Die 35. Generalkongregation der Jesuiten

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Die 35. Generalkongregation der Jesuiten
Jesuitenkommunität Sankt Georgen Frankfurt am Main
Wendelin Köster SJ
www.sankt-georgen.de/jesuiten/koester1.pdf
Die 35. Generalkongregation der Jesuiten
Von Wendelin Köster SJ
erschienen in: Herder Korrespondenz, Mai 2008
In Rom fand die 35. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu statt. 225 Jesuiten
aus aller Welt trafen sich dort vom 7. Januar bis zum 6. März 2008. Auf der Tagesordnung standen die Wahl eines neuen Generaloberen und die Erarbeitung einiger
Dekrete. Die Wahl wurde erforderlich, weil P. Peter-Hans Kolvenbach nach fast 25
Jahren seines Dienstes als “General” der Jesuiten und angesichts seines Alters von
knapp achtzig Jahren die Verantwortung abgeben wollte. Die Dekrete sind Wegweisungen und Regelungen zu wichtigen Fragen, die Leben und Wirken des gesamten
Ordens betreffen.
Der Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola hat in den Konstitutionen festgelegt, dass Generalkongregationen nur selten und aus wichtigen Gründen stattfinden und dass das Amt des Generaloberen ein Amt auf Lebenszeit ist. Er wollte dem
Orden die Mühe und Ablenkung ersparen, die mit solchen Versammlungen verbunden sind. Er vertraute auf das Funktionieren der normalen Verbindungen, um die für
eine gute Leitung erforderlichen Informationen zu erhalten. Die “normalen Verbindungen” beruhen bis heute im Wesentlichen darauf, dass der Generalobere eine
“persönliche Kenntnis der einzelnen” hat und dass es einen lebendigen und regelmäßigen Austausch von Briefen gibt. Im Laufe der gut 450-jährigen Geschichte des
Jesuitenordens hat es bislang nur 35 Generalkongregationen gegeben, von denen
29 der Wahl eines neuen Generaloberen dienten.
Ignatius entschied sich für ein Generalsamt auf Lebenszeit, weil der Orden so am
besten von der wachsenden Leitungserfahrung des Generaloberen profitieren kann.
Seine persönliche “Kenntnis der einzelnen” wird mit der Zeit reicher, so dass seine
Autorität steigt. Dies macht den modus paternus des jesuitischen Führungsstils aus,
der auf gegenseitiges Vertrauen setzt. Für das lebenslange Amt sprach auch, dass
so “der Ehrsucht, welche die Pest für derartige Ämter ist” (Konstitutionen 720), ein
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Riegel vorgeschoben wird. Hinzu kommt die nüchterne Erkenntnis, “dass es leichter
ist, einen einzigen Geeigneten für dieses Amt zu finden als viele” (ebd.).
Das bisher Einmalige bei einer Generalkongregation war der Wunsch von P. Kolvenbach, von seinem Amt als General zurückzutreten, obwohl er noch nicht regierungsunfähig war. Es genügt nicht, den Rücktritt einfach zu erklären. Vielmehr muss
die Generalkongregation gefragt werden, ob sie den Wunsch annimmt. Denn eine
Generalkongregation ist sozusagen der Vorgesetzte des Generals. In ihr ist der ganze Orden präsent, der sich seinen Generaloberen wählt; ihre Entscheidungen binden
ihn; ohne ihre Zustimmung kann er sie nicht aufheben, und ohne ihre Zustimmung
kann er nicht zurücktreten.
Die besondere Bindung des Ordens und seiner einzelnen Mitglieder an den Heiligen
Vater bedeutet, dass dieser nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Deshalb hat
P. Kolvenbach seinen Rücktrittswunsch zuerst mit Papst Benedikt XVI. besprochen.
Mit dessen Zustimmung hat er die vorgeschriebenen Schritte eingeleitet, nämlich die
Befragung seiner engsten Mitarbeiter im Generalsrat und aller Provinziäle. Die Befragung ergab ihre einmütige Zustimmung. Damit war der Weg frei zur Einberufung
einer Generalkongregation mit Generalswahl.
