Der Einsatz von Geografischen Informationssystemen im

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Der Einsatz von Geografischen Informationssystemen im
Der Einsatz von Geografischen Informationssystemen
im österreichischen Bundeskriminalamt
Karin KAMPITSCH, Michael LEITNER und Horst SCHABAUER
Zusammenfassung
Vor allem in den USA ist die Geoinformationstechnologie bereits ein wichtiger Bestandteil
für Exekutivorgane bei der Kriminalitätsbekämpfung. Auch in Österreich werden im Bundeskriminalamt (BK) Geografische Informationssysteme (GIS) zur kriminalpolizeilichen
Unterstützung eingesetzt. GIS dient als Werkzeug, um Straftaten geografisch visualisieren
und analysieren zu können. Die Kriminalitätskarten werden von Bediensteten der Polizei,
des BK und des Bundesministerium für Inneres (BMI) zur Schwerpunkterkennung von
bestimmten Straftaten, Streifeneinsatzplanung, Strafverfolgung, Präventionsmaßnahmen
und Ressourceneinsatz verwendet.
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Einleitung
1.1 GIS in der Kriminalanalyse – Entwicklungen in den USA
Seit den 1990er Jahren hat in den USA der Einsatz von GIS in der Kriminalanalyse stark an
Bedeutung gewonnen. Die GIS Forschungs- und Applikationsschwerpunkte liegen in der
Entwicklung von Analyse- und Modellierungsmethoden zur Identifikation von räumlichen
Kriminalitätsschwerpunkten (Hot Spots) (ECK et al. 2005), Untersuchung von räumlichen
Zusammenhängen zwischen Tatorten und sozial-ökonomischen Merkmalen der Bevölkerung und physischer Strukturmerkmale einer Stadt, Berechnung zukünftiger Trends von
Tatorten und Ursachen für die räumliche Verdrängung von Tatorten aufgrund Naturkatastrophen oder städtebaulichen Maßnahmen (LAWTON 2007). Dieser Trend wird gefördert
durch die Entwicklung von neuen Softwareprodukten für die räumliche Analyse und Modellierung von Verbrechen (z.B.: CrimeStat III) (LEVINE 2007), jährlichen Konferenzen
(z.B.: „Crime Mapping Research Conference“, NIJ 2008) regelmäßigen Workshops, Spezialausgaben in Fachzeitschriften und Ausbildungsschwerpunkten an Universitäten. Daraus
hat sich auch ein neues interdisziplinäres Berufsbild im Überschneidungsbereich zwischen
Strafjustiz, Geoinformation, Soziologie, Psychologie und der Politikwissenschaften entwickelt, welches als „GIS Kriminalanalytiker“ betitelt wird.
1.2 GIS im österreichischen Bundeskriminalamt
Seit 2004 wird GIS im BK zur Visualisierung von Straftaten zur kriminalpolizeilichen
Unterstützung eingesetzt. Ein GIS ermöglicht Kriminalanalytikern Hot Spots, sowie Zusammenhänge und Ursachen von Straftaten zu erkennen. Weiters wird GIS für Polizeiführungskräfte zur Streifeneinsatzplanung, Strafverfolgung, Grundlage für Präventionsmaßnahmen und Ressourcenplanung verwendet. GIS ist in der Abteilung Kriminalanalyse im
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BK angesiedelt, wobei räumliche Analysen sowohl im strategischen, als auch im operativen Bereich angewendet werden. Strategische GIS-Anwendungen dienen beispielsweise
zur Darstellung von örtlichen Kriminalitätssituationen und -schwerpunkten, Feststellung
von räumlichen Verdrängungseffekten, Auswertung von videoüberwachten Bereichen, etc.
GIS Anwendungen für die operative Kriminalanalyse sind beispielsweise Auswertungen
von Tätergruppen, Ruf- und Peilerdaten, Sonderkommissionen, etc.
