Haelos

Transcrição

Haelos
oxpress
Haelos
Wer an den guten alten TripHop denkt, liegt
nicht falsch: Die Londoner machen Musik für
den Moment, wenn sich die Anonymität der
urbanen Nacht in Intimität auflöst.
Die Jubiläumseditionen der großen Alben der
i99oer-Jahre erscheinen längst so regelmäßig,
dass man gar nicht mehr darüber nachdenkt,
was die Jahreszahlen überhaupt zu bedeuten
haben. 2014:20 Jahre DUMMY von Portishead
und 20 Jahre PROTECTION von Massive
Attack. Man muss sich das vor Augen führen:
Als sich Oasis 1991 gründeten, hatten sich The
Jam noch keine neun Jahre aufgelöst. Und
trotzdem galten Oasis als „Retro" und die
alten The-Jam-Smasher als Oldies.
Für die jüngere Generation ist TripHop
damit streng genommen Oldie-Musik,
Dominic Goldsmith muss schmunzeln: Auf
den Oldie-Sendern, die er so kennt, laufen die
Weil die Band nach
dem Erfolg ihres Debütsongs „Dust" noch keine
Pressebilder hatte, legten sie ihre Gesichter
auf einen Fotokopierer.
T
Dominic Goldsmith
findet: KID A von
Radiohead ist das IGT.
PEPPER'S der digitalen
Generation.
T
Im albernen Big-Beattrifft-Britpop-Song
„Tequila" von
Terrorvision sang Lotti
Benardout Ende der
90er in einem Mädchenchor: „Tequila, it makes
me happy. Con Tequila,
it feels fine."
Bay City Rollers oder Herman's Hermits. TripHop eher nicht. Dennoch: „Es ist Musik, die
anders klingt, als sie es heute tut", sagt der
Klangverantwortliche des Londoner Trios.
„Portishead und Massive Attack stehen für
eine Art von elektronischer Musik, die es in
unseren Augen heute kaum noch gibt: Technik
trifft Seele." Ein schöner Claim ist das - da
werden die Marketingabteilungen der Autoindustrie hellhörig. Was er meint: Nicht die Presets der optimierten Software sollen den
Sound bestimmen, sondern analoge Instrumente, in Kleinarbeit gesampelt - fast so akribisch wie seinerzeit DJ Shadow aufENDTRODUCING ... (20. Geburtstag: in diesem Jahr).
Neben Goldsmith spielen bei Haelos noch
zwei weitere junge Menschen: Arthur Delaney
und Lotti Benardout singen die Songs des ersten Albums FÜLL CIRCLE sehr häufig gemeinsam, der Vergleich zu The xx ist naheliegend.
Und der Effekt, Mädchen und Junge auf Basis
elektronischer Nachtschattenmusik zusammen singen zu lassen, ist einfach zu gut, um
nicht weitere Kreise zu ziehen. Der Hörer hat
sofort konkrete Bilder im Kopf: Großstadt im
Regen, das Neonlicht fahl, die Drogen aufgebraucht, Sex als vage Option - ein bittersüßes,
urbanes Delirium. Hados spielen die Musik,
die man hört, wenn man sich nach der Anonymität einer Clubnacht nach ein bisschen Intimität sehnt. Soweit sind Portishead nie gegangen: Wenn Beth Gibbons singt, bleibt Isolation
die prägende Emotion. „Unsere Musik soll ein
Gefühl der Zusammengehörigkeit herstellen",
sagt Dom Goldsmith, „auch als Antwort auf
das Leben in einer Großstadt wie London."
Dass die Metropole die Band stark beeinflusst,
bestätigt Lotti, deren Stimme auch mal Fahrt
aufnimmt und die Schläfrigkeit wegfegt:
„Ohne London gäbe es diese Platte nicht. Hier
haben wir unser Leben verbracht. Jetzt kommen wir mal raus, ich bin gespannt, wie sich
das auf die Musik auswirkt." Andre Boße
Albumkritik S. 82
K U R Z UND G
Palehound
Was: Ellen Kempners Indie-Rock ist eine
auf höchst charmante Weise flatterhafte
Angelegenheit: Mal gibt es feines Fingerpicking, mal psychedelisch-leiernde
Jingle-Jangle-Gitarren, mal ist sie in
den Texten kribbelig vom verdrängtem
Liebeskummer, mal „too stoned to take
antibiotics".
Woher: Boston
Warum: Nicht nur musikalisch erinnern
die Songs an Liz Phair und andere 9OerIndie-Perlen. Kempner hat ein Händchen
für schöne, leicht verschleppte Lieder,
die das Gefühlschaos, die das Leben
Anfang zwanzig mit sich bringt, in kleine,
weise Momentaufnahmen gießt, äs
Jain
Was: Jain ist ein Poster-Girl der globalisierten Welt. Geboren in Frankreich,
aufgewachsen in Saudi-Arabien und im
Kongo, macht die 23-Jährige Popmusik
mit ebenso weitverzweigten Wurzeln:
Elektronik der französischen Schule,
afrikanische Rhythmen, Worldbeat,
Ethno-Jazz und HipHop.
Woher: Toulouse
Warum: Weil die Songs auf ZANAKA so
aufgeheizt, so ansteckend und kosmopolitisch klingen. Jain ist so etwas wie das
Love Child von M.I.A. und Miriam Makeba mit ordentlichen Popmelodien, äs
T
Klingt wie:
Massive Attack, The xx,
The Beloved
BigUps
Was: Die vier New Yorker schreiten mit
ihrer Punk- und Postpunk-Musik die
feine rote Linie der langen Hardcore-Tradition ab: Man hört Einflüsse von Black
Flag, von Fugazi und Jesus Lizard, aber
auch von den Pixies. Und vor allem: diese
tolle laute, jugendliche Wut.
Woher: Brooklyn
Warum: Auf ihrem Debüt EIGHTEEN
HOURS OF STATIC kanalisieren die NYUAbsolventen um Sänger Joe Galarraga
den aufgestauten Zorn in das feine Psychogramm junger Menschen und ihrem
gesellschaftlichen Unbehagen, äs
Videos iv allen Acts im ME-Radar 4/14
ab jetzt unter: musikexpress.de/Radar
me.29