Ökonomie und Ökologie - Niederrheinische IHK Duisburg
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Ökonomie und Ökologie - Niederrheinische IHK Duisburg
Schwerpunkt Tourismus Wambachsee Masurensee Böllertsee Wolfssee Haubachsee Sechs-Seen-Platte nach 90 Jahren Kies- und Sandgewinnung als touristischer Anziehungspunkt fertiggestellt Wildförstersee Ökonomie und Ökologie versöhnt Quelle: © Duisburg Agentur Schätzungsweise 30 Millionen Tonnen an Bodenschätzen wurden dort geborgen, wo heute im Süden Duisburgs Surfer, Angler, Jogger und Spaziergänger die Natur genießen. Was 1912 abseits jeder Siedlung als Aushub zur Untergrund-Befestigung für Schienen-Anlagen begann, endet in diesem Jahr – also genau 90 Jahre später – mit der Rekultivierung eines künftigen Naturschutzgebietes am Rande der Ruhrgebietsgroßstadt Duisburg. Die wechselvolle Geschichte der Sechs-Seen-Platte zeigt, welche Interessenkonflikte im Spannungsfeld von Wirtschaft und Natur aufkamen und wie die Beteiligten letzten Endes zu einer dem Gemeinwohl dienlichen Lösung gekommen sind. Vor Einsetzen der Industrialisierung waren die östlichen Teile des heutigen Duisburger Südens im wesentlichen von Wald bedeckt. Zur Abfuhr ihrer Kohletransporte nahm die „Rheinische Bahngesellschaft“ 1874 die Bahnlinie Troisdorf-Speldorf in Betrieb und schnitt damit erstmals die Waldungen an. Im Rahmen des weiteren Ausbaus der Bahnanlagen erwies sich Wedau als ein zentraler Standort, wo im Jahre 1890 ein Rangierbahnhof eröffnet wurde, der 1907 bereits auf 40 Gleise angewachsen war. Als 1912 mit dem Bau eines neuen Rangierbahnhofes begonnen wurde, um die Verkehrsinfrastruktur der florierenden Wirtschaft und der rasant steigenden Bevölkerungszahl anzupassen, schlug die Geburtsstunde der Sechs-SeenPlatte. Das größtenteils im Besitz des Reichsgrafen von Spee befindliche Gelände war durchsumpft und musste trocken gelegt werden. Die Firma Peter Fix Söhne GmbH in Duisburg-Meiderich erhielt den Auftrag und erwarb vom Grafen Spee die Auskiesungsrechte. Im Herbst 1913 konnte der Verschiebebahnhof Wedau voll in Betrieb genommen werden. Der gewählte Betriebspunkt erwies sich für die Kies- und Sandgewinnung als günstig und ausbaufähig. Das Abgrabungsgebiet war für Jahrzehnte nach Süden und Westen erweiterbar und die Verkehrsanbindung für das transportkostenempfindliche Gut Kies und Sand ideal. Der früh errichtete eigene Gleisanschluss ermöglichte auf dem inzwischen ausgebauten Schienennetz einen Absatz in weite Teile des Ruhrgebietes. Während des Ersten Weltkrieges wurden zeitweise täglich 60 Eisenbahn-Waggons Kies und Sand verladen. Behördliche Auflagen in Sachen Umweltschutz sind bis in die 1920er Jahre hinein nicht überliefert. Noch gehörte das Gelände um die Krupp’schen Seen nicht 4 Thema Wirtschaft 7-8/2002 zum Stadtgebiet Duisburg und damit zum Planungsbereich des „Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk“ (SVR), dem Vorläufer des „Kommunalverbandes Ruhr“ (KVR). Diese Situation änderte sich schlagartig mit der Eingemeindung im Jahr 1929, in deren Folge der Erhalt und die Schaffung planerisch gesicherter regionaler Grünzüge zu einer bedeutsamen politischen Aufgabe wurde. Die zusammenhängenden Grünbereiche sollten jetzt auch ökologische Funktionen erfüllen und der Naherholung der Bevölkerung dienen. Damit geriet die Auskiesungsfläche in den überplanten Bereich. 