Naturmuseum - Senckenberg

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Naturmuseum - Senckenberg
Naturmuseum
die Biologie der Spinnen. Aber nichts geht natürlich über
ein Erlebnis direkt mit den lebenden Tieren. In Führungen
und Sonderaktionen für alle Altersgruppen können unsere
Besucher Skorpione unter UV-Licht betrachten oder friedliche Spinnen „hautnah“ erleben.
Modelle und Dioramen geben einen authentischen
Einblick
„Faszination Spinnen“
Lebende Spinnen und arachnologische Forschung in einer
Ausstellung
Starre, packt den Vogel mit den Vorderbeinen und hält
ihn fest. Ihre Giftklauen dringen in den Körper des Beutetieres ein.
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Maria Sibylla Merian lebte damals für zwei Jahre im
südamerikanischen Surinam. Sie war fasziniert von
der Lebensvielfalt in den Urwäldern und bescherte der
Nachwelt zahlreiche detaillierte Zeichnungen dort vorkom-
Abb. 3–5
Oben: Präparat einer weiblichen Ornamentvogelspinne.
Unten links: Diorama mit
Pärchen von Heteroscodra
maculata. Unten rechts: Illustration von M. S. Merian aus
„Metamorphosis insectorum
Surinamensium“ (1705).
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Neben den lebenden Tieren sind außerdem Vogelspinnen-Dioramen zu sehen, in denen lebensecht präparierte
Spinnen in ihren jeweiligen natürlichen Lebensräumen
zu sehen sind. Manche leben an Felsen, manche auf dem
Boden und andere in Bäumen (Abb. 3 und 4). Die Dioramen zeigen jeweils Männchen und Weibchen während der
Balz, ein kurzer, selten beobachteter Moment, der für die
Ausstellung situativ eingefroren wurde. Das Männchen
sendet hierbei Trommelsignale, um die Aufmerksamkeit des
Weibchens zu erregen und sich als Geschlechtspartner zu
erkennen zu geben.
Kleine Spinne ganz groß
Mit der Sonderausstellung „Faszination Spinnen“ werden vom 3. März bis zum 3. Juni 2012
zahlreiche Spinnen und Skorpione von verschiedenen Kontinenten das Naturmuseum in Frankfurt
bevölkern. Die Ausstellung zeigt die außergewöhnlichen Lebensweisen und Fähigkeiten von
Spinnen und bietet die einzigartige Möglichkeit, sie unmittelbar zu beobachten. Auge in Auge
mit der größten Vogelspinne der Welt und der Schwarzen Witwe sowie vielen weiteren Arten
wird es spannende Momente geben. Passend zur Sonderausstellung beleuchtet Dr. Peter Jäger,
Leiter der Senckenberg-Arachnologie, die haarigen Achtbeiner von der wissenschaftlichen Seite.
Eine weitere Besonderheit ist, dass die größte Spinne der
Ausstellung eigentlich die kleinste ist: die in den Wäldern
Mitteleuropas lebende Stielaugen-Zwergspinne Walckenaria accuminata. Im Modell um den Faktor 100 vergrößert,
wächst sie von rund drei Millimeter auf fast 40 Zentimeter.
Diese Rekonstruktion (siehe Beitrag auf Seite 144 in diesem
Heft) ist ein weiteres Highlight der Ausstellung und gibt uns
einen seltenen Einblick in eine verborgene Welt, die uns in
unseren Wäldern umgibt.
Maria Sibylla Merian und die Vogelspinne
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Abb. 1/2
Die Vogelspinnen,
hier Avicularia versicolor,
sind die Stars der neuen
Sonderausstellung.
Fotos: Peter Jäger &
Sven Tränkner.