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„Crime Mapping“
Die Kriminalitätskarte „Crime Map“ ist eine Kombination aus Kartenmaterial, Straftaten
und Analysemethode. „Crime Mapping“ ist die Fähigkeit, Verbrechen zu verorten und für
die Analyse auf einer Karte zu visualisieren. „Crime Mapping“ verwendet GIS als Werkzeug, um verschiedenste Datensätze in Form von Layern, wie beispielsweise soziodemografische Daten, Luftbilder, Tatorte, Orte von Waffenfunden und Spuren, Polizeidienstellen, etc. übereinanderlegen zu können (vgl. Abb. 1). Die darauf angewendeten Analysemethoden dienen beispielsweise zur Identifikation von Hot Spots, Trends und räumlichen
Mustern.
Abb. 1:
Visualisierung von Straftaten, soziodemografischen Daten und Hot Spots
Zur Generierung einer „Crime Map“ werden die gewünschten Straftaten von der Datenbank abgefragt, welche alle kriminalpolizeilich auswerterelevanten Daten aus der zentralen
Polizeidatenbank (Eigentumskriminalität, Sexualdelikte, Tötungsdelikte, etc.) filtert. Durch
eine dahinterliegende Adressdatenbank werden den Straftaten Koordinaten zugewiesen.
Anschließend werden die Daten in Punktform in ArcGIS 9.1 zur Visualisierung und Analyse importiert. Zu jeder Auswertung werden ein Analysebericht und eine ArcReaderkarte an
den jeweiligen Ansucher per Email gesendet, welche ihm einen geografischen Überblick
der Kriminalitätssituation ermöglicht. Die ArcReaderkarte erlaubt dem Benutzer selbst in
der Kriminalitätskarte zu navigieren, Layer ein- und auszublenden und Informationen zu
den einzelnen Straftaten zu erhalten.
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Räumliche Analyse und Modellierung von Verbrechen
3.1 Punktkarte
Die Punktkarte ist eine einfache und schnelle Darstellung von Objekten (z.B.: Straftaten) in
Punktform (vgl. Abb. 2). Dabei können beliebig viele Straftaten mit verschiedenen Symbolen gleichzeitig dargestellt werden. Diese Karte ist eine digitale Version von der klassischen „Pinnwand-Karte“. Der Vorteil dabei ist, dass der Benutzer auch Informationen zu
den Straftaten (z.B.: Delikt, Datum, Gut, Tathergang, etc.) erhält. Zusätzlich können dem
Punkt auch Dokumente oder Bilder hinzugefügt werden.
3.2 Dichtekarte
Die Dichtekarte dient zur Darstellung der räumlichen Verteilung von Straftaten. Mit der
Dichteanalyse ist es möglich örtliche Hot Spots zu identifizieren. Der grüne Bereich zeigt
beispielsweise eine geringe Dichte von Straftaten an, der rote Bereich eine hohe Konzentration von Straftaten in diesem Gebiet (vgl. Abb. 3).
Abb. 2: Punktkarte Wohnungseinbrüche
Abb. 3: Dichtekarte Wohnungseinbrüche
3.3 Veränderungskarte
Bei der Veränderungskarte wird die räumliche Zu- und Abnahme von Straftaten in einem
bestimmten Bereich visualisiert. Diese Analysemethode wird angewendet um zwei Dichtekarten desselben Delikts mit verschiedenen Zeiträumen vergleichen zu können. Die Karte
zeigt dabei die räumliche Verlagerung von Straftaten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Beispielsweise zeigt eine Farbe die Abnahme, eine andere die Zunahme von Straftaten
in dem jeweiligen Gebiet. Die Veränderungskarte ist vor allem bei Videoüberwachungsauswertungen (vgl. Abb. 4) sehr aussagekräftig, da man deutlich die räumliche Verdrängung der Straftaten erkennen kann.