1939 wurde das Gebiet als Verbandsgrünfläche in die Landschaftsschutzkarte für Duisburg aufgenommen. Die Einsprüche der „Rheingruben Kies- und Sandbaggerei“ sowie des Grafen Spee wurden mit dem Hinweis, dass die spätere Gestaltung des sich entwickelnden Baggersees für das Landschaftsbild von größter Wichtigkeit sei, zurückgewiesen. Als Zugeständnis an die ökonomisch beeinträchtigten Betriebe wurde der ungehinderte Abbau der Kiese zugesichert. Dennoch war der Konflikt von Wirtschaft und Umwelt vorprogrammiert. Waren die Fördermengen während des Zweiten Weltkrieges ständig gesunken, bis sie 1945 nahezu bei Null lagen, stiegen sie mit dem Wiederaufbau stark an. 1950 erreichte die Produktion schon 200 000 Tonnen pro Jahr und überschritt 1960 die Marke von 600 000 Tonnen. Die Verän- Einer der schönsten Flecken Duisburgs aus der Vogelperspektive. derungen im Landschaftsbild waren nun nicht mehr zu übersehen. Damit wuchs der Druck auf die Frage der künftigen Nutzung und Gestaltung. Als 1951 Pläne zur Verfüllung der Wasserflächen mit Trümmer- und Industrieschutt aufkamen, sah die Stadt ihre Vorstellungen von der Gestaltung eines Naherholungsgebietes gefährdet und ergriff die planerische Initiative. zur Vollendung der Sechs-Seen-Platte war es allerdings noch ein weiter Weg. Nach zahlreichen gescheiterten Verhandlungen kamen die verschiedenen Interessengruppen im April 1955 ihrem Ziel einen Schritt näher, als die Fachleute des Grafen Spee den bereits sehr stark ausdifferenzierten Plan einer „Fünf-Seen-Platte“ vorlegten. Er enthielt die Kernelemente, die letztlich das heutige Bild bestimmen. Zum einen sollten die für die Auskiesung weniger ergiebigen Bereiche als bewaldete Inseln und Halbinseln die Seenplatte glie- dern und damit zu einer Auflockerung des Terrains führen. Zum anderen sollte die Stadt langfristig Erholungseinrichtungen schaffen können. Die kommerzielle Ergänzung in Form von Verpachtungen an Gastronomen oder Bootsverleiher sollte der Spee’schen Verwaltung vorbehalten bleiben. Der Plan wurde von der Stadt begeistert aufgenommen, fand jedoch nicht die Zustimmung der „Rheingruben Kies- und Sandbaggerei“, die durch vielfältige Beeinträchtigungen die Rentabi- lität ihrer Abgrabungspläne gefährdet sah. Die Grundidee aber, in der Industriestadt Duisburg in dem nicht von Luftverunreinigungen betroffenen Gebiet eine großzügige Seenlandschaft zu schaffen, die der erholungssuchenden Bevölkerung offen steht, war nicht mehr von der Tagesordnung zu bekommen. Immer wieder scheiterte im Verlauf der folgenden Monate der Versuch, verhandelte Vereinbarungen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen, was schließlich in einer ausgeprägten Verhärtung der Fronten gipfelte. So bedurfte es eines Gipfeltreffens unter Beteiligung von Oberbürgermeister August Seeling und des Reichsgrafen Wilderich von Spee, um die Dinge wieder in Fluss zu bringen. Der dabei von Spee’scher Seite eingebrachte Vorschlag einer Eigentumsübertragung durch Kaufvertrag bei sukzessivem Besitzübergang entsprechend dem Fortschritt der Auskiesungen wurde von den Vertretern der Stadt positiv aufgenommen. Auf dieser neuen Basis konnte nun zügig verhandelt werden. Schließlich genehmigte der Rat der Stadt Duisburg am 26. November 1962 das Grundstückgeschäft, wonach die Stadt die knapp 284 Hektar große Fläche zum Preis von drei Mark je Quadratmeter Thema Wirtschaft 7-8/2002 5 Planmäßiger Ausbau des Seengebietes Da ein Erlass der höheren Naturschutzbehörde vorlag, der die Kies- und Sandausbeute im Bereich einer rund 200 Hektar großen Fläche duldete, konnte es nur darum gehen, mit der gräflich Spee’schen Verwaltung zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Die Aufstellung eines offiziellen Durchführungsplanes aus dem Jahr 1953, der die Grenzen der Baggerflächen erstmals festlegte, kann als Beginn des nunmehr planmäßigen Ausbaus des Seengebietes bezeichnet werden. Bis Quelle: KVR Schwerpunkt Tourismus Aufgrund eines erfolgreichen Renaturierungskonzeptes ist der Eisvogel an den Steilufern der Sechs-Seen-Platte heimisch geworden. Quelle: Hülskens ankaufte. Masuren- und Wambachsee mit angrenzendem Gelände gingen dabei direkt in den Besitz der Stadt über. Im übrigen Gelände oblagen der Stadt Gestaltungsmöglichkeiten, z. B. die Anlage von Wanderwegen, soweit dadurch die Auskiesung nicht beeinträchtigt wurde. Achteinhalb Millionen Mark hatte die Stadt mit dem Ankauf in die