ein gutes Stück weit auf dieses Land und seine Menschen einzulassen. Und es ihnen in Respekt und genereller Freundlichkeit gleichzutun. An dieser Stelle tun sich ja auch gewisse Parallelen zu unserem Film auf. Die Bilder wirken sehr unmittelbar, haben nichts Artifizielles. Welche Herangehensweise hatten Sie mit Kameramann Lars R. Liebold verabredet? Unser gemeinsames Ziel war es, dass der Film, dass die Handlungen der Charaktere authentisch wirken. Generell suche ich im Spiel der Schauspieler immer den größtmöglichen Grad an Wahrhaftigkeit. Und die von Lars und mir gewählte Ästhetik sollte diese Wirkung unterstützen. 18 auslandseinsatz »Wenn man sich entscheidet, so ein Projekt in einem fremden Land zu drehen, dann ist es eigentlich auch Pflicht, sich ein gutes Stück weit auf dieses Land und seine Menschen einzulassen.« Sie haben mit Herrn Liebold schon einige Filme zusammen gedreht. Was schätzen Sie an ihm? Ich schätze seine Vielfalt, seinen feinen Sinn, an jede Geschichte neu heranzugehen, den Willen, für jeden Film eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Es hat sich ein großes gegenseitiges Vertrauen herausgebildet, am Drehort verstehen wir uns oftmals ohne Worte, Blicke reichen dann aus. Die Schauspieler loben die gute Atmosphäre bei den Dreharbeiten; Sie hätten mit ihnen viel gesprochen. War diese intensive Kommunikation bei diesem Film besonders wichtig, oder ist das generell Ihre Arbeitsweise? Die Herstellung eines Films ist ein Miteinander, vor allem während der Dreharbeiten. Ich möchte, dass meine Darsteller sich mit dem Projekt und mit ihren Charakteren identifizieren. Genauso wie ich dies tue. Bei jedem meiner Filme. »Auslandseinsatz« ist ein besonders vielschichtig erzählter Film, den man in seinem Umfang wirklich nur umsetzen konnte, indem alle alles gaben, mitdachten, mitfühlten. Auf der einen Seite Kampfhandlungen mit großer Ausstattung, auf der anderen Seite kammerspielähnliche Szenen, in denen es um Freundschaft und um die Sinnfrage bezüglich dieses Militäreinsatzes geht. War das für die Schauspieler eine besondere Herausforderung, wie verlief die Zusammenarbeit? Mit allen Darstellern habe ich früh den Dialog gesucht, mit ihnen über ihre Figuren und den jeweiligen Erzählbogen im Film gesprochen. Das habe ich sowohl auslandseinsatz 19 mit den deutschen als auch mit den marokkanischen Darstellern getan. An den Drehtagen wäre keine Zeit mehr für Diskussionen gewesen, eine gute Vorbereitung ist immer wichtig, aber hier noch mal besonders. Bis in die Nebenrollen – da sind zum Beispiel auch die Schutzsoldaten zu nennen, die unsere »Cimic«Truppe im Film in sehr vielen Szenen begleiten – haben alle ihren Beitrag geleistet. Es gab bislang keinen deutschen Film über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Warum ist es wichtig, dass Sie und das Team daran nun etwas geändert haben? Ich hoffe, dass dieser Film einen Beitrag dazu leistet, dass sich unser Land noch intensiver und ehrlicher mit diesem speziellen Auslandseinsatz, vielmehr aber mit Auslandseinsätzen generell befasst, um für die Zukunft deutlicher Haltung zu beziehen. Dieser Film erhebt nicht den Anspruch, die einzige Wahrheit zu erzählen, aber er erzählt wahrhaftig, er gibt den Soldaten und ihrem Schicksal ein exemplarisches Gesicht – und soll gerne für Diskussionen sorgen. Filmografie (Auswahl) Regisseur und Autor 2011 »Vom Ende der Liebe« (Regie), »Carl und Bertha« (Regie), 2010 »Vater Morgana« (Buch & Regie; Co-Autor: Daniel Schwarz), 2009 »Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen« (Buch & Regie; Co-Autor: Daniel Schwarz), 2005 »Kometen« (Buch & Regie), »Das Lächeln der Tiefseefische« (Buch & Regie), 2004 »Mond landung« (Buch & Regie) Auszeichnungen: U. a. Bayerischer Fernsehpreis, Grimme-PreisNominierung und Spezialpreis Drehbuch beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden für »Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen«, Goldene Magnolie für »Kometen« beim Filmfestival Shanghai, Nominierung Max-Ophüls-Preis für »Das Lächeln der Tiefseefische«. 