Was liest Wien am Morgen? À la Callboy machte sich der
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Was liest Wien am Morgen? À la Callboy machte sich der
Damit uns nicht fad wird Was liest Wien am Morgen? À la Callboy machte sich der Bestseller auf die Suche nach den überraschenden Wahrheiten über Gratisflashes und selten anzutreffende mediale Schwergewichte. Text von Birgit Schaller | Fotos von Karl Michalski 36 Bestseller 9|10 2012 Westbahnhof, U6, 07:16 Uhr: Christoph, 34, Vermessungstechniker: „Ich lese Heute und Österreich, weil sie gratis aufliegen – und um die Zeit zu überbrücken. Sie haben ein praktisches Format und in zwanzig Minuten bin ich mit beiden Zeitungen fertig. Für zu Hause habe ich die Presse abonniert.“ Westbahnhof, U3, 08:02 Uhr: Gizem, 19, ist auf dem Weg zur PsychologieAufnahmeprüfung: „Fellner und Dichand kenne ich nicht.“ Kärntner Straße, 09:44 Uhr: Philipp Matheis, 61, ist Flötist und lebte 27 Jahre in Paris: „Die Süddeutsche ist die ein zige Zeitung, die man in Europa noch lesen kann, die eine Freiheit des Denkens zulässt und ohne Ideologie agiert. Fast alle Zeitungen heute sind demagogisch, eine versteckte Gleichschaltung der Leser. Aber nicht nur Heute, Österreich oder die Krone, sondern auch Le Monde oder der Standard gehen den Bach hinunter. Die Überschriften, die Leserbriefe in diesen Massenblättern sind Wahnsinn, teils faschistoid, so etwas ist nur in Österreich möglich.“ Papierflut. Es ist früh am Morgen. 7:09 Uhr am Wiener Westbahnhof. Laufen und Drängeln auf der Rolltreppe, in und vor der U -Bahn, Kipferl-Gerangel beim Ströck. Wien erwacht. Laut klingt das Kreischen der U -Bahn-Züge, gefolgt von „Piiieeep, Zug fährt ab“. Still stehen und lehnen viele in der Station, konzentriert auf jene Blätter, die seit acht Jahren den öffentlichen Raum überschwemmen. Gefühlte 90 Prozent der lesenden Menschen blättern in Heute oder Österreich. „Ich fahre mit der U-Bahn, und da liegen beide gratis auf“, ist der einfache Grund für die meisten. Man greift in die Bestseller 9|10 2012 Box, sei es vor der U-Bahn-Station – denn Österreich muss draußen bleiben – oder im Gebäude – dort stehen die Boxen der Zeitung von Eva Dichand, und schon ist man für ein paar Stationen beschäftigt. „In den zwanzig Minuten, die ich zu meiner Arbeitsstelle brauche, bin ich mit beiden Zeitungen fertig“, lacht der 34-jährige Kärntner Vermessungstechniker Christoph. Daheim liest er Die Presse, aber für die U-Bahn sind die beiden Gratiszeitungen perfekt, „da kann ich die Zeit überbrücken und mir wird nicht fad“. Unterhaltsam und lustig sind beide, bekommt man zu hören, ein 37 bisschen wie ein Bilderbuch. „Es gibt ein Element, da b eginnen vier Geschichten mit fast gleichen Wort, gehen aber ganz unterschiedlich weiter, das mag ich“, führt die 15-Jährige AHS-Schülerin Anja genauer aus, kann sich aber nicht erinnern, ob das Element in H eute oder Österreich zu finden ist. Inzwischen ist es 7:56 Uhr und sämtliche Mistkübel der Station Westbahnhof sind heillos überfüllt, von den U-Bahn-Bankerln, die man erst freischaufeln muss, will man sitzen, ganz zu schweigen. als Kaufausgabe, also gehe ich davon aus, dass im Gratisblatt nicht viel drinnen ist.