Naherholung ihrer Bürger investiert. Nun ging sie zügig daran, ihre Ziele umzusetzen. Schon 1963 wurde der Damm zwischen Wambachund Masurensee befestigt und zum Großparkplatz ausgebaut. Vereine wurden, wie im Vertrag vorgesehen, am Masurensee – aber auch nur dort – angesiedelt. Die Bürgerschaft nahm „ihre“ Seenplatte begeistert in Besitz – mit allen Konsequenzen an heißen Sommertagen, wenn unvernünftige Wasserratten kein Schild „Baden verboten“ vom Sprung ins kühle Nass abhält. Aber die Bevölkerung nahm auch im positiven Sinne zunehmend Anteil. Dieser Trend einer Identifikation mit der Sechs-Seen-Platte wurde erstmals deutlich, als 1967 der Plan aufkam, die alten Luftwaffen-Schießstände und Munitionslager mit einem 30 Meter hohen Berg aus Müll und Schutt zu überkronen, um einen attraktiven Aussichtspunkt zu schaffen. Kritisch beäugt wurde dabei die Frage, ob das geliebte klare Wasser dadurch nicht Schaden nehmen werde. Aber noch war die hohe Zeit der Bürgerinitiativen nicht gekommen, weshalb der künstliche Berg mit behördlicher Genehmigung wachsen durfte. Wie sehr sich die Bürger mittlerweile mit dem „Monte Müll“, wie der Wolfsberg im Volksmund immer noch genannt wird, versöhnt haben, zeigt der Umstand, dass der heute nicht mehr wegzudenkende Die gelb gebogte Brücke ist ein weithin sichtbares Markenzeichen der Sechs-Seen-Platte. Foto: Norbert Schinner 6 Thema Wirtschaft 7-8/2002 hölzerne Aussichtsturm in bürgerschaftlicher Eigeninitiative errichtet wurde. Als der Bürgerverein Wedau mit den Feierlichkeiten zu seinem 75-jährigen Bestehen 1988 einen Überschuss erwirtschaftet hatte, beratschlagte er mit Dr. Maximilian Graf von Spee, wie das Geld anzulegen sei. Daraus entsprang schließlich die Idee des Aussichtsturms. Der Graf versprach, das Holz beizusteuern. Andere Sponsoren, die Firma Hülskens und letztendlich die Stadtsparkasse konnten zudem gewonnen werden. Die Stadt übernahm die Verkehrssicherungspflicht, und nach einer Investition von 250 000 Mark wurde am 7. August 1994 der 21 Meter hohe Turm als höchster begehbarer Punkt Duisburgs eingeweiht. Mit dem Ende des Jahres 1976 begann eine für die Fertigstellung des Projektes kritische Phase. Wolf- und Böllertsee waren bereits ausgekiest und renaturiert. Die Segler hatten damit ein richtiges Revier und erhielten zu ihrem Glück auch eine hohe Durchfahrt zwischen ihren Heimathäfen am Masurensee und dem Wolfsee in Form einer gebogten gelben Fußgängerbrücke. Schon 1972 hatten die Schwimmer ein modernes Freibad mit 400 Metern Sandstrand am Wolfsee erhalten. Alle hatten ihre Freude: Was störte, war allein der Bagger, der in der Nähe des Krankenhauses ratterte. Auch der Lärm der Klassieranlage wurde in Wedau als störend empfunden. Die Zeiten hatten sich eben geändert. Dazu kam, dass angesichts der Debatte um das Waldsterben von engagierten Umwelt-Aktivisten jetzt um jeden Hektar Wald gekämpft wurde, woraus sich eine Kampagne gegen die Auskiesung des sechsten Sees entwickelte. Mit dem Auslaufen des Vertrages zwischen der Spee’schen Verwaltung und der „Rheingruben Kies- und Sandbaggerei“ Ende 1976 musste somit für die zweite Hälfte der Auskiesungsarbeiten ein neues tragfähiges Konzept geschaffen werden. Es wurde deutlich, dass man nicht umhin kam, ein modernes Klassierwerk mit Siloanlagen im Süden des Abgrabungsbereiches zu erstellen und von dort einen störungsfreien LKW-Abtransport zu steuern. Ferner gewannen die Rekultivierungsarbeiten bei dem nun in Angriff zu nehmenden Abschnitt einen ganz neuen Schwerpunkt Tourismus Die Sechs-Seen-Platte ist als „grüne Lunge“ Duisburgs ein beliebtes Naherholungsgebiet für die Bevölkerung der Ruhrgebietsmetropole. Quelle: Duisburg Agentur Stellenwert. Die renommierte Wasserbaufirma Hülskens GmbH & Co, die am Niederrhein schon einige Vorzeigeobjekte im Hinblick auf eine Rekultivierung erfolgreich umgesetzt hatte, wurde von Spee als neuer Partner