Niedersächsischer Landtag − 15. Wahlperiode Drucksache 15/2191

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Niedersächsischer Landtag − 15. Wahlperiode Drucksache 15/2191
Niedersächsischer Landtag − 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2191
Kleine Anfrage mit Antwort
Wortlaut der Kleinen Anfrage
der Abgeordneten Andreas Meihsies, Dorothea Steiner (GRÜNE), eingegangen am 27.07.2005
Hochwasserschutz durch umfassende Abholzung von Auengehölzen - Schnellschuss des
Umweltministers?
Nach einer Elbebereisung im Juni dieses Jahres hat Minister Sander im Juli einen Erlass „Handlungsvorgaben zur Reduzierung der den Hochwasserabfluss beeinträchtigenden Verbuschung im
niedersächsischen Abschnitt der Mittelelbe“ veröffentlicht. Dieser Erlass sieht generelles Abholzen
von Auengehölzen in den Elbuferbereichen vor, wenn sie jünger sind als zehn Jahre, und den
Rückschnitt älterer Gehölze. Begründet wird die schnelle Anordnung mit den Ergebnissen eines
wasserwirtschaftlichen Gutachtens der damaligen Bezirksregierung aus dem Jahre 2003, laut dessen sich die Abflussverhältnisse der Elbe in den letzten zwanzig Jahren verschlechtert hätten. Bekannt ist auch, dass in regelmäßigen Abständen von Einzelpersonen und Verbänden die Forderung
nach umfassender Abholzung von Büschen und Bäumen in der Weichholzaue am Elbufer erhoben
wurde. Vonseiten des Naturschutzes wurde dagegen mehrfach darauf hingewiesen, dass das Gesetz zum Biosphärenreservat genügend Spielraum ließe, um im Rahmen von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Einzelfällen Buschwerk in den Weichholzauen zu beseitigen. Eine umfassende Abholzung gerade in den Weichholzauen würde jedoch wertvolle Flächen des Schutzgebiets
beeinträchtigen.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
1.
Welche überraschend eingetretenen Tatsachen haben den Umweltminister bewogen, zwei
Jahre nach Vorlage des Gutachtens mitten im Juli die Abholzung von Gehölzen in der Weichholzaue im Biosphärenreservat anzuordnen?
2.
Warum wird eine umfassende Abholzung der Gehölze unter zehn Jahren vorgesehen, anstatt
im Rahmen von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Einzelfällen abzuholzen, wie dies
nach dem Gesetz zum Biosphärenreservat möglich ist?
3.
Sind noch FFH-Verträglichkeitsprüfungen vorgesehen, wenn im Erlass bereits angeordnet
wird, dass die Biosphärenreservatsverwaltung ihr Einvernehmen zu erteilen habe?
4.
Wie hoch wird der bürokratische Aufwand sein, wenn „die Art, der Umfang und der Fortgang
der Arbeiten“ zu dokumentieren sind?
5.
Wie will das Umweltministerium sicherstellen, dass bei einer Verbrennung des Schnittguts am
Elbufer keine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks erfolgt - wie im Erlass formuliert -, wenn der Landkreis Lüchow-Dannenberg bereits die Verbrennung des Schnittguts auf
den Elbebuhnen genehmigt hat?
6.
Inwieweit ist eine wirtschaftliche Verwertung des „anfallenden Schnittguts“ durch die Biosphärenreservatsverwaltung ins Auge gefasst?
(An die Staatskanzlei übersandt am 02.08.2005 - II/72 - 370)
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Drucksache 15/2191
Antwort der Landesregierung
Niedersächsisches Umweltministerium
- 17 -01425/7/02-011 -
Hannover, den 05.09.2005
Im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbuschung an der Elbe haben aus der Sicht des
Hochwasserschutzes die Wasserstände besondere Bedeutung, die sich bei einem Hochwasserereignis einstellen. Das August-Hochwasser 2002 mit einem Abfluss von 3 425 m³/s bei einem Wasserstand von 732 cm am Pegel Neu Darchau (25 cm unter dem Bemessungshochwasser) und das
Eishochwasser im Januar 2003 mit einem Abfluss von rd. 3 024 m³/s und einem Wasserstand von
691 cm am Pegel Neu Darchau (bei rd. 80 % Eisdeckung) haben gezeigt, wie gefährlich in jedem
Einzelfall die Hochwassersituation war.
Vor diesem Hintergrund hat das Land Niedersachsen im Jahr 2003 ein Ingenieurbüro beauftragt,
für den gesamten Abschnitt der niedersächsischen Mittelelbe u. a. den Abfluss des AugustHochwassers 2002 neu zu berechnen, mit dem März-Hochwasser 1981 zu vergleichen und daraus
hinsichtlich der Auswirkungen der Verbuschung die Entwicklung der Wasserstände aufzuzeigen.
Das Gutachten wurde dem MU im Februar 2004 zur Verfügung gestellt.
Die Berechnungen haben ergeben, dass das abgelaufene August-Hochwasser 2002 (Sommerhochwasser) gegenüber dem März-Hochwasser 1981 (Winterhochwasser) jeweils hochgerechnet
auf einen Abfluss von 4 000 m³/s (Bemessungshochwasser - HQ100) einen Wasserspiegelanstieg
bis zu 69 cm zu verzeichnen hat. Vergleichbare Modellberechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau haben einen mittleren Wasserspiegelanstieg von 40 cm ergeben. In den vergangenen 20
Jahren wurden keine bedeutsamen Änderungen an baulichen Anlagen entlang der Elbe vorgenommen. Daraus folgt, dass nach dem Gutachten die Wasserspiegelhebung ausschließlich auf die
Zunahme der Rauigkeit durch die Vegetation zurückzuführen ist.