20 auslandseinsatz » Bin immer sehr skeptisch, ob eine Szene gut geworden ist« Max Riemelt im Gespräch Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Dreh in Marokko? Das war eine sehr intensive Zeit mit tollen Kollegen. Wir waren auch außerhalb der Drehzeiten fast immer zusammen unterwegs, sind durch Marrakesch gegangen, haben uns viel unterhalten. rischer Frieden«, einem Film, den ich in Sarajewo gedreht habe, war es ganz ähnlich wie jetzt bei »Auslandseinsatz«: Auch da kommen deutsche Soldaten in ein Gebiet, in dem sie sich mit den Gegebenheiten – politischer wie auch religiöser Natur – nicht so richtig auskennen. Es hat sich also – wie unter den Soldaten im Film – ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt? Ja, das meinte ich mit »intensiv« – dass man wirklich etwas hat, das man miteinander teilt. Dass man nicht nur miteinander Zeit verbringt, sondern etwas Speziel les erlebt. Das verbindet ungemein. Auch die Umgebung war definitiv etwas ganz Besonderes. Im Atlas gebirge haben wir in einem Resort gewohnt, ziemlich spektakulär. Normalerweise halten sich die Leute dort immer nur ein paar Tage auf, weil sie durch das ganze Land reisen. Wir waren mehrere Wochen da, was auch zum Lagerkoller hätte führen können. Wir haben die Zeit aber sehr gut genutzt und hatten dabei echt viel Spaß. Glaubt Ihre Figur Daniel tatsächlich an die Regeln, die er gegenüber seinen Kameraden verteidigt? Unbedingt. Er glaubt daran, aber er begreift am Anfang noch nicht, was es heißt, ein deutsches beziehungsweise europäisches Wertesystem auf eine andere Kultur anzuwenden – auf Menschen, die eine ganz andere Realität erfahren. Und erst, als er diese Realität mit den Leuten teilt, merkt er nach und nach, wie komplex die Situation eigentlich ist und dass dieser Einsatz schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist: weil die Soldaten nicht das tun dürfen, was ihnen einen Zugang zu den Menschen ermöglichen würde. Um individuell auf die Leute eingehen zu können, müsste man gegen Befehle verstoßen. Aber so eine Armee kann nun mal nur funktionieren, wenn sich jeder an die Regeln hält. Wie haben Sie die Rolle des Daniel entwickelt? Ich persönlich habe da gar nicht so viel gemacht. Es ist eher in den Gesprächen untereinander entstanden. Till Endemann, unser Regisseur, war immer für uns da, wenn wir Fragen hatten. Außerdem gab es einen Militärberater, der uns gezeigt hat, wie man als Truppe in einem Dorf vorgeht, wie man sich aufteilt, wie die Kommandos sind, wie man sich zu verhalten hat, wenn man patrouilliert etc. Zusammen haben wir uns Dokumentationen und Spielfilme angeschaut, die ziemlich gut vermittelt haben, was so ein Einsatz für Soldaten bedeutet und wie es sie verändert. Ich fand das psychologisch alles sehr nachvollziehbar. Obwohl Sie selbst ja nie Soldat waren. Ja, aber »Auslandseinsatz« ist ja nun auch nicht mein erster Militärfilm. Ich hatte mich also schon mit der Vorstellung auseinandergesetzt, an so einem Einsatz beteiligt zu sein – mit welcher Einstellung man da reingeht, welche Erfahrungen man macht. Bei »Mörde- In »Auslandseinsatz« steht die Freundschaft zwischen Daniel und Ronnie im Mittelpunkt. Wie war die Zusammenarbeit mit Hanno Koffler? Wir kommen tatsächlich so gut miteinander klar, wie es im Film aussieht. Das ist ein Faktor, den man nicht beeinflussen kann. Wir mussten gar nichts extra produzieren, zwischen uns ist einfach eine Grundvertrautheit da. Wir hatten schon miteinander den Film »Hallesche Kometen« gedreht. Da haben wir uns kennengelernt. Aber so richtig schätzen gelernt haben wir uns erst jetzt bei den Dreharbeiten in Marokko. Wir waren selbst überrascht, wie gut wir für die Rollen ausgesucht worden sind, wie selbstverständlich die Chemie zwischen uns stimmt. Die Zusammenarbeit setzt sich auch fort, wir arbeiten jetzt schon wieder an einem neuen Film. auslandseinsatz 21 Wie heftig war es eigentlich, so viele Stunden in voller Montur zu drehen, also auch mit schwerer Schutzweste? Die wurde so abgespeckt, dass es erträglich war. Viel schlimmer waren die Temperaturen. Der Film soll ja auch vermitteln, unter welchen klimatischen Bedingungen die Soldaten in Afghanistan ihren Dienst tun – und dass diese Hitze das Gefühl des Fremdseins verschärft. Der Mensch wird auch durch die Breitengrade beeinflusst, in denen er lebt. Das prägt unser Denken, unsere Kultur. Klingt nach erschwerten Drehbedingungen. Das Pensum war wirklich extrem, unter anderem deshalb, weil es in Marokko immer