Marktmacht OTT-Anbieter
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Marktmacht OTT-Anbieter
36 Mobile-Solutions Over-the-top-Dienste Wertschöpfungskiller OTT? Die Deutschen verschicken mehr SMS denn je – und trotzdem hat sich der Umsatz der Telekommunikationsunternehmen laut Branchenverband VATM in diesem Bereich seit 2008 nahezu halbiert. Services wie „WhatsApp“ haben die Branche grundlegend verändert. Diese so genannten „Over-the-top“(OTT)-Anbieter ermöglichen ihren Kunden die kostenlose Übermittlung von Text-, Video- und Audioinhalten. Auf diese Weise setzen sie Mobilfunk- und Festnetzbetreiber, die vergleichbare Services kostenpflichtig anbieten, unter Druck. esteuropäische Mobilfunknetzbetreiber verloren 2012 bereits 23 Milliarden Dollar Umsatz an OTTs, weil immer mehr Kunden SMS/MMS durch Smartphone-basierte Dienste wie „WhatsApp“, „iMessage“ oder „Blackberry Messenger“ ersetzten. Circa 33 Prozent aller Sprachminuten im Festnetz wurden über Skype abgewickelt. Das seit 2011 entwickelte vergleichbare Angebot für Mobilfunknetze, Viber, verzeichnet bis dato bereits 200 Millionen Nutzer in 193 Ländern, die monatlich zwei Milliarden Minuten telefonieren und sechs Milliarden Nachrichten versenden. Premium-OTT-Videoportale wie Netflix und Maxdome sind währenddessen auf dem besten Weg, Kabelnetzbetreibern und PayTV-Anbietern den Rang abzulaufen. Ergo: Konventionelle Unternehmen müssen sich dem technischen Fortschritt schnell anpassen, wenn sie ihre Marktposition nicht verlieren wollen. Eine aktuelle Untersuchung der Management- und Technologieberatung „Bearingpoint“ zeigt aber, dass gegenwärtig keiner der auf dem deutschsprachigen Markt agierenden Netzbetreiber für die notwendigen Anpassungen gerüstet ist. Die Ergebnisse zeigen auch, dass OTT-Services sich mittlerweile auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfung dieser Branchen erfolgreich etabliert haben. Ob die aufgebaute Marktposition der OTT-Anbieter nachhaltig ist, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden. Fakt ist: Die Degeneration der Telekommunikationsnetzbetreiber zur reinen Bitpipe-Utility ist nicht der einzig mögliche Entwicklungspfad für diese Industrie – der Wettbewerb zwischen Alt- und Neu-Anbietern hat gerade erst begonnen. TK-Netzbetreiber erlitten jedoch bereits ernsthafte Niederlagen. Die strategisch konsequente Einführung Bild: mm1 funkschau EXPERTENKOMMENTAR Kommunikationsdienste der Zukunft – es gibt eine Rolle für TK-Anbieter Die Übernahme von „WhatsApp“ durch Facebook war ein Paukenschlag für die TK-Branche und die App-Industrie. Der milliardenschwere Deal hat die Bedeutung von OTT-Messaging-Diensten mit einem Preisschild versehen. Gleichzeitig ist er ein Indiz für die flüchtige Loyalität der User in Zeiten der App-Ökonomie. Wenn Facebook aus Furcht vor Erosion der eigenen Nutzerbasis einen attraktiveren Dienst vom Markt kaufen muss, zeigt das, wie schnell die Karawane weiterziehen kann. Das schlechte Image der Datenkrake Facebook schlägt nun jedoch auf „WhatsApp“ durch. Vertrauenswürdige Alternativen wie Threema erleben hohe Zuwachsraten. Bemerkenswert dabei: Klassische TK-Anbieter kommen in der Debatte nur als Vertreter eines überholten Geschäftsmodells vor; ihre Bemühungen, mit RCS/Joyn eine standardisierte Weiterentwicklung des klassischen SMS-Nachrichtendienstes zu realisieren, finden keinen Widerhall. Laurenz Kirchner, Nirgendwo wird RCS/Joyn als „WhatsApp“-Alternative genannt. Das liegt vor allem an hausgemachten Fehlern: Die Partner bei mm1 Consulting & TK-Branche hat die Bedrohung zuerst ignoriert und ist dann nur halbherzig dagegen angegangen. Es gab DiskussioManagement Partnergesellschaft nen, wie viel RCS/Joyn kosten soll und darf. Das hat Zeit und Geld verschlungen – am Ende vergebene Liebesmühe, denn RCS/Joyn ist heute weitgehend