Registered Nurse Forecasting - Fachgebiet Management im

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Registered Nurse Forecasting - Fachgebiet Management im
> Entwicklung eines zuverlässigen Prognosemodells zur Pflegebedarfsplanung:
Registered Nurse Forecasting
R einhard Busse, Britta Z ander und M iriam Blümel
Die Bedarfsplanung von Pflegekräften ist eine der entscheidenden
Funktionen im Krankenhausmanagement. Sowohl die Anzahl der
Pflegenden pro Station als auch die Qualifikation müssen genau
aufeinander abgestimmt werden, um die Qualität der Patientenversorgung zu gewährleisten und die Kapazitäten der Pflegekräfte zu
schonen. Da­mit Burnout und frühzeitiger Berufsausstieg vermieden
werden können, ist ein effektives Per­sonalmanagement im Krankenhaus besonders wichtig. Die internationale Studie RN4CAST verfolgt
das Ziel, traditionelle Prognosemodelle in der Pflege durch neue Elemente zu erwei­tern und damit in ihren Ergebnissen zu präzisieren.
Dass der Einsatz von Pflegekräften einen
signifikanten Einfluss auf die Qualität
der Patien­tenversor­gung sowie auf die
Krankenpflegekräfte selbst hat, konnte
bereits 2001 in einer in­ternationalen
Studie der Universität Pennsylvania
(USA) unter der Leitung von Linda Ai­
ken nachgewiesen werden (Aiken et al.
2002, 2001). Seitdem ist das Interesse
an einem effektive­ren Management der
Pflegepersonalressour­cen deutlich ge­
stiegen. Zuverlässige Prognosemo­delle
zur Bedarfsplanung von Krankenpfle­
gekräften sollten neben dem Manage­
ment der Per­sonalressourcen auch die
Ausbildungspla­nung und die Qualität
der Pflege mit berücksichti­gen. Traditi­
onell verwendete Prognosemo­delle sind
in dieser Hinsicht oft zu ungenau, da sie
nur bewährte Faktoren wie Nachfrage
und Bedarf berück­sichtigen und die Aus­
wirkungen des Pflege­personaleinsatzes
auf die Qualität der Pflege weit­gehend
ignorieren.
In Deutschland besteht dringender
Bedarf an einem einheitlichen und va­
liden Instru­ment zur Pflegebedarfspla­
nung. Der Einfluss des Pflegepersonals
auf die Qualität der Pflege wurde bisher
eher vernachlässigt. Mit der verpflich­
tenden Pflege-Personalregelung (PPR)
wurde 1993 angestrebt, eine quantita­
tive und qualitative Grundlage zur Pe­
ronalbemessung zu schaf­fen und damit
die Transparenz pflegerischer Leistun­
gen zu erhöhen. Der Gesetzgeber stopp­
te die PPR-Verpflichtung nach nur weni­
gen Jahren jedoch wieder, da der aus ihr
resultierende er­höhte Personalbedarf
610 als zu teuer für die Krankenhäuser ein­
geschätzt wurde. Allerdings werden die
PPR-Daten gegenwärtig noch in vielen
deutschen Krankenhäusern erhoben
und genutzt, hauptsächlich als inter­
nes Steuerinstrument und um internes
Benchmarking zu betreiben.
Internationales Projekt
Das dreijährige Projekt RN4Cast (Re­
gistered Nurse Forecasting) startete im
Januar 2009 und wird durch das 7. For­
schungsrahmenprogramm der Europäi­
schen Kommission finanziert. Es verfolgt
das Ziel, zuverlässige Prognosemodelle
zur Bedarfsplanung von Krankenpfle­
gekräften zu entwi­ckeln, die neben dem
Management der Personalressourcen
auch die Ausbildungsplanung und be­
sonders die Qualität der Pflege berück­
sichtigen. Um internationale Perspek­
tiven zu ermög­lichen, wurde für die
Studie ein Konsortium aus Vertretern
von elf europäischen Ländern (Belgien,
Deutschland, Finnland, Griechenland,
Großbritannien, Irland, Niederlande, Po­
len, Schweden, der Schweiz und Spanien)
sowie den USA, China, Südafrika und Bo­
tswana ge­gründet. Die Forschungsteams
planen, ein Minimum von 330 Akutkran­
kenhäusern, 15000 Pflegekräften und
hunderttausenden Patientendaten für
die Studie zu akquirieren. RN4Cast stellt
mit diesem Studienumfang die bisher
weltweit umfangreichste Studie für die
Pflegepersonalplanung dar.