sehr schnell dunkel wurde. Also mussten wir sehr zügig und sehr konzentriert arbeiten, und das unter Voraussetzungen, die für Deutsche, die eine andere Mentalität haben, erst einmal gewöhnungsbedürftig waren. Die Marokkaner haben die Hälfte des Teams gestellt, und sie arbeiten halt anders – ein bisschen ruhiger und auch nicht unbedingt nach strikten Regeln. Das hat die Sache natürlich einerseits etwas schwierig gemacht, andererseits lernt man ein Land ja so am besten kennen – durch die Leute. Und die Zusammenarbeit hat ja dann offensichtlich gut geklappt ... Till Endemann hat beim Drehen eine Stimmung geschaffen, die unter so einem Druck echt nur wenige hinkriegen. Er hat sich nicht von den Problemen vereinnahmen lassen, die er sicherlich hatte, sondern war für uns Schauspieler und die anderen am Set immer da – hilfsbereit, neugierig und wirklich an einem interessiert. Er weiß, wie mit den Leuten umzugehen ist, klopft einen auch mal auf die Schulter. Das braucht man manchmal als Schauspieler, gerade wenn man einen Film dreht und keine direkte Resonanz vom Publikum bekommt, sondern bis zur Ausstrahlung warten muss. Ich bin immer sehr skeptisch, ob eine Szene gut geworden ist. Till vertraue ich. Filmografie (Auswahl) 2012 »Die vierte Macht« (Regie: Dennis Gansel), 2011 »Playoff« (Regie: Eran Riklis), 2010 »Im An gesicht des Verbrechens« (Regie: Dominik Graf), 2008 »Die Welle« (Regie: Dennis Gansel), 2007 »An die Grenze« (Regie: Urs Egger), »Mörderischer Frieden« (Regie: Rudolf Schweiger), 2006 »Der rote Kakadu« (Regie: Dominik Graf), »Hallesche Kometen« (Regie: Susanne Irina Zacharias), 2005 »Napola – Elite für den Führer« (Regie: Dennis Gansel) Auszeichnungen: U. a. Undine Award »Bester Hauptdarsteller« für »Die Welle«, Bayerischer Filmpreis »Bester Nachwuchsdarsteller« für »Der rote Kakadu«, »Bester Darsteller« Internationales Filmfest in Karlovy Vary für »Napola-Elite für den Führer«. Deutscher Fernsehpreis und Grimme-Preis für »Im Angesicht des Verbrechens«. 22 auslandseinsatz auslandseinsatz 23 24 auslandseinsatz »Es ist so schwer, das Richtige zu tun« Hanno Koffler im Gespräch Immer betont cool, immer einen lässigen Spruch auf den Lippen: Mögen Sie diesen Ronnie Klein? Also, der ist mir sympathisch, auf jeden Fall, sonst hätte ich ihn auch gar nicht spielen können. Entscheidend war für mich aber auch, dass diese Figur einen Riss erfährt. Was meinen Sie mit »Riss«? Ronnie ist einer, über den man zuerst denkt: Oh Gott, wo hat der eigentlich seine Gefühle, was ist denn mit dem los? Und auf einmal wird er total berührt von dem, was dort geschieht. Da ist etwas, was ihn verändert, sensibilisiert und auch erwachsen macht. Er denkt auf einmal auf eine ganz andere Art und Weise über die Bundeswehr und die Problematik des Auslandseinsatzes nach. Und ich finde es spannend, dass es nicht nur seine Angst ist, die diese Entwicklung auslöst, sondern auch diese leicht gezeichnete emotionale Bindung zu einem fremden jungen Kerl, zu Jamals Sohn Yasin. Filmografie (Auswahl) 2011 »Eine lange Nacht« (Regie: Jan Haering), 2009 »Jenseits der Mauer« (Regie: Friedemann Fromm), 2008 »Krabat« (Regie: Marco Kreuzpaintner), »Der rote Baron« (Regie: Nikolai Müllerschön), »Nacht vor Augen« (Regie: Brigitte Bentele), 2006 »Hallesche Kometen« (Regie: Susanne Irina Zacharias), 2003 »Anatomie 2« (Regie: Stefan Ruzowitzky), »Ganz und Gar« (Regie: Marco Kreuzpaintner) Auszeichnungen: Preis der deutschen Filmkritik »Bestes Spielfilmdebüt«, First Steps Award und Franz-Hofer-Preis »Bester Schauspieler« für »Nacht vor Augen«. In »Nacht vor Augen« sind Sie schon einmal mit der Problematik des deutschen Einsatzes in Afghanistan konfrontiert worden. Hat Ihnen das jetzt geholfen? Ja, total. In »Nacht vor Augen« habe ich einen Mann gespielt, der als Soldat in Afghanistan stationiert war und jetzt nach Hause kommt. In »Auslandseinsatz« hatte ich nun die Chance, gewissermaßen die Vorgeschichte dieses Films zu erzählen. Wie tastet man sich an so eine Figur – an einen Soldaten, der wirklich Krieg erlebt oder erlebt hat – heran? Man versucht, sich Material über die Aufgaben, den Alltag und das Verhalten der Soldaten vor Ort zu beschaffen. Und dann beschäftigt man sich auch mit Einzelfällen, also warum sich jemand entscheidet, Berufssoldat zu