kostenfrei verfügbar. In der Zwischenzeit sind OTT-Dienste rasant gewachsen. Und der nächste Schauplatz im Kampf „OTT vs. Telkos“ ist bereits sichtbar. „WhatsApp“ hat eine VoIP-Funktion angekündigt und erweitert so sein Angebot um ein synchrones Sprachfeature. Damit intensiviert sich auch beim Thema Sprache der Wettbewerb zwischen Netzbetreibern und OTT-Anbietern. Heißt das, dass TK-Anbieter den Kampf um ein eigenes Kommunikationsangebot aufgeben sollten? Nicht unbedingt. Die Netzbetreiber haben noch Trümpfe in der Hand: Mit ihren Vertragsbeziehungen zu Millionen Endkunden und ihrer Verhandlungsmacht gegenüber Endgeräte-Herstellern können die Telkos ihrer Rolle als Anbieter von Kommunikationsdiensten weiterhin gerecht werden. Dazu müssen sie allerdings deutlich an Entwicklungsdynamik zulegen und die Qualitätsmängel von RCS/Joyn beheben. Gleichzeitig müssen sie die Reihen geschlossen halten – dass China Mobile, der größte Mobilfunkbetreiber der Welt, seine Teilnahme bei RCS angekündigt hat, sollte hier helfen. Darüber hinaus gilt es, sich auch im Bereich Voice, insbesondere bei der neuen Träger-Technologie LTE, um Weiterentwicklung und Standardisierung zu bemühen. Und zu guter Letzt: TK-Anbieter sollten der Öffentlichkeit mit mehr Selbstbewusstsein die Unterschiede zum Angebot der OTTs erklären. (DK) funkschau 6/2014 Mobile-Solutions 37 Bild: MPC Mobilservice funkschau EXPERTENKOMMENTAR Marktmacht OTT-Anbieter: Wenn du Deine Feinde nicht besiegen kannst, umarme sie! Over-the-top-Anbieter (OTT) fordern mit ihrer Marktmacht von Milliarden von Kunden weltweit die klassischen TK-Unternehmen heraus. Dank der steigenden Nachfrage nach Smartphones und dem Wunsch der User, so günstig und einfach wie möglich zu kommunizieren sowie Musik und Filme zu laden, ist der Trend zur Nutzung IP-basierter Sprach-, Video- und Musik-Dienste ungebrochen. Der Anbietermarkt für Netzleistungen ist mittlerweile zum reinen Verdrängungsmarkt geworden: Netzleistung an sich wird immer austauschbarer – die Infrastruktur zur „Commodity“. Festnetz- wie Mobilfunkbetreiber fragen sich, wie sie Kunden überhaupt noch binden können und befürchten, zum bloßen Infrastruktur-Lieferanten degradiert zu werden. Der Konflikt zwischen OTT-Anbietern und TK-Unternehmen wird sich dabei am Umgang mit zwei Themen entscheiden, die die wichtigste Rolle bei der tiefgreifendsten Franz Schulze Sprakel, Umwälzung der TK-Branche seit Erfindung des Internets einnehmen: Bandbreite und Netzneutralität. Geschäftsführer Mit der zunehmenden Nutzung von Sprach-, Messaging- und Streaming-Diensten und im Aufwind befindliMPC Mobilservice chen Entwicklungen wie IP-TV und Car-Connectivity wird Bandbreite zum knappen Gut. Aktuellen Einschätzungen zufolge stellen Streamingdienste für bewegte Bilder (Youtube, Entertain, etc.) heute bereits die Hälfte des globalen Datenvolumens. Eine spannende Frage in diesem Zusammenhang lautet daher: Welcher Carrier vermag den wachsenden Datenhunger der Anwender zu stillen? Der weltweite Ausbau der Infrastruktur und die Investition in Hochgeschwindigkeitsnetze werden hier zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil – auch in Hinblick auf potenzielle OTT-Partner, die ihren Kunden eine schnelle und störungsfreie Übertragung bieten wollen. In puncto Netzneutralität bleibt abzuwarten, wie sich die Pläne der EU-Kommission, die Gleichbehandlung von Daten aufzuheben oder auch das jüngste Urteil eines US-Gerichts auswirken, das dem Netzbetreiber Verizon das Recht zur Priorisierung von Internetinhalten einräumt. In Deutschland war das Thema hochgekocht, als die Telekom angekündigt hatte, das Übertragungstempo bei Überschreiten eines bestimmten Datenvolumens zu drosseln – der eigene Video-Dienst Spotify davon jedoch ausgenommen werden sollte. Klar ist: Festnetz- und Mobilfunkanbieter möchten