Sichtbare Pflegequalität
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Sichtbare Pflegequalität
Fokus Sichtbare Pflegequalität Erfolgsfaktor für das Alters- und Pflegeheim Pflegequalität ist ein Muss. Doch woran erkennen wir diese, was tun wir konkret dafür, was überlassen wir dem Zufall, wie viel können und wollen wir in Zeiten schwindender Ressourcen investieren? Schwer lastet auf den Führungspersonen der tägliche Spagat zwischen den ökonomischen, betrieblichen Rahmenbedingungen und den Erwartungen der verantwortlichen Gremien, von Bewohnern1 und Personal. Die Erfahrung zeigt indes, sichtbare Pflege- und Versorgungsqualität ist heute ein Marktvorteil, der sich mittelfristig in zufriedenen Bewohnern, engagiertem Personal und guten Betriebsergebnissen niederschlägt. Elsbeth Luginbühl Die Forderung nach guter Qualität der Pflege in Alters- und Pflegeheimen ist hochaktuell und seit der Einführung der neuen Pflegefinanzierung steigen auch die Qualitätsanforderungen. Foto: Werner Krüper 1 Die männliche Form gilt auch für die weibliche und umgekehrt. 44 D ie Forderung nach guter Qualität der Pflege in Alters- und Pflegeheimen ist hochaktuell und seit der Einführung der neuen Pflegefinanzierung steigen auch die Qualitätsanforderungen. Die Kostenträger, allen voran die öffentliche Hand und die Krankenversicherer, fordern zu Recht gute Qualität für Dienstleistungen, die sie bezahlen. Je nach Standpunkt sind die Erwartungen jedoch unterschiedlich. So erwarten die Krankenversicherer, dass die verrechenbaren Leistungen in der erforderlichen Qualität und vom richtigen Personal erbracht und ausgewiesen werden, die Bewohner und ihre Angehörigen wünschen, dass der Bedarf an Pflege sorgfältig abgedeckt wird und die Lebensqualität im Heim den Bedürfnissen und ihren Erwartungen entspricht. Kantonale Behörden schliesslich knüpfen immer mehr Betriebsbewilligungen und Leistungsverträge an konkrete Vorgaben für und Forderungen an die Leistungserbringer. Dabei stützen sich alle auf die klare Forderung im Krankenversicherungsgesetz, dass die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit aller kostenpflichtigen Leistungen nachzuweisen ist. Im Unterschied zu anderen Branchen wie der Lebensmittelindustrie oder der Luftfahrt fristet das Thema Qualität im Gesundheitswesen und damit auch in der Pflege immer noch ein Schattendasein. Zwar wird Qualität auch da als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, doch konkrete Massnahmen sind weder etabliert noch verbindlich festgelegt. Argumentiert wird gerne mit der Tatsache, dass in der Pflege subjektive Faktoren wie die Beziehungsgestaltung oder die Individualität der Bewohner im Zentrum stehen, diese allerdings nur schwer gemessen, geschweige denn verbindliche Kriterien dafür festgelegt werden können. Zudem existiert vereinzelt immer noch die Auffassung, dass Pflege aus einer Mischung von Fachwissen, Erfahrung und Herz besteht und die Pflegequalität somit von jeder Fachperson individuell beurteilt wird. Dies widerspricht jedoch der heutigen Auffassung von professioneller Pflege und einem Pflegeverständnis, wie es als state of the art heute gelehrt wird. NOVAcura 2|14 Fokus Pflegequalität sichtbar machen: Was braucht es? Am Anfang jeden Qualitätsmanagements steht die Frage nach dem Qualitätsniveau, das erreicht werden soll. Dazu müssen objektive und messbare Kriterien definiert werden. Dabei findet immer ein Ist-Soll-Vergleich zwischen der Alltagspraxis und dem angestrebten