werden, und dabei auch in Kauf nimmt, dass er zu einem Auslandseinsatz muss. Und so arbeitet man sich ran. Man unterhält sich, man recherchiert. Für »Nacht vor Augen« habe ich das extrem intensiv gemacht. auslandseinsatz 25 Anders als bei »Auslandseinsatz«? Da war es vor allem wichtig zu versuchen, sich auf die Stimmung einzulassen, die wir am Drehort vorgefunden haben. Und Marokko war als für mich fremde Kultur sehr hilfreich. Wir haben an Orten gedreht, wo man wirklich gedacht hat: Jetzt sind wir also in Afghanistan. Die Ausstattung war auch genial, das war schon sehr glaubhaft und authentisch. Wie sehr hilft einem die Uniform dabei, sich in die Situation eines Soldaten hineinzudenken? Wenn man mit einer schweren Schutzweste bei 40 Grad durch den Sand robbt, passiert natürlich einiges in einem. Man ist sicherlich näher dran an den Gefühlen eines echten Soldaten in Afghanistan, als wenn man das jetzt in Deutschland in irgendeinem Studio drehen würde. Aber ich glaube nicht, dass man tatsächlich nachvollziehen kann, wie es in einem Soldaten aussieht, der wirklich vor Ort ist und bei dem es um Leben und Tod geht. Das wäre anmaßend. Wie hat eigentlich die Bevölkerung auf die Fremden im Soldatenoutfit reagiert? Wir sind manchmal in voller Montur mit dem Bus zum Set gefahren. Und das war dann in der Tat eigen artig, wenn die Kinder stehen geblieben sind und die Leute geguckt haben, was machen die denn da. Da kann man erahnen, wie das ist, wenn man als Bundeswehrsoldat im Einsatz ist. Für die einheimische Bevölkerung kommt da auf einmal etwas Fremdes durch die Dörfer. Die Bedrohlichkeit, die man ausstrahlt, spürt man dann auch selbst. Als Ronnie zum ersten Mal in ein Feuergefecht verwickelt wird, reagiert er fast wie in einem Rausch. War Ihnen Ihre eigene Figur da nicht auch ein wenig fremd? Da hat es mir sehr geholfen, dass ich mich mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt, mir Dokumentation darüber angesehen und »Achill in Vietnam« gelesen habe. In diesem Buch geht es um Soldaten, die tatsächlich in eine Art Blutrausch geraten sind. Ich will nicht sagen, dass das bei Ronnie auch so ist. Aber wenn du merkst, dass Leute neben dir gerade in einer lebensbedrohlichen Situation sind und auch dein eigenes Leben bedroht ist, dann denkst du irgendwann nicht mehr nach. Dann funktioniert nur noch eine bestimmte Seite in deinem Hirn, dann drehst du mehr oder weniger durch. Ich glaube, so einen Moment hat Ronnie fast erreicht. Er ist da nah dran, als er beinahe fremdgesteuert seine Deckung verlässt. Ronnie tut sich schwer mit den strikten Regeln der Bundeswehr. Ist das ein für Sie vertrauter Zug? Ich war nie bei der Bundeswehr. Einerseits, weil ich Pazifist bin. Andererseits aber eben auch, weil ich mich nur ganz schwer einer Hierarchie und festen Regeln unterwerfen kann – vor allem dann nicht, wenn ich nicht hundertprozentig davon überzeugt bin, dass es richtig ist, was ich tue. Aber ich kann verstehen: In einer Organisation wie der Bundeswehr kann es keine de mokratischen Abstimmungen geben. Das Thema »Gehorsam« steht ab einem gewissen Zeitpunkt zwischen Ronnie und seinem Freund Daniel. Ronnie und Daniel sind zwei Menschen, die dasselbe wollen, aber eine unterschiedliche emotionale Verankerung und unterschiedliche Blickwinkel haben. Und beide haben eigentlich recht. Ronnie kommt in seiner Naivität auf extrem gute Punkte. Das ist ja unter anderem das Spannende an dem Film: Die Figuren schauen aus verschiedenen Perspektiven auf ein schwieriges Thema, und man kann diese verschiedenen Sichtweisen alle sehr gut nachvollziehen. Wir legen 90 Minuten lang eine kleine Lupe auf dieses große politische Problem, das stellvertretend für viele andere politische Probleme steht, und stellen fest: Es ist so schwer, das Richtige zu tun. Ist es auch schwierig, unter solchen Umständen Freunde zu bleiben? Max und ich haben uns ziemlich viele Gedanken drüber gemacht, dass Ronnie und Daniel eine gemeinsame Biografie haben, dass sie als Freunde nach Afghanistan gehen und der eine den anderen braucht. Und auf einmal merken sie, dass sie aus einer unterschiedlichen Veranlagung heraus ganz anders mit einem Problem umgehen. In Extremsituationen kann einen so eine Erkenntnis ganz weit auseinanderreißen. Das sind diese