Zu Gast in Lowell - Hessen

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Zu Gast in Lowell - Hessen
Zu Gast in Lowell
M
an muss das einfach erlebt haben: Ein Auslandssemester ist eine prägende und schöne
Erfahrung. Vor allem wenn man es in Lowell,
Massachusetts, verbringt, wo der Charme Neuenglands
allgegenwärtig ist. Dieser Bericht gibt eine kleine Einführung in das Leben und Studium vor Ort: Was man
mitbringen sollte, worauf man sich einzustellen hat, und
wie man hier und da etwas Geld sparen kann.
W
auch bei Fulbright zu bewerben. Die
nächste Frist ist voraussichtlich im
Januar 2015.
Bis ich nun an mein Visum
kam, musste die UMass nur noch
ihr formales Einverständnis geben
und dies gegenüber dem amerikanischen Konsulat in Deutschland
schriftlich kundtun. Eine Sachbearbeiterin aus Lowell stellte mir relativ früh eine Vorabrechnung für das
Auslandssemester aus – ich sollte sie
allerdings nicht begleichen, sondern
den Besitz der erforderlichen Mittel
nachweisen. Ungewohnt für deutsche Verhältnisse, so ein Blick ins
Portemonnaie. Es reichte allerdings,
einen von meiner Bank beglaubigten Kontostand vorzulegen.
Ohne dass man nach meiner Erfahrung vorher darauf aufmerksam
gemacht würde, verlangt die UMass
von ihren internationalen Studenten
mehrere Nachweise über den individuellen Gesundheitszustand, zum
Beispiel eine Kopie des Impfpasses.
Mindestens zwei Formblätter müssen von einem Arzt ausgefüllt und
unterzeichnet werden, weshalb es
in Deutschland entsprechende Vorkehrungen zu treffen gilt. Neben
dem Abschluss der obligatorischen
Auslandskrankenversicherung sollte man sich bei seiner regulären Unfall- und Haftpflichtversicherung
erkundigen, ob der VersicherungsAuf dem East Campus wird eher gewohnt als studiert, zum Beispiel in der Fox Hall (Mitte). Mitarbeiter
schutz auch in den USA gilt, und
des Recreation Center (links) bieten das ganze Jahr über Fitnesskurse an.
eine – möglichst englischsprachige
– Bescheinigung dafür anfordern.
aus dem Boden und gliederte ihre
Man weiß nie, wer an welcher amenational Office war so freundlich,
Universität in das Netz der Univerrikanischen Prüfstelle irgendwann
mich auf das Reisestipendium der
sity of Massachusetts ein. Das war
einmal danach fragt …
Fulbright-Kommission aufmerkAnfang der neunziger Jahre. Seither
Auch wenn die amerikanischen
sam zu machen. Um sich dafür zu
ist Lowell zu neuem Leben erblüht
Konsulate davon abraten, schon vor
bewerben, muss man lediglich ei– vor allem dank der multikulturelErteilung des Visums einen Flug
nen Antrag schreiben und einige
len Einflüsse seiner 17 000 Studenzu buchen, sind
Dokumente einReisestipendium Fulbright
ten, von denen viele dem guten Ruf
e nt s pre c he nd e
reichen. Mit ethttp://www.fulbright.de/tousa/stider ingenieurs- und musikwissenReisea ngebote
was Glück unterpendien/studierende-reise/
schaftlichen Departments folgen.
zwölf
Wochen
stützt Fulbright
Auch mit ihrer Gesamtinfrastrukvor Abflug natürdas eigene AusGesundheits-Dokumente
http://www.uml.edu/student-sertur hat sich die UMass Lowell einen
lich preiswerter
la ndsstud iu m
vices/Health/Health-Services-RequiNamen gemacht.
als einen Monat
dann mit 2000
rements.aspx
Ich habe hier im Wintersemesim Voraus. HinEuro. Mir war
ter 2013 Philosophie studiert. Eiund
Rückstrediese Förderung
gentlich wollte ich nur irgendwo
cke kosten meistens so viel wie ein
vergönnt, und ich ermutige jeden
unterkommen, wo es amerikanisch
Einzelflug, weshalb man immer
Programmteilnehmer dazu, sich
as Bette Davis und Jack
Kerouac gemeinsam haben? Beide wurden in
Lowell geboren, sie 1908, er 1922.