gewonnen. Nun begann ein wahrer LangstreckenHindernislauf durch die anstehenden Genehmigungs- und Einspruchsverfahren. Zwar lag schon im Februar 1978 ein Genehmigungsbescheid des Regierungspräsidenten für die restlichen Bereiche beim Wolfs- und Böllertsee sowie des Wildförstersees vor. Doch fehlte ein Planfeststellungsbeschluss für den Haubachsee (See 6). Ohne verlässliche Rechtsgrundlage ließen sich jedoch anstehende Investitionen für das Gesamtprojekt nicht rechtfertigen. Gegen den Planfeststellungsbe- Die Prachtlibelle hat die „Natur aus zweiter Hand“ an der Duisburger Sechs-Seen-Platte erobert. Quelle: Hülskens schluß, der im Oktober 1983 zu Stande kam, gingen Naturschützer wegen der anstehenden Rodungen und Großenbaumer Bürger wegen der befürchteten Belästigungen durch die bevorstehenden Kiestransporte mit Einsprüchen und Klagen vor. So schoss die Zeit ins Land. Es drohte der Verfall der befristeten Genehmigungsbescheide. Eine Menge von Kompromissen war einzugehen. So wurde für das Kieswerk auf Vorschlag der Firma Hülskens ein neuer Standort im Südosten des Gebietes gefunden, der einen Abtransport zur Autobahn ohne Berührung von Siedlungsgebieten ermöglichte. Weitere Anregungen der Naturschützer wurden in die Rekultivierungsauflagen eingebunden. Damit konnte der totale Widerstand gegen das Projekt gebrochen werden. Am 20. März 1989 waren schließlich alle Verträge und Genehmigungen unter Dach und Fach. Am 18. April 1990 titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung: „Bagger buddeln wieder an der Sechs-SeenPlatte. Im Jahr 2000 brüten Vögel am Haubachsee.“ Die Firma Hülskens & Co durfte jetzt zeigen, was sie kann. Modernstes Gerät kam zum Einsatz: Ein elektrogetriebener Eimerketten-Schwimmbagger mit geräuscharmer Traktorenkette sowie schwimmende Transportbänder hielten 8 Thema Wirtschaft 7-8/2002 den Geräuschpegel so in Grenzen. Wanderwege wurden verlegt und mit hohem Tempo gearbeitet, um die Belästigungen für die Erholungssuchenden so gering wie möglich zu halten. Parallel zum Abbaufortschritt erfolgten die mit dem Grünflächenamt der Stadt abgesprochenen Rekultivierungen. Bis 1994 dauerten die Arbeiten am See 5 (Wildförstersee). Dann wurde der Bagger durch einen eigens gegrabenen Kanal in den vorbereiteten Standort des sechsten Sees gezogen. Wie vorgesehen, kam auch die Natur zu ihrem Recht. Als eine von zahlreichen Renaturierungsmaßnahmen wurden an weniger windexponierten Stellen SteiluferAbschnitte hergerichtet, um Nistmöglichkeiten für seltene Vogelarten, wie den Eisvogel, zu schaffen. Ihn kann der Besucher an stilleren Tagen im Seengebiet inzwischen recht häufig beobachten, wie sich auch Grünspecht und Flußregenpfeifer die Natur aus zweiter Hand erobert haben. Andere Bereiche bilden wertvolle Verstecke und Laichmöglichkeiten für Kröten, Frösche, Molche und Eidechsen, aber auch für Libellen. Im Jahr 2001 wurde der Baggerbetrieb an der Duisburger Sechs-Seen-Platte endgültig eingestellt. Damit waren die Zeiten der Kies- und Sandgewinnung in Duisburg definitiv beendet. Statistisch gesehen konnte hier der Lebensbedarf von 65 000 Bürgern an Kies und Sand gedeckt werden. Im Frühjahr 2002 waren auch die Rekultivierungen praktisch abgeschlossen. Nach dem Ende der Maßnahmen hat sich viel Zufriedenheit bei allen Beteiligten eingestellt, mit dem, was nach einer wechselvollen 90-jährigen Entwicklung aus dem Gelände hervorgegangen ist. Der städtische Förster Axel Freude wacht jetzt über die weitere Entwicklung. Er bezeichnet den Erholungs- und den Naturschutzwert der Wald- und Seenlandschaft als herausragend. Die Duisburger jedenfalls lieben ihre Sechs-Seen-Platte. An heißen Sommer-Wochenenden, so schätzt der Förster, strömen bisweilen 15 000 bis 20 000 Besucher an die Seen – nicht immer zur Freude der Forstleute, die die Hinterlassenschaften der Freizeitgesell■ schaft einsammeln müssen. Autor: Max Pannenbecker