Der Fall SCHLECKER

Transcrição

Der Fall SCHLECKER
Der Fall SCHLECKER
Über Knausern, Knüppeln und Kontrollen
sowie den Kampf um Respekt & Würde
Die Insider-Story
Herausgegeben von
Achim Neumann
VS
V
Achim Neumann (Hrsg.)
Der Fall SCHLECKER
Das Redak onsteam bestand aus Achim Neumann, Unternehmensbeauftragter Schlecker von ver.di, den Mitgliedern des ehemaligen Gesamtbetriebsrats Schlecker und allesamt ver.di-Mitgliedern Katrin Wegener (Wirtscha sausschuss), Ju a Just (Ausschuss Arbeit und Gesundheit), Christel
Hoffmann (Gesamtbetriebsratsvorsitzende, Pforzheim), Sandra Schuhmacher (Rostock), Bri a Schröder (Schwerin), Ursula Bieber (Hammelburg),
Katharina Klose (Dresden), Gabriele Wi g (Dortmund), Antje Treptow
(Bremen) sowie Bernhard Franke, Landesfachbereichsleiter Handel BadenWür emberg von ver.di.
Beiträge steuerten zudem bei Elke Lill (Rechtsanwäl n und Dipl. Politologin, im Schlecker AS Gläubigerausschuss für den Gesamtbetriebsrat), Pelin Ögüt (Rechtsanwäl n, Bremen, juris sche Beraterin von Schlecker-Betriebsräten), Rüdiger Helm (Rechtsanwalt, München, juris scher Berater des
Gesamtbetriebsrates) und Michael Huber (Rechtsanwalt, München)
Für die Übernahme von Beiträgen in den Anhang bedanken wir uns bei
Maria Kniesburges (Chefredakteurin ver.di Publik) und Paul Schobel (ehemaliger Betriebsseelsorger der Diözese Ro enburg, der die Paul-Schobel
-S ung ins Leben gerufen hat) sowie natürlich auch bei Meike und Lars
Schlecker, deren entlarvenden Blogbeitrag wir den LeserInnen nicht vorenthalten wollten.
Achim Neumann (Hrsg.)
Der Fall SCHLECKER
Über Knausern, Knüppeln und Kontrollen
sowie den Kampf um Respekt & Würde
Die Insider-Story
Mit einem Vorwort von Stefanie Nutzenberger
und einem Nachwort von Frank Bsirske
VSA: Verlag Hamburg
www.vsa-verlag.de
www.verdi.de
© VSA: Verlag 2014, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
Titelfoto: Hubert Thiermeyer
Druck und Buchbindearbeiten: Beltz Druckpartner Bad Langensalza GmbH
ISBN 978-3-89965-594-0
Inhalt
Stefanie Nutzenberger
Vorwort .................................................................................................. 9
Achim Neumann
Einführung ............................................................................................ 10
Kapitel 1
Das war SCHLECKER ............................................................................ 13
1.
2.
3.
4.
5.
Vor dem Fall kam der Aufs eg ............................................................ 15
Der Drogerie-Markt 2010-2012 ........................................................... 17
Wer gewinnt, wer verliert durch die Schlecker-Pleite? ........................ 18
Wege zum Ruin: die Fußfesseln ........................................................... 20
Das »System« Schlecker ...................................................................... 28
HäƩen wir den Schlecker-Niedergang erkennen müssen? ....... 31
von Katrin Wegener
Wir machten immer auf die massiven
Sicherheitsmängel aufmerksam ................................................... 37
von Ju a Just
Kapitel 2
Der Widerstand formiert sich ........................................................... 48
Es gab miese Versuche, uns mürbe zu machen
und klein zu halten – erfolglos ....................................................... 51
von Ju a Just
Fürs Aufgeben haƩen wir uns schließlich
nicht wählen lassen! ....................................................................... 53
von Sandra Schumacher
Mit jedem Stein, der in den Weg gelegt wurde,
bin ich stärker geworden ............................................................... 55
von Katharina Klose
2002 haben wir einen starken und
nicht bestechlichen Betriebsrat gewählt .................................... 57
von Gabriele Wi g
Unser Einsatz wurde belohnt, den vielen Querschüssen
durch Schlecker zum Trotz ............................................................. 59
von Antje Treptow
Kapitel 3
Der geballte Alltag ............................................................................... 61
1. Auswirkungen des »Systems Schlecker« auf die Beschä igten
und die Betriebsräte ........................................................................... 61