Damals hatte die kleine Stadt, einst
Wiege der industriellen Revolution, seinen Status als bedeutendster
Standort der amerikanischen Textilindustrie schon verloren. Nach
Jahrzehnten der Baumwollverarbeitung am Merrimack River drehten sich die Webstühle mittlerweile
nämlich vor allem in den Südstaaten. Lowell stand kurz vor dem finanziellen Ruin. 1978 wurde aus
den leerstehenden Backsteinfabriken ein Nationalpark. Dann allerdings stampfte die Stadt das Lowell
Folk Festival als Touristenattraktion
und aufregend sein würde. Das International Office der Frankfurter
Goethe-Universität schlug mir das
Hessen-Massachusetts-Programm
vor. Neuengland? Das schien eine
gute Idee zu sein, gilt das nordöstliche Amerika doch als fortschrittlich und aufgeschlossen. In meiner
Bewerbung brachte ich die verschiedenen Standorte der University of
Massachusetts in eine persönliche
Rangfolge, die etwas willkürlich
ausfiel. Boston ganz oben, klar, und
Lowell als zweite Wahl. Dartmouth
und Amherst waren für meinen Geschmack zu weit vom Schuss.
Zwei Gutachten und ein Bewerbungsgespräch später lag die Zusage
schon im Briefkasten. Das Inter-
zusammen buchen sollte. Im Notfall lässt sich der Rückflug später
noch verschieben. Meine mit dem
Fluganbieter vereinbarte Umbuchungsoption war mir von Nutzen,
als ich während der Zeit in den USA
entschied, lieber von Atlanta als von
Miami aus zurückzufliegen.
Obwohl es Empfängern des
J1-Visums erlaubt ist, bereits einen
Monat vor Semesterbeginn in die
USA einzureisen, konnte ich erst
sieben Tage vor der International
Orientation in den Flieger steigen.
Bedauerlicherweise stellt die UMass
ihren Austauschstudenten während
der vorlesungsfreien Zeit keine erschwinglichen Zimmer zur Verfügung. Die Wohnheime können erst
mit dem Vorlesungsstart bezogen
werden. Von der Option, in das universitätseigene Hotel ICC zu ziehen,
rate ich ab. Es kostet 100 Dollar pro
Nacht. Da ich so viel Geld nicht aus
dem Fenster herauswerfen wollte,
hatte ich über die Website Couchsurfing schon vor meiner Abreise Kontakt zu jungen Leute aufgenommen,
die sich bereit erklärten, mich für
ein paar Tage bei sich aufzunehmen.
Diese großzügigen Gastgeber boten
mir in Lowell das denkbar schönste
Willkommen. Ich kann Couchsurfing jedem empfehlen. Man kommt
in Kontakt mit interessanten Personen, hat meistens gemütliche Unterkünfte und zahlt keinen Cent dafür.
In Amerika ist Couchsurfing nicht
ganz so bekannt wie in Europa, hat
aber dennoch viele überzeugte Anhänger – auch und gerade in Lowell.
D
er. Ich mietete mich lieber bei zwei
a man als deutscher Ausgleichaltrigen Amerikanern ein,
tauschstudent keine Studiengebühren bezahlt, aber
die im Stadtteil Centralville, in der
trotzdem alle Angebote der UMass
Nähe des East Campus, wohnten.
nutzen kann, sollte man einen
Hier hatte ich für die Hälfte des GelBlick in das Sport- und Freizeitprodes nicht nur ein eigenes Zimmer,
gramm werfen. Die Benutzung der
sondern gleich ein ganzes HäusFitnesscenter und
chen.