“ Ein junges Mädel mit blondem Pferdeschwanz ergänzt: „Ich habe zu einer Geschichte auf der Titelseite den MadonnaTeil gesucht, und dann war da nur eine Werbung für die Kaufzeitung, das hat mich geärgert.“ Eines ist interessant: Von acht unter 20-Jährigen kennt keiner Wolfgang Fellner, Eva Dichand, geschweige denn wissen die jungen Leute, dass hinter Heute und der Krone Mitglieder ein und derselben Verlegerfamilie stecken. Wer bitte sind „Fellner“ und „Dichand“? „Larifari … Blödsinn … komisch“ Die 2006 von Wolfgang Fellner gegründete Bei den jungen Leuten finden sich viele, die Zeitung Österreich hatte in der letzten Metäglich zu den kleinen Formaten greifen, dia-Analyse in Wien 24 Prozent Reichweite. etwas öfter zu Heute, der Grund: „Österreich Heute erreichte 41,5 Prozent oder 603.000 gibt es nicht überall.“ Ein großer Pluspunkt Wiener, gefolgt vom Schwesternblatt Krone mit 33,5 Prozent. Zur Information: Rund ein für beide ist das handliche Format. Kritik müssen beide Medien trotzdem einstecken: Drittel der Heute-Leser liest auch Österreich „Bezahlen würde ich nichts dafür“, „die und zwei Drittel der Österreich-Leser lesen Sprache ist komisch“, „da ist viel Blödsinn Heute. Präferenzen gibt es jedenfalls unter drin“, „es wird ur übertrieben“, „es fehlt den Öffi-Fahrern. „Ich lese nur Österreich an Inhalt“ ist zu hören. Gründe, die einige und Heute gar nicht“, erklärt die 45-Jährige ganz von den beiden Gratistiteln fernhalten. Botschaftsangestellte Eva, die sonntags den Kurier konsumiert. Warum? „Die Themen in An diesem Morgen sind die Anti-Heute- und Heute sind uninteressant, zu reißerisch und -Österreich-Leser alle über 40. Barbara, 45, arbeitet im Sozialbereich und blättert im zu larifari.“ Zu larifari ist der 19-jährigen Standard: „Ich lese beide Hefte gar nicht. Gizem, die am Weg zur Aufnahmeprüfung Diese Zeitungen bestehen ja nur aus Schlagfür das Psychologie-Studium ist, wiederum zeilen.“ Sonja, 53, ist ÖBB-Angestellte und Österreich. Sie liest lieber Heute, wegen des hat den Kurier unterm Arm: „Diese Blätter Layouts und der „etwas anspruchsvolleren sind das Letzte – vom Inhalt, von der Grafik. Sprache“, wobei ihr die Presse aber am Ich bin seit ewigen Zeiten Kurier-Abonnenliebsten ist – jedoch nicht am Morgen. Die tin“, sagt sie und springt in den U6-Wagon. 84-jährige Sophie indessen nimmt Heute, Ein Presse-Leser im Anzug will nichts zu aber nur wegen des Kreuzworträtsels, „das seinen Lesevorlieben sagen. Es sind gezählte gibt es in Österreich nicht“. Wirklich lesen drei Menschen, neben dem einen oder an tut sie zu Hause englischsprachige Histo deren in vorbeifahrenden Zügen, die nicht rien-Literatur. HTL-Schüler Bernhard hat zu Gratistiteln greifen. Wobei gut zwei Dritwieder einen anderen Grund für seine tel der Leute, denen wir am Westbahnhof, Heute-Vorliebe: „Österreich gibt es auch Westbahnhof, U3, 07:44 Uhr: Martha, 18, AHS-Schülerin (re.) im Gespräch mit Birgit Schaller: „Heute und Österreich sind qualitativ nicht hochwertig, aber sie geben einen Überblick. Die Artikel sind kurz, es ist ein bisschen wie ein Bilderbuch, man muss sich nicht konzentrieren.