großen Themen, die mich immer wieder interessieren. Wie viel hält eine Beziehung zwischen zwei Menschen – sei es Freundschaft, sei es Liebe – aus? 26 auslandseinsatz » Ich kann Emal als Deutscher mit ägyptischen Wurzeln sehr gut verstehen« Omar El-Saeidi im Gespräch Wie wichtig ist Ihnen die Rolle des Emal, eines deutschen Soldaten afghanischer Herkunft, ganz persönlich? Dass der Drehbuchautor sich dazu entschieden hat, eine Rolle wie die des Emal zu schaffen, hat mich sehr gefreut. Ein Bundeswehrsoldat, der deutsch sozialisiert ist und Deutsch ohne Akzent spricht, aber andere Wurzeln hat und Moslem ist – die Selbstverständlichkeit, mit der so etwas gezeigt wird, finde ich wichtig für Deutschland. Sie können sich ja vorstellen, dass ich schon oft Rollen gespielt habe, die in eine gewisse Klischeerichtung gehen und immer dieses Ausländer dasein betonen. Und jetzt auf einmal, seit etwa zwei Jahren, gehen Drehbuchautoren, Caster und Regisseure mit offenen Augen durch die Welt und sehen, dass Deutsche mit anderen kulturellen Wurzeln auch akzentfrei Deutsch sprechen und zum Beispiel Mathematikreferendare sein können – oder eben Soldaten. Diese Tendenz möchte ich unbedingt unterstützen. Für Ihre Kollegen war der Aufenthalt in Marokko die Begegnung mit einer ganz anderen Kultur. Wie haben Sie das empfunden? Marokko ist schon ein anderes Land als Ägypten, die Heimat meiner Eltern, aber für mich jetzt nicht total exotisch. Ich kann auch ein bisschen die Sprache. Wie ist es Ihnen gelungen, sich in die Situation eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hineinzudenken? Ich habe mir Dokumentarfilme angeschaut und viel gelesen, darunter einen Band mit Briefen deutscher Soldaten aus Afghanistan. Bekannte haben mir außerdem den Kontakt zu einem Mann vermittelt, der als Soldat in Afghanistan war und seine Erfahrungen mit mir geteilt hat. Und ich habe mich sprachlich vorbe reitet. Emal ist gebürtiger Afghane, und ich musste in einigen Szenen Paschtu sprechen. Wenn türkische Kollegen oder Deutsche mit südländischem Aussehen Araber spielen und dann auf einmal anfangen, Arabisch zu sprechen, sträuben sich mir als Araber die Nackenhaare. Deshalb war es mir ein großes Anliegen, so authentisch wie möglich zu sprechen und gleichzeitig dabei auch noch so authentisch wie möglich zu spielen. Bücher lesen, Filme anschauen – wie viel fließt von dieser Art der Vorbereitung tatsächlich in die praktische Arbeit am Set ein? Die Figur, die man spielt, ist immer eine Behauptung. Und diese Behauptung versucht man so authentisch wie möglich aufzustellen. Dafür saugt man während solch einer Vorbereitung alles auf, was irgendwie hilfreich ist – Beobachtungen, Erfahrungen von Menschen, die etwas Ähnliches erlebt haben wie die Figur, die man spielt. Bei diesem Projekt kam aber auch noch etwas Persönliches hinzu. Emal ist ein Mensch, der in einer Heimat schmerzhaft entwurzelt wurde, relativ früh nach Deutschland gekommen ist und jetzt mit offenen Fragen nach Afghanistan zurückkehrt, um dort etwas Positives zu bewirken und für sich selbst ein Kapitel zu schließen. Ich kann das als Deutscher mit ägyptischen Wurzeln sehr gut verstehen. Ich wollte auch nach Ägypten gehen und schauen: Hat dieser Teil von mir etwas mit meiner Identität zu tun? Was ist das für ein Land, in dem meine Eltern so schmerzhafte Dinge erleben mussten? Von dieser Parallele konnte ich zehren. Sie und Emal verbindet also das Schicksal eines Menschen mit – wie man so sagt – »Migrations hintergrund«. Wenn es in Marokko in den Drehpausen z. B. auf dem Markt oder im Hotel zu Missverständnissen zwischen den deutschen Kollegen und marokkanischen Einheimischen kam, habe ich mich immer so gefühlt, als ob ich zwischen allen Stühlen sitze. Einfach deshalb, weil ich beide Mentalitäten kenne und bestimmte Denkweisen besser nachvollziehen kann. Das heißt: im marokkanischen Umfeld habe ich die deutsche Denkweise verteidigt und umgekehrt. So eine ähnliche Mittlerposition hat ja auch Emal in der Gruppe in »Auslandseinsatz«. Hat sich Ihre Einstellung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Laufe dieses Filmprojekts verändert? Der Afghanistaneinsatz ist – zumindest in meinem Freundes- und Bekanntenkreis – sehr verpönt. Man ist aus politischen Gründen gegen ihn, macht