1 Das ElterngeldPlus wird ein Jahr und lernt laufen Von Irene

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1 Das ElterngeldPlus wird ein Jahr und lernt laufen Von Irene
Das ElterngeldPlus wird ein Jahr und lernt laufen
Von Irene Gerlach und Regina Ahrens
Die Einführung des Elterngeldes mit Lohnersatzcharakter 2007 war einer der größten, wenn nicht der
größte Systemwechsel im deutschen Familienlastenausgleich. Ganz bewusst wurde der Elterngeldbezug auf einen Zeitraum von 12 und bei Wechsel der Betreuung zwischen den Eltern 14 Monaten beschränkt. Die Eltern haben auf diese Rahmenbedingungen reagiert. Die Geburtenrate ist in den letzten Jahren stetig gestiegen – von 1,34 Kindern pro Frau 2005 auf 1,47 im Jahr 2014.
Vieles spricht dafür, dass Eltern die Rahmenbedingungen der Elternzeit und die deutlich verbesserte
Kinderbetreuungsinfrastruktur heute als gute Ausgangsbedingungen für die Verwirklichung ihrer Kinderwünsche ansehen.
Bis zum 1. Juli 2015 wurde jedoch eine Gruppe von Eltern massiv benachteiligt: diejenigen, die schon
im ersten Lebensjahr des Kindes wieder in Teilzeit erwerbstätig sein wollten. Ihr Einkommen aus der
Teilzeittätigkeit wurde auf das Elterngeld angerechnet (letzteres dabei also stark reduziert) und beim
Bezugszeitraum blieb es bei maximal 14 Monaten. Das heißt, es bestanden deutliche Anreize, in den
ersten 14 Monaten nach der Geburt eines Kindes nicht erwerbstätig zu sein. Und das auch aufgrund
der quasi nicht vorhandenen Betreuungsplätze für unter Einjährige. In der familienwissenschaftlichen
Fachöffentlichkeit wurde daher von einer „einseitigen Lenkungswirkung des Elterngeldes“ gesprochen.
Mit der seit dem 1. Juli 2015 geltenden Neuregelung können Eltern, die Teilzeit beschäftigt sind, das
ElterngeldPlus beantragen. Es umfasst maximal die Hälfte des Betrages, den sie beim ausschließlichen Bezug von Elterngeld (Basiselterngeld) erhalten hätten. Dabei verdoppelt sich der Bezugszeitraum, wodurch das Elterngeld-Budget besser ausgeschöpft werden kann. Teilen sich Vater und Mutter die Betreuung ihres Kindes und arbeiten parallel für vier Monate zwischen 25 und 30 Wochenstunden, erhalten sie zudem einen Partnerschaftsbonus: Sie bekommen für diese vier Monate jeweils
vier zusätzliche ElterngeldPlus-Beträge. Ein schnellerer beruflicher Wiedereinstieg sowie die partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit werden damit attraktiver. Die Zahlen zum ElterngeldPlusBezug sind steigend (von 13,8% im 3. Quartal 2015 auf 16,3% im 4. Quartal 2015 auf 17,4% im 1.
Quartal 2016). Allerdings entschieden sich im 1. Quartal 2016 nur 9,3% der Väter für ElterngeldPlus
(im 4. Quartal 2015 waren es 7,5%).
Warum ist das so? Drei Gründe lassen sich identifizieren. Langfristig werden Elterngeld und Elternzeit
zu einer Angleichung der Einkommen von Männern und Frauen beitragen, da sie die von der Arbeitswelt als „Dequalifizierung“ wahrgenommenen langen Familienzeiten der Frauen deutlich verkürzen
werden. Gegenwärtig gibt es aber die Lohnlücke zwischen Müttern und Vätern noch und es ist nur
allzu verständlich (für die wirtschaftliche Basis der Familie oft auch unverzichtbar), dass die Eltern einer Logik der ökonomischen „Optimierung“ folgen.
Hier zählt nicht nur die Tatsache, dass Elterngeld im Vollbezug als 65% des Nettoeinkommens im Jahr
vor der Geburt des Kindes maximal 1.800 € betragen kann und damit Väter (und in geringerer Zahl
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natürlich auch Mütter), die mehr als 2.769 € netto verdienen, beim Bezug von Elterngeld Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Das war politisch so gewollt, führt aber in der Konsequenz nicht
dazu, die Weiblichkeit der Familienarbeit „aufzubrechen“.
Beim ElterngeldPlus ist darüber hinaus zu beachten, dass sich die Leistung als Differenz zwischen Nettoeinkommen vor der Geburt und Einkommen aus der Teilzeittätigkeit nach der Geburt berechnet,
was dazu führt, dass die gezahlte Leistung insbesondere bei vollzeitnaher Teilzeit sehr gering ausfallen kann. Nur wenn die Eltern das ElterngeldPlus und den Partnerschaftsbonus für den maximalen
Bezugszeitraum in Anspruch nehmen, schöpfen sie ihr Elterngeld-Budget optimal aus.
Ein zweiter Grund für eine mögliche Zurückhaltung bei der Beantragung von ElterngeldPlus liegt in
der Kompliziertheit der Prozedere – sowohl für Eltern als auch für Arbeitgebende. Letztere müssen
vorab nicht nur Teilzeit-Tätigkeit, Stundenumfang sowie voraussichtliches Einkommen während des
ElterngeldPlus-Bezugs bescheinigen, sondern auch mögliche Änderungen wie die Überschreitung der
vorab angegebenen Stunden überwachen. Überstunden müssen innerhalb eines Bezugs-Monats ausgeglichen werden, da sonst eine entsprechende Änderung beantragt und genehmigt werden muss.
Hinzu kommt, dass Elterngeld für Lebensmonate gewährt wird. Für alle Eltern, deren Kind nicht am 1.
eines Monats geboren wurde, ergeben sich also Verschiebungen zwischen (dem für das Elterngeld
relevanten) Lebensmonat und dem (für das Gehalt relevanten) Kalendermonat. Da Eltern für jeden
Lebensmonat wählen können, ob sie Basiselterngeld oder ElterngeldPlus (jeweils mit oder ohne Teilzeit-Erwerbstätigkeit) beziehen möchten, ergeben sich zudem unzählige Kombinationsmöglichkeiten.
Was unter dem Strich finanziell dabei herauskommt, lässt sich im Vorfeld nur schwer abschätzen.
Und schließlich gibt es einen dritten Grund für die Zurückhaltung: Das Angebot an Betreuungsplätzen
für Kinder, die das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist nicht nur nicht ausreichend,
Plätze müssen in den Kommunen von den Eltern erkämpft bis eingeklagt werden. Obwohl berufstätige Eltern seit 2005 einen Anspruch darauf haben.
Hinzu kommt eine Praxis der Tagesbetreuungseinrichtungen: Eltern, die ElterngeldPlus beziehen und
Familien- und Erwerbsarbeit vereinbaren wollen, brauchen häufig keinen 45-Stunden-Betreuungsplatz, sie werden aber von vielen Einrichtungen bzw. Kommunen zu entsprechenden Verträgen genötigt (und bezahlen in vollem Umfang, obwohl sie die Betreuungsstunden nicht komplett nutzen).
Mit dem Elterngeld und dem ElterngeldPlus hat sich die deutsche Familienpolitik auf den richtigen
Weg gemacht und zu deutlichen Änderungen des Verhaltens von Müttern und Vätern beigetragen.
In vielen Details zwischen Beantragung und Praxis schlummert aber noch der Teufel, dem durch
weitere Feinjustierungen der Garaus gemacht werden sollte.
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