Hinsichtlich des lebenslangen Amtes gab es im Orden Überlegungen, ob nicht eine
Befristung die zeitgemäße Antwort auf die Belastungen des Amtes sei. Dazu wäre
aber eine Verfassungsänderung erforderlich gewesen, die wiederum ohne Zustimmung des Papstes nicht zustande kommt. Also hat P. Kolvenbach auch über diesen
Punkt mit dem Papst gesprochen. Das Ergebnis war, dass für den Papst eine Änderung der Konstitutionen in diesem Punkt nicht in Frage kam. Er wollte und will den
Jesuitenorden in seiner authentischen Form bewahren. Der Kongregation blieb so
eine aufreibende Auseinandersetzung erspart.
Über die Zusammensetzung der Generalkongregation entscheidet ein Schlüssel, der
die einzelnen Provinzen und Regionen nach ihrer personellen Stärke gewichtet. Jede Provinz entsendet ihren Provinzial und, je nach Größe, einen oder mehrere Delegierte. Wenn die Provinz so klein ist, dass sie nur einen einzigen Mann entsenden
kann, ist dieser nicht automatisch der Provinzial, sondern ein gewählter Delegierter;
er kann der Provinzial sein. Die Delegierten sind dem Gesamtwohl des Ordens verpflichtet; sie dürfen sich nicht als Interessenvertreter ihrer Provinzen oder von apostolischen Schwerpunkten verstehen.
Die Generalkongregation selbst muss so zusammengesetzt sein, dass mehr als die
Hälfte gewählte Delegierte sind. Die Wahl der Delegierten findet auf Provinzkongregationen statt. Dort werden auch die Themen beraten, die man als Postulate an die
Generalkongregation oder den Generaloberen richtet. Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass alles, was die Mitbrüder vor Ort in Hinsicht auf den eigenen Orden und
seine Sendung bewegt, auch dort ankommt, wo die generelle Marschrichtung festgelegt wird.
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Von den 225 Delegierten waren aus Afrika 18 (8%), aus Ostasien/Ozeanien mit
Australien 19 (8%), aus den USA 30 (13%), aus Lateinamerika 40 (18%), aus Südasien (Indien) 43 (19%), aus Europa 75 (34%). Obwohl die Europäer noch die größte
Gruppe bildeten, verschieben sich die Gewichte spürbar vom Okzident zum Orient.
Die Anzahl der Muttersprachen belief sich auf 48. Spanisch stand an der Spitze (47),
gefolgt von Englisch (43) Malayalam (13), Tamil (12), Französisch (11), Portugiesisch (11), Konkani (10), Polnisch (7), Italienisch und Deutsch (je 6). Die offiziellen
Konferenzsprachen waren Englisch, Spanisch und Französisch. Das schriftliche Arbeitsmaterial wünschten sich 129 Teilnehmer auf Englisch, 62 auf Spanisch und 28
auf Französisch; sechs hätten am liebsten alles auf Italienisch gehabt. Diese Zahlen
vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit, die sich nicht nur
auf die Sprachen erstreckte, sondern auch auf das dahinterliegende Denken und
Fühlen, das keineswegs aus sich heraus harmonisch war. Angesichts mancher unterschiedlicher Ansätze z.B. in Christologie und Ekklesiologie hätte sich die Versammlung leicht auseinander dividieren können. Doch das ist nicht geschehen. Der
Jesuitenorden ist bislang ein lebendiger Körper geblieben, der seine Einheit dankbar
als ein Geschenk erlebt.
Die Lebendigkeit dieses Körpers steht und fällt mit seiner Gottesbeziehung. Auf die
Generalkongregation angewandt heißt das: Die Versammelten müssen sich zu allererst als eine betende Gemeinschaft verstehen, die ihre Einheit in der Ausrichtung auf
Jesus Christus findet und konkret zu erspüren versucht, was sein Wille ist. Es geht
also nicht darum, die Schlagkraft des Ordens zu erhöhen oder sich auf der Bühne
der globalen Akteure besser zu positionieren. Was wir zu tun oder zu lassen haben,
soll Frucht des Gebetes sein.
Jeder Arbeitstag begann mit einem Gebet in der Kongregationsaula. Alle 225 Delegierten saßen in Stille an ihren Plätzen; eine Oboe und eine klassische Gitarre begleiteten einfühlsam das Singen von Psalmen und Liedern; Leser trugen Abschnitte
aus der Heiligen Schrift und aus Zeugnissen der ignatianischen Spiritualität vor. Die
Texte riefen in Erinnerung, wofür der Jesuitenorden da ist und was bei der Suche
nach dem rechten Weg hier und jetzt beherzigt werden muss. Die über vierzig “Andachten” fanden großen Anklang und dürften die Überraschungsfrucht der Kongregation geworden sein.