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3.4 Tracking Analyse
Die Tracking Analyse dient zur Darstellung und Auswertung von Daten, bei welchen die
zeitliche Komponente der Sachdaten eine besondere Rolle spielt. Im BK wird die Tracking
Analyse hauptsächlich für Peiler- und Rufdaten eingesetzt. Ein Peiler ist ein GPSEmpfänger, welcher beispielsweise bei verdächtigen Zielfahrzeugen angebracht wird, um
die Route des Zielfahrzeuges verfolgen zu können. Unter Rufdaten werden Telekommunikationsdaten von Handys und Festnetztelefonen bezeichnet. Bei Peilerdaten wird die Route
des Zielfahrzeuges auf dem Bildschirm animiert nachgestellt (vgl. Abb. 5). Relevante Straftaten, die zeitlich und örtlich in einem Nahverhältnis zum Standpunkt des Zielfahrzeuges
stehen, werden gesondert dargestellt. Bei einer Rufdatenauswertung können die Standpunkte von Telekommunikationsdaten dargestellt werden. Somit wird ersichtlich, in welchem
Sendebereich sich das Zielobjekt zu einer bestimmten Zeit aufhält.
Abb. 4: Auswertung Videoüberwachung
Abb. 5: Auswertung Peilerroute
3.5 Räumlich-Statistische Analyse
Zukünftige Schwerpunkte werden vor allem im Bereich der Räumlichen-Statistischen Analyse liegen. Das Ziel der räumlichen Punktmusteranalyse ist das Verstehen und Erkennen
von Prozessen, die zum Entstehen dieses Punktmusters geführt haben. Ein räumliches
Punktmuster besteht aus zwei Hauptkomponenten: die Punkte, welche die Objekte repräsentieren (z.B.: Wohnorte von Opfer; Tatorte; Adresse einer Bank, die ausgeraubt wurde,
etc.) und das geografische Gebiet, in der die Punkte liegen (z.B.: Zählsprengel, Gemeinde,
Bezirk, Shopping City Süd, das Wiener Becken, etc.). Wichtige räumliche Analysen sind
Beschreibung der räumlichen Verteilung von Tatorten (z.B.: Mittelpunkt eines Punktmusters, Streuung um den Mittelpunkt, räumlichen Autokorrelation), Distanzanalysen (z.B.:
Nächste Nachbar Statistik, Ripley’s K Statistik), Hot Spot Analysen (z.B.: Nächste Nachbar
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Hierarchische Cluster Analyse), Kern-Dichte Schätzung, Raum-zeitliche Analysen und
„Criminal Geographic Profiling“-Methoden (z.B.: „Journey-to-Crime“).
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Projekte
4.1 Kriminalitätsatlas Österreich
Seit März 2008 ist der „Kriminalitätsatlas Österreich“ in Betrieb, wobei es sich um eine
Webseite handelt, welche für alle 27.000 Bediensteten des BMI zugänglich ist. Der „Kriminalitätsatlas Österreich“ ermöglicht diesen Bediensteten die Kriminalität aus geografischer Sicht zu betrachten und Informationen über die Anwendungsbereiche von GIS im
Sicherheitsmanagement zu erhalten. Im Kriminalitätsatlas sind die Karten nach Bundesländern oder bestimmten Themen gegliedert, wobei die Straftaten minutenaktuell anzeigt
werden. Der Benutzer hat die Möglichkeit in der Karte zu navigieren und die Straftaten der
letzten 24 Stunden, 72 Stunden, sieben Tage, der gesamten Straftaten im Monat und der
vergangenen Monate nach verschiedenen Deliktsbereichen (z.B.: Trickdiebstahl, KfzEinbruchsdiebstahl, Geschäftseinbruchsdiebstahl, Wohnungseinbruchsdiebstahl, etc.) einzublenden. Zusätzlich sind Dichtekarten für jedes Monat inkludiert, um die Kriminalitätsschwerpunkte monatlich miteinander vergleichen zu können. Der Kriminalitätsatlas kann
für Entscheidungsträger als effektives strategisches Planungswerkzeug eingesetzt werden,
da vor allem die Erkennung von Serien auf einen Blick möglich ist.