aber den Fehler, die Soldaten da mitreinzuziehen und ihre Arbeit auslandseinsatz 27 schlecht zu machen. Was ich während der Vorbereitung auf diesen Film und auch während des Drehs gelernt habe, ist, dass die Soldaten vor Ort durchaus einen idealistischen Ansatz haben. Auf der staatlichen Ebene mag es wirtschaftliche und geopolitische Motive geben; die Soldaten gehen da runter, um zu helfen. Und sie sind selbst auch Opfer der Situation. Sie müssen sich auf einmal in einer fremden Kultur zurechtfinden. Und was es heißt, unter Dauerbeschuss zu stehen und gegen einen Feind zu kämpfen, der anders als die deutschen Soldaten nichts zu verlieren und deshalb keine Angst hat, das können wir nicht nachvollziehen. Die Soldaten in »Auslandseinsatz« gehen ganz unterschiedlich mit der Situation vor Ort um. Ja, das ist auch das Spannende an dem Film: dass das ganz verschiedene Persönlichkeiten sind. Daniel zum Beispiel versucht, von seinen Gefühlen zu abstrahieren und sich professionell zu verhalten, ganz unabhängig davon, was er persönlich davon hält. Emal, der natürlich mit einer viel größeren Wunde da reingeht, der kann das nicht mehr. Der verliert diese professionelle Sicht, reagiert rein emotional, will nur noch helfen. Und fliegt dann aus dem Rahmen der Armeestrukturen. Er sagt ja auch zu Daniel: »Kannst Du uns nicht mal mit Deinen Vorschriften verschonen?« Und das geht natürlich gar nicht in der Bundeswehr. Wie anstrengend war der Dreh physisch für Sie? Wir hatten von der Produktion vorher 15-Kilo-Sandsäcke zugeschickt bekommen, und ich habe auch die Stiefel verlangt, die ich als Emal tragen sollte – einfach, damit ich die nicht erst am ersten Drehtag bekomme und mich dann totlaufe. Ich bin dann jeden Tag zwei Stunden mit 15 Kilo durch den Teutoburger Wald gerannt. Am Set waren es zwar dann doch nur SiebenKilo-Westen, aber durch die Hitze im Basislager bei Marrakesch war es körperlich trotzdem sehr anspruchsvoll. Zwei Wochen später haben wir im Atlasgebirge gedreht, und da musste man sich auf einmal lange Unterhosen anziehen. Das war ein bisschen so, als ob wir zwei unterschiedliche Filme gedreht hätten – anstrengend, aber auch sehr spannend. Filmografie (Auswahl) 2012 »München ’72 – Das Attentat« (Regie: Dror Zahavi), 2011 »Kehrtwende« (Regie: Dror Zahavi), »Bollywood lässt Alpen glühen« (Regie: Holger Haase), 2010 »Zimtstern und Halbmond« (Regie: Matthias Steurer) 28 auslandseinsatz auslandseinsatz 29 30 auslandseinsatz »Soldaten gegen andere Soldaten – das ist für mich wie aus einer anderen Welt« Devid Striesow im Gespräch Hauptmann Herbert Glowalla – was ist das für ein Mensch? Er versucht, soweit es unter diesen Umständen möglich ist, seine Truppe zusammenzuhalten und vor den Dingen zu schützen, die er selbst schon erlebt hat. Auf der menschlichen Ebene hat er Hochachtung davor, wie Daniel handelt, als sich die Ereignisse zu spitzen. Aber seine Funktion verbietet ihm, dass auch auf der soldatischen Ebene anzuerkennen. Dieses streng Hierarchische, an Regeln Gebundene – ist es Ihnen schwer gefallen, sich in die Position hineinzudenken, die Glowalla innehat? Die Struktur der Armee an sich ist etwas, in das ich mich nur schwer hineindenken kann. Ich würde auch nicht unbedingt den Dienst in dieser Gruppierung meinem jetzigen Beruf vorziehen. Aber es ist meine Aufgabe, mich in andere Denkweisen, in andere Situa tionen hineinzuversetzen. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Wir haben uns Dokumentationen über Soldaten angesehen, die in Afghanistan stationiert waren. Und das Schrecklichste, was mir davon im Hinterkopf hängen geblieben ist, war das Schicksal der Soldaten, die aufgrund einer Traumatisierung nicht mehr in den normalen Arbeitsalltag hineingefunden haben. Sie waren im Prinzip nur noch für den Militäreinsatz zu gebrauchen. Obwohl sie im Krieg in Afghanistan grauenvollste Erfahrungen gemacht hatten, wollten sie nach ihrer Genesung wieder an die Front zurück. Unvorstellbar. Mich erschüttern das Thema Krieg, das Thema Bewaffnung. Soldaten gegen andere Soldaten – das ist für mich wie aus einer anderen Welt. Und dann auf einmal merkt man: So etwas kann nicht einmal 1000 Kilometer von uns entfernt passieren – siehe der Krieg in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina. Das