Die Rückbindung des Arbeitsprogramms an das Gebet geschah auch in den Eucharistiefeiern, in den eher schlichten Messen an den Arbeitstagen und in den feierlichen Messen zu bestimmten Anlässen. Die Anlässe waren die Eröffnung und der
Abschluss der Generalkongregation, der Tag der Generalswahl, die Dankmesse mit
dem neuen Generaloberen und die Messe am Aschermittwoch.
Ob es wirklich gelingen würde, im Gebet die Richtung zu finden, musste sich bei der
Generalswahl und bei der Arbeit an den Dekreten erweisen. Doch gab es einen Umstand, der zu einer besonderen Herausforderung für das Suchen und Finden des
Willens Gottes wurde, nämlich den Brief des Papstes vom 10. Januar 2008 an den
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Generaloberen und die Generalkongregation. Der Brief wurde vier Tage später allen
in der Aula Versammelten vorgelesen. Wer gewünscht oder gefürchtet hatte, der
Papst wasche den Jesuiten den Kopf, müsste feststellen, dass er sie in dankbarer
Anerkennung der Lebenshingabe so vieler Jesuiten aus allen Generationen erneut
ermutigte, getreu ihrer Berufung der Kirche zu helfen, sich den Herausforderungen
unserer Zeit zu stellen.
Die Erwartungen des Papstes wurden konkret benannt: Er wünscht eine erneuernde
Rückbesinnung auf die besondere Treue des Ordens und der einzelnen Jesuiten
zum Stellvertreter Christi auf Erden, die im sog. Vierten Gelübde ihren Ausdruck findet; er sucht die entschlossene Hilfe der Jesuiten, besonders der Theologen unter
ihnen, für den Dienst des Lehramtes der Kirche, damit der Glaube an Jesus Christus, den Erlöser aller Menschen, nicht verdunkelt wird; er sucht ebenso Hilfe auf dem
Feld der Moral, wo Ehe und Familie unter säkularem Beschuss stehen.
Diesen Wünschen, in denen ein tiefes Wissen um die Mühen der “Frontkämpfer”
mitschwingt, verleiht der Papst Nachdruck, indem er entsprechende Bitten und Mahnungen seiner Vorgänger zitiert. Auch ruft er mehrmals die Formula Instituti von
1550, das offizielle Basisdokument des Ordens, in Erinnerung. Darin werden die Jesuiten charakterisiert als solche, die “unter dem Banner des Kreuzes für Gott Kriegsdienst leisten und allein dem Herrn und der Kirche, seiner Braut, unter dem Papst,
dem Stellvertreter Christi auf Erden, dienen” wollen; als treue Söhne des hl. Ignatius
sind sie gehalten, “zuerst Gott und dann die Art und Weise dieses seines Instituts ...
vor Augen zu haben” (Formula Nr.1).
Das Leitmotiv des Papstbriefes ist freilich ein Schriftzitat, in dem der Apostel Paulus
die Thessalonicher ermutigt und beschwört, “zu leben, wie es Gottes würdig ist, der
euch zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit beruft”, und dann hinzufügt: “Darum
danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere
Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort angenommen habt, sondern
als das - was es in Wahrheit ist - als Gottes Wort, das in euch, die ihr glaubt, wirkt”
(1 Thess 2,13.14).
Obwohl der Inhalt dieses Briefes zu dem passt, was der Orden sich schon aus eigenem Antrieb auf die Tagesordnung gesetzt hatte, war es doch jetzt der Papst selbst,
der unmissverständlich Erwartungen äußerte. Das brachte die Geister in Bewegung.
Allen war schnell klar: Dieser Brief traf den Nerv. Die Kongregation musste eine
überzeugende Antwort geben. Doch über das Wie gingen die Meinungen zunächst
auseinander. Ganz im Sinne des hl. Ignatius setzte dann eine Phase der Unterscheidung der Geister ein, an der alle beteiligt waren. Man traf sich mehrmals in jeweils anders zusammengestellten Gruppen und tauschte aus, was einen bewegte.