2. Niedriglohn im »System Schlecker«: Normale Arbeit ........................ 68
Kapitel 4
Über die Dynamik betrieblicher GewerkschaŌsarbeit ................ 70
1. Aktuelle Anlässe und stabile Betreuungsstruktur ..............................
2. Persönliche Kontrakte und informelle Netze .....................................
3. Regelmäßiger Informa ons- und Meinungsaustausch .......................
4. Kompetenz und Zuverlässigkeit der Ak ven ......................................
70
71
72
72
Die Kolleginnen mussten wissen, dass es uns gibt! ................... 74
von Ursula Bieber
Kapitel 5
Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen ...................................... 76
1. 1994/95: Erfolgreiche Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen
zu Betriebsräten ................................................................................. 77
2. 1999 bis 2001: Erfolgreiche Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen
zum Flächentarif Einzelhandel ........................................................... 78
3. 2010: Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen zu Beschä igungssicherungs-TV, Tari indung von XL und Sozial-Tarifvertrag .............. 80
4. 2012: Gescheiterte Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen
über Sanierungsmodalitäten .............................................................. 81
Nach dicken Tränen ging‘s uns besser.
Ob die neue Zeit aber besser wird? ............................................. 87
von Bri a Schröder
Kapitel 6
Solidarität!?! PrakƟziert und vorenthalten .................................... 88
1. KollegInnen, Konsumenten, Kirchen .................................................. 88
2. Schaumschläger und »Maulhelden« .................................................. 89
3. Hilfe in letzter Minute! ....................................................................... 91
Kapitel 7
JurisƟsche und poliƟsche Aspekte der Insolvenz ......................... 93
1. Die Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns ................................. 93
von Rüdiger Helm und Pelin Ögüt
2. Was eigentlich ordnet die Insolvenzordnung?
Mit welchem Verfahren? ................................................................. 102
von Elke Lill
3. Der Gläubigerausschuss ................................................................... 107
von Elke Lill
4. McKinsey oder McKillroy?
Der »Lenkungsausschuss« – ein Beitrag zum Scheitern? ................. 113
von Rüdiger Helm und Michael Huber
Wir haƩen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera ............. 118
von Christel Hoffmann
Kapitel 8
Was sich ändern muss ...................................................................... 121
Erkenntnis – mögliche Lösungen – Konsequenzen
1. Was sich langfris g ändern muss: Nachhal ge
Unternehmensführung und Unternehmensentwicklung ................ 121
2. Was sich ebenfalls langfris g ändern muss: Eine demokra schere
Wirtscha sordnung, »denn Schlecker ist überall«... ........................ 131
3. Es muss sich auch ganz schnell was ändern:
denn »der nächste Schlecker ist schon da« ..................................... 137
Frank Bsirske
Nachwort ............................................................................................. 141
CHRONIK
eines konfliktreichen Kampfes um den aufrechten Gang .................... 143
ANHANG
»Unser Schlecker 2012« muss bleiben! ................................................. 171
Gastpredigt von Achim Neumann ......................................................... 173
Bericht aus dem Jammertal Ehingen ..................................................... 178
Was mich wütend und traurig macht und mich gewal g frustriert ....... 184
von Christel Hoffmann
Schlecker ist kein Einzelfall ... und Frau Schlecker
ist keine Schlecker-Frau ......................................................................... 188
von Paul Schobel