4.2 „Criminal Geographic Profiling“
„Criminal Geographic Profiling“ ist ein Werkzeug, um den Wohnstandort eines Serientäters mit möglichst hoher Genauigkeit zu modellieren (CANTER 2003, ROSSMO 2000). Dabei
sind verschiedene Konzepte und Theorien notwendig, um die räumliche Verteilung von
Straftaten verstehen und vorhersagen zu können (BRANTINGHAM 1981). Zu diesen Konzepten und Theorien gehören u. a. Aktions- und Bewusstseinsraum, Theorie der Routine Aktivitäten, Prinzip des geringsten Aufwands, Theorie der rationalen Wahl und Serientäter
Typologie. Der Aktionsraum ist ein Teil einer Stadt oder Region, die der Täter sehr gut
kennt (z.B.: Fahrt zum Arbeitsplatz, Spaziergang, Besuch von Freunden, etc.). Die meisten
Verbrechen werden im Aktionsraum verübt, da der Täter sich hier sicher fühlt. Der Bewusstseinsraum ist ein Teil einer Stadt oder Region, die der Täter vom „Hörensagen“ kennt
(z.B.: aus Zeitungen, vom Fernsehen, von Erzählungen, etc.). Weiters unterscheidet man
beim Täter zwei wichtige Typen, den Plünderer („Marauder“) und den Pendler („Commuter“). Der Plünderer verübt seine Tatorte in seinem Aktionsraum, meist um seinen Wohnstandort herum. Der Pendler begeht seine Tatorte im Bewusstseinsraum. Aufgrund dieser
Ansätze generiert das System eine Karte mit dem wahrscheinlichsten Wohnstandort des
Serientäters.
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Zukünftige Entwicklungen
GIS befindet sich im BK seit vier Jahren im Aufbau, jedoch ist die Bedeutung über die
Anwendungen der Geoinformationstechnologie im kriminalpolizeilichen Bereich im BMI
noch wenig verbreitet. Daher liegen die momentanen und zukünftigen Schwerpunkte im
Schärfen des Bewusstseins der Relevanz von GIS in der Kriminalanalyse bei den Bediensteten der Polizei, des BK und des BMI. Dazu werden Workshops, Fachtagungen, Schulungen und Präsentationen regelmäßig durchgeführt, um die Bediensteten mit GIS vertraut zu
machen. Auch die Ausweitung auf internationaler Ebene, wie Europol und Interpol, sind
von hoher Bedeutung und Notwendigkeit (z.B.: betreffend Schengenerweiterung). Zukünftige Anwendungen sind im Bereich der Forensischen Analyse (Visualisierung von DNATreffer und Schuhabdrücken), organisierter Kriminalität (z.B.: Schlepperei, Drogenhandel),
Jugendkriminalität und Sexualstraftäter geplant. Räumliche Auswertungen werden vor
allem bei Großveranstaltungen, wie beispielsweise bei der Fußballeuropameisterschaft
2008 in Österreich, eine bedeutende Rolle spielen.
Literatur
BRANTINGHAM, P. J., & BRANTINGHAM, P. L. (1981): Environmental criminology. Beverly
Hills, CA, Sage.
CANTER, D. (2003): Mapping murder: Secrets of geographic profiling. London, Virgin.
ECK, J., CHAINEY, S. P., CAMERON, J., LEITNER, M. & WILSON, E. (Eds.) (2005): Mapping
Crime: Understanding Hotspots. Washington DC, National Institute of Justice.
LAWTON, B. A. (2007): Assessing the impact of Hurricane Katrina on space-time clusters
of crime patterns in Houston. Ninth Crime Mapping Research Conference, Pittsburgh,
PA, March 28-31, 2007, http://www.ojp.usdoj.gov/nij/maps/pittsburgh2007/index.html).
LEVINE, N. (2007): CrimeStat: A spatial statistics program for the analysis of crime incident locations (Version 3.1). Houston, TX: Ned Levine & Associates and Washington
DC, National Institute of Justice.
NIJ – NATIONAL INSTITUTE OF JUSTICE (2008):
http://www.ojp.usdoj.gov/nij/maps/about.htm.
ROSSMO, K. D. (2000): Geographic Profiling. Boca Raton, FL, CRC Press.