«Im Trockenbau braucht es pragmatischere Brandschutzregeln»

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«Im Trockenbau braucht es pragmatischere Brandschutzregeln»
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«Im Trockenbau braucht
es pragmatischere
Brandschutzregeln»
Interview Raphael Briner
Die neuen Brandschutzvorschriften erhöhen den Aufwand für Planer und Handwerker im Trockenbau ohne den Brandschutz zu verbessern. Zudem verzerren
sie den Wettbewerb. Dies stellt der Gipsermeister und Fachplaner Ralph
Huber aus Aesch BL fest. Er fordert eine Zusammenarbeit von VKF, SMGV und
Trockenbauindustrie, um eine gangbarere Lösung zu finden.
überprüft und anpasst. Das Problem ist
aber, dass die VKF, die Vereinigung Kantonaler Feuerschutzversicherungen, bei
der Erarbeitung der neuen Vorschriften
die Berufsverbände nicht oder zu wenig
einbezogen hat.
Welche Folgen hat das?
Ich stelle eine gewisse Überregulierung
fest. Die neuen Brandschutzvorschriften
im Bereich Trockenbau machen die Arbeit für den Gipser komplexer, ohne dass
sie im Vergleich zu der früheren Regelung die Sicherheit erhöhen. Ich beobachte auch eine weit verbreitete Unsicherheit. Das betrifft vor allem die Planung, aber auch die Handwerker. Nicht
«Die Berufsverbände
sind nicht oder
zu wenig einbezogen
worden»
nur die Gipser übrigens, sondern alle
Gewerke, die mit Brandschutz zu tun
haben. Die Vorschriften sind quasi auf
leisen Sohlen eingeführt worden, ohne
grosse Kommunikationsmassnahmen.
Ralph Huber glaubt, dass
die neuen Brandschutzvorschriften im Trockenbau die
Sicherheit nicht erhöhen.
(Bild: Raphael Briner)
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«Applica»: Herr Huber, wie beurteilen
Sie aus Sicht des Gipsers die neuen
Brandschutzvorschriften im Trockenbaubereich?
Ralph Huber: Der Brandschutz ist am
Bau etwas sehr Wichtiges. Es ist richtig,
dass man periodisch die Bestimmungen
Die Sicherheit wird mit den neuen Vorschriften nicht erhöht?
Meiner Meinung nach nicht. Nehmen wir
als Beispiel eine ganz normale Zimmertrennwand mit Profilen und Gipskartonplatten. Die VKF sagte bis 2012, man
könne eine andere, nicht im geschlosse-
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nen System geprüfte, aber gleichwertige Gipskartonplatte wählen. Das Brandschutzregister liess dem Unternehmer
dadurch mehr Möglichkeiten, denn er
konnte ohne zusätzlichen Aufwand ein
offenes System verarbeiten. (Anm. der
Red.: Zu den geschlossenen und offenen Systemen siehe Kasten Seite 16.)
«Die geschlossenen
Systeme nehmen den
Gipsern die Flexibilität»
Offene Systeme sind aber nach wie vor
möglich.
Wenn ich eine andere Platte nehmen
will als die im geschlossenen System
geprüfte, dann muss es heute eine Feuerschutz-Gipsfaserplatte anstatt einer
Gipskartonplatte sein.
Zur Person
Ralph Huber, Jahrgang 1963, absolvierte
1979 bis 1982 eine kaufmännische
Lehre. Danach machte er eine Zusatzlehre als Gipser, da er sich aufgrund sei-
Ich sehe nicht ein, weshalb die Gipser
das nicht mehr dürfen. Eine Gipskartonplatte besteht aus Karton, Gipskern,
Karton und so und so viele Kilo pro Kubikmeter. Da gibt es keine Unterschiede, ob sie nun von der Firma A, B oder
C kommt. Das gleiche gilt für die Profile.
ner früheren Erfahrungen in Ferienjobs
zum Handwerk hingezogen fühlte.
Hubers Vater war als Teilhaber für die
kaufmännischen Belange des baselstädtischen Gipsergeschäfts Canonica
+ Lotti zuständig. Ralph Huber arbeite-
vierte er die Meisterprüfung und rutschte in das Büro und die Bauleitung nach.
Ab 1998 war er Geschäftsführer.
Ende 2012 verkaufte Ralph Huber seine Beteiligung an Canonica + Lotti. Er
«Es gibt keine
Unterschiede unter
den Gipskartonplatten
von Firma A, B und C»
gründete die Huber Projekte AG mit Sitz
in seinem Wohnort Aesch BL, die sich
Wie wirken sich die neuen Vorschriften
konkret auf den Trockenbau aus?
