23.08.09 - Hebe Dich hinweg, Satan

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23.08.09 - Hebe Dich hinweg, Satan
Gottesdienst: Sonntag, 23. August 2009 um 9.30 Uhr, Thomaskirche Liebefeld
Predigttext: Matth. 16, 21-23
"Hebe Dich hinweg von mir, Satan!"
„Von dieser Zeit an fing Jesus an und sagte seinen Jüngern, dass er nach Jerusalem
hingehen und von den Aeltesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles
erleiden müsste; ja, dass er getötet und am dritten Tag wieder auferweckt werde.
Da nahm ihn Petrus beiseite und fing an, Jesus zu beschwören: „Das möge Gott
verhüten, Herr! Niemals soll Dir das geschehen!“
Da wandte sich Jesus um und sagte zu Petrus: „Hebe Dich hinweg von mir, Satan!
Du willst mich zu Fall bringen, denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast Du
im Sinn!“
Liebe Gemeinde
„Jesus musste nach Jerusalem gehen“ – In stillen Stunden des Gebets und des
Nachdenkens über sein Leben; über das, was er ausrichten und erreichen könnte,
war dieser Entschluss in Jesus reif geworden.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat er sich ganz den Menschen in Galiläa gewidmet: Jesus
ist dort rastlos in alle Himmelsrichtungen gewandert und hat den Kindern, den
Frauen und Männern in Galiläa sein Bestes mitgeteilt:
Seine Liebe; die Kraft seines Vertrauens und eine Hoffnung, die wie ein Lichtstrahl
die Schatten im Leben der Menschen auflöst. Die Menschen haben ihn erlebt und
seine Taten erfahren. Jesus ging wie ein Sämann hinaus auf den Acker, um zu säen:
Einiges davon fiel auf den Weg; anderes auf Steine oder unter Dornen; und einiges
auf guten Boden. Und Jesus spürte: Wenn er wirklich zu ganz Israel reden wollte,
dann musste er nach Jerusalem gehen - die Königsstadt und das Zentrum der
Religion - und die Menschen dort erreichen; dort musste die Entscheidung fallen:
Das grosse JA oder NEIN zu seiner Botschaft.
Für mich selber ist es so, liebe Gemeinde, dass das Leben von mir, von uns, auf
Jerusalem ausgerichtet ist:
„Ich muss nach Jerusalem gehen!“ Auf den ersten Blick hin scheint es, als lasse sich
unser Leben überhaupt nicht mit demjenigen von Jesus vergleichen.
Und doch: Sie und ich, wir sind mit Jesus unterwegs nach demselben Ziel: Wir haben
alle einen Anfang hinter uns:
Eine Zeit, in der Gott auf verschiedenste Art und Weise begonnen hat, zu wirken: Er
hat von unserer Kindheit an mit uns geredet – durch Menschen, und vielleicht war es
nur ein einziger Mensch, welche in seinem Geist gut zu uns geredet und für uns
gesorgt haben; durch eigene Lebenserfahrungen, die uns auf Gott hingewiesen
haben. Und wir haben mit der Zeit erkannt, dass es noch mehr gibt als ein Leben,
das nur Essen, Trinken und Schlafen ist: Wir sind zu einem geistigen Leben erwacht,
das sich sehnt nach Wahrheit und nach Liebe. So hat Gott zu uns geredet, und so
sind Anfänge eines neuen, göttlichen Lebens in uns entstanden. Und da gibt es kein
einziges menschliches Gesicht, in dem nicht ein Splitter vom Bild Gottes sichtbar ist;
kein Menschenseele, in der nicht ein Funke vom göttlichen Geist glühen würde,
wenn auch unter Schutt und Asche.
Und gleichzeitig stelle ich bei mir fest:
Auch wenn ich das alles weiss und mich darüber freuen kann, so sehe ich
gleichzeitig, wie ungeheuer langsam es geht, bis sich bei mir etwas verändert; bis ich
den Mut habe, hinauszutreten aus dem, was mich zurückbindet und was mich bremst
- es abzustreifen wie eine leere Hülle und einen Schritt zu wagen nach vorne in ein
unbekanntes Land. Lieber bleibe ich im Alten drin stehen – vielleicht kennen die
Einen oder Andern unter Ihnen das an sich selber auch: Schwachheit; ein bisschen
Angst; nett sein wollen zu allen; ein bisschen Jammern über das eigene Schicksal.
Manchmal habe ich auch das Gefühl, als ob ich auf einem Vulkan stünde: Wenn ich
daran denke, wie viele Menschen um mich herum durch den Druck der Verhältnisse,
darunter leiden und fast absolut verhindert sind, sich zu einem freien und fröhlichen
Leben zu entwickeln; und wie andere durch eigene Schuld und eigenen schlechten
Willen immer tiefer in Gleichgültigkeit und Dumpfheit absinken. Nachrichten von
Kriegen, von Anschlägen, Morden, von abgrundtiefen Gemeinheiten und Brutalitäten
sind täglich um uns herum präsent! Wie bescheiden sieht daneben das kleine Mass
von Gerechtigkeit, Sinn für die Wahrheit und für Liebe aus, welches auch noch da ist,
und es scheint fast, als ob das untergehen würde.