Qualitätsniveau statt. Entwicklungen in der Pflegequalität können nur sichtbar gemacht werden, wenn die Messkriterien eindeutig formuliert sind. Als Ausgangspunkt für ein definiertes Qualitätsniveau kann das Anspruchsniveau einer externen Zertifizierungsstelle dienen. So wurden beispielsweise Stationen in zwei Alters- und Pflegeheimen der logisplus AG in Köniz2 durch die Zertifizierungsstelle Concret AG hinsichtlich ihrer Qualität überprüft. Irene Schläpfer, Ressortleiterin Pflege, Betreuung und Therapie in der logisplus AG, zum vorgegebenen Anspruchsniveau: «Die Concret-Normen geben eine Richtschnur vor, sind deshalb hilfreich und wir können uns daran orientieren. Die Normen bilden die Grundlage für die systematische Reflexion und kontinuierliche Verbesserung der Aufbau- und Prozessorganisation. Das Anspruchsniveau der Normen orientiert sich an anerkannten und hinterlegten Fakten/Sachverhalten.» Qualitätsmanagement ist Führungsaufgabe Qualitätsmanagement ist, wie der Begriff bereits deutlich macht, eine zentrale Managementaufgabe. Der Aufbau und die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QM-Systems), sei dies übergeordnet oder spezifisch für die Kerndienstleistung Pflege, verlangt eine strategische Entscheidung und ein klares Bekenntnis der operativen Führung. Die entsprechende Kommunikation im Betrieb und die Integration der Mitarbeitenden sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren. Soll die Qualitätsentwicklung erfolgreich sein und einen Mehrwert für alle Beteiligten bringen, darf diese nicht als technokratischer Akt verstanden werden. Voraussetzung ist der Wille der Führungspersonen, den Betrieb und die Dienstleistungen kritisch zu hinterfragen, Schwächen zu identifizieren und gemeinsam in einen Lern- und kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu treten. In der Folge ist die konsequente Umsetzung der Qualitätsvorgaben auf allen Stufen unabdingbar. Irene Schläpfer: «Wir wollten unsere erbrachten Leistungen hinterfragen und auf Effizienz überprüfen. Ausschlaggebend war unser Skill-Grade-Mix-Projekt zur effizienten Arbeitsorganisation und Aufgabenteilung und die damit verbundene Vorgabe, den Stellenplan auf die Richtstellen (Kanton Bern GEF-Vorgaben) zu reduzieren. Die erste Erhebung sollte als Ausgangslage dienen und unser Qualitätsniveau festhalten. Ich versprach mir davon eine StandNOVAcura 2|14 ortbestimmung, die uns aufzeigen sollte, welche Themen prioritär zu bearbeiten sind.» Aufbau eines QM-Systems Wählt ein Altersund Pflegeheim den Weg der Zertifizierung oder der Standortbestimmung durch eine externe Stelle, ist das Anspruchsniveau vorgegeben und gilt somit als Referenzrahmen. Die regelmässigen externen Überprüfungen sichern die Nachhaltigkeit des Qualitätsniveaus. Im Zusammenhang mit der Qualitätsentwicklung und dem Qualitätsmanagement in der Pflege ist eine Reihe von Elementen bedeutsam: Vorgaben wie Standards, Handlungsanleitungen oder Richtlinien dienen als Grundlage für die typischen Pflegesituationen im Alters- und Pflegeheim. Die korrekte Ausführung der Pflegehandlungen gemäss den Vorgaben gewährleistet, dass die Pflegemassnahmen in konstanter, gleichbleibender Qualität ausgeführt werden, und vermittelt den Mitarbeitenden Sicherheit. Bedingung ist, dass die Vorgaben aktuell sind und dem heutigen Wissensstand entsprechen. Die Umsetzung in der Praxis durch die Mitarbeitenden ist regelmässig zu überprüfen. Die Pflegedokumentation auf der Grundlage des Pflegeprozesses ist