ist unglaublich. Das Wissen, was Krieg aus jungen Menschen machen kann, hat Ihnen also dabei geholfen, den Hauptmann Glowalla zu spielen, der die jungen Soldaten ja genau davor bewahren will … Es hat die Rolle auf jeden Fall konkretisiert. Man kann davon ausgehen, dass Glowalla einiges gesehen hat, vielleicht von einigem nicht verschont geblieben ist. Auch wenn er jetzt in der Kommandozentrale ist, hat er ja wahrscheinlich mal woanders angefangen. Und wenn er schon selbst in so einem Verhaltenskodex gefangen ist, dann hat er immer noch das Anliegen zu sagen: Okay, das müsst Ihr jetzt nicht unbedingt übernehmen. Ihr seid hier nach drei Monaten wieder weg. Wir wollen versuchen, den Ball so flach wie möglich zu halten, in Eurem Sinn. So eine Haltung versteht man, vor allem, wenn man Kinder hat. Ich selbst habe vier. Wie haben Sie den Dreh in Marokko empfunden? In Marokko war ich nur drei Tage. Ich war schon ein paar Mal in Afrika, weil meine Frau aus Afrika kommt. Aber das hat mit Marokko nicht so viel zu tun, das Land ist doch sehr arabisch geprägt. Meine Erinnerung an Marokko ist vor allen Dingen diese furchtbar brennende Mülldeponie in der Stadt. Wir mussten da jedes Mal vorbei, wenn wir zum Set fuhren. Die giftigen Schwaden zogen über die Straße … Das war natürlich Horror. Das historische Zentrum von Marrakesch ist aber sehr schön. Und die Dreharbeiten haben Spaß gemacht. Die intensiven Szenen mit Max – die, die im Bunker spielen – haben wir anschließend in der Nähe von Köln gedreht. Ist es ein Nachteil, wenn sich unter den Schauspielerkollegen über Wochen eine Art Gruppendynamik entwickelt, und man selbst kann daran nicht teil haben? Max und ich haben uns schon öfter vor der Kamera gegenübergestanden, in »Napola« von Dennis Gansel und in »Der rote Kakadu« von Dominik Graf. Da gibt es eine gemeinsame Basis, und es macht immer großen auslandseinsatz 31 Spaß mit ihm. Dass ich so eine Art Einzelposition in einem Ensemblefilm war und gewissermaßen von außen draufblickend spielen konnte, fand ich ganz angenehm – es passt ja zur Rolle. Glowalla ist zwar immer präsent, wenn seine Truppe loszieht, einfach schon dadurch, dass er in letzter Konsequenz die Befehle gibt. Aber er bleibt eben doch stets in der Kommandozentrale. Wie war die Zusammenarbeit mit Till Endemann? Ich konnte die Art, wie er Glowalla sieht, gleich nachvollziehen. Und er hat so eine Jungenhaftigkeit, die mit einer ganz großen Klarheit gepaart ist. Bei ihm weiß man, dass man gerade an den Punkten, wo es wirklich drauf ankommt, einen an der Seite hat, der seine Führungsposition nicht verlässt und bis zum Ende von außen auch auf die kleinsten Details guckt. Da soll man sich von seiner offenen, lustigen Art nicht täuschen lassen. Filmografie (Auswahl) 2011 »Es war einer von uns« (Regie: Kai Wessel), »Blaubeerblau« (Regie: Rainer Kaufmann), »Ein guter Sommer« (Regie: Edward Berger), 2010 »Drei« (Regie: Tom Tykwer), »Henri IV.« (Regie: Jo Baier), 2008 »12 heißt: Ich liebe Dich« (Regie: Cornelia Walther), »Der Tote in der Mauer« (Regie: Markus Imboden), 2007 »Der Fälscher« (Regie: Stefan Ruzowitzky), »Yella« (Regie: Christian Petzold), 2006 »Der rote Kakadu« (Regie: Dominik Graf), 2005 »Napola – Elite für den Führer« (Regie: Dennis Gansel), 2003 »Lichter« (Regie: Hans-Christian Schmid) Auszeichnungen: U. a. Grimme-Preis für seine Rolle in „Ein guter Sommer“, Deutscher Filmpreis »Bester Neben darsteller« in dem oscar-preisgekrönten Film »Der Fälscher«. Nominierung Deutscher Fernsehpreis »Bester Darsteller« für »12 heißt: Ich liebe Dich«. Preis der deutschen Filmkritik für »Yella«. Bundesfilmpreis-Nominierung »Bester Nebendarsteller« und Ehrung des Verbands der deutschen Filmkritiker als »Bester Nebendarsteller« für »Lichter«. Theaterheute kürte ihn 2004 zum Besten Nachwuchsschauspieler. 