Dieses
Fitnesskurse
die
Teilnahme
Glück muss nahttp://www.uml.edu/CampusRecrean dem umfangtürlich nicht jeation/Fitness-Wellness/Group-Fitreichen Kursandem beschieden
ness/Schedules.aspx
gebot sind kossein. Der VerAusflüge
tenfrei. Geringe
such, selbst eine
http://www.uml.edu/CampusRecreEigenbeteilungen
eigene Bleibe zu
ation/Outdoor-Adventure/Trip-cafallen für klasfinden, lohnt sich
lendar.aspx
senfahrtähnliche
meiner Meinung
Ausflüge am Wonach trotzdem.
chenende an, für die man sich schon
Auf dem Campus zu wohnen ist
zu Beginn des Semesters anmelden
nämlich keine Pflicht, auch wenn
sollte. Sie bieten die Chance, neue
die UMass sich besorgt gibt und von
Freunde zu finden, in Neuengland
dem „Sicherheitsrisiko“ eigener Unherumzukommen und außergeterkünfte abrät.
wöhnliche Sportarten auszuprobieEine Wohnung in den USA findet
ren. Ich versuchte mich unter andeman am leichtesten über Craigslist,
rem in Maine im Waterrafting, was
ein ebenso viel genutztes wie verein großer Spaß war.
pöntes Portal. Manchmal ist geObwohl ich wegen meiner exgenüber den dort gelistet Anzeigen
ternen Unterkunft nicht dazu verzugegebenermaßen eine gesunde
pflichtet gewesen wäre, in der MenPortion Skepsis angebracht. Man
sa zu essen, wusste ich das Mill City
sollte niemandem Geld überweisen
Restaurant auf dem South Campus
und jede Wohnung erst ansehen,
durchaus zu schätzen. Hier gibt es
bevor man einen Mietvertrag unterreichhaltiges Frühstück (Bagels,
zeichnet. Der schriftlich geäußerte
Omeletts, Obst, Müsli, Milch, KafSatz „Ich bin Austauschstudent“
fee, Tee, Säfte) und auch zum Mitkann einen bei manchem Vermieter
tag- und Abendessen eine große
gleich ins Aus befördern, weil mit
Auswahl (Suppen, Salat, Pizza, Nudieser Masche viele Mietbetrüger
deln, Burger, Wraps, Sandwiches).
unterwegs sind. Das Beste ist wohl,
per E-Mail ohne zu viele VoraberMit der Zeit wird das immer ähnklärungen einen Besichtigungsterlich Angebot allerdings öde, weswemin auszumachen und alles Weitere
gen man den Besuch in der Mensa
später mündlich zu klären.
mit eigenen Kocheinheiten abwechmerikanische Hochschulen
Um bei der Wohnungssuche auf
seln sollte, sofern man im Wohnwie die University of MassaNummer sicher zu gehen, kann
heim eine Küche hat. Das Essen in
chusetts sind Unternehmen.
man auch erst ein Zimmer auf dem
den Dining Halls der UMass kostet
Sie wollen ihren Studenten mögCampus beantragen und dieses ineinen Pauschalpreis pro Mahlzeit,
lichst viele Pronerhalb einer beder günstiger ist, wenn man mit den
Kurzzeitunterkünfte
dukte verkaufen,
stimmten Frist
Einheiten eines „Meal Plan“ zahlt.
http://www.couchsurfing.org
und eines davon
– in der sich ide30 Einheiten kosten beispielsweise
ist die Semesteralerweise
etwas
175 Dollar, womit der Einzelpreis
Wohnungen in Lowell
unterkunft. Fast
Besseres
ergefür jedes Essen bei etwa 4,20 Euro
https://boston.craigslist.org/nwb/
aap/
5000 Dollar zahlt
ben hat – wieder
liegt. „Meal Plans“ können während
man, um vier
kündigen. Es entdes ganzen Semesters flexibel geMonate lang in den brandneuen Ristehen dadurch keine Kosten. Den
bucht werden, und wenn man durch
verview Suites auf dem South Camspätesten Kündigungstermin gibt
das eigene Wohnheim nicht dazu
pus zu wohnen. Mir war das zu teudie UMass schriftlich bekannt.
verpflichtet ist, besteht meiner Mei-
A
nung kein Grund, 2000 Dollar für
„unlimited meals“ hinzublättern.
Lebensmittel kann man vor allem
an Lowells Stadträndern einkaufen, wo es große Supermärkte gibt.
Ohne Auto ist der Hin- und Rückweg mühselig, aber die meisten motorisierten Amerikaner bieten gerne Hilfe an. Im Notfall kann man
auch laufen oder den Bus nehmen.