„Die Welt ist ein Wirtshaus, und der Teufel ist der Wirt“ hat Luther einmal gesagt.
Und doch: Es bleibt ein Lebensziel: Das Göttliche, das uns geschenkt worden ist, will
voll und ganz auch in dieses dunkle und unerfreuliche Gebiet eindringen: Das ist
unser Jerusalem – Vom Anfang an hin zum Ganzen wandern – von Galiläa nach
Jerusalem.
So hat es Jesus gesagt: „Ich muss nach Jerusalem gehen - und viel leiden“. Und
genau gegen dagegen hat nun Petrus Einspruch erhoben: er nahm Jesus beiseite
und beschwor ihn: “Jesus, schone Dich! Leiden, nein, das sollst Du auf keinen Fall;
lass die Finger davon!“ Dass Jesus nun nach Jerusalem gehen soll, das gefiel dem
Petrus sehr wohl: Ins Machtzentrum des Landes; dort wollte er seinen Jesus auch
sehen! Aber als er nun hörte, dass Jesus in Jerusalem Schweres erwarten würde, da
gefiel ihm das Ziel auf einmal nicht mehr so gut: „Dann lieber doch nicht; schone
Dich, trage Sorge zu Dir!“ Im Kapitel vor unserer Geschichte hat Jesus die Jünger
gefragt, für wen sie ihn halten würden; und da hat Petrus als Erster geantwortet: „Du
bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Und Jesus gab ihm zur Antwort:
„Du bist Petrus, und auf diesen Fels werde ich meine Kirche bauen.“ Und so stellte
sich der Petrus den Weg von Gott als etwas Grosses, Schönes; etwas Leichtes,
Heiteres, Natürliches und Angenehmes vor. Jesus erschreckt ihn jetzt damit, dass
sein Weg in Jerusalem Schweres in sich trage, und schleudert dem Petrus entgegen:
„Hebe Dich hinweg von mir, Satan! Du meinst nicht, was göttlich, sondern was
menschlich ist.“ Dem Petrus sind nicht auf einmal Teufelshörner aus dem Kopf
gewachsen oder ein Bocksfuss, sondern mit „Satan“ meint Jesus die Stimme des
natürlichen Menschenherzens: Lieber den leichten und heiteren Weg gehen als sich
mit Schwierigem auseinanderzusetzen; lieber das Grosse und Schöne im Auge
haben als das Unangenehme und Widerborstige. Dafür steht Petrus in diesem
Augenblick.
Das ist der scharfe, klare Unterschied zwischen den Gedanken von Gott und unseren
eigenen Gedanken:
Damit ich mein Leben zur Vollendung hin bringen kann – dorthin nach Jerusalem:
Dafür braucht es Anstrengung. Und das kann heissen: Wir ziehen uns dabei auch
Feinde zu: Wo ein Mensch einen Schritt vorwärts tut auf dem Weg Gottes, da wird
sie oder er sofort Viele finden, denen das nicht passt:
Denn mit jedem Schritt vorwärts geraten wir an die Interessen vieler andern; wir
stören sie in ihrem Stehenbleiben. Wer sich irgendwo in die Deichsel spannt, um
einen schweren Karren ein klein, klein wenig vorwärts zu bringen, der weiss, wie
beschwerlich das ist; wie bald schon Widerstand kommt von der andern Seite her: Es
ist die gleiche Angst vor dem Kreuz, wie sie in unserer Geschichte aus dem Petrus
herauskommt. Wir könnten zwar denken, das sei schön gewesen von Petrus, dass er
Jesus so zu seinem Besten geraten hat: Ja, das wäre schön gewesen, wenn es nicht
der Geist der Angst gewesen wäre, der ihm diese Wort eingegeben hat.
Gibt es denn einen Weg aus dieser Angst heraus?
Ja! Wenn ich die Sehnsucht nach dem vollkommenen Leben wieder in mir zulasse;
dieser Sehnsucht wieder einen weiten Raum gebe: „Ich habe keinen Frieden in mir,
bis dieser Anfang von göttlichem Leben in mir und in der Welt um mich herum sich zu
einem Ganzen, Vollkommenen ausgewachsen hat! Ich will nach Jerusalem gehen;
ich will das Ziel erreichen!“ Die Liebe, welche dann aus dieser Sehnsucht
herauswächst, ist einfach stärker als die Angst – und diese Angst wird schwach und
schwächer.
Und mein Glaube an den Weg vor mir wächst – mit allen Steinen darauf, über die ich
steigen muss.
Sie und ich: Wir haben es in der Hand, uns für den einen oder für den andern Weg
zu entscheiden.
Amen