ein zentrales Instrument, um die ausgeführte Pflege sichtbar zu machen. Durch regelmässige Überprüfungen wird sichergestellt, dass die Führung der Pflegedokumentation korrekt erfolgt. Ein sicherheitsrelevantes Element des QM-Systems in der Pflege ist die Risikoerfassung. Ausgehend vom Profil der Bewohner, werden dabei die Risiken definiert, denen die Bewohner aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt sind. Dabei muss ein Verfahren festgelegt werden, wie und nach welchen Vorgaben die Risiken erfasst werden und welche Massnahmen daraus abzuleiten sind. Elsbeth Luginbühl absolvierte verschiedene Ausbildungen in Pflege, Pädagogik und Management und sammelte in diesen Bereichen eine reichhaltige Berufserfahrung. Sie ist Geschäftsführerin der Concret AG, einer von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) akkreditierten Zertifizierungsstelle für Managementsysteme in der Pflege. Von einem funktionierenden QM-System kann gesprochen werden, wenn die aus den Überprüfungen abgeleiteten Verbesserungsmassnahmen umgesetzt sind. Damit ein kontinuierlicher Verbesserungszyklus gewährleistet ist, gilt es dann, die Wirksamkeit der Verbesserungsmassnahmen erneut zu überprüfen. Irene Schläpfer: «Die zu verbessernden Massnahmen müssen nach dem PDCA3-Zyklus entwickelt, gesteuert und umgesetzt werden. Sie müssen also geplant, umgesetzt, überprüft und verbessert werden. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Abteilungsleitung in der Führungsverantwortung zu. Sie leitet ihre Mitarbeitenden an, überprüft, ob die Massnahmen gemäss den definierten Normen umgesetzt werden, korrigiert Abweichungen und meldet Weiterentwicklungsbedarf. Sie setzt mit den Mitarbeitenden die Ziele fest und be- 2 Die logisplus AG in Köniz führt u.a. zwei Alters- und Pflegeheime, eine Hausgemeinschaft für pflegebedürftige Menschen und Wohnungen für Senioren. Ein weiteres Angebot ist der Mahlzeitendienst für Senioren in der Gemeinde Köniz. 3 PDCA steht für plan, do, check, act 45 Fokus urteilt im Mitarbeitergespräch die Einhaltung der normativen Vorgaben. Im Weiteren dienen uns auch weitere Qualitätsauswertungen wie die Auswertung der RAI-Qualitätsindikatoren zur Messung und zum Vergleich.» QM-System und Verbesserungszyklus Ein QM-System umfasst Strukturen, Verfahren, Prozesse und Ressourcen, die es ermöglichen, dass das System auf Sicherung und Erhaltung ausgerichtet ist und die Nachhaltigkeit zum Ziel hat. Ein wesentlicher Grundgedanke ist, dass vorausschauend mögliche Problembereiche erfasst werden. Fehler oder sicherheitsgefährdende Ereignisse sollen erkannt und geeignete Massnahmen zu deren Verhinderung festgelegt werden. Wie bereits erwähnt, trägt die Leitung die nicht delegierbare Verantwortung für ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem und muss für die konsequente Umsetzung auf allen Hierarchiestufen sorgen. Das Bild des Mobiles illustriert das erfolgreiche Zusammenwirken von Strukturen und Prozessen. Veränderungen, etwa solche des Bewohnerprofils (Bewohner mit Demenz), erfordern Anpassungen von verschiedenen Elementen wie z.B. die Erweiterung der Fachexpertise der Mitarbeitenden mittels Fallbesprechungen oder die Anpassung der Prozessorganisation. Ziel ist, dass das Mobile bzw. das Qualitätsmanagement im Gleichgewicht bleibt. Irene Schläpfer geht Verbesserungen in der logisplus AG so an: «Die Bezugspflege und Angehörigenarbeit wurde in den Abteilungen der verschiedenen Standorte unterschiedlich durchgeführt. Wir