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Die größte der über 40 exotischen Spinnen ist die GoliathVogelspinne, Theraphosa blondi. Diese imposante Art ist im
Amazonasgebiet zuhause und kann eine Beinspannweite
von bis zu 30 Zentimetern erreichen! Sie ist damit die
größte Vogelspinne der Welt. Die kleinste der ausgestellten Arten ist die Schwarze Witwe Latrodectus mactans mit
maximal eineinhalb Zentimetern Körperlänge. Der südafrikanische Dickschwanzskorpion (Parabuthus transvaalicus)
beeindruckt durch sein bizarres Äußeres und seinen gewaltigen Stachel.
Auge in Auge mit der Riesen-Vogelspinne
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SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012
Außer dem aufregenden Erlebnis, in unmittelbarer Nähe
der „Riesen-Spinnen“ und Skorpione zu verweilen, gibt
es viel Wissenswertes über deren Eigenheiten, ihre tropische Herkunft und die Erforschung dieser Spinnentiere zu
erfahren. Was macht ein Spinnenforscher auf einer Reise
in den Tropen? Wie bestimmen die Wissenschaftler die
unterschiedlichen Arten? Und was macht Spinnen so einzigartig? Informationstafeln und Fotografien veranschaulichen
Spinnen haben aber auch schon vor 300 Jahren Künstler
fasziniert. Die Frankfurter Naturbeobachterin und Illustratorin Maria Sibylla Merian fertigte um 1700 eine berühmte
Illustration mit einer Spinne an (Abb. 5).
Reglos sitzt die Vogelspinne auf einem Ast. Über ihr
das Ruhegespinst, welches bei Gefahr Schutz bietet.
Sie wartet auf eine passende Beute. Ein Kolibri kommt
der Jägerin bei seiner Suche nach Spinnfäden zum Auspolstern des Nestes zu nah. Alles geht blitzschnell. In
Bruchteilen einer Sekunde erwacht die Spinne aus ihrer
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Biologie der Vogelspinnen
Vogelspinnen sind neben ihrer Größe hauptsächlich durch die Anordnung ihrer Fangzähne (Cheliceren) erkennbar: Die Grundglieder und
Giftklauen sind parallel angeordnet (orthognath; Abb. 6), die Beute wird gegen den Boden gedrückt. Haus- und Kreuzspinne dagegen besitzen einen sogenannten Zangenkiefer (labidognath) und bewegen die Cheliceren gegeneinander und können somit auch Beute in Netzen, d. h.
abgelöst vom Substrat überwältigen. Weitere Merkmale der Vogelspinnen sind zwei Paar Buchlungen. im Vergleich zu den Zangenkiefern (mit
einem Paar) und z. B. den Skorpionen (mit vier Paar). Innerhalb der Evolution stellen die zweipaarigen Buchlungen der Vogelspinnen einen
Übergang dar von einem ehemals segmental angelegten Organ zu einer Reduzierung desselben. Auch die Anzahl der Spinnwarzen wurde bei
den Vogelspinnen von ursprünglich acht auf zwei reduziert. Die langen, gegliederten und durch Muskeln beweglichen Spinnwarzen deuten
dabei deutlich auf ihren Ursprung als Extremitäten hin. Besonders schön sind deren Bewegungsabläufe beim Tapezieren der Wohnhöhle oder
beim Einspinnen der Beute zu beobachten. Vogelspinnen besitzen nur einen Typ von Spinndrüsen im Innern ihres Hinterleibs, während Kreuzspinne und Co. mit bis zu sieben verschiedenen Seidendrüsen und sechs Spinnwarzen arbeiten. Eine ursprüngliche Funktion von Spinnseide
kann man gerade bei den Vogelspinnen nachvollziehen: das Einspinnen der Wohnhöhle als Schutz gegen Eindringlinge und besonders in der
sensiblen Phase der Häutung. Funktionen wie Weben eines Fangnetzes oder Schutz der Eier durch Spinnseide sind möglicherweise erst später
entwickelt worden.