Die Angebote sind meist unterirdisch .................................................. 193
Eine Bestandsaufnahme von Bernhard Franke
Schlecker ist pleite, und ver.di ist schuld .............................................. 195
von Maria Kniesburges
Nachbarscha släden oder Dorfläden als Alterna ve .......................... 196
von Anton Kobel
Nicht nur eine Frage der Mo va on? .................................................. 198
Auszug aus dem Stra efehl ................................................................. 205
Brandschutzabkommen
für Tex lfabriken in Südostasien .......................................................... 207
Nachhal gkeit mit den Mi eln des We bewerbs? .............................. 208
Warum Schlecker kein »ehrbarer Kaufmann« war ............................... 211
Stefanie Nutzenberger
Vorwort
In den letzten 16 Jahren vor der Insolvenz haben Schlecker-Betriebsrä nnen
Haltungen und Handlungen entwickelt, die sich in einem Satz ausdrücken lassen: »Was du in jahrelanger Arbeit aufgebaut hast, kann über Nacht zerstört
werden – baue trotzdem!« Eine Haltung, die beispielha ist. Verkündet sie
doch, unterschiedlich ausgeprägt, unseren Willen, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, den Mut nicht zu verlieren, die uns betreffenden Zustände am Arbeitsplatz, im Unternehmen, in der Gesellscha mithelfen zu verändern und
zusammen in unserer Gewerkscha die Verhältnisse, die das ermöglichen,
in unserem Interesse zu beeinflussen, vielleicht sogar zu revolu onieren. Das
sei denen ins Stammbuch geschrieben, die vermuten, dass die Geschichte der
Schlecker-Frauen die Geschichte einer Niederlage sei. Trotz widrigster Umstände, gegen despo sches, willkürliches, respektloses und auch würdeloses
Verhalten ihrer »Führungskrä e«, haben sie betriebsrätliche Strukturen aufgebaut, haben sich zu Tausenden in ihrer Gewerkscha organisiert, waren
solidarisch und kampfstark in allen Auseinandersetzungen, betrieblich und
ebenso tarifpoli sch. Wie wich g ihnen verlässliche Strukturen, sowohl bei
den Betriebsräten als auch beim Zusammenhalt mit ihrer Gewerkscha , als
Voraussetzung für eine mitbes mmte Arbeitswelt, waren, machen insbesondere die von einigen Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats berichteten Erlebnisse deutlich. Sie und mit ihnen viele andere im »Schleckerland« ha en vor
17 Jahren begonnen zu verstehen und handelten.
Scheitern mussten die Schlecker-Frauen am Ende an der Ignoranz und
Arroganz des Patriarchen Anton Schlecker und den undemokra schen wirtscha lichen Strukturen dieser Republik. Durch unkontrollierte wirtscha liche und finanzielle Entscheidungen wurden sie existenziell in die Knie
gezwungen, wurden durch das Insolvenzrecht geschwächt und von der »Poli k« im S ch gelassen.
Was können wir von den Schlecker-Frauen lernen? Die wirtscha lichen
und sozialen Verhältnisse können in Richtung einer demokra schen Wirtscha sordnung geändert werden, wenn abhängig Beschä igte noch mehr
erkennen, dass sie solidarische Kra und Kultur miteinander in einer starken gegenmäch gen Gewerkscha entwickeln können und müssen. Mut,
Emo onalität, Zusammenhalt und Selbstbewusstsein hat die SchleckerFrauen in den Jahren, in denen sie wirken konnten, erfolgreich werden lassen. Sie sind zu bleibenden Vorbildern für die gesamte Gewerkscha sbewegung geworden.
Achim Neumann
Einführung
Jede Veränderung unserer Arbeitswelt, so gering, so umfangreich und so vielfäl g sie auch
sein mag, beginnt mit einer einfachen Idee, die
die Kra in sich trägt, eine große Vision unserer
Gesellscha zu befördern.
Für die Schlecker-Frauen hat diese Vision
im Jahre 1994/95 begonnen, als viele »kleine
Frauen«, an vielen kleinen Orten, viele kleine
Dinge getan haben, die nicht nur das Gesicht von
Schlecker1 veränderten, sondern das des deutschen Discounthandels insgesamt. Sie haben die
Sozial- und Wirtscha sgeschichte dieser Republik mitgeschrieben.