Neben den für alle im Krankenhaus
routinemäßig anfallenden Daten zur Be­
Pflegezeitschrift 2009, Jg. 62, Heft 10
handlung der Pati­enten spielen bei den
Pflegekräften in allen teilneh­menden
Studienländern die mittels Fragebogen
erhobene Daten zum Arbeitsumfeld
(zum Beispiel Anse­hen, Kooperation mit
Ärzten), zur Arbeitszu­friedenheit (wie
Pläne zum Berufswechsel/-ausstieg),
zur Arbeitsbelastung (beispielsweise
Burnout), zur Qualität und Sicherheit
und zu konkreten Tätigkeiten wäh­rend
der jeweils letzten Schicht eine entschei­
dende Rolle. Die erhobenen Pflegedaten
werden mit ausgewählten Strukturda­
ten (Trägerschaft, Bettenzahl etc.) sowie
mit den aus den Patientendaten der je­
weiligen Kranken­häuser gewonnenen
Ergebnissen zur Behandlungsqualität
zusammengeführt. In den Statio­n en
durchgeführte Patientenbefragungen
sollen die genannten Erhe­bungen zur
Pflege- und Versorgungsqualität durch
Patientenerfahrungsberichte ergänzen.
Durch dieses Methodenarsenal sollen
Auswirkungen des Arbeitsumfeldes und
des Pflegeper­sonaleinsatzes auf die Rek­
rutierung, Erhaltung und Pro­duktivität
der Pflegekräfte und auf mögliche Fol­
gen für die Patientenversorgung unter­
sucht werden. Es wird erwartet, dass
so auch in Deutschland (sowie den
anderen Ländern) der Zusammenhang
zwischen „guter“ Pflege (im Sinne von
Anzahl, Qualifikation, Kooperation etc.)
und „guten“ Ergebnissen für die Patien­
ten gezeigt werden kann – eine wesent­
liche Voraussetzung für eine angemes­
sene Berücksichtigung der Pflege bei
Vorausplanungen auch in qualitativer
Hinsicht.
Beteiligung in Deutschland
Unter der Leitung von Reinhard Busse
ist das Fachgebiet Management im Ge­
sundheitswesen an der Technischen
Universität Berlin deutscher Projekt­
partner von RN4Cast. Um die geplante
Mindestzahl an Akutkrankenhäusern
in der Studie zu gewährleis­ten, plant
das deutsche Forschungsteam, circa 50
Akutkrankenhäuser für die Teilnahme
an der Studie zu gewinnen. Anfang die­
ses Jahres wurde dazu eine Stichprobe
Foto: Werner Krüper
Reform-OutcomesStudie beteiligt (1997
bis 1999), die Quali­
fikationsfaktoren für
Kliniken untersuchte
und damit einen Ver­
gleich der Lage deut­
scher Krankenhäuser
mit denen in den USA,
Kanada, England und
Schottland er­laubte.
Auch bei dieser Stu­
die war Reinhard
Busse als deutscher
Projektpartner bei der
Studiendurchführung
mitverantwortlich.
Innerhalb dieses vom
BMBF-finanzierten
deut­schen Studienteils der Hospital-Re­
form-Outcomes-Studie wurden bereits
damals Daten zu den drei oben genann­
ten Komple­xen erhoben:
•• Krankenhauscharakteristika,
•• klinische Patientendaten,
•• Pflegeorganisation und -qualität.
Mithilfe dieser Erhebungen wurden Zu­
sammenhänge zwischen Rahmenbedin­
gungen der stationären Versorgung, der
Pflegearbeit und der Patientenergeb­nisse
abgebildet. An der Hospital-Reform-Out­
comes-Studie beteiligten sich damals
in Deutschland 2708 Pflegekräfte in 29
deutschen Krankenhäusern. Insgesamt
ergaben die Be­fragungen, dass vor zehn
Jahren in Deutschland 82,7 Prozent der
teilnehmenden Pflegekräfte mit ihrer
Arbeit zufrieden waren im Vergleich zu
11,3 Prozent, die ihre Arbeit frustrierte.
Dabei ließ sich herausfiltern, dass Mitar­
beiterzufriedenheit hauptsächlich durch
professionelle Autonomie, adäquater
Verfügbarkeit von Ressourcen und ei­
ner guten Zusammenarbeit mit Ärzten
beein­flusst wurde. Wohingegen Fakto­
ren wie Wei­terbildung, Pflegedienstma­
nagement, Anerken­nung der Pflege in
der Klinik und die Pflegesi­tuation allge­
mein eher kritisch bewertet wurden und
zur Frustrationsrate beitrugen (Körner &
Busse 2001).