Sinnesorgane
Die für Spinnen typischen acht Augen sind bei den Vogelspinnen eng zusammen auf einem Hügel am Vorderrand des Rückenschildes platziert
(Abb. 7/8). Mit den Augen können sie nicht viel mehr als hell, dunkel und vielleicht schemenhafte Umrisse erkennen. Eine Vielzahl von Sinnen ermöglicht es den Vogelspinnen sich trotz ihres schlechten optischen Sinnes in ihrer Umwelt hervorragend zu orientieren. Dabei spielen
verschiedene Typen von Sinneshaaren eine Hauptrolle. Becherhaare (Trichobothrien), auch einfach Hörhaare genannt, sind zuständig für die
Wahrnehmung von Luftschall. Das Summen eines Insektes wird analysiert nach Frequenz, Stärke, relativer Entfernung und Richtung. Niedere
Frequenzen, z. B. das Schwingen eines Blattes im Wind, werden vom Oberschlundganglion, dem Spinnengehirn, herausgefiltert. Mit den Kontaktchemorezeptoren (Riechhaare) werden Informationen zur chemischen Beschaffenheit übermittelt. Tasthaare verraten dem Tier die Größe eines
neu gefundenen Verstecks. Zusätzlich zu den Sinneshaaren gibt es fein und vielfach aufgespaltene Hafthaare unter den Fußgliedern der Beine.
Sie ermöglichen es der Spinne, auf einem glatten Blatt mehr als ihr Körpergewicht zu halten, auch kopfüber! Dieser Effekt wird durch adhäsive
Wechselwirkung der feinen Endigungen mit dem Wasserfilm, der sich auf jedem Substrat befindet, ermöglicht. Weitere Haare sind die Brennhaare, die zur Verteidigung eingesetzt werden. Sie befinden sich am Hinterleib in einem beinah kreisrunden Bereich an der Hinterseite (Abb. 9).
Wird die Spinne etwa durch ein hungriges Säugetier bedroht, so werden dem Angreifer die feinen Härchen in Wolken entgegengeschleudert. Die
Haare sind an beiden Enden mit feinen Widerhaken versehen und dringen so in die Haut ein. Besonders an Schleimhäuten löst das einen Juckreiz
aus, und der Angreifer wird in der Regel von der Spinne ablassen.
mender Pflanzen und Tiere. Ob Merian tatsächlich den Fang
des Kolibris beobachtet hat, können wir heute nicht mehr
klären. Berechtigte Zweifel kommen dem Fachmann schon
bei der Riesenkrabbenspinne, die in einem Radnetz sitzt.
Dies ist biologisch unmöglich, da diese Spinnen keine Netze
bauen. Eventuell war es auch diese künstlerische Freiheit,
die Merian dazu bewegte, einen Kolibri als Beute darzustellen. Auch wenn es heute rein theoretisch möglich erscheint,
ist es sicher seltene Ausnahme.
Was blieb, ist der Name, der auch 1819 Pierre André Latreille
dazu bewegt haben könnte, die Gattung dieser Spinnen als
Avicularia (lateinisch für Vogelfänger) zu bezeichnen. Die
Spinnenforschung hat seitdem viele Erkenntnisse über die
einzigartigen Fähigkeiten, Lebensweisen und Strategien der
seit 350 Millionen Jahren existierenden Tiere gesammelt.
Über 42.000 Spinnenarten sind bisher beschrieben worden,
wovon 933 zu den Echten Vogelspinnen (Familie Theraphosidae) zählen.
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Ein ganzer Saal für die Spinnen
Die senckenbergische Arachnologie trägt mit ihrer Forschung stetig dazu bei, das Wissen über die Vielfalt der
Spinnen zu erweitern. In der Dauerausstellung des Frankfurter Museums ist ein ganzer Raum voll und ganz der Welt
der Spinnentiere gewidmet und vermittelt viel Interessantes. In einer Rekonstruktion einer Höhle mit Laotischer
Riesenkrabbenspinne, Geißelskorpion und weiteren Arten
wird die Lebensweise dieser Tiere verständlich. Wissen
Sie, wie Vogelspinnen sich fortpflanzen? Oder wie viele
Häutungen eine Spinne bis zur Geschlechtsreife benötigt?