haben ein einheitliches Bezugspflegekonzept erarbeitet, einen Standard entwickelt und werden nun in jeder Abteilung, aufbauend auf dem jeweiligen Stand der Umsetzung, den Standard implementieren. Die Erstellung von Prozessabläufen zeigt die Schnittstellen auf, was den Dialog zwischen den verschiedenen Bereichen fördert. Es dient schlussendlich dem Bewohner und der Zusammenarbeit, wenn entlang der Prozesskette alle Beteiligten ihre Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen kennen.» Nutzen eines QM-Systems in der Pflege Ein QM-System muss in erster Linie zwingend einen sichtbaren Nutzen für die Bewohner und ihre Angehörigen bringen, aber auch die Institution und die Mitarbeitenden profitieren davon. In Balance: der Nutzen eines QM-Systems für die Bewohner, Angehörigen, Mitarbeitenden und für die Institution. Abbildung: zVg 46 Nutzen für die Bewohner: Gewährleistung der Sicherheit und Transparenz in allen Prozessen Sicherstellung der Kontinuität in der Pflege/Betreuung der Bewohner personenunabhängige und bedarfsorientierte Leistungserbringung. Nutzen für die Institution: Erhalt und kontinuierliche Verbesserung/Weiterentwicklung der Pflege und Betreuungsqualität gemäss state of the art zufriedene, vor Schaden geschützte Bewohner zweckmässige Ressourcen- und Synergienutzung Standardisierung der Prozesse und damit Verkürzung der Einführungszeit von neuen Mitarbeitenden sowie erhöhte Flexibilität beim Personaleinsatz in verschiedenen Abteilungen transparente Qualitätsnachweise gegenüber den Bewohnern/Angehörigen und potenziellen Kunden, gegenüber den Krankenkassen und Behörden sowie generell gegenüber der Öffentlichkeit. Nutzen für die Mitarbeitenden: Schaffung attraktiver Arbeitsorte für qualifizierte Pflegefachpersonen durch nachweislich gute Pflegequalität und bedarfsgerechte Personalentwicklung Sicherheit in der Ausübung der Tätigkeit durch geregelte und verbindliche Strukturen/Prozesse Gewährleistung, dass die Pflege/Betreuung nach den neuesten Erkenntnissen erfolgt Durch die kontinuierlichen Qualitätsentwicklungsmassnahmen in der Praxis wird Qualität zum benennbaren und konkreten Thema für die Mitarbeitenden und erhöht wiederum deren professionelles Handeln. Irene Schläpfer über den Nutzen der Qualitätsüberprüfung: «Grundsätzlich kann gesagt werden, dass das auf der Grundlage der Qualitätsüberprüfung durchgeführte Projekt der effizienten Aufgabenteilung und Arbeitsorganisation von sehr grossem Nutzen war. Durch das definierte Qualitätsniveau von angemessener Pflege, die klar definierte Aufgabe der Prozessverantwortung der diplomierten Pflegefachperson und das Arbeiten nach klaren Delegationskriterien gab es Entlastung für diese Mitarbeiterinnen und eine Klarheit, für welche Arbeiten sie die Endverantwortung tragen. Also in den Normen der Prozessorganisation in der Pflege.» Papier ist bekanntlich geduldig und nur die Tatsache, dass die Vorgaben in der Praxis auch wirklich umgesetzt werden und ihre Umsetzung regelmässig überprüft wird, gewährleistet einen Nutzen für alle Beteiligten. Eine nachweislich sichtbare Qualität der erbrachten Pflege erhöht die Glaubwürdigkeit eines jeden Alters- und Pflegeheimes. Der Erhalt und die kontinuierliche Verbesserung der Pflegequalität verhindert Missstände, ist effizienzsteigernd, erhöht die Attraktivität für das Personal, gewährleistet die Zufriedenheit der Bewohner und ihrer Angehörigen und ist damit ein zentraler Erfolgsfaktor für Langzeitpflegeinstitutionen. NOVAcura 2|14