Die Ergebnisse wurden einer Redaktionsgruppe zur Verfügung gestellt, die einen
Entwurf für die Antwort zu erstellen hatte. Es schälte sich immer klarer heraus, dass
dieser Antwortbrief zusammen mit dem geplanten Dekret über den Gehorsam der
Prüfstein für den Wert dieser Generalkongregation würde. Immer klarer wurde auch,
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vor welcher Aufgabe der neu zu wählende General stehen würde: er würde das Vertrauensverhältnis zwischen Papst und Jesuitenorden weiter stärken müssen.
Unmittelbar nach Eröffnung der Kongregation gab P. Kolvenbach den Startschuss
zur Generalswahl, indem er den Versammelten seine Bitte um Rücktritt vom Amt des
Generaloberen vorlegte. Nach einer Woche Bedenkzeit war am 14. Januar die Abstimmung. Mit überwältigender Mehrheit nahmen die Delegierten die Last des Amtes
von P. Kolvenbachs Schultern. Bewegend war der lange Applaus der Dankbarkeit,
der folgte. Die Gesellschaft Jesu weiß, was sie an ihrem General Peter-Hans Kolvenbach gehabt hat. Auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes übernahm P. Kolvenbach für die Tage bis zur Wahl des neuen Generals das Amt des Generalvikars.
Die folgenden vier Tage waren der Vorbereitung der Generalswahl gewidmet. Jeder
einzelne der Wähler hatte sich zu überlegen, wen er für den geeignetsten Kandidaten hielt. Das Überlegen ist eigentlich ein betendes Suchen nach dem Mann, den
Jesus Christus an der Spitze des Ordens, der den Namen Gesellschaft Jesu trägt,
sehen möchte. Es gibt keine Kandidatenlisten, keine Wahlprogramme, keine Kandidatenbefragung, keinen Wahlkampf. Der einzelne Wähler bittet in Gesprächen unter
vier Augen um Informationen zu den Kandidaten, die er für geeignet hält. Der Befragte muss wahrheitsgemäß antworten, darf aber keine Empfehlung aussprechen.
Wenn ein Wähler sich nachweislich selbst ins Spiel bringt, um General zu werden,
verliert er das aktive und passive Wahlrecht.
Die Tagesordnung wurde ganz auf diese eigentümliche Wahlvorbereitung umgestellt: Die Wähler fanden sich morgens zur hl. Messe im Generalat ein und blieben
den Tag über dort. Nach der Messe wurde das Allerheiligste ausgesetzt bis zum
Schlusssegen um 22:00 Uhr. Zu allen Stunden war die Kurienkirche gut gefüllt mit
Betern. Die Verpflegung gab es “auf die Hand”: zum Essen Sandwiches und zum
Trinken Wasser. In allen Räumen und Winkeln des Hauses sah und hörte man Jesuiten im Gespräch. Zu hören war eigentlich ein Gemurmel, weshalb diese vier Tage
auch als murmurationes bezeichnet werden.
Der Tag der Generalswahl war Samstag, der 19. Januar. Er begann mit einer Messe
zum Heiligen Geist in der Kirche Santo Spirito. Danach begaben sich alle in die
Kongregationsaula, wo um 9.30 Uhr die Wahlzeit begann. Nach den Verfahrensregeln konnten die Wähler den Aulabereich erst wieder verlassen, als der neue General gewählt war. Es begann mit dem gemeinsam gesungenen “Veni Creator Spiritus”.
Dann folgte eine Stunde schweigendes Gebet, die eröffnet wurde mit einer Ansprache des Ältesten, einer Ermahnung zum aufmerksamen Hören auf den Willen Gottes. Vor dem Wahlakt versprach jeder Wähler feierlich, dass er den zum General
wählen würde, den er vor Gottes Angesicht für am besten geeignet hielt. Keiner darf
sich selbst wählen.
Das alles geschah. Die Zeit des Schweigens war außerordentlich intensiv. Die Atmosphäre der Sammlung blieb beim Ausfüllen des Stimmzettels und beim Gang zur
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Wahlurne erhalten. Ein Wahlhelfer las laut die Namen vor. Die Monotonie der Nennungen war wie ein schrittweises Vertrautwerden mit dem, der nach Gottes Willen
der neue Generalobere sein sollte. Der zweite Wahlgang brachte das Ergebnis: P.