Über 16 Jahre haben sie zusammen mit ihrer Gewerkscha gegen einen
despo schen Inhaber und gegen vielfäl ge Widerstände gekämp . Sie haben sich gewehrt, haben sich hoch organisiert (über 12.000 Mitglieder bis
Anfang 2012 in ver.di) und haben Einfluss genommen. Sie haben Betriebsräte gegründet (bundesweit 183 bis Ende 2011) und haben sich dagegen gewehrt, dass für mehr als die Häl e der Beschä igten Willkür, Respektlosigkeit und Geringschätzung von Seiten des Unternehmens die Regel war.
Die Anonymität und die Heimlichkeit, mit denen Anton Schlecker durch
sein despo sches Gebaren, seine wirtscha lichen und finanziellen Fehlentscheidungen – seit 2007 wohl auch sehenden Auges – die Existenz von am
Ende noch 27.000 Beschä igten aufs Spiel setzte, belegen die Vermutung,
dass sein Geschä smodell auch als Komplo , als Anschlag bzw. Verschwörung gewertet werden kann.
Anton Schlecker ha e sich gegen die Beschä igten, gegen die Betriebsräte, gegen die Gewerkscha , gegen die Kunden – eigentlich gegen alle verschworen. Den Ursachen und den unausbleiblichen wirtscha lichen Konsequenzen geht dieses Buch nach. Vor allem aber der Frage: Wie konnte
es sein, dass der Au st Schlecker so lange unentdeckt und unsank oniert
blieb?
1
Obwohl die Firmenbezeichnung SCHLECKER in Großbuchstaben gehalten ist, geben wir den Namen in diesem Buch in der Regel als Schlecker wieder, damit sich das
System nicht auch hier noch op sch breitmacht.
Vorwort/Einführung
11
Den manchmal grauen, manchmal aber auch lustvollen Alltag der Schlecker-Frauen mit kleinen und großen Erfolgen in vielen Face en zu beschreiben, widmet sich das Buch in einem ersten Schwerpunkt ausführlich.
Was sie nicht verhindern konnten, war die totale Schlecker-Insolvenz
mit ihren drama schen Folgen durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Eine
planbare und damit wenigstens die existenzielle Absicherung ihres Lebens
gewährleistende Perspek ve wurde zerschlagen. Mehr als die Häl e der
25.000 bei Beginn der Insolvenz arbeitslos gemeldeten Beschä igten konnte
bis heute nicht in adäquate Arbeitsverhältnisse vermi elt werden.
Diese Insolvenz belegt aber auch, dass die Beschä igten und ihre Betriebsräte als kollek ve Experten vor Ort nicht gewünscht waren, obwohl
das Betriebsverfassungsgesetz eine solche Möglichkeit vorsieht. Ihnen
wurde bei wirtscha lichen und finanziellen Entscheidungen im Interesse
einer nachhal gen und langfris gen Unternehmensentwicklung ein tatsächliches Mitbes mmungsrecht nicht zugestanden.
Insbesondere wenn Unternehmen in der Form des »Eingetragenen Kaufmanns« geführt werden, es keine Veröffentlichungspflicht der Gewinn- und
Verlustrechnung gibt, die Bildung einer unternehmensinternen Kontrollinstanz nicht vorgesehen ist und dem Wirtscha sausschuss des Gesamtbetriebsrates wirksame durchsetzbare Einflussmöglichkeiten per Betriebsverfassung nicht möglich sind, wird Mitbes mmung zur Farce. Sie beschränkt
sich leider nur auf die sozialen Folgen der wirtscha lichen und finanziellen
Entscheidungen, die der Unternehmer allein tri , nicht auf die Entscheidungen selbst. Und: In der Insolvenz ist selbst diese beschränkte Mitbes mmung fast vollständig suspendiert und ohne Bedeutung.
