Ein Semester zwischen Fjell, Fjord und Skogen

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Ein Semester zwischen Fjell, Fjord und Skogen
Ein Semester zwischen Fjell, Fjord und
Skogen
Vier Monate Erasmus im Land des Nordlichts
Lucie Scheelen
Landscape Ecology and Nature Conservation international
Practice in Applied Ecology an der Høgskolen i Hedmark
Campus Evenstad
März – Juni 2014
Jeg elsker Norge og jeg skal komme tilbake snart! An meinem letzten Tag in Norwegen sitze
ich an der Osloer Stadtmauer, und während im Park vor mir friedlich die Polizeipferde
grasen, lasse ich die letzten Monate Revue passieren. Für alle die noch zweifeln, ob
Norwegen und insbesondere Evenstad die richtige Wahl für ein Erasmussemester ist, dem
kann ich nur zurufen: JAAA! Wenn du am liebsten jeden Tag draußen bist, leichter in der
Praxis als aus Büchern lernst und eine familiäre Uniatmosphäre suchst, dann bist du hier
genau richtig. Dieses Semester war bisher das schönste meines Studiums und ich würde es
immer wieder machen.
Vorbereitung und Unterkunft
Die Bewerbung bei der Høgskolen war einfach und unkompliziert und ich erhielt rasch die
Zusage. Da ich vorher für ein halbes Jahr nach Südamerika ging, stellte ich den Antrag
bereits im Sommer 2013, was sich als zu früh erwies. Da aber jedes Land und jede Uni
andere Fristen hat, gilt: je früher desto besser. Ich habe mich für den Kurs Practice in
Applied Ecology entschiedem. Auf der Website der Uni (hihm.no) findet man alle
Kursbeschreibungen auf Englisch.
Da ich ein ganzes Auslandsjahr absolviere (ein Semester Praktikum in Südamerika und
anschließend das Sommersemester in Evenstad), erschien das dritte Jahr, also nach dem 4.
Semester in Greifswald, als passendster Zeitraum. So hatte ich eine Verschnaufspause vor
dem letzten anstrengenden Jahr im Bachelor. Um den Frühling und Sommer in Norwegen
zu erleben und der Dunkelheit des langen Winters zu entkommen, habe ich das
Sommersemester gewählt. Vor allem bei der Feldarbeit ist es schön, die Jahreszeiten draußen
zu erleben und nicht monatelang mit Schneeschuhen durch Eisregen laufen zu müssen. Als
ich im März ankam, lag Evenstad noch unter einer Schneedecke, und nun verlasse ich es im
schönsten Sonnenschein. Es hat also alles so geklappt, wie ich es mir erhofft hatte.
Mit der Antragsstellung auf einen Wohnheimplatz auf dem Campus war die Vorbereitung
auch schon abgeschlossen. Dies geschieht einfach online ebenfalls auf der Uniwebsite. Im
Gegensatz zu den single rooms sind die shared rooms tatsächlich bezahlbar (umgerechnet
etwa 190 Euro). Ich hatte das Glück, im der Sveitserbolig zu wohnen, dem schönsten Haus
auf dem Campus mit Blick auf die Glåma und Felder. Wir waren fünf Mädchen (in zwei
Zweierzimmern und einem Einzelzimmer) mit einer großen, gemütlichen Küche und einem
schönen, geräumigen Wohnzimmer.
Universität
Da mein Kurs hauptsächlich aus fieldwork bestand, sah ich die Uni nur selten von innen.
Am Anfang war ich beim Becodyn project, dass den Einfluss von Wühlmäusen auf die
Dynamiken in borealen Wäldern untersucht, ein Projekt an dem Universitäten aus Kanada,
Schweden und Finnland partizipieren. Es geht aber noch allgemeiner um das Ökosystem
Wald in dieser Zone, die Untersuchungen sind auf drei Jahre angelegt und nicht nur auf
Wühlmäuse bezogen.
Nichtsdestotrotz bilden Mäuse einen erheblichen Grundstein in der Nahrungskette als Futter
für Prädatoren wie Greifvögel und Füchse. Wir hatten drei Hauptuntersuchungsgebiete
(Evenstadlia, Bråtalia und Imsdålen), in denen wir jeweils ein Forschungs- und ein
Kontrollgebiet hatten. Im Juni richteten wir ein neues Gebiet im Norden ein, Pålshavgteier.
Zusätzlich gab es noch südlichere Gebiete in der Nähe von Opphus, diese dienten allerdings
nicht der Mäuseforschung.
Während wir in einem Gebiet die Mäusepopulationsdichte
verminderten, versuchten wir sie im anderen zu erhöhen. Ersteres geschah durch
herkömmliche Mäuse(tot)fallen, letzteres durch Anfütterung in Lebendfallen. Als Köder
benutzten wir Karottenstückchen, in den Schnappfallen mit Erdnussbutter präpariert, in den
Lebendfallen mit einer Samenmischung. Zwei Wochen nach dem Scharfmachen
kontrollierten wir die Fallen und entnahmen die Kadaver (siehe Bild unten links), um später
im Labor das Größe, Gewicht und Geschlecht zu bestimmen und bei Weibchen zusätzlich
die Anzahl der
Schwangerschaften und der jeweiligen Nachkommenschaft. Die
Lebendfallen kontrollierten wir zweimal täglich, morgens und abends.
Neben Gewicht und sexueller Reife kontrollierten wir die Registriernummer – wenn es sich
um einen Neufang handelte, chippten wir das Tier zusätzlich. So kann man die
Populationsdichte am genauesten bestimmen. Jede dieser lifetrapping sessions dauerte drei
Tage und wurde einmal im Monat durchgeführt.