Adolfo Nicolás. Beifall brandete auf, herzlich und lange. Während der neu gewählte
General das Glaubensbekenntnis und seinen Amtseid auf die Konstitutionen sprach,
wurde der Papst informiert. Dann öffneten sich die Türen der Aula. Die Wähler und
alle, die im Generalat anwesend waren, begrüßten P. Nicolás als den neuen General. Die Wahlzeit schloss mit einer kleinen Dankandacht in der Kurienkirche.
Mit dem Spanier und Japanmissionar Adolfo Nicolás haben die Jesuiten wieder einen Mann an die Spitze des Ordens geholt, der eine Brücke zwischen Okzident und
Orient bildet. In persona ist er, der Priester und Theologieprofessor, ein lebender
Dialog zwischen West und Ost, zwischen dem Christentum und den Religionen Asiens. In seiner Ansprache bei der Dankmesse am Sonntag nach der Wahl betonte er,
dass Mission heute nicht mehr bedeutet, in geographisch ferne Kontinente und Kulturen zu ziehen, sondern in die Regionen der Entwürdigung zu gehen, wo die Menschen in bitterer Armut leben müssen und unter Gewalttätigkeit und Entrechtung leiden.
In den Tagen, die auf die Generalswahl folgten, wurde auch das oberste Beratungsgremium des Generaloberen, der Konsult, neu zusammengestellt. Von den zwölf
Konsultoren gehen sechs in ihre Heimatprovinzen zurück. Fünf wurden vom General
neu ernannt. Neun der Konsultoren sind gleichzeitig Regionalassistenten. Sie sind
verantwortlich für die Kontakte des Generals mit den insgesamt zehn Großregionen,
zu denen die weltweit 90 Provinzen gebündelt sind. In Europa gibt es noch vier solcher Großregionen, von denen aber zwei nur noch von einem Regionalassistenten
betreut werden. Es sind sieben Provinzen mit slawischen und drei Provinzen mit
germanischen Muttersprachen plus der rumänischen, der litauisch-lettischen und
der ungarischen Provinz. Diese vorsichtige Konzentration ist eine Folge der geringer
werdenden Zahl der Jesuiten in Europa, überwindet aber zugleich traditionelle
Fremdheiten
Unter den Konsultoren gibt es vier mit der besonderen Aufgabe, die Fähigkeit des
Generaloberen zur Leitung des Ordens zu überwachen. Wenn er aus irgendeinem
Grunde die Leitung nicht mehr qualifiziert wahrnehmen kann, haben sie das Recht,
Abhilfe zu schaffen. Im Fall des Falles können sie gegen seinen Willen eine Generalkongregation zur Wahl eines neuen Generals einberufen. Die Betrauung mit dieser Aufgabe nimmt nicht der General vor, sondern die Generalkongregation selbst,
die in ihrer Wahl frei ist.
Es wurden schließlich zwei wiedergewählt, die das Amt schon innehatten: ein Inder
und ein US-Amerikaner. Die beiden anderen kommen aus Lateinamerika und Europa. Der Europäer ist der Italiener P. Federico Lombardi. Die Kongregation wollte offensichtlich, dass in der Leitung des Ordens, die deutlich die weltkirchliche Vielfalt
widerspiegelt, auch genügend Sensibilität für das römische Zentrum der Weltkirche
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präsent ist. Diese Balance zwischen Zentrum und Peripherie ist nicht in erster Linie
organisatorischen Bedürfnissen geschuldet, sondern ergibt sich aus dem “sentire
cum ecclesia”, dem lebendigen Fühlen mit der Kirche, ohne das der Jesuitenorden
seine Sendung nicht erfüllen kann.
Nach der Wahl des Generaloberen begann die Arbeit an den geplanten Dekreten. Im
Rückblick auf das Konzil, das sich zum Glauben der Kirche in der Welt von heute
umfassend geäußert hatte, besann sich auch der Jesuitenorden, ebenso wie die anderen Orden und geistlichen Gemeinschaften, auf sein Gründungscharisma und erarbeitete viele neue Richtlinien. Das geschah in den Generalkongregationen
1965/66, 1974/75, 1983 und 1995. Im Rückblick erscheinen die letzten vierzig Jahre
wie eine Zeit, in der sich der Orden in immer neuen Anläufen im Sinne des Konzils
zu justieren versucht hat.