Die Deiche an der Elbe sind für ein Bemessungshochwasser HQ100 von 4000 m³/s (am Pegel Wittenberge) bemessen. Das im August 2002 abgelaufene Hochwasser entsprach an der mittleren
Unterelbe nach Angabe der Bundesanstalt für Gewässerkunde lediglich einem HQ35. Bei einem zukünftigen Hochwasserereignis, das einem HQ100 entspräche, wäre bei der jetzigen Situation die
Deichsicherheit nicht mehr gegeben. Es bestünde dann die Gefahr, dass die Deiche überströmt
und in der Folge zerstört werden. Diese Gefahr würde durch ein Eishochwasser noch verstärkt
werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Verbuschung entsprechend den Anforderungen des Hochwasserschutzes zu reduzieren. Das Umweltministerium hat mit Erlass vom 08.07.2005 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die zuständigen Behörden unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen
verfügen können.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Die erforderlichen Arbeiten für den Rückschnitt der Gehölze im Vorland werden sich auf Grund des
erforderlichen Umfangs über mehrere Monate hinziehen. Deshalb ist es nicht ausreichend, erst
dann mit der Beseitigung der Verbuschung zu beginnen, wenn eine Hochwasserwelle auf den Bereich der unteren Mittelelbe zufließt. Die Vorwarnzeit ist so gering, dass dann die erforderlichen
Maßnahmen nicht mehr durchgeführt werden können. Das Winterhochwasser von Ende November
2004 bis Frühjahr 2005 mit Wasserständen über dem Mittelwasserabfluss hat die Arbeiten an den
Buhnen und im Elbvorland unmöglich gemacht. Deshalb ist es als Maßnahme der Gefahrenabwehr
erforderlich, umgehend mit den notwendigen Arbeiten zu beginnen.
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Zu 2:
Aufgrund der Rauigkeitszunahme durch die Vegetation im Sommer sowie die seit etwa 10 bis 15
Jahren zu verzeichnende starke Zunahme des Gehölzbewuchses auf den Buhnen und in den Buhnenfeldern sowie in den Elbvorländern läuft das Hochwasser erheblich höher auf, als dies bei einem geringeren Gehölzbewuchs der Fall wäre. Mit Hilfe des Gutachtens konnte belegt werden,
dass sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren der Gehölzbewuchs in Teilbereichen verdoppelt
hat. Ziel ist es, mit den Maßnahmen den alten Zustand vor dieser Zeit wieder herzustellen. Deshalb
wurde festgelegt, Gehölze, die älter als zehn Jahr sind, zurück zu schneiden. Der sich im oben genannten Zeitraum flächenmäßig sehr stark ausgebreitete Aufwuchs, überwiegend in den abflussrelevanten Bereichen, mit seinen bodennahen Gehölzanteilen hat die stärksten negativen Auswirkungen auf den Wasserstand und ist daher vorrangig zu entfernen. Die Maßnahmen stehen im
Einklang mit dem Gesetz über das Biosphärenreservat Elbe.
Zu 3:
Hinsichtlich der Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Maßnahmen zur Reduzierung der Verbuschung gibt der Erlass des Niedersächsischen Umweltministeriums unmissverständlich Auskunft
darüber, welche Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Natura 2000-Belange und die Durchführung
von FFH-Verträglichkeitsprüfungen maßgeblich sind. Innerhalb der Bundeswasserstraße Elbe einschließlich der dazu gehörenden Ufer ist § 34 BNatSchG zu beachten (§ 11 Satz 2 BNatSchG).
Sofern die Beseitigung von Gehölzen nicht aus Gründen der Unterhaltung der Bundeswasserstraße
Elbe, sondern aus Gründen des Hochwasserschutzes vorzunehmen ist, gilt in Natura 2000Gebieten § 11 Abs. 1 Satz 2 des Biosphärenreservatsgesetzes. Kommen prioritäre Lebensräume
und Arten nach der FFH-Richtlinie vor, kommt auch § 34 c Abs. 4 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes zur Anwendung.
Zu 4:
Gering, da sie lediglich dem Nachweis der zielgerichteten und ordnungsgemäßen Abwicklung der
Maßnahme dienen sollen.
Zu 5:
Der Erlass gibt vor, dass die Biosphärenreservatsverwaltung Plätze für Zwecke der Verbrennung
von Schnittmaterial nach § 10 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit Satz 1 Nr. 7 des Biosphärenreservatsgesetzes
bestimmt. Dabei ist die Lage der Plätze so zu bestimmen, dass der Transport des Schnittgutes und
dessen Verbrennung den gesetzlich festgelegten Schutzzweck nicht erheblich beeinträchtigen. Auf
Buhnen ist bei fachgerechter Durchführung der Verbrennung ohne Verwendung von Substanzen
zur Brandbeschleunigung in der Regel von keiner erheblichen Beeinträchtigung des Schutzzweckes des Biosphärenreservates auszugehen.
Zu 6:
Maßnahmen zur Reduzierung der Verbuschung werden in Abhängigkeit von den Eigentumsverhältnissen von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, den Landkreisen, privaten Eigentümern und Nutzungsberechtigten oder anderen Trägern durchzuführen sein. Inwieweit eine
wirtschaftliche Verwertung des anfallenden Schnittgutes möglich ist (z. B. Schreddergut für Gärten
oder zur Energiegewinnung, Holzverwertung durch Selbstwerber), ist vom Träger der Maßnahme
unter Beachtung des KrW-/AbfG im konkreten Einzelfall zu beurteilen.
Hans-Heinrich Sander
(Ausgegeben am 13.09.2005)
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