nicht nur investieren, sondern am Erfolg der OTT-Unternehmen teilhaben. Dass eine Blockierung von OTT-Services, Zusatzkosten oder Qualitätseinschränkungen keine Lösung sind, haben die meisten TK-Dienstleister eingesehen. Der Versuch, eigene OTT-Services anzubieten, gestaltet sich schwierig – dies beweist nicht zuletzt die bisher wenig erfolgreiche Einführung des Messaging-Standards „Joyn“. Der einzige Ausweg scheint, über Kooperationen nachzudenken und dem als „Trittbrettfahrer“ empfundenen OTTPlayer auf Augenhöhe zu begegnen – nach dem Motto: Wenn du deine Feinde nicht besiegen kannst, umarme sie! Wie diese „Umarmung“ konkret aussehen kann – Sponsoring, Margen-Sharing oder Bezahlung von Geschwindigkeit – müssen die Beteiligten nun verhandeln. (DK) von Flatrates erfüllte zwar den Wunsch der Kunden nach bezahlbaren Datendiensten via Smartphone und förderte die Nachfrage nach Smartphones und PostpaidVerträgen, entfernte aber letztlich eine der letzten Barrieren, die die weitgehend kostenlose Nutzung der Netze durch OTTAnbieter verhinderte. Die Hoffnung der Netzbetreiber, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit im Wettbewerb einsetzen zu können, greift allenfalls noch im Geschäftskunden-Markt. Gewisse Einschränkungen im Servicelevel nehmen Konsumenten bei OTT-Anbietern wie Whatsapp und Viber in Kauf. Zudem müssen Letztere mit OTTDiensten marktmächtiger, stark diversifizierter Ecosysteme wie Apple, Google oder Microsoft konkurrieren, die mit höherer Wettbewerbskraft und vielfältigen Einnahmequellen die technische Qualität sowie den Fortbestand proprietärer OTT-Services nachhaltiger sichern können als unabhängige OTT-Anbieter. Ungeachtet der Erfolge der OTT-Anbieter sind die Umsätze der etablierten Bran- chen weiterhin erheblich und profitabel. Immerhin wurden in Deutschland 2012, trotz OTT, 2,8 Milliarden Euro Umsatz mit SMS erzielt. Die Nutzung von Telefonie belief sich auf 233,2 Milliarden Minuten im Festnetz und 113,2 Milliarden Minuten im Mobilfunknetz. Die Profitabilität klassischer Kommunikationsdienste geht jedoch nachweislich zurück. Ungeachtet dieser teilweise relativierenden Sicht auf die Bedrohung durch OTT ist gegenwärtig keiner der auf dem deutschsprachigen Markt agierenden Netzbetreiber gegen die vom Markt erzwungenen Anpassungen gerüstet – dies wäre nur mit erheblichem Aufwand möglich. Zu sehr sind Organisation und Strategie dieser Unternehmen derzeit noch auf das klassische Sprach- und Datendienste-Geschäft ausgerichtet. Der Sieger steht noch nicht fest einzelne Marktteilnehmer nicht per se von zukünftigem Entwicklungspotenzial ausgeschlossen. Insbesondere für Telekommunikationsnetzbetreiber haben sich potenzielle Entwicklungsrichtungen jedoch bereits substanziell verringert. Bearingpoint weist zudem darauf hin, dass die Untersuchung weder einen einzelnen Akteur noch eine Gruppe von Unternehmen mit einer bisher unangreifbaren Wettbewerbsposition identifizieren konnte. Fundamentale ökonomische Grundsätze der Industrien mit Network-Economies bestehen zweifelsohne weiterhin. Flexibilität bei der Anpassung und Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens an veränderte Rahmenbedingungen bleibt somit die Kompetenz mit dem größten Einfluss auf den langfristigen Unternehmenserfolg – unabhängig davon, ob etablierter Branchenveteran oder junger OTT-Anbieter. (DK) Bearingpoints Untersuchung identifizierte keine eindeutigen Gewinner oder Verlierer. Zwar verändern sich Märkte und Technologien weiterhin, schaffen aber keine gänzlich neuen Spielregeln. Folglich sind Der vorliegende Text ist entnommen aus dem Whitepaper „Wertschöpfungskiller OTT?“ des Management- und Technologieberatungsunternehmens „BearingPoint“. Eine detaillierte Version des Whitepapers kann unter www.bearingpoint.com heruntergeladen werden. 6/2014 funkschau