“ Sprengt alle Grenzen! * regelmäßige LeserInnen Regelmäßige LeserInnen stehen hinter unserem Erfolg stehen hinter unserem Erfolg Neue Rekorde bei den LeserInnenzahlen & der Reichweite Dank 1.002.000* regelmäßiger LeserInnen in OÖ und einem Teil von NÖ ist die Tips das Maß aller Dinge. Mit einer erneuten Rekordreichweite von 74,1 %* ist die Tips in OÖ die unangefochtene Nr. 1. * Quelle: ARGE Media Analysen: Feldarbeit Durchführung GFK-Austria, IFES und Gallup, 01.01.2011-31.12.2011. Ungewichtete Fälle: 2.435 in OÖ, 2.486 in NÖ. Max. Schwankungsbreite +/- 1,7 %. www.tips.at Westbahnhof, Ausgang, 07:52 Uhr: Tamara, Nicole und Stefanie, 17, AHS-Schülerinnen: „Heute und Österreich lesen wir regelmäßig, auch gemeinsam und weil es lustig ist.“ Tamara: „Es wird aber ur übertrieben. Zum Beispiel stand in den Ausgaben zum SalonikiRapid-Spiel, dass man nicht in die Nähe des Stadions kommen sollte, wegen der Gefahr von Schlägereien. Ich war da und es war gar nichts.“ Nicole: „Das stimmt nicht. Ich wohne in Hütteldorf beim Stadion und die Fensterscheibe meines Zimmers ist kaputt!“ Schottentor, Universität: Rainer, 28, studiert Internationale Entwicklung und verschenkt Probeabos für Die Zeit, FAZ oder Spektrum: „Ich stehe hier seit acht Jahren immer zum Unistart. Aber früher war es leichter – die Studenten haben kein Interesse und lesen immer weniger.“ Karsplatz, Oper, 09:17 Uhr: Ein Mann nimmt aus jeder Box etwa zehn Zeitungen: „Ich sammle Heute und Österreich für den Winter zum Heizen. Nein, es ist für die Kollegen im Ministerium am Stubenring. Dort ist die Nachfrage immer groß.“ Karlsplatz und Schottentor an diesem Tag begegnen, gar nichts lesen. Eine Zurückhaltung, die Kolporteur Nidem beklagt, er hat seine Zeitungen am Schottentor aufgelegt: „Ich verdiene etwa 30 Euro am Tag. Im Winter ist es etwas besser.“ Was denn häufig gekauft wird? „Die Kronen Zeitung und das profil.“ Rainer, Student der Internationalen Entwicklung, der vor der Hauptuni Gratisabos von Zeit, FAZ oder Spektrum verschenkt, weiß: „Das Interesse nimmt ab. Ich mache das seit acht Jahren und die Jungen lesen einfach generell weniger richtige Zeitungen.“ „Instrument des Kommerzes“ Schließlich, am Weg über den Stephansplatz, begegnen wir einem wirklich seltenen Exemplar. Der 61-jährige Philipp Matheis sitzt gemütlich auf einer Bank, die Süddeutsche in Händen. Der klassische Flötist, der 27 Jahre in Paris lebte und bekennender Zeitungsjunkie ist, macht seinem Unmut Luft: „Das ist die einzige Zeitung in Europa, die man noch lesen kann. Die einzig objektive Zeitung, ohne Demagogie, die freies Denken zulässt. Schrottzeitungen wie Heute, Österreich, Krone, Bild, die in jedem Land existieren, verursachen eine Gleichschaltung der Menschen. Es ist ganz klar, was Heute ist: ein Ableger der Kronen Zeitung, die Konkurrenz streut und das Haus Dichand so gegen die anderen Medien stärkt. Das ist ein klassisches Instrument des Kommerzes“, sprachs und versinkt wieder hinter seinem Riesenformat aus Bayern. Zumindest diesen kleinen Nachteil räumt Matheis ein, für die U-Bahn sei das Monstrum bestimmt nicht geeignet. Schottentor, 10:00 Uhr: Nadim, Zeitungshändler: „Ich verdiene etwa 30 Euro am Tag. Kronen Zeitung und profil werden am häufigsten gekauft.“ Bestseller 9|10 2012 39