Tiere, die Sie sonst nur in den Tropen Amerikas, Afrikas
und Asiens beobachten können, kommen nun ganz nah zu
den Besuchern der aktuellen Sonderausstellung! Es gibt
viel zu entdecken und zu lernen. Lassen auch Sie sich faszinieren!
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Wie bestimmt man eine Spinne?
Traditionelle Merkmale zum Bestimmen von Vogelspinnen sind die Färbung, Größe, Augenstellung. Weiterhin gibt
es Stridulationsorgane, mit denen Spinnen Geräusche produzieren können, wenn sie sich bedroht fühlen. Deren
Anzahl und Anordnung sind ebenfalls bei der Identifizierung wichtig. Die Foveagrube auf dem Rückenschild kann
eine typische Form annehmen: Sie ist eine Einsenkung in das Körperinnere, ein sogenanntes Apodem, welches bei
allen Tieren mit Außenskelett wichtige Ansatzpunkte für Muskeln oder Sehnen ist. In diesem Fall setzt hier der Saugmuskel an, der den Nahrungsbrei ansaugt und weiter in den Hinterleib befördert.
Kopulationsorgane sind charakteristisch
Neben all diesen somatischen Merkmalen sind die Sexualorgane, vor allem die Kopulationsorgane enorm wichtige Bestimmungshilfen. Spinnen haben keinen Penis zum direkten Übertragen des Spermas (im Gegensatz etwa zu
Weberknechten), sondern geben einen Tropfen Samenflüssigkeit auf ein sogenanntes Spermanetz. Dieser wird mit
den sogenannten Bulben aufgesogen, einer birnen- bis zwiebelförmigen Struktur am Ende der Taster (Abb. 10). Mit
den so gefüllten Bulben machen sie sich auf die Suche nach einer geschlechtsreifen Artgenossin. Durch weibliche
Pheromone geleitet kommt es bei einem Aufeinandertreffen zu einer mehr oder weniger langen Balz (Abb. 11). Nach
erfolgreichem Check auf beiden Seiten erfolgt dann die Kopulation und Spermaübertragung.
Nicht jeder Spinnenmann wird gefressen!
Dabei können die Männchen der Vogelspinnen auf eine zusätzliche Struktur vertrauen, die anderen Spinnenmännchen so nicht zur Verfügung steht, um ein hungriges Weibchen bei oder nach dem Geschlechtsakt abzuwehren und
auf Distanz zu halten: Das Weibchen legt während der Paarung seine Giftklauen in Fortsätze auf der Unterseite der
männlichen Vorderbeine. Auf diese Weise greifen die Spitzen mit den Endigungen des Giftkanals ins Leere. Außerdem kann das Männchen kontrollieren, wann es das Weibchen aus der Position entlässt. Mit dieser Strategie kann
es sich gezielt auf seinen Rückzug vorbereiten. Auch die sogenannten Tibia-Apophysen dienen Systematikern zur
Identifizierung von Arten und Gattungen. Zusätzlich spielen Brennhaare in den letzten Jahren vermehrt bei der systematischen Einordnung von Gattungen und Arten eine Rolle.
Jonas Ewert, Peter Jäger & Bernd Herkner
SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012
SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012
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Abb. 6–8
Links oben:
Giftklauen (schwarz) und
Filterhaare (rot) von Pterinochilus sp.
Links unten und Mitte:
Die Anordnung und relative
Größe der Augen von
Vogelspinnen ist für viele
Gruppen charakteristisch
(links: Chilobrachys jingzhao, rechts: Pterinochilus sp.).
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Abb. 9–11
Oben Mitte: Weibchen von
Avicularia versicolor mit
abgestreifter Haut.
Rechts oben: Hinterleib einer
Vogelspinne – ein Teil der
Reizhaare ist abgerieben.
Rechts unten: männliches
Kopulationsorgan am Ende
der Taster (Pterinochilus sp.).
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