In der Innenstadt finden sich einige
hübsche Restaurants, in denen man
früher oder später einkehren sollte.
Im Brew’d Awakening gibt es kreativ
belegte Bagels und Fair-Trade-Köstlichkeiten, wogegen das Ward Eight
mit eher rustikalen Sandwich-Klassikern und wöchentlich wechselnden Biersorten aufwartet. Mein
schönstes Frühstück in Amerika
wurde mir im Owl Diner auf der
Appleton Street serviert.
P
hilosophie betreibt an der
UMass kaum jemand im
Hauptfach, obwohl es mögMit Schnee ist in Massachusetts ab November zu rechnen. Im Winter sind die Cumnock Hall auf dem
North Campus (Bild oben) und die O’Leary Library auf dem South Campus (Bild links) umso gemütlichere
lich ist. Die meisten Studenten, die
Treffpunkte. Immer vorbildlich geräumt werden die Gehwege in Lowells Innenstadt (Bild rechts).
Philosophiekurse besuchen, studieren alle anderen erdenklichen Fächer von Jura bis Kunstgeschichte.
as es sonst noch zu sanotwendige Motivation. Hier sitzen
gen gibt, liegt eigentlich
Vorwissen wird daher in der Regel
viele Studenten rund um die Uhr
nicht vorausgesetzt; die Kurse sind
auf der Hand. Lowell ist
vor Computern und denken um die
aber literaturlastig. Viele Dozenten
Wette. Die bibliothekseigene Filiale
der ideale Ausgangsort für Reisen!
verlangen, dass man zu jeder SitBoston, New York City und Philavon Starbucks versorgt sie mit den
zung einen langen Text vorbereitet.
delphia drängen sich wegen ihrer
notwendigen Koffeinkicks.
Die seminarbegleitenden Bücher
Nähe geradezu auf als Ausflugsziele.
kann man im Buchladen der UMass
Nach Boston kommt man mit dem
In Massachusetts ist es bis Oktokaufen oder zu einem günstigeren
ber sehr warm und dann bitterkalt.
Zug – und vom Logan Airport aus
Preis ausleihen.
dann praktisch überallhin. Schöne
Spätestens ab Ende November fällt
Für jeden Kurs verfasst man drei
Schnee. Wer so wie ich den Fehler
Flecken in Massachusetts sind der
bis vier Essays und bringt hierfür
Fischerort Gloucester und die Halbmacht, völlig falsche Kleidung eineigene Gedanken und Ideen zu Painsel Cape Cod. Aber wohin auch
zupacken, kann sich in den Merripier. Bewertet werden diese Hausimmer, reisen sollte man jedenfalls,
mack Premium Outlets für wenig
arbeiten anders als in Deutschland
Geld eine neue Komplettausrüsdenn dabei erst zeigen sich die vievor allem auch im
tung zulegen. Die
len Facetten des amerikanischen
Meal Plans
Hinblick auf ihre
Kontinents.
Outlets
liegen
http://www.campusdish.com/en-US/
Struktur, nicht
in New HampsWenigstens einmal also ein TiCSNE/UMassLowell/ProductList.
nur den Inhalt.
hire, etwa eine
cket für den Greyhound-Bus lösen?
aspx?Catalog=UMassLowellVirtuMit etwas Mühe
DreiviertelstunUnbedingt. Es ist garantiert ein
alCatalog&CategoryId=7&
gelingt es deutde Fahrtzeit von
Abenteuer. Längere Strecken lassen
schen Studenten
sich bequem in den Riesensitzen der
Lowell entfernt.
meistens, auch für nur mittelmäßig
Amtrak-Züge zurücklegen. Oder
Viele Markenprodukte von Tommy
brillante Texte gute Noten zu beman mietet gleich ein Auto. Alles ist
Hilfiger bis Timberland werden hier
kommen. Die schöne Arbeitsatmomöglich. Hauptsache, on the road.
zu niedrigem Preis verkauft, zumal
Ach ja, den Jack Kerouac als Reisphäre in der O’Leary Library auf
New Hampshire keine Steuern auf
selektüre einpacken!
dem South Campus sorgt für die
Kleidung erhebt.
W