Eben: Ich kann nicht mehr das Ständerprofil der Firma A nehmen und die Gipskartonplatte der Firma B. Dann bin ich
nicht mehr auf der sicheren Seite, denn
das ist nicht im geschlossenen System
geprüft.
Ist das ein Problem?
Ja, das ist ein nicht zu unterschätzender bürokratischer Aufwand, und es kostet wiederum Geld, ohne dass es den
Brandschutz besser macht. Zudem nehmen die geschlossenen Systeme mir
als Unternehmer die Flexibilität. Und sie
werten den Beruf des Gipsers ab, weil
te dort 13 Jahre und bildete sich zum
Vorarbeiter weiter. Schliesslich absol-
Inwiefern?
Alle Profile bestehen aus dem gleichen
Stahl wie das im System geprüfte Profil
und kommen eventuell auch noch aus
dem gleichen Ofen. Es gibt nur wenige
Stahllieferanten in ganz Europa.
Warum wollen Sie keine solche Platte
nehmen?
Die Feuerschutzplatte ist teurer als die
im geschlossenen System zugelassene
Gipskartonplatte, welche die anforderungen des Brandschutzes auch erfüllt.
Zudem brauche ich ein Einzelzertifikat,
weil ich ja nicht mehr im geschlossenen
System bin. Am Schluss geht der Unternehmer bei jedem einzelnen Bau zur VKF
und holt eine Sonderbewilligung beziehungsweise ein Einzelzertifikat ab.
mit der Gipser- und Fassadenfachplanung befasst.
2003 bis 2009 war Huber Präsident
des Gipserunternehmerverbands Basel-
dieser keine dem Bau angepassten Lösungen mehr suchen kann, die selbstverständlich den Brandschutz ebenfalls
beachten würden. Ich befürchte auch
rechtliche Probleme.
Stadt. Politisch engagiert er sich im
Bürgerrat (Exekutive) von Aesch, wo er
für die Immobilien zuständig ist.
Weshalb?
Die Gipserunternehmer könnten mit den
Bauherrschaften zivilrechtliche ProbleA P P L I C A
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me bekommen. Sie bauen ein Haus,
müssen eine Brandschutzwand machen und nehmen eine Gipskartonplatte der Firma A, den Ständer von der Firma B. Das ist zusammen keine geprüfte
EI30- oder EI60-Wand, obwohl die Eigenschaften der Platte gleich sind. Wenn es
brennt, dann haftet der, der nicht das geschlossene System eingebaut hat.
Das ist doch ganz einfach zu verhindern, indem der Gipser ein geschlossenes System verabeitet.
Theoretisch stimmt das schon. Aber
es entspricht nicht der Realität auf
dem Bau, vor allem bei kleineren
Projekten.
Im Trockenbau machen
die neuen Brandschutzvorschriften den Gipsern
Wie sieht die Realität dort aus?
Die Gipserunternehmer haben alle einen kleinen Werkhof. Dort hat es Restmaterialien wie Gipskartonplatten und
Ständer, die sie für kleinere Arbeiten verwenden. Diese Produkte können sie nun
nicht mehr mischen. Sie müssen neu-
Kopfzerbrechen.
(Bild: Kuster Frey Fotografie)
«Die Hersteller wissen
teilweise selbst nicht,
welche Produkte im
System geprüft sind»
es, im System geprüftes Material kaufen. Das ist ein weiterer Punkt, der den
Unternehmern Mehrkosten verursacht.
Kommt dazu, dass die Hersteller selber
teilweise gar nicht wissen, welche Pro-
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dukte sie in den Systemen genau haben
prüfen lassen.
Woher wissen Sie das?
Ich habe mal eine Firma angerufen und
wollte wissen, von welchem Anbieter sie
«Lückenlose Materialkontrolle ist unter
enormem Zeitdruck
schwierig»
das Profil für ein geprüftes geschlossenes System gekauft und bei wem sie die
Gipskartonplatte anfertigen lassen hat.
Das konnte die Firma mir nicht sagen.
Es gibt also keine Gewähr, dass die
Produkte eines gelieferten geschlossenen Systems denjenigen entsprechen,
die geprüft worden sind?
Richtig. Damit wir uns richtig verstehen:
Das System ist schon von der Firma A.
Diese lässt aber ihre Profile bei den Herstellern D, E und F herstellen. Wenn im
geprüften System ein Profil von Hersteller D war, müsste doch in allen anderen
gleichen Systemen der Firma A das Profil
von D sein. Das können die Herstellerfirmen offensichtlich nicht gewährleisten.