Die Schwere und das gesamte Verfahren der Schlecker-Insolvenz, einschließlich der poli schen Entscheidung zu Transferzahlungen, der Mängel
der Insolvenzordnung, der Aufgaben des Gläubigerausschuss bzw. anderer
Instrumente im Insolvenzverfahren, war so gravierend, dass dem in diesem
Buch ein zusammenfassender eigener zweiter Schwerpunkt gewidmet wird.
Denn: … »der nächste Schlecker kommt bes mmt …« (Prak ker, Max Bahr…)
Die bei der Schlecker-Insolvenz gemachten Erfahrungen und die daraus für
Gewerkscha en und Betriebsräte gewonnenen Erkenntnisse erweitern den
Raum für fundierte Diskussionen und können perspek visch den Handlungsrahmen für von Insolvenzen Betroffene helfen zu erweitern.
Dieses Buch informiert, deckt auf, rü elt wach und schär den Blick auch
auf andere Discounter (Schlecker ist überall…). Es stellt aber auch mögliche
Antworten zur Diskussion, wie mit einer nachhal gen und langfris gen Unternehmensführung – vor allem aber Unternehmensentwicklung – in einer
12
Vorwort/Einführung
demokra scheren Wirtscha sordnung den konkurrenzorien erten einzelwirtscha lichen Interessen Einhalt geboten werden und Unternehmen in
eine gesellscha liche Verantwortung genommen werden können. Konsequenterweise ist der dri e Schwerpunkt dem Thema gewidmet, wie dem
Expertenwissen der Betriebsräte mehr Bedeutung und mehr Durchsetzbarkeit gegeben werden kann.
Besonders hervorgehoben werden soll die Tatsache, dass an diesem
Buch keine sich (durchaus aus sehr ehrenwerten Mo ven) mi elbar Interessierenden über die Geschichte der Schlecker-Frauen geschrieben haben,
sondern Betriebsrä nnen und Gewerkscha erInnen selbst – aus ihrer unmi elbaren Erfahrung in und mit Schlecker. Authen sche »Täter« berichten über ihren »Kulturkampf«. Es wird deutlich, wie sich betriebsrätlicher/
gewerkscha licher Widerstand erfolgreich formiert und zu mitbes mmten,
demokra scheren Formen in der Welt der Arbeit führt. Insoweit ist dieses
Buch auch ein Beitrag zur Gedächtniskultur in unserer Gewerkscha und
eine Anregung zur Nachahmung. Die Schlecker-Frauen sind noch immer ein
Beispiel für gewerkscha liche Kra und die Vision, mitzuhelfen unsere Gesellscha zu verändern. Trotz alledem!
Frank Bsirske
Nachwort
Ich habe in den Jahren, in denen ich jetzt Vorsitzender von ver.di bin, viele
Begegnungen mit beeindruckenden Menschen gehabt. Aber die mit unseren
KollegInnen bei Schlecker, den Ak ven, den BetriebsrätInnen, sind mir besonders ef im Gedächtnis geblieben. Was unsere Kolleginnen bei Schlecker da auf die Beine gestellt ha en unter schwierigsten Bedingungen, wo
nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich war und sich die Betriebsrä nnen immer alles erst erkämpfen mussten, das war schlicht großar g.
Dieses Buch berichtet in eindrucksvoller und authen scher Weise über diesen Alltag nicht nur bei Schlecker, sondern allgemein bei deutschen Discountern.
In den Schlecker-Auseinandersetzungen verdichteten sich, wie unter
einem Brennglas, mehrere allgemeine Entwicklungslinien des vergangenen
Jahrzehnts. Das Schlecker-Geschä smodell stand exemplarisch für die voranschreitende Spaltung am Arbeitsmarkt, für Prekarisierung, Mangel an
Planbarkeit des eigenen Lebens, für Unsicherheit in Form von Leiharbeit,
sachgrundlose Befristungen, sozialversicherungsfreie Minijobs, Armutslöhne heute und Altersarmut morgen.