Weitere Aufgaben waren das snowtracking, bei dem alle Fährten von Wildtieren
aufgenommen werden (Bild rechts - alte Hasenfährte) und so ein Bild von den im Wald
vorkommenden Tierarten entsteht.
Durch Kotanalyse erfährt man mehr über Beutetierschemata. Da sich auch die
Populationsdichte so annäherungsmäßig abschätzen lässt, liefen wir regelmäßig die
Forststraßen nach Kot von Carnivoren ab. Hauptsächlich findet man Fuchs- und Marderkot,
manchmal aber auch Wolf. Die Bestimmung erfolgt erstmal anhand von Aussehen, Form
und Geruch (oh ja) und wird dann später im Labor hunderprozentig festgestellt.
Bei den Haarfallen, die für Marder mit Erdnussbutter- und Honig- bzw. Fleischködern
bestückt an Baumstämmen befestigt werden, extrahiert man in langwieriger Laborarbeit die
gewonnenen Haare, bestimmt die Familie und konserviert sie anschließend in Ethanol.
Dies waren einige der häufigsten Tätigkeiten im Feld. Alle zwei bis drei Wochen fand die
fällige Laborarbeit statt. Zusätzlich belegte ich einen Norwegischkurs, der einmal
wöchentlich stattfand, und eignete mir so solide Grundkenntnisse dieser lustigen und
melodiösen Sprache an.
Alltag und Freizeit
Wer sich nicht selbst beschäftigen kann, für den ist Evenstad nichts. Wer dagegen Spaß an
Sport und am Draußensein hat, für den eröffnet sich hier das Paradies! Die Sporthalle und
der Kraftraum sind jederzeit und kostenlos für Studenten zugängig, gespielt werden je nach
Belieben Hockey, Volleyball oder Badmiton. Sobald es wärmer wird, ist das Fußballfeld
draußen frei. Die Glåma kann man mit den Kanus, die der student association gehören,
erkunden. Im Winter kann man umsonst Skier und Schneeschuhe leihen und in ein
Skigebiet fahren. Größere Städte sind mit dem Zug in einigen Stunden zu erreichen, wer
früh bucht, spart. Ein eigenes Auto, zu mehreren geteilt, ist die günstigste Option und man
erreicht außerdem mehr Ziele.
Wer bei der Feldarbeit nicht dazu kommt, kann Tiere beobachten, manchmal sogar ohne das
Haus verlassen zu müssen. Die norwegischen Studenten gehen oft jagen und angeln,
Schusswaffen sind im Hörsaal allerdings verboten, seitdem eine Kugel beim Gewehrputzen
losging und neben dem Professor in die Wand einschlug.
In Nowegen gilt das Allemannsrett, das jedem erlaubt, in einigem Abstand zu Privatbesitz
draußen zu zelten, Feuer zu machen und Pilze zu sammeln. Davon sollte man unbedingt
Gebrauch machen und so werden die Ausflüge und Urlaube auch bezahlbarer.
Da der Campus so klein ist, lernt man sich schnell kennen und mögen. Zusammen kochen,
bierbrauen, brotbacken und feiern werden mir in Erinnerung bleiben. Die schönsten Partys
sind natürlich draußen am Feuer in den endlosen Sommernächten, in denen das Leben
unbeschränkt und die Zeit unendlich scheint...
Fazit
Die Organisation seitens der norwegischen Uni war beispiellos, die international
coordinators sind unglaublich hilfsbereit und kümmern sich um alles schnell und effizient.
Sowas habe ich noch nie erlebt. Man fühlt sich auf dem Campus gleich heimisch.
Das Erasmusgeld reicht leider nicht einmal um die Miete zu decken – Norwegen ist ein
teueres Land. Die Feldarbeit hat unglaublich Spaß gemacht und das Lernen geschieht ganz
nebenbei. Das einzige wirklich Schlechte ist das Töten der Mäuse, das meiner Meinung und
der meinnes supervisors und Chefs nach absolut unnütz ist. Auf diese Weise gewinnt man
keine brauchbaren Daten, da die geringen Verluste durch die Fallen von der hohen
Reproduktionsrate ausgeglichen werden. Außerdem landen in den Fallen fremde Arten wie
Vögel, quasi als Beifang. Weil man nicht alle Totfallen oft genug kontrollieren kann, dienen
die Kadaver nicht mal mehr einer Laboruntersuchung, da sie zu verrottet sind.
Ich habe nur gute Erfahrungen machen dürfen. Eine der eindrücklichsten Begegnungen
war es, wilden Rentieren allein im Wald gegenüberzustehen... Alles in allem hat das
Semester in Norwegen alle meine Erwartungen übertroffen. Why do all good things come to
an end? Nun muss ich leider schon wieder zurück nach Deutschland gehen und Evenstad
hinter mir lassen.
Norwegen ist ein fantastisches Land mit freundlichen Leuten und einer atemberaubenden
Natur, an der ich mich einfach nicht sattsehen kann, die mich gepackt und nicht mehr
losgelassen hat.
Am dankbarsten bin ich für die wundervollen internationalen Freundschaften, die unter der
Mittsommersonne geschlossen wurden und, da bin ich sicher, halten werden... Ich werde
alles daransetzten bald zurückzukommen und dann vielleicht sogar meinen Master hier zu
machen.
Erasmus, vielen herzlichen Dank für die finanzielle Unterstützung!
Norge, jeg elsker deg!
Ha det bra
Bitte entschuldigen Sie die Überlänge des Berichts. So viele Erfahrungen passen einfach nicht auf drei
Seiten...