Auch jetzt, nach einer mehrjährigen Stoffsammlung, wollte er seine Beziehung zu
Gott, zu den Menschen und zu sich selbst neu auf den Punkt bringen. Der Orden
hatte zur rasant wachsenden Globalisierung und ihren Folgen noch nicht die Einstellung gefunden, die dem Evangelium und der ignatianischen Eigenart entsprach. Das
gewohnte eurozentrische Sehen, Urteilen und Handeln griff und greift immer weniger. Heute steht das Verhältnis von Globalisierung und Katholizität auf dem Spiel.
Die Katholizität des christlichen Glaubens, die in der Kirche ihren Körper hat, wächst
in eine neue Form hinein, wobei sie ihre Identität nicht verlieren darf. Der Jesuitenorden als organisches Glied an diesem Körper erlebt und erleidet öffentlich sichtbar
diese Wachstumsspannungen mit.
Insgesamt waren 470 Postulate aus allen Teilen des Ordens in Rom eingegangen.
Sie wurden von einer internationalen Arbeitsgruppe, dem sog. Coetus praevius, gesichtet, geordnet und den Mitgliedern der Generalkongregation zur weiteren Beratung und Entscheidung vorgelegt. Themen, zu denen die Generalkongregation in
Form von Dekreten Stellung nehmen sollte, waren der Gehorsam, die missionarische Sendung, die Zusammenarbeit mit Nichtjesuiten in den apostolischen Werken,
die Verbesserung der Leitungsstruktur und die Darstellung des eigenen Selbstverständnisses, der Identität. Die Erarbeitung der Dekrete war mühsam. Am Anfang
stand in allen Themenbereichen eine Art Stotterphase. Dann nahm der Text nach
Form und Inhalt langsam Gestalt an, bis er nach letzten Verbesserungsvorschlägen
in der Schlussabstimmung akzeptiert wurde.
Die Antwort auf den Brief des Heiligen Vaters war noch in der Stotterphase, als die
Delegierten am 21. Februar vom Papst in Audienz empfangen wurden. Eine erwartungsvolle Spannung erfüllt die Sala Clementina. Als der Papst eintrat, erhoben sich
alle und begrüßten ihn mit einem herzlichen Beifall. Der neue General, nun schon
seit vier Wochen im Amt, sprach ein Grußwort. Er versicherte, dass die Kirche mit
dem Papst als dem Stellvertreter Christi auf Erden an der Spitze sich nach wie vor
auf die Treue des Jesuitenordens verlassen könne.
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Der Papst antwortete in einer überaus herzlichen Ansprache. Die Wünsche und Erwartungen, die er schon in seinem Brief geäußert hatte, sparte er nicht aus. Er nahm
den Orden auch diesmal erneut in Pflicht. Aber vor allem: er erreichte die Herzen der
vor ihm versammelten Jesuiten. Denn jeder spürte, dass der Papst verstanden hatte,
was das Herz eines Jesuiten im Innersten bewegt. Er ließ seine Ansprache in einem
Gebet ausklingen. Es war das Gebet der Hingabe aus dem Exerzitienbuch, das mit
den Worten beginnt: “Nimm hin, o Herr, meine ganze Freiheit”, und mit den Worten
endet: “Nur deine Liebe schenke mir mit deiner Gnade. Dann bin ich reich genug
und suche nichts weiter”. Alle spürten: der Papst zitiert nicht einen Text, sondern er
betet. Und die Versammelten haben innerlich mitgebetet. Es war eine Gelübdeerneuerung. Danach blieb es einen Augenblick ganz still, dann erwuchs aus der Stille
ein langer dankbarer Applaus wie ein Amen, “so soll es sein”.
Ab diesem Moment war die Stotterphase in der Vorbereitung der Antwort auf den
Papstbrief überwunden. Hinter das Ereignis dieser Audienz konnte man nicht zurück.
Die neu geschenkte Klarheit schloss das Dekret über den Gehorsam ein. Die Gesellschaft Jesu hat das Band des Vertrauens zum Papst erneuert und weiß sich tiefer in der Kirche verwurzelt. Sie wird sich auch in Zukunft vom Stellvertreter Christi
zur Verkündigung des Glaubens senden lassen, wohin er will.