32 auslandseinsatz Bernadette Heerwagen … ist Anna Wöhler Anna Wöhler hält sich als Mitarbeiterin der Hilfs organisation »Aid for Children« in Milanh auf. Nachdem eine verirrte Tomahawk-Rakete die Schule getroffen hat, sind die anderen Helfer – darunter zwei Lehrer – verschwunden. Trotz ihres Geschlechts und ihrer Herkunft hat der Malik, der Bürgermeister des Dorfes, ihr erlaubt, die Jungen zu unterrichten. Anna mag Land und Leute, durch sie erfahren die Soldaten mehr über den Alltag in der afghanischen Provinz – und über die verfahrene Lage dort. Besonders eng ist Annas Verhältnis zu Tara. Das Mädchen hängt an der Deutschen und fleht sie an, sie mitzunehmen, als sie mit den Soldaten scheinbar Milanh verlassen will – dabei muss Anna nur etwas in Kundus erledigen. Emal ist von der jungen Frau aus Deutschland beeindruckt. Und Anna erwidert diese Sympathie. Filmografie (Auswahl) 2012 »Schilf« (Regie: Claudia Lehmann), »München ’72 – Das Attentat« (Regie: Dror Zahavi), 2010 »Die kommenden Tage« (Regie: Lars Kraume), »Hinter blinden Fenstern« (Regie: Matti Geschonneck), 2007 »Der Novembermann« (Regie: Jobst Oetzmann), »An die Grenze« (Regie: Urs Egger), 2006 »Ich bin die Andere« (Regie: Margarethe von Trotta), 2004 »Grüße aus Kaschmir« (Regie: Miguel Alexandre), 1999 »Der Schandfleck« (Regie: Julian Pölsler) Auszeichnungen: Grimme-Preis »Beste Darstellerin« für »An die Grenze« und »Grüße aus Kaschmir«. Bayerischer Fernsehpreis – Sonderpreis für »Der Schandfleck«. auslandseinsatz 33 Filmografie (Auswahl) Henriette Müller … ist Sarah Schulz Sarah Schulz ist 25 Jahre alt und angehende Stabs ärztin. Dass sie sich nicht nur mit äußeren Wunden auskennt, beweist sie nach einem Feuergefecht mit den Taliban, bei dem ein unbeteiligtes Mädchen zu Tode kommt – getroffen von den Schüssen der Gegenseite. Man könne nicht immer alle retten, sagt sie zu Daniel, der sich wegen des toten Kindes Vorwürfe macht. Manchmal helfe es mehr, zu zählen, wen man retten konnte. Sarah versorgt auch die Wunden Taras, Jamils Tochter, der die Taliban zwei Finger abgeschnitten haben. Als die deutschen Soldaten erfahren, dass Tara von den Taliban aus ihrem Dorf geholt werden soll, scheint Sarah zu denen zu gehören, die dem Mädchen helfen wollen – auch wenn die Regel der Nichteinmischung dafür gebrochen werden müsste. 2012 »Mutter muss weg« (Regie: Ed Berger), 2009 »Lila, Lila« (Regie: Alain Gsponer), »Chaostage« (Regie: Tarek Ehlail), 2008 »Berlin Calling« (Regie: Hannes Stöhr) 2007 »Prinzessin« (Regie: Birgit Großkopf), 2006 »Knallhart« (Regie: Detlev Buck), 34 auslandseinsatz auslandseinsatz 35 Besetzung Daniel Gerber Ronnie Klein Emal Demir Herbert Glowalla Anna Wöhler Sarah Schulz Jamil Asib Yasin Tara Max Riemelt Hanno Koffler Omar El-Saeidi Devid Striesow Bernadette Heerwagen Henriette Müller Vedat Erincin Marwan Kamal Ayoub Tarchani Fatimzohra Tarchani u.v. a. Stab »Auslandseinsatz« ist eine Koproduktion des Westdeutschen Rundfunks mit ARD Degeto und Relevant Film Produktionsgesesellschaft mbH, gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW, der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und des BKM. Regie Buch Co-Autorin Kamera 2. Kamera Schnitt Ton Licht Szenenbild Kostümbild Maske Casting Deutschland Casting Marokko Musik Aufnahmeleitung Filmgeschäftsführung Produktionsleitung Produktionsleitung WDR Herstellungsleitung Service Produzent Marokko Ausführende Produzentin Produzentin Redaktion Till Endemann Holger Karsten Schmidt Nikola Bock Lars R. Liebold Grischa Schmitz Jens Müller Michael Schlömer Andreas Landgraf Florian Haarmann Lore Tesch Dorle Neft Mirjam Himmelsberger Sabine Schwedhelm Tanja Schwichtenberg Mohamed Oumai Jens Grötzschel Janina Junk Daniel Illigens Sylke Nitz Lucas Meyer-Hentschel Christoph Reyer Jan Philip Lange Rif Film Marocco S.A.R.L. Kamal El Kacimi Nikola Bock, Relevant Film GmbH Heike Wiehle-Timm, Relevant Film GmbH Götz Bolten, WDR Jörn Klamroth, ARD Degeto Daten zum Film Drehzeit Drehorte Sendetermin Oktober / November 2011 Marokko, Köln und Umgebung 17. Oktober 2012, 20.15 Uhr, Das Erste www.DasErste.de /auslandseinsatz www.ard-foto.de Dieses Presseheft ist unter www.presse.wdr.de für Journalisten abrufbar. Impressum Pressekontakt Herausgegeben vom Westdeutschen Rundfunk Köln Presse und Information, Appellhofplatz 1, 50667 Köln, Postanschrift 50600 Köln Barbara Feiereis WDR Presse und Information E-Mail: [email protected] Telefon: 0221 220-7122 Redaktion: Barbara Feiereis Bildkommunikation: Jürgen Dürrwald Texte: PR Direkt GmbH Fotos: WDR/Relevant Film/Grischa Schmitz Gestaltung: www.mohrdesign.de Druck: Kettler Druck Köln 2012 Pressemappe des Westdeutschen Rundfunks Köln. Nutzung nur zu Pressezwecken. Alle Rechte vorbehalten.