Schlecker stand aber auch dafür, dass diese Entwicklungen nicht widerstandslos hingenommen wurden, dafür, dass sich Menschen wehrten, dass
sie sich organisierten und Erfolg damit ha en. Schlecker hat auch gezeigt,
was ver.di bewirken kann, wenn wir bundesweit koordiniert, strategisch mit
kluger, systema scher Öffentlichkeitsarbeit als Gegenmacht handeln und
Gestaltungskra beweisen. Der Fall Schlecker zeigt aber auch, wie weitgehend poli sch Verantwortliche offenbar abgescho et sind gegen Teile der
sozialen Wirklichkeit in unserem Land. Das sind regelrechte Parallelwelten.
So erweist sich an diesem Fall doch auch, dass es gelingen kann, Deutungsmacht zurückzugewinnen. Und tatsächlich ist es uns gelungen, den Blick der
Gesellscha auf Armutslöhne zu verändern. Dass Arbeit arm macht und
entwürdigt, das wird mehrheitlich nicht mehr gebilligt. Und dazu haben wir
mit unserer Mindestlohnkampagne, mit den öffentlichen Auseinandersetzungen um KiK, Lidl und ganz sicher Schlecker maßgeblich beigetragen.
Bis zum bi eren Ende ha en wir bei Schlecker einen Erfolg errungen,
der zeigt, wie wich g gewerkscha liches Engagement ist. Was nicht verhindert werden konnte, war die totale Schlecker-Insolvenz mit ihren drama schen Folgen des Verlustes der Arbeitsplätze. Eine planbare Perspekve, die wenigstens die existenzielle Absicherung der Mitarbeiterinnen und
142
Nachwort
Mitarbeiter gewährleistet hä e, wurde zerschlagen. Scheitern mussten die
Schlecker-Frauen am Ende an den poli schen und den undemokra schen
wirtscha lichen Strukturen dieser Republik. Ein einsamer Patriarch, umgeben von Managern, die unter »Führung« o nur Druck verstanden, fuhr das
immer größer werdende Unternehmen über Jahre an die Wand – ohne dass
das Wissen und die Kompetenz der betrieblichen Experten, der SchleckerFrauen, erfragt, einbezogen und genutzt worden wäre, um unternehmerische Fehlentscheidungen rechtzei g korrigieren zu können. Dass ausgerechnet die Beschä igten, die das Geschä über Jahre am Laufen gehalten
ha en, den größten Schaden in der Insolvenz erli en – den Verlust ihrer
Arbeitsplätze und vielfach echte existenzielle Not –, macht deutlich, dass
mehr Einfluss der Belegscha en auf die Unternehmensverfassung notwendig ist. Die Beschä igten brauchen mehr Einfluss, echte Transparenz über
die wirtscha liche Lage des Unternehmens und die Möglichkeit, Einfluss
auf die unternehmerische Entwicklung nehmen zu können – das ist sicherlich eine wich ge Lehre aus dem »Fall SCHLECKER«. Und dass es eine große
Zahl von Menschen gibt, die solche Korrekturen, zumindest gefühlt, ebenfalls für möglich und notwendig halten, macht die über Jahre tausendfach
gezeigte Solidarität mit den Schlecker-Frauen deutlich.
Festzuhalten bleibt außerdem: Die Schlecker-Frauen mit ihren Betriebsrä nnen ha en verstanden: ver.di, ihre Gewerkscha , ist ihr elementarer
Schutz, ist Schutz und Gestaltungskra zugleich. Und ich denke, wenn wir
heute auf die Jahre, seitdem wir ver.di sind, zurückblicken, können wir festhalten: ver.di ist eine Kra – eine Kra in Betrieb und Gesellscha , eine Kra
der Solidarität, eine Kra , die für die Würde der lebendigen Arbeit eintri ,
eine Kra für soziale Gerech gkeit. Insoweit ist dieses Buch über die sozialen Kämpfe der Schlecker-Frauen eben auch ein fest verankerter Meilenstein unseres kollek ven gewerkscha lichen Gedächtnisses.