Der Vergleich der Studien-Outcomes
von RN4Cast mit denen der früheren
Studie lässt auf aussagekräftige Er­
gebnisse hoffen. Vor allem vor dem
Hintergrund der Veränderungen der
GKV-Gesundheitsreform 2000 (neu­
es Entgeltsystem, Verpflichtung zum
Qualitätsmanage­ment) ist es interes­
sant zu prüfen, inwieweit durch die Ein­
führung der Diagnosis Related Groups
von 50 deutschen Akutkranken­häusern
gezogen, die die verschiedenen Grö­
ßen, Eigentümerstrukturen und Bun­
desländer widerspiegeln. Gegenwärtig
werden diese Krankenhäuser schriftlich
zur Studien­teilnahme im Herbst dieses
Jahres eingeladen. Dazu werden circa
1500 Krankenpflege­kräfte von chirurgi­
schen und medizinischen Stationen
der ausgewählten Akutkrankenhäuser
anonym zu ihrem Arbeitsumfeld und
ihrem Personaleinsatz befragt werden.
Projektfort­s chritte und Zwischener­
gebnisse stehen dabei in ständigem Aus­
tausch mit einem Beratungs­ausschuss
aus Interessen­vertretern nationaler und
internationaler Organisationen.
Abhängig von der Größe der Kran­
kenhäuser werden jeweils zwei bis sechs
Stationen in die Studie eingeschlossen.
Die Anonymität der Teilnehmer wird
dabei strengstens durch ein System aus
codierten Fragebö­gen gewahrt, die nur
Rückschlüsse auf die jeweiligen Statio­
nen und Kran­kenhäuser zulassen, nicht
aber auf den einzelnen Teilnehmer. Die
ausgefüllten Fragebögen werden dann
von den Teilnehmern direkt an das deut­
sche Forschungsteam ge­schickt, ohne
Zwischenschaltung der Pflege- oder
Krankenhausleitung.
Längsschnitt über zehn Jahre
Der deutsche Arm der Studie ist zusam­
men mit Großbritannien in der ausge­
zeichneten Posi­tion, anhand Ergebnisse
von RN4Cast einen direkten Vergleich zu
einer früheren Studie zur Pflegequalitäts­
betrachtung ziehen zu können. Denn wie
auch Großbritannien war Deutschland an
der erwähnten internationalen Hospital-
(DRG) im klinischen Alltag, zum Bei­
spiel durch Abbau an Kapazitäten oder
verdichteten Ar­beitsab­läufen, direkte
Auswirkungen auf die Patientenversor­
gung und die Mitarbeiter spürbar sind.
Es ist allerdings darauf hinzuweisen,
dass die Repräsentativität der dama­
ligen Kranken­haus­stichprobe im Ge­
gensatz zu RN4Cast eingeschränkt war,
denn es konnten nur Kranken­häuser für
die Studie gewonnen werden, die über
ein Dokumentationssystem verfügten,
das die Übermittlung zur Auswertung
ermöglichte.
Ausblick
Die Teilnahme an RN4Cast leistet einen
bedeutenden Beitrag auf dem Gebiet der
Pfle­gefor­schung. Es wird angestrebt ein
Prognosemodell zu entwickeln, das es
ermöglicht, den Pflegepersonalbedarf
für Deutschland in den nächsten zehn
bis 30 Jahren gezielt zu berechnen und
zu lenken. Ferner ermöglicht das Projekt
ein Benchmarking für die deutsche und
interna­tionale Krankenhauslandschaft
hinsichtlich der Pflegequalität, dem Ein­
fluss des Pfle­geperso­naleinsatzes sowie
dessen Planung. Die Ergebnisse der Stu­
die soll außer­dem Entscheidungs­träger
in der Politik über die Wichtigkeit einer
zuverlässigen Pflegebedarfspla­n ung
aufklären und damit als Grundlage für
zukünftige Entschei­dungen dienen. <<
Literatur
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Silber J.H. (2002) Hospital Nurse Staff­ing and
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Körner T. & Busse R. (2001) Reformen im Krankenhaus: Wie können Effekte von Reformen auf
Mitarbeiterzufriedenheit und Patientenoutcomes erfasst und analysiert werden? Arbeit und
Soziales 55 (3/4), 19-29.
Körner T. & Busse R. (2001) Mitarbeiterzufriedenheit und Pflegequalität. In: Arnold M, Klauber J., Schellschmidt H. (2001) Krankenhausreport. Schattauer Verlag, Stuttgart, 155-166.
Autorenkontakt:
Reinhard Busse, Prof. Dr. med. MPH FFPH:
Universitätsprofessor für Management im
Gesundheitswesen1.
Britta Zander, Diplom-Kauffrau1,2.
Miriam Blümel, Diplom-Soziologin1,2.
1Technische Universität in Berlin
2wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach­
gebiet Management im Gesundheitswesen
Kontakt: [email protected]
Pflegezeitschrift 2009, Jg. 62, Heft 10
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