Ich sehe nicht ein, weshalb die Gipser
nicht ebenfalls gleichwertige Produkte
mischen dürfen. Und das Problem geht
weiter: Die Baumaterialhändler haben
die Lieferkette auch nicht immer unter
Kontrolle, sondern liefern das, was sie
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«Die VKF hat akzeptiert,
dass die Firmen den
Gipsern quasi vorschreiben
können, was diese
einzubauen haben.
(Bild: Raphael Briner)»
am Lager beziehungsweise bestmöglich
eingekauft haben.
Ist es nicht die Verantwortung des Gipserunternehmers, das gelieferte Material zu prüfen?
Grundsätzlich schon. Aber eine lückenlose Kontrolle ist angesichts des enormen
Zeitdrucks auf dem Bau sehr schwierig. Unter anderem zeigt sich hier eben,
dass die neuen Brandschutzvorschriften
nicht zusammen mit den Praktikern auf
deren Anwendbarkeit hin geprüft worden
sind. Mich stört aber noch etwas anderes am Prinzip des geschlossenen, geprüften Systems.
Geschlossene und offene
Systeme im Trockenbau
Im Bereich der Trockenbauwände kennt
die VKF zwei Systeme:
■ Geschlossene Systeme gemäss Prüfung nach EN 1364-1 und VKF-Anerkennung. Das sind also geprüfte Systeme,
die ein entsprechendes Zertifikat haben.
Die verwendeten Komponenten sind namentlich benannt und damit nicht frei
Was?
Wenn ich ein zertifiziertes, geschlossenes System möchte, um von der Verantwortung her auf der sicheren Seite zu
sein, gibt es unter Umständen genau einen oder vielleicht zwei Anbieter, bei denen ich kaufen kann. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, die es so bislang
nicht gegeben hat.
Sie sehen also die Gefahr, dass mit
den neuen Brandschutzvorschriften der
Markt beeinträchtigt wird?
Ja, denn die Vorschriften schränken die
Wahlfreiheit des Unternehmers ein, ohne
dass der Brandschutz verbessert wird.
Weil wir in der Schweiz im Gipstrockenbau nur wenige Anbieter haben, spielt
der Markt sowieso nur eingeschränkt.
Die VKF hat die neuen Brandschutznormen erarbeitet. Sie hat doch kein
Marktinteresse.
Natürlich nicht. Die VKF hat jedoch akzeptiert, dass die Firmen quasi eine
rechtliche Handhabe haben, den Gipsern vorzuschreiben, was diese einzubauen haben.
wählbar.
■ Offene Systeme gemäss DIN 4102
Teil 4. Offene Systeme werden also aus
genormten Produkten und Komponenten
gemäss der deutschen Norm DIN 4102
Teil 4 hergestellt. Die Komponenten können unter Berücksichtigung der Norm frei
gewählt und zu einem Bauteil zusammengefügt werden.
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Es geht letztlich um die Sicherheit im
Brandfall, um Menschenleben. Können
Sie nicht verstehen, dass die VKF kein
Risiko eingehen will?
Wie ich schon gesagt habe: Brandschutz
ist sehr wichtig. Aber man ist nun in gewissen Bereichen zu weit gegangen. Die
Folgen sind eine grosse Verunsicherung
in Planung und Handwerk sowie höhere
Kosten, auch für den Bauherrn. Neue
Normen vergrössern unter anderem den
Bedarf nach mehr Kontrollen und damit
nach mehr Brandschutzexperten. Das
kostet alles.
Gibt es neben dem Thema Systeme
weitere Anpassungen im Brandschutz,
welche die Gipser beschäftigen?
Zum Beispiel wurden bei Brandabschnittswänden wie Korridoren die
Brandschutzanforderungen bei bestimmten Voraussetzungen von EI90 auf EI60
«Mich stört die nun
herrschende Wettbewerbsverzerrung»
reduziert. Die Industrie hat darauf bis
heute nicht mit einem adäquaten Produkt reagiert.
Fazit: Aus Sicht der Gipser ist die heutige Situation in Sachen Brandschutz unbefriedigend. Was schlagen Sie vor?
Meiner Meinung nach müsste sich die
VKF mit dem SMGV und der Trockenbau-Industrie zusammensetzen, um eine
pragmatischere Lösung zu finden. Diese
darf ganz klar nicht zulasten des Brandschutzes gehen, muss aber auch die Realitäten am Bau berücksichtigen. Den
Bauherrn interessiert doch nicht, aus
welchen Produkten seine Wände bestehen. Er will einfach, dass sie im Brandfall 60 